Videotextdecoder Hermes mit Software VTDecoder

Videotext bietet eine Fülle von aktuellen Informationen - und das kostenlos. Doch ein in den Fernseher eingebauter Decoder erlaubt keine zeitgemäße Weiterverarbeitung der Daten. Der Videotextdecoder Hermes soll mitsamt der Software VTDecoder Abhilfe schaffen.

Vor einigen Jahren war er noch Käufern von Luxusfernsehern vorbehalten, heute zählt er bereits zur Grundausstattung vieler Billiggeräte - der Videotextdecoder. Ist Ihr Fernsehgerät mit einem solchen Decoder ausgerüstet, stehen Ihnen die Informationsangebote vieler Sender zur Verfügung. Sie müssen nicht mehr auf das Ende der Sportschau warten, um die Lottozahlen zu erfahren, neueste Meldungen aus aller Welt werden Ihnen frei Haus serviert, Börsenkurse und Verkehrsberichte sind nur ein kleiner Teil der jederzeit abrufbaren Informationen. Trotz all dieser nützlichen Features sind die Möglichkeiten eines im Fernseher eingebauten Videotext-Decoders begrenzt. Sollten Sie interessante Informationen schwarz auf weiß haben wollen, bleibt Ihnen nur das mühselige Abschreiben von Hand. Darüber hinaus ist das Fernsehbild bei aktiviertem Videotext zumindest teilweise überdeckt. Daher bietet es sich im Sinne der Harmonie nicht an, den Videotext zu aktivieren, wenn Mitbewohner gerade mit Spannung einen Film im Fernsehprogramm verfolgen.

Viel praktischer wäre es doch, wenn man die Videotext-Informationen direkt in den Atari holen könnte. Der Weiterverwertung von Videotext-Seiten, wie etwa Ausdrucken oder Speichern, stände dann nichts mehr im Wege. Genau diese Idee liegt „Hermes", dem von der Firma Alexander Heinrich vertriebenen Videotext-Decoder, zugrunde. Ihr Fernsehgerät wird zu dessen Betrieb allerdings weiterhin benötigt, weil dem Decoder das Videotextsignal aus dessen Tuner eingespeist wird.

Understatement

Der Videotextdecoder Hermes befindet sich in einem schlichten schwarzen Kasten mit den Ausmaßen 9418 cm (BHT). Daß er kein Schmuckstück ist, ist jedoch nicht weiter tragisch, da sie üblicherweise nur den Betriebsschalter an dem Gerät bedienen müssen und es somit an einen weniger exponierten Platz stellen können. Anschluß und Inbetriebnahme von Hermes sind einfach. Ein Kabel wird mit dem Decoder auf der einen Seite und der Modem-Schnittstelle des Computers auf der anderen Seite verbunden. Bei TT und Mega STE ist leider nur der Anschluß an der Modem 1-Schnittstelle möglich, beim Falcon dagegen an den erweiterten Joystickport. Von dem mit der seriellen Schnittstelle verbundenen Kabel verzweigt ein weiteres, das Sie in die Joystickbuchse des Computers stecken müssen. Hieraus bezieht Hermes die zum Betrieb nötige Spannung. Zwar konnte so auf ein externes Netzteil verzichtet werden; das Kabelgewirr auf dem Schreibtisch wird jedoch nicht gerade gemindert. Immerhin ist das mitgelieferte Kabel lang genug, um es dort zu verlegen, wo es am wenigsten stört.

Nun muß noch ein Kabel mit Ihrem Fernseher verbunden werden. Dazu muß dieser entweder über eine Scart Buchse verfügen, deren FBAS-Eingang beschaltet ist, oder über eine Video-In-Buchse. Bei der Bestellung von Hermes ist die Angabe der gewünschten Steckerform notwendig, damit Sie die passende Version erhalten. Für die optionale, erweiterte Version von Heymes, die das Videotextbild auf dem Fernseher einblenden kann, ist eine Scart-Buchse am Fernsehgerät jedoch unumgänglich.

Konfigurierbarer Cache

Bevor Sie loslegen können, müssen Sie noch ein Treiberprogramm in den Auto-Ordner Ihrer Bootpartition kopieren. Durch Umbenennung dieses Programmes können Sie zwei Parameter beeinflussen. Zum einen die Verzögerung, mit der Daten aus dem Decoder gelesen werden: hier empfiehlt sich bei später auftretenden Problemen, wie langem Suchen nach Seiten, das Experimentieren mit verschiendenen Werten. Der zweite Parameter legt die Größe des Caches fest, in dem einmal gelesene Seiten gespeichert werden. Je größer Sie diesen wählen, desto seltener kommt es vor, daß eine bereits einmal dargestellte Seite nochmals gesucht werden muß.

Nach dem Booten des Computers ist die Software „VTDecoder" startbereit. Sind der Decoder sowie der Fernseher eingeschaltet und ist auf letzterem ein Kanal eingestellt, auf dem Videotext ausgestrahlt wird, versucht das Programm zunächst, „Top-Text"-Informationen aus dem Videotext zu erhalten. Sind diese verfügbar, ist das Auffinden von gesuchten Seiten erheblich komfortabler. Statt sich zahlreiche Seitennummern merken zu müssen, oder jeweils die Übersichtsseiten durchzuwälzen, können Sie bequem aus einer Liste von Stichworten das gewünschte wählen. VTDecoder stellt die Rubriken mit Unterstichworten in einem Fenster dar. Klicken Sie eines an, wird ein Fenster geöffnet, und nach einer kurzen Zeit, die der Decoder zum Empfangen der Seite braucht, erscheint diese. Am unteren Ende des Fensters zeigt VTDecoder verwandte Stichwörter an, die durch Doppelklick selektierbar sind, woraufhin die zugeordneten Seiten eingeblendet werden. So wird das Auffinden von Informationen noch einfacher.

Flexible Anwahloptionen

Das Programm kann bis zu sieben Videotext-Seiten gleichzeitig in Fenstern darstellen. Praktisch beim Durchsehen von aufeinanderfolgenden Seiten ist, daß Sie mit den CursorTasten vor- und zurückblättem können. Viele Informationen im Videotext sind aus technischen Gründen jedoch nicht auf mehrere Seiten verteilt, sondern auf einer Seite mit Unterseiten untergebracht. Mit den in Fernsehgeräten eingebauten Decodern haben Sie hier das Nachsehen, weil Sie entweder lange warten müssen, bis die Sie interessierende Unterseite erscheint, oder aber vom Seitenwechsel überrascht werden, bevor sie die aktuelle UnterSeite vollständig durchlesen konnten. Das kann mit VTDecoder nicht passieren. Die Software gibt Ihnen die Möglichkeit, Unter-Seiten direkt anzuwählen, indem Sie nach der Seitennummer einen Dezimalpunkt und die Nummer der Unter-Seite angeben.

Außerdem können Sie mit den Cursor-hinauf und -herunterTasten die jeweils nächste oder vorhergehende Unter Seite aufrufen. Um Videotextseiten für den späteren Zugriff zu sichern, sind Sicherungsfunktionen eingebaut. Außer in einem VTDecoder-eigenem Format können Sie auch im IMG-Standardformat für Grafiken speichern. Durch das Sichern als ASCII-Text hingegen sind der Weiterverwertung von Informationen aus dem Videotext, beispielsweise mit einer Textverarbeitung, keine Grenzen gesetzt. Uns fehlte lediglich eine Möglichkeit des Ausdrucks der Seiten direkt aus dem Programm. Positiv vermerkten wir, daß das Programm sich an die Standardregelnfür Benutzeroberflächen auf dem Atari hält und daher die Übernahme von ganzen Seiten oder Ausschnitten ins Clipboard unterstützt - aufrufbar durch das übliche Tastaturkürzel Control-c oder über das Menü.

Komfort durch Vorzugsseiten

Wenn Ihnen der voreingestellte Zeichensatz der Videotext-Fenster nicht gefällt, weil er nicht die richtigen Proportionen für Ihren Monitor hat, können Sie aus einigen Alternativ-Fonts wählen. So ermöglicht es Ihnen VTDecoder, durch das Verwenden eines kleineren Zeichensatzes mehr Fenster auf dem Bildschirm darzustellen. Wir würden allerdings begrüßen, wenn die Auswahl des Zeichensatzes im Programm selber vorgenommen werden könnte, statt, wie jetzt, durch manuelles Umkopieren der Schrift-Dateien mithilfe des Desktops. Die folgenden Optionen lassen sich dagegen in VTDecoder einstellen: „History anzeigen" gibt Ihnen in der Informationszeile der Fenster die zuletzt dargestellten Seiten an. Der in der Größe einstellbare Seitenprefetch spart Ihnen Zeit. Während Sie eine Seite lesen, werden automatisch so viele darauffolgende oder vorausgehende Seiten im Hintergrund eingelesen, wie Sie dort angegeben haben. Blättern Sie nun weiter oder zurück, liegt die Seite meist schon vor, so daß Sie nicht auf das Einlesen durch den Decoder warten müssen. Des weiteren können Sie pro Fernsehsender sogenannte Vorzugsseiten einstellen, die beim Programmstart automatisch eingelesen werden. So ist Ihre persönliche Auswahl noch schneller verfügbar.

