Neues aus Frankreich: ATARI-Messe Paris'97

Im Dezember des vergangenen Jahres fand in Paris (Bercy Expo) eine für französische Verhältnisse große ATARI-Messe statt, die erfreulicherweise rund 1500 bis 2000 Fans aus dem gesamten Land anzulocken vermochte.

Mit besonders viel Spannung erwartete ich die gut 30 einheimischen Aussteller (insgesamt ca. 45 Firmen), da die Entwicklung der vergangenen Monate darauf hoffen ließ, dass auch aus unserem Nachbarland interessante ATARI-Software zu uns herüberschwappt.

Früher hatten französische Programmierer hierzulande einen relativ schlechten Ruf, da ihnen vorgeworfen wurde, dass sie Software nicht akribisch und absolut fehlerfrei, sondern „schlusig" entwickeln würden. Mit vielen interessanten Produkten haben unsere Nachbarn sowohl auf dem ATARI-Markt als auch auf anderen Systemen bewiesen, dass sie nun bereit sind, sich den internationalen Herausforderungen zu stellen.

Ein Blick durch die Veranstaltungshalle des „Bercy Expo" verdeutlichte, dass der Markt zwar kleiner, aber nicht weniger aktiv ist als der deutsche ATARI-Markt. Die meisten Firmen verfügten über einen relativ kleinen Stand. Doch was man dort zu sehen bekam, war zumeist sehr interessant und teilweise auch vielversprechend.

Die internationale ATARI-Fachpresse war sich nach Abschluß der Messe darüber einig, dass die Vorstellung des Milan das größte Augenmerk auf sich zog und die wohl interessanteste Neuvorstellung war. Im Gegensatz zur ATARI-Messe in Neuss konnte nun ein lauffähiges Gerät unter 640x480 Pixeln/mono vorgestellt werden. Benchmarkprogramme wie Quickindex oder Gembench stellten die Leistungsfähigkeit des inoffiziellen ATARI-Nachfolgers unter Beweis. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Reaktionen auf den Rechner noch euphorischer waren als im Oktober in Neuss. Mußten die deutschen ATARI-Anwender ihre Begeisterung noch unter dem Vorbehalt, das Gerät würde wirklich so toll laufen, wie versprochen, äußern, kam es nicht selten vor, dass die französischen Fans schon mal ihre Kreditkarte anboten, um zu den ersten Kunden gehören zu können. Mehr zum aktuellen Stand der Dinge bzgl. des Milan erfahren Sie in dem Bericht zum TOS 6.0.

Die Aussteller

ASF ist die französische Vertretung von Application Systems Heidelberg. Hier wurden die teilweise auch französischen Versionen der bekannten ASH-Programme vorgestellt. Crazy-Bits konnte vor Ort viele PixArts (Version 4) an begeisterte Neukunden vertreiben, zumal das Programm in Frankreich bis dahin noch relativ unbekannt gewesen war. E.R.S. stellte zwei sehr interessante Programme vor, die ihre Premiere auf der Messe feierten. Find it ist eine Software zum Suchen von Daten aller Art. Ähnlich wie mit der Suchfunktion unter Win95 stehen dem Anwender etliche Funktionen zur Verfügung. So können nicht nur der Name der Datei, sondern z.B. auch der Zeitpunkt der Erstellung bzw. Änderung der Software usw. angegeben werden. Auf Wunsch kann man aber auch nach einer in der Datei enthaltenen Textsequenz suchen lassen.

Die Ergebnisse erscheinen in einer detaillierten Liste, die sich als ASCII-, RTF- oder auch als HTML-Text exportieren lässt.

Der Vorteil beim HTML-Export ist, dass man auch entscheiden kann, dass die einzelnen Dateien als Links gespeichert werden. Will man nun eine Reihe von Programmen über eine Web-Seite anbieten, ist es nicht mehr erforderlich, die Programme einzeln als Links aufzuführen. Das Programm kostet rund 30,- bis 40 DM.

