Neues zum TOS 6.0 und dem Milan

Zunächst einmal möchte sich die Redaktion für die große Anzahl an Zuschriften bzgl. der Vorschläge zum neuen TOS 6.0 bedanken. Nach der ersten Auswertung, die aufgrund der unerwartet großen Menge wesentlich länger dauerte als erwartet, konnten sämtliche Zuschriften Anfang des Jahres direkt an die Entwickler weitergeleitet werden. Dort wird man die Vorschläge studieren, mit den eigenen Vorstellungen abgleichen und anschließend entscheiden, was übernommen werden kann bzw. in welcher TOS-Version was übernommen wird.

Da dieser Prozeß natürlich noch nicht abgeschlossen ist, können wir Ihnen nun auch nicht das endgültige Resultat präsentieren, aber einige interessante Neuigkeiten zum Milan und zum TOS gibt es dennoch.

Beginnen wir mit der ATARI-Messe in Paris. Dort konnte der ATARI-Nachfolger endgültig in einer lauffähigen Version vorgestellt werden, unter der schon erste Benchmarktests usw. gestartet werden konnten. Die Anwender waren begeistert, denn die dort gemessenen Werte vermochten alle Erwartungen zu übertreffen. Selbst in einer kleinen Minimal-Version mit nur 20 MHz und deaktivierten Caches erreichte der Milan in nahezu allen Belangen eine 4fache ATARI-TT-Geschwindigkeit. Um zu verdeutlichen, was dies aber für die meisten Anwender bedeutet, hier nun der Faktor gegenüber anderen ATARI-Rechnern:

ATARI Falcon: Faktor 7
ATARI Mega STE: Faktor 13
ATARI 1040 ST/E: Faktor 20

Wie gesagt, all dies ist noch nicht der endgültige Wert. Dieser dürfte bei der o.g. Taktfrequenz und der Aktivierung sämtlicher Caches noch einmal um gut 20% gesteigert werden. Ich hatte Gelegenheit, ebenfalls einmal mit diesem System zu arbeiten und kann nur bestätigen, was zu erwarten war: Das Arbeiten mit dem Milan, zumindest mit der Software, die ich bereits zum Laufen bekam, war unglaublich. Überlegen Sie einmal: Nahezu jede Operation war rund zwanzigmal schneller als auf einem herkömmlichen ATARI-ST. Das Öffnen und Schließen von Fenstern, das Darstellen von Grafik usw. noch um ein Vielfaches schneller, denn der Milan profitiert von der Grafikkarte. Während die herkömmlichen ATARIs sämtliche Bildschirmoperationen noch über die CPU laufen lassen mussten (es sei denn, es wurde eine Grafikkarte nachgerüstet), kann das VDI des Milan (der Teil des Betriebssystems, der für die Bildschirmausgabe zuständig ist) alle Arbeiten an die Grafikkarte weitergeben, die für viele Darstellungen auch beschleunigte Funktionen besitzt.

Das neue BIOS und der Schulterschluss

Einer der wichtigsten Schritte in Richtung PCI-Karten-Einbindung wurde auf der ATARI-Messe in Neuss eingeleitet und bis zum Jahresende 1997 dokumentiert und gefestigt: die Erstellung eines gemeinsamen PCI-BIOS für den Milan und den Hades.

Doch was hat das für den Endkunden für Auswirkungen? BIOS heißt ist die Abkürzung für "Basic Input Output System" und es sorgt dafür, dass der Treiber für PCI-Hardware systemunabhängig programmiert werden kann. Das BIOS stellt bestimmte Grundfunktionen und Spezifikationen zur Verfügung und garantiert, dass Hardware, die sich an diese Vorgaben hält, auf allen Rechnersystemen lauffähig ist, die dieses BIOS betreiben.