Jederzeit können Sie sich über die Güte der empfangenen Daten sowie über die Auslastung des Seitencaches informieren. Letzteres gibt Ihnen eine Vorstellung davon, ob eine Vergrößerung sinnvoll wäre. Wie löblicherweise alle Dialogboxen befindet sich auch diese Statusanzeige in einem Fenster. Das ist ein großer Vorteil, besonders, wenn Sie mit einem Multitasking-Betriebssystem wie Mag!X oder MultiTOS arbeiten, denn die Ausgaben anderer Programme auf den Bildschirm werden durch Fensterdialogboxen nicht blockiert. Generell verhielt sich VTDecoder sehr kooperativ unter Mag!X, Fehlfunktionen oder gar Abstürze unter diesem Betriebssystem konnten wir nicht verzeichnen. Dagegen gab es im Betrieb mit einer „Spektrum"-Grafikkarte leichte Probleme bei der Darstellung der VideotextFenster. Am unteren Rand der Fenster erschienen wirre Muster.

Wenn Sie den Fernsehsender wechseln, um an andere Videotext-Informationen zu gelangen, empfiehlt sich das als Menüpunkt angebotene Löschen des Caches. Dann kommt das Programm nicht mit den veralteten Daten durcheinander und schafft gleichzeitig Platz zur Pufferung neuer Daten.

Schöne Option mit Tücken

Wir testeten Hermes mit der optionalen Einblendschaltung. Die Darstellung des Videotextes auf dem Fernsehschirm unterscheidet sich in nichts von der der üblichen internen Decoder. Der besondere Nutzen dieser Anwendung liegt vor allem in der Einblendung von Untertiteln wie auch der Seite 111 des ARD/ZDF-Videotextes, mit ihren ständig aktuellen letzten Meldungen. Jedoch hatte unsere Testversion noch einige Ecken und Kanten. So muß, falls keine Abbildung des Videotextes auf dem Fernseher gewünscht ist, diese bei jedem Programmstart abgeschaltet werden. Andernfalls erscheinen wirre Zeichen statt lesbarer Texte auf der Mattscheibe. Darüber hinaus scheint sich in der Suchroutine noch ein Fehler zu befinden, denn bei Darstellung des Videotextes auf dem Fernseher findet der Decoder angeforderte Seiten oft erst spät und manchmal gar nicht, obwohl sie bei Darstellung im Fensterproblemlos gefunden werden. Diese Mängel trüben die Freude an diesem eigentlich so sinnvollen Feature.

Futter für Programmierer

An Anwender, die mit eigenen Programmen auf den Decoder zugreifen möchten, hat der Hersteller gedacht. Im Lieferumfang enthalten sind eine Funktionsbibliothek in C und zwei Accessories mitsamt Quelltext. Eines - schlicht Seite 111 genannt - fragt den Decoder ständig nach neuen Informationen auf dieser für Kurznachrichten reservierten Videotextseite ab und speichert diese in einer Datei. Das andere holt sich laufend die aktuelle Uhrzeit aus dem Videotext und zeigt sie in einem kleinen Fenster an. Genauer als die Systemuhr ist dies allemal, da diese, je nach Spannungsversorgung, oft um mehrere Minuten pro Tag nach- oder vorgeht. Trotzdem sind diese Utilities hauptsächlich als Beispielanwendungen gedacht, die zeigen sollen, wie Sie selbst Anwendungen programmieren können.

Fazit

Hermes ermöglicht eine effektivere und komfortablere Nutzung des Videotextes. Einige Schönheitsfehler, wie die inkorrekte Darstellung der Fenster beim Betrieb mit einer Grafikkarte und besonders das erfolglose Suchen nach angeforderten Seiten, lassen jedoch eine Nachbesserung des Programms nötig erscheinen. Der Verkaufspreis für den Decoder ist hoch angesetzt, Käufer erhalten als Schmankerl jedoch eine Vollversion der leistungsfähigen Datenbank Maxidat, über die wir im Februar berichteten, zusätzlich. Sobald die genannten Kritikpunkte ausgeräumt sein werden, ist Hermes eine Empfehlung wert.

Preis: 244 DM
Aufpreis Einblendschaltung: 49 DM

Positiv:
komfortable Bedienung
Multitasking-verträglich
Zeichensatz-Auswahl

Negativ:
Funktionsprobleme mit Einblendschaltung
leichte Darstellungsfehler mit Grafikkarten


Patrick G. Dubbrow
Aus: ST-Computer 02 / 1995, Seite 12

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