Interview mit Charlie Steinberg und Thomas Wendt

Endlich ist es gelungen, Charlie Steinberg, Programmierer und Kopf der Firma Steinberg, und Thomas Wendt, Steinbergs Pressesprecher, direkte Informationen zur momentanen Marktlage über ATARI-Computer, die dazugehörende Musik-Software und Neuentwicklungen zu entlocken.

ST-Computer: Glauben Sie, daß ATARI mit seiner Technologie an die Apple Computer hätte anknüpfen können, oder war die Einstellung der Fertigung eine richtige und gute Entscheidung?

C. Steinberg: Meiner Meinung nach ist das nicht so direkt vergleichbar. Apple ging mit seinem System doch von Anfang an einen etwas anderen Weg. Der ATARI war schon immer ein geschlossenes System. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Marketing- und der Entwickler-Support. ATARI hätte dort mit Sicherheit von Anfang an mehr tun müssen. Von der Marketing-Seite her wurde immer versucht, den ATARI als Grafik- und DTP-System zu etablieren, was aufgrund der geschlossenen Architektur jedoch äußerst schwer war und schließlich auch gescheitert ist. Man vernachlässigte darüber dann die eigentlichen Stärken des Computers als kreatives Tool für Stand-alone-Anwendungen und als sehr leistungsstarker Heimcomputer. Es gab eine Zeit, in der die Anzeigen nur von DTP und Grafik sprachen und Musik gar nicht erwähnten. Das führt natürlich zu einer Verzerrung des Images.
Die Einstellung der Fertigung war für die Anwender keine gute Entscheidung, für ATARI jedoch sicherlich lebensnotwendig. Ich finde es schade. Das Konzept des Falcon war seiner Zeit um einiges voraus. Es gibt heute noch kein Computer-System, welches serienmäßig 8 Audiokanäle und einen DSP on Board hat und sogar über einen DSP-Output verfügt. Einen DSP-Port würde ich mir für den PowerMac wünschen.

ST-Computer: Wird die ATARI-Software weiterhin pflegt, oder kommen aus dem Hause Steinberg sogar noch neue Produkte für die TOS-Rechner?

C. Steinberg: Die Cubase-Audio-Version für den Falcon wird noch upgedatet und weiter gepflegt, daß heißt, es wird weiterhin Bugfixes geben. Die ATARI-"Gemeinde" ist so treu, daß wir es nicht übers Herz brächten, dort gar nichts mehr zu tun, jedoch ist das für uns, vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, ein Service, den wir voll aus "Goodwill" leisten. Es gibt keine wirtschaftliche Grundlage für diese Entwicklungsarbeit. Das Update für den Falcon wird das ADAT-Interface von SoundPool unterstützen und somit die Übertragung von 8 Spuren vom ADAT zum Falcon ermöglichen. Ansonsten kommt alles, was in CubaseScore 3.0 gefixt wurde, auch in die Falcon-Version. Wir beobachten jedoch auch mit sehr großem Interesse, was aus dem Hause C-Lab an weiteren Dingen zu erwarten ist. Wenn es noch technologische Weiterentwicklungen gibt, werden wir garantiert prüfen, wie das programmtechnisch zu unterstützen ist.

ST-Computer: Wie war die Messe-Reaktion der ATARI-User auf das Aussterben des ATARIs?

T. Wendt: Es gab auch in diesem Jahr viele Leute, die nach dem ATARI fragten. Es gibt auch sehr viele Leute, vor allem in den Benelux-Ländern, die sehr professionell mit dem und für den ATARI arbeiten und sich mehr Support und neue Software wünschen. Die Darlegung der Situation führte jedoch auch sofort zu großem Verständnis für uns, und wer heute mit Computern arbeitet, benötigt normalerweise auch mehr Software, als für den ATARI zur Verfügung steht. Und um kompatibel zur Außenwelt zu sein, ist man auf PC- oder Mac-Kompatibilität angewiesen, sei es für CD-Mastering oder Belichten oder nur zum Textaustausch. Die wenigsten wollen die umständlichen Konvertierungsvorschläge in Kauf nehmen.