Dieses BIOS wird nun im Laufe des Januar/Februar so fertiggestellt, so dass es sowohl auf dem Hades als auch auf dem Milan läuft. Wird nun ein Kartentreiber für eines dieser beiden Betriebssysteme geschrieben, kann man davon ausgehen, dass dieser auch auf dem anderen Computer problemlos zum Laufen gebracht werden kann. Damit ist der Schulterschluß gelungen, von dem viele Anwender geträumt haben, denn es wurde vielfach befürchtet, dass nun jeder Clone-Hersteller allein sein Süppchen kochen würde. Das Interessante an der gesamten Angelegenheit ist, dass sich auch die Entwickler des Phenix für dieses BIOS interessieren. Sollte deren Maschine tatsächlich Ende 1998 oder Anfang 1999 lieferbar sein, so könnten bei einer Einigung alle Phenix-spezifischen Treiber auch auf einem Milan oder einem Hades laufen! In der kommenden Ausgabe werden wir einen Grundlagenartikel zu diesem BIOS starten, der sich voraussichtlich über 3 Teile hinweg erstrecken und die Programmierung von PCI-Kartentreibern für den Hades und den Milan erläutern wird.

Welches TOS kommt denn nun?

Das ursprüngliche TOS ist komplett umgestrickt und auf einem modernen Compiler neu kompiliert worden. Allein dadurch konnte es in seiner Größe verringert und beschleunigt werden. Aufgrund der Tatsache, dass massive Eingriffe in der Betriebssystem aber mit einem nicht unerheblichen Aufwand zu erledigen sind, wird sich die Auslieferung des neuen TOS 6 entgegen unserer Aussagen in der 12/97er Ausgabe noch ein wenig verzögern.
Voraussichtlich werden die ersten Milane zunächst mit einem überarbeiteten TOS 4 ausgeliefert, das bzgl. des Funktionsumfanges in etwa einer Version 4.5 entsprechen dürfte. Das neue TOS wird neben einer neuen Oberfläche, der Beseitigung diverser Betriebssystemfehler, die Einbindung der Grafikkartenansteuerung und einiges mehr enthalten. Da das Milan-Betriebssystem aber via Diskette/Software aktualisiert werden kann, sollte dies für die Anwender kein zu großes Problem darstellen. Weitere Updates werden ständig folgen und im Gegensatz zu Windows wird ein Betriebssystem-Freshup nicht Ewigkeiten dauern, Programminstallationen gefährden und ein Neuinstallieren wichtiger Treiber mit sich führen.

Single- oder Multitasking?

Der Milan soll langfristig kompatibel zu alter Software sein, nicht zuletzt auch deswegen, weil er auch im Musikmarkt etabliert werden soll. Aus diesem Grunde wird in der Hardware ein modernes Single-TOS mit vielfältigen Funktionen, Funktionserweiterungen usw. enthalten sein. Das wird das Betriebssystem sein, weiches nahezu augenblicklich nach dem Einschalten des Rechners direkt ansprechbar ist. Auf Wunsch wird eine MultitaskingVersion ähnlich wie auf anderen Rechnersystemen hinzugeladen werden. Davon ausgehend, dass dieses Multitasking aber nicht größer als 1 MB werden dürfte, kann es bei einer durchschnittlich schnellen Festplatte und den schnellen Bus-Raten des Milan schon eine Sekunde später direkt ansprechbar sein. Wie nun die Wahl zwischen dem einen und dem anderen Betrieb getroffen werden kann, konnte ich leider noch nicht für Sie herausfinden.

Touch and Feel?

Wie ist nun das "Touch and Feel" mit dem Milan? Auf dem mir zur Verfügung stehenden Gerät konnte dies noch nicht voll getestet und ausgekostet werden, denn einerseits lief der Milan noch mit einer Standard-VGA-Auflösung, andererseits hatte er noch nicht seine endgültige Geschwindigkeit erreicht. Und dennoch war meine Begeisterung nicht zu übersehen, denn dank der Tatsache, dass im Hintergrund nur ein rund 512 KB großes Betriebssystem werkelt, das nicht ständig interne Routinen und Abfragen durch eine mehrere Megabyte große "Betriebssystemsuppe" vollzieht, war das reine Arbeitsgefühl entsprechend dem eines modernen Pentium II-Rechners. Das reine Arbeitsgefühl hat man beim Öffnen und Schließen von Fenstern, beim Aufrufen von Programmen und beim Darstellen von Grafiken, beim Aufbauen von Seiten und beim Arbeiten mit einer Textverarbeitung usw.

Dass die reine Rechenleistung nicht der eines P-II entspricht, dürfte klar sein, doch dafür wird es bei dem ATARI-Nachfolger z.B. nicht nötig sein, einen Teil der Rechenzeit in die permanente im Hintergrund laufende Betriebssystemaktualisierung zu investieren. Aufgabenbereiche, bei denen die Rechengeschwindigkeit der CPU zum Tragen kommen wird, sind z.B. das Raytracen von Bildern oder dergleichen. Dies dürfte aber derzeit ein vergleichsweise verschwindend kleines Einsatzgebiet von ATARI-Rechnern sein.