Das zweite Programm aus diesem Hause ist Start it, welches einen umfangreichen Bootmanager zur Verfügung stellt. Der Preis beträgt nur 60,-bis 70,- DM. Beide Programme sind in modernem 3-D-Look gehalten und laufen auch unter MagiC oder MultiTOS.

Ein deutscher Vertrieb kann in der März-Ausgabe bekannt gegeben werden.

Die Firma Frederic Bayle stellte auf der Messe ein sehr interessantes und vielseitiges Grafik- und Retouche-Programm mit zahlreichen Bildbearbeitungsfunktionen, 8-Bit-Masken, etlichen Effekten und schöner Oberfläche vor. Dieses Programm basiert ebenfalls (wie inzwischen viele andere französische Programme) auf dem M&E-Sy-stem, das für die Zurverfügungstellung von Treibern aller Art zuständig ist. Wir sind bemüht, in einer der kommenden Ausgaben einen ausführlichen Test und eine deutsche Bezugsquelle vorzustellen.

Passend hierzu wurden von einigen anderen Anbietern diverse neue Treiber-Module für das M&E-System vorgestellt.

Emmesoft aus Italien stellte nicht nur drei neue CD-ROMs mit hochwertigen Background-Grafiken vor, sondern auch einen Midifile-Player namens „Live-Player", der über Fähigkeiten verfügt wie z.B. das Programm „MegaBeat" von Charli Lab.

StudioCapitale war auch schon in Neuss vertreten. Neben den bekannten HD-Recording-Programmen Studio-Son 2 und StudioSon 4 wurde ein hervorragendes 8-Spur-Audio-Recor-ding-Programm namens „Studio Time Line 8" vorgestellt, das in Frankreich auch schon bei einem Radiosender getestet wird.

Einen der größeren Stände dieser Messe hatte die Firma Centek. Mit Spannung wurde Neues zum Phenix, dem ATARI-Clone aus Frankreich, erwartet. Leider war auch auf dieser Messe noch nicht allzuviel zu sehen. Die Firma steht nach eigenen Angaben kurz vor der Erstellung der ersten Prototypen-Boards. Auch das ATARI-kompatible Betriebssystem Dolmen, das alles bisherige in den Schatten stellen soll, konnte nicht vorgestellt werden; anstatt dessen ein erster Bestandteil des Dolmen, nämlich das komplett neu geschriebene VDI, das ähnlich wie NVDI eine deutlich schnellere Bildschirmdarstellung erreicht als das TOS-eigene VDI.

Interessant hingegen war auf jeden Fall der neue Debugger namens Sentinel, der u.a. auch für die Arbeit mit dem DSP (falls vorhanden) ausgelegt ist.

Daneben waren einige kleinere Hardwareerweiterungen wie z.B. eine der Speed-Resolution-Card ähnelnde Erweiterung, ein HD-Interface und einiges mehr zu sehen. Softjee hat sich ebenfalls der Musiksoftware verschrieben und interessante Neuprodukte auf den Markt gebracht. Neben dem Nachfolger des Digital-Tracker namens „Digital-Homestudio" wurde auch ein GM-Midifile-Player vorgestellt, der eigene Soundsamples besitzt und aufgrund dessen das Abspielen der MIDI-Dateien ohne zusätzliche Hardware ermöglicht. Ein deutscher Vertrieb dürfte in den nächsten Wochen bekanntgegeben werden. Digital-Homestudio wird in Frankreich bereits mehrfach bewährt von Techno-Musikern und DJs eingesetzt, die so komplette Dance-Tracks produzieren. Dank des integrierten Samplers, einer Vielzahl von Effekten und 32spurigen Aufnahmemöglichkeiten können in schnellster Zeit komplexe Stücke CD-reif produziert werden.