ST-Computer: Wie werden im Hause Steinberg die Aktivitäten der Firma C-Lab auf dem Gebiet der Falcon MK-Entwicklungen eingeschätzt?

C. Steinberg: Der Falcon von C-Lab ist die günstigste Lösung, um in Digital-Audio einzusteigen. Man findet alle nötigen Schnittstellen "serienmäßig" vor, und das System ist 100%ig "Plug and Play" ausgelegt. Die Hardware ist qualitativ hochwertig, und alle Komponenten sind aufeinander abgestimmt. Wer ein schlüsselfertiges System zur Musikproduktion sucht, ist auf jeden Fall mit diesem System gut beraten.

ST-Computer: Wie fühlt sich ein Programmierer, wie Sie es sind, wenn er vom ATARI auf den Apple umschwenkt?

C. Steinberg: Hervorragend (grinst), die Entwicklung für den Hauptprozessor bietet viele Erleichterungen im Vergleich zu einem zwar on Board befindlichen, jedoch trotzdem externen Audio-Subsystem. Außerdem ist der Programm-Code einheitlich und nicht mit speziellen DSP-Routinen durchsetzt. Dazu kommt, daß der PPC (PowerPC) einfach wesentlich schneller ist als der Motorola-DSP. Die gesamte Architektur des Apple macht das Handling einfacher. Das File-System ist zum Beispiel von vornherein auf asynchronen Dateizugriff ausgelegt, was wir beim Falcon erst mit einem, äh, "wilden Hack" selbst bauen mußten. Das birgt natürlich einiges an Gefahren. Außerdem mußten wir beim Falcon auch noch einen eigenen SCSI-Treiber schreiben. Dies sind Dinge, die einem der PowerPC von vornherein abnimmt.

ST-Computer: Sehen Sie den momentanen Stand der Software als Beginn eines Quantensprungs an, oder glauben Sie, daß wir HDR, VST u.a., auf dem jetzigen Stand langjährig als Standard ansehen müssen? Bislang ist der Videobereich noch ein Stiefkind, wird sich das im nächsten Jahr ändern? (Vielleicht auf der Musikmesse ?)

C. Steinberg: Die Hardware steht auf jeden Fall vor einem Quantensprung. Was man heute mit der Standardprozessorleistung erreichen kann, konnte man sich vor einem Jahr lediglich wünschen. HDR ist mittlerweile zur Standardapplikation geworden. Auch professionelles Mastering mit Denoising, Declicking und Enhancing ist mit einem PPC oder einem schnellen Pentium möglich, ohne daß noch ein DSP erforderlich wäre. Damit erreichen wir eine absolut professionelle Dynamik und gehen über die üblichen 16 Bit bei der Audioverarbeitung hinaus. Und in Zukunft können wir noch viel mehr machen, da die Prozessoren immer leistungsfähiger werden. Sie sprechen Video an - na, man weiß ja, daß wir noch nie untätig waren und ... lassen Sie sich doch auf der nächsten Musikmesse überraschen. (Anm. d. ST-Computer: Wir sind trotzdem neugierig und werden versuchen vorher noch Neues in Erfahrung zu bringen, um darüber zu berichten.)

ST-Computer: Welche Entwicklungen sind denn zur Zeit in Arbeit?

C. Steinberg: Na, viel kann und darf ich hier noch nicht verraten. Auf jeden Fall wird es Hardware für den PowerPC geben, die Multiple- und Digital-I/O bieten. Das werden wir natürlich unterstützen. Wir arbeiten da eng mit den Hardware- Firmen zusammen.

ST-Computer: Was halten Sie von von All-In-One Lösungen? Von Rechnern, die bereits ab Werk mit allen Multimedia- Schnittstellen bestückt sind?

