GEM-View - Das Juwel unter den Betrachtern

Wir befinden uns in der grauen Vorzeit der Computergeschichte, genauer gesagt im Zeitalter des Chaos. Überall brodelt es, und praktisch jeder kocht sein eigenes Süppchen. Wo wir uns befinden und wovon ich rede, fragen Sie? Wir befinden uns in der Gegenwart, und ich erzähle Ihnen von den Problemen der Verständigung. Und, noch genauer gesagt, umschreibe ich gerade die Situation auf dem Markt der Grafikprogramme und -formale. Praktisch jeder Hersteller eines Computers, eines Betriebssystems oder eines Grafikprogramms definiert sein eigenes Grafikformat. Zwar stellt sich langsam aber sicher eine Besserung ein, so daß sich zumindest nur noch ein Format pro System durchsetzt, aber die Formate existieren jetzt nun einmal und werden auch noch weiter verwendet.

Hier soll das Shareware-Programm GEM-View helfen, das es ermöglicht, auf dem ATARI so ziemlich jedes nur irgendwie gebräuchliche Grafikformat zu identifizieren, zu laden, anzuzeigen und in einem anderen Format auch wieder abzuspeichern, so daß man es für die eigene Textverarbeitung oder einen anderen Rechner brauchbar machen kann - wobei dann gleich noch eine weitere Schwierigkeit auftaucht: die Umwandlung des Bildes, so, daß sie auf dem gerade vorhandenen Bildschirm auch angezeigt werden kann. Und dies, wenn am ATARI ein Monochrommonitor hängt und ein Bild mit eigentlich 256 oder mehr Farben dargestellt werden soll! Aber sogar das meistert GEM-View mit Bravour.

GEM-View ist eine sauber programmierte GEM-Anwendung, die ohne Probleme mit MultiTOS zusammenarbeitet und hierbei beispielsweise auