Editorial: Gegensätzliche Entwicklungen

Es ist schon verwunderlich: Steve Jobs, der Apple-Vater und gleichzeitig wieder neuer Leiter, scheint die Talfahrt seines Unternehmens aufgehalten zu haben.

Nach vielen Monaten mit finanziellen Verlusten in schwindelerregender Höhe konnte Apple im ersten Geschäftsquartal 1998 erstmals wieder Gewinne von knapp 50 Mio. US-Dollar verzeichnen. "Ein Geniestreich!", werden viele Apple-Fans nun sagen.

Doch wie konnte dieser Gewinn erreicht werden? Sicher, der immense Stellenabbau hat dazu beigetragen, aber den Löwenanteil erwirtschaftete Apple mit seinem neuen lnternet-Vertriebsservice. über einen ausgeklügeltes virtuelles Internet-Kaufhaus haben Apple-User in den USA seit geraumer Zeit die Möglichkeit, ihren Traum-Computer am Bildschirm zusammenzustellen. Dieser wird ihnen dann kurze Zeit darauf zugesandt.

Der Vorteil für Apple liegt auf der Hand: Einerseits können weitere Personalgehälter eingespart werden, andererseits, und das wird ausschlaggebend sein, umgeht man die Gewinnspanne, die der Händler vor Ort hat. Dieser geht natürlich auf die Barrikaden, denn er wird beim neuen Internet-System übergangen. Genau wie schon vor zwei Jahren, als Apple mit Hilfe der Händler-Adreßdatenbanken sämtliche Schulen des Landes zwecks Direktbelieferung anschrieb.

Irgendwo anders auf der Welt versucht ein wesentlich kleinerer Computerhersteller ein Vertriebsnetz aufzubauen, um ein neues System namens Milan erfolgreich vermarkten zu können. Davon ausgehend, dass der Kunde den Service vor Ort zu schätzen weiß, wird trotz der kostenintensiven und schwierigen Startphase auf die doppelte Gewinnspanne verzichtet und gerecht geteilt.

Selbst wenn die Unternehmen sich bei weitem nicht miteinander messen lassen, so stellt sich doch die Frage, welche der Verfahrensweisen die bessere ist, finden Sie nicht?

Zwar ist der deutsche Markt für die virtuellen Kaufhäuser heute ohnehin noch nicht geeignet, da vergleichsweise wenige User in den Datennetzen herumschwirren, aber die Apple-Strategie soll in absehbarer Zeit auch hier umgesetzt werden. Solange der Händler durch das virtuelle Kaufhaus nicht geschwächt wird und der Kunde entscheiden kann, ob er den Service vor Ort möchte oder nicht, sollte beides nebeneinander existieren können. Ist es aber nicht so, dass das Markpotential stets aufgeteilt werden muss und einer dabei zwangsläufig der Verlierer sein wird? Nun, wir werden sehen.

Apropos: Ich hoffe doch, dass wir uns auch auf der ATARI-Messe in Neuss wiedersehen!

Ihr A. Goukassian



Aus: ST-Computer 04 / 1998, Seite 3

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