Nun, ich wage gar nicht davon zu träumen, was der Rechner denn mit einer 060er Erweiterung können wird. Wann diese aber erscheint, ist derzeit unklar. Auf jeden Fall soll sie aber nicht teurer sein, als würde man direkt mit einem 060er starten.

Das schrieben Sie uns:

Hier nun eine kleine Auswahl derjenigen Features, die Sie sich für ein neues ATARI-TOS 6 gewünscht haben. Teilweise überschnitten sich Ihre Vorschläge inhaltlich, wenngleich sie nicht immer gleich formuliert wurden.

Haben Sie daher bitte Verständnis dafür, dass wir die Auswertung stark gerafft haben, um nicht dem Umfang dieses Beitrages zu sprengen. (Siehe Infobox)

Abschließend:

Wie wir von unseren Lesern erfahren, sind viele von Ihnen mehr als nur gespannt und können es teilweise kaum noch abwarten, dass der Milan endlich erscheint. Auf jeden Fall soll und (so wurde mir versichert) wird der angekündigte Termin "1. Quartal 1998" eingehalten werden, so dass auf der Messe in Neuss (Anfang April) mit Sicherheit Geräte direkt vor Ort erworben werden können. Bis dahin bleibt aber noch einiges zu tun, denn das System soll so zukunftssicher und perfekt wie möglich werden. Wer weiß, vielleicht gelingt damit ein "großer Wurf" und der Milan kann sich zumindest so gut etablieren, wie in England z.B. die Acorn-Systeme. Dann müssen Hardware- und Betriebssystemkonzeption auf jeden Fall so ausgereift sein, dass sie bis ins nächste Jahrtausend hinein reichen. Milan-Fachhändier, die wir Ihnen ab der kommenden Ausgabe nennen können, werden erste Vorführgeräte ab Ende Februar zur Verfügung haben so zumindest der derzeitige Zeitplan.

Gembench und Quick Index-Werte des Milan040

Quick Index 2.1
CPU memory 884%
CPU register 1303%
CPU divide 1748%
CPU shifts 5694%

Gembench 4.02
GEM Dialog Box 592%
VDI Text 1264%
VDI Text Effects 1263%
VDI Small Text 1521%
VDI Grafics 885%
GEM Window 508%
Integer Division 1505%
RAM Access 2474%
ROM Access 2474%
Blitting 778%
VDI Scroll 536%
Justified Text 817%
VDI Enquire 1966%
New Dialoges 750%

Die hier gemessenen Werte entstanden in Relation zu einem ATARI ST und wurden auf einem Milan mit 25 Mhz-Taktfrequenz ermittelt. Zu bedenken Ist, dass noch keine speziellen Graflkkarten-Trelber Integriert wurden, die die Arbeit des Bildschirmaufbaus zu großen Teilen übernehmen, den Aufbau um ein Vielfaches beschleunigen und den Rechner gleichzeitig für andere Aufgaben entlasten werden. Bis zum Marktstart ist also mit einer weiteren Optimierung der Ergebnisse zu rechnen.

Die Liste der Vorschläge ist mit Sicherheit noch nicht vollständig, aber sehr aufschlußreich. Wichtige Punk te werden langfristig garantiert umgesetzt, doch ist nicht damit zu rechnen, dass es den Entwicklern gelingen wird, eine solche Vielzahl von Erweiterungen, die sich Vorreiter wie Apple oder Microsoft innerhalb vieler Jahre errungen haben, binnen weniger Wochen in das neue TOS zu integrieren. Um welche Funktionen es sich nun tatsächlich handeln wird, bleibt mindestens bis zur kommenden Ausgabe offen. Was wir bis dato wissen, ist, dass das Betriebssystem mittlerweile komplett zerpflückt, von Fehlern bereinigt und mit Hilfe moderner Software neu kompiliert wurde, wodurch der Umfang verringert und die Geschwindigkeit erhöht werden konnten. Spannung ist also angesagt. Der Gewinner wird übrigens in der kommenden Ausgabe bekanntgegeben.


Ralf Schneider
Aus: ST-Computer 02 / 1998, Seite 10

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