Sehr hoch frequentiert war auch der Stand der Firma Oxo-Concepts, die seit Jahren dem ATARI-Markt die Treue halten. Der größte Teil der Aufmerksamkeit galt der neuesten Version des Internet-Programmes Wensuite, das in der dort vorgestellten Form nun endlich auch reif für den ATARI-Markt zu sein scheint. Die HTML-Ausgabe konnte nochmals erheblich optimiert werden, so dass fehlerhafte Darstellungen nun eher der Vergangenheit angehören. Darüber hinaus verfügt Wensuite nun über komfortable Software zum Lesen und Verwalten von E-Mails und Newsgroups. Bzgl. des Einwahlformates wird nun auch PPP-Link fehlerfrei unterstützt, so dass man mit einem Programm von 100,- DM nun endlich via T-Online, CompuServe oder anderer Anbieter auch mit dem ATARI bequem und problemlos ins Internet gelangt. Der große Vorteil gegenüber dem deutschen Mitstreiter namens CAB ist, dass man nicht nur insgesamt rund 30,- bis 40 DM spart, sondern auch kein Multitasking benötigt. Selbst eine Minimalkonfiguration mit nur 2 MB reicht aus, um Wensuite zum Laufen zu bringen. Wir sind bemüht, in der kommenden Ausgabe einen umfangreichen Testbericht vorzustellen.

Darüber hinaus hat OXO eine Möglichkeit gefunden, alte Falcon-Boards zu recyclen und aufzuwerten. Sämtliche Bausteine des Boards werden bei diesem Verfahren vom Original abgenommen und auf einer neuen Platine verarbeitet. Diese verfügt dann über optimierte Audioausgänge, ein integriertes PC-Tastatur-Interface, einen standardisierten IDE-Port und viele weitere Vorteile. Sicherlich ist dies eine interessante Möglichkeit, einen in die Jahre gekommenen Falcon am Leben zu erhalten, doch bei einem Preis von rund 600,- bis 700,- DM dürfte dies nur für absolute Liebhaber in Frage kommen.

La Terre Du Milieu, die Herausgeber des französischen ATARI-Magazins, hatten lediglich eine neue CD-ROM vorzustellen, die es aber in sich hat. Hierbei handelt es sich um „Just call me internet", eine CD, die sich rundum mit dem Thema ATARI und Internet, Linux, MiNT, Netzwerksoftware usw. befaßt. Interessant ist, dass sie zweisprachig, also in Englisch und Französisch, produziert wurde, so dass diese auch hierzulande viele Interessenten finden dürfte. Ein Deutschland-Vertrieb steht in der kommenden Ausgabe fest.

IFA bot auf der Messe mehr als 5000 bekannte Spieleklassiker zum Taschengeldpreis an.

Neben den hier genannten Firmen waren viele weitere Aussteller vertreten, die für den deutschen Markt nicht allzu interessant sind. Hierzu gehören Programmierer neuer Minitel-Software (ähnlich BTX), eine neue Zeitschrift namens STraTOS, die sich mit alternativen Betriebssystemen im allgemeinen befaßt usw. An deutschen Ausstellern waren in diesem Jahr Crazy-Bits, Dream Systems, FALKE-Verlag, in-versmedia, Milan GmbH, Sound Pool, Software Service Seidel und Dr. Zell-mer GmbH vertreten, so dass die deutsche Präsenz in diesem Jahr durchaus ernstzunehmend groß war.

Fazit

Leider konnten wir insbesondere aufgrund des Zeitmangels nicht alle für den hiesigen Markt interessanten Produkte vorstellen, doch es ist - so hoffen wir - deutlich geworden, dass die Aktivitäten bei unseren Nachbarn durchaus ernstzunehmen und wichtig sind.

Wenn man sich die Summe aller ATA-Rl-Produkte der europäischen Staaten mal anschaut, dann sieht man ganz deutlich, dass der ATARI-Markt eigentlich über alle heutzutage relevanten Produkte verfügt. Unsere Aufgabe für 1998 sollte nun sein, diese Vielfalt zu koordinieren und das Angebot der jeweiligen Länder zu erweitern. Anders wird es doch mit PC- oder Mac-Software auch nicht gemacht. Oder was glauben Sie, wie viele PC-Produkte prozentual in Deutschland erstellt werden? Zum Gelingen dieses Vorhabens wird sicherlich auch wieder die ATARI-Messe am 4. und 5. April in Neuss beitragen. Ich würde mich freuen, Sie dort zu sehen.

A. Goukassian



Aus: ST-Computer 02 / 1998, Seite 13

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