C. Steinberg: Durch die Bank finde ich solche Systeme gut, wenn die Qualität stimmt. Es gibt diese All-in-one-Lösungen im High-End-Bereich, da wäre ganz vorne Silicon Graphics zu nennen mit Video I/O, S/PDIF usw. In Kürze kommen neue Macs auf uns zu, die noch mehr an Schnittstellen besitzen, und natürlich gibt es noch die PCs. Wenn man gute Komponenten erwischt, wird ein PC ohne weiteres zur professionellen Video-, Audio- und Recording-Maschine. Das Tolle ist, daß man ein Basissystem mit allen Schnittstellen kauft und je nach Bedarf in die Prozessorleistung oder die Speicherausstattung investiert. Die Prozessorleitung von heute macht viele Dinge möglich, die bis vor kurzem nur mit teurer DSP-Hardware zu realisieren waren. Das bedeutet, daß die Hardware neben den Schnittstellen nicht mehr so viel leisten muß, sondern der Software mehr Bedeutung zukommt.

ST-Computer: Welcher Computer ist z.Zt. als der bessere Musik-Computer anzusehen? Ist es der PowerMac oder der IBM-kompatible PC?

C. Steinberg: Tja, die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Für Anfänger, denke ich, ist der PC zu empfehlen, weil es wesentlich mehr Software gibt und das System nicht so teuer ist. Der PowerMac hingegen ist im Moment noch leistungsfähiger, und die Software hat mehr Möglichkeiten. Das heißt aber nicht, daß sich der ernsthafte Anwender unbedingt für den Mac entscheiden muß. Im Moment möchte ich nicht in der Haut eines Anwenders stecken, der vor der Frage nach dem für ihn geeigneten Computersystem steckt noch viel Potential im PPC. Auf der anderen Seite sind die angekündigten Entwicklungen von Intel ebenfalls mehr als vielversprechend. Gerade für unsere Bedürfnisse zeichnen sich sehr interessante Technologien ab. Leider kann ich dazu im Moment noch nicht mehr sagen. Vielleicht sollten wir uns noch einmal zu einem etwas späteren Zeitpunkt unterhalten.

ST-Computer: Wie beurteilen Sie die ATARI-Emulatoren für Mac und jetzt auch für Windows95?

C. Steinberg: Das ist eine hervorragende Möglichkeit, um Musikprojekte, besonders Audioprojekte vom Falcon, auf andere Systeme zu übertragen, ohne zu viele Informationen zu verlieren. So ist es möglich, einen Cubase-Song mit Audio und allem Drum und Dran mit MagicMac in Cubase VST zu bekommen. Einem Systemwechsel steht damit nichts im Wege. Wir prüfen gerade, was das neue MagiCPC für Windows95 auf dem PC ermöglicht.

ST-Computer: Sie sprachen gerade vom Systemwechsel. Unterstützt Steinberg die Anwender, wenn sie auf eine andere Computerplattform wechseln wollen?

C. Steinberg, Aber natürlich. Es gibt spezielle Crossgrade-Angebote. Einfach die Software einschicken, und dann gibt's zu einem speziellen Kurs die aktuelle Cubase-Version für das gewünschte neue System. Details erfährt man entweder bei den Händlern oder bei unserem Vertrieb in Hamburg.

ST-Computer: Wir danken für das interessante Gespräch!

Susi faßt zusammen: Wer (Was) soll nun Dein(e) Herzblatt(Plattform)sein? Ist es der Apple, in den Du auch ohne zu sündigen reinbeißen darfst? Oder ist es der betagte Falcon, der immer noch gut kann? Oder soll es gar der IBM-Komfortable sein, der sogar ohne Software viele Millionen über die (Be)Werbung reinholen kann? Wer (Was) soll denn nun Dein(e) Herzblatt (Plattform) sein? Kandidat 1, 2, oder 3? Man wird sehen ...

Mit Charlie Steinberg und Thomas Wendt sprach Wolfgang Weniger.



Aus: ST-Computer 06 / 1996, Seite 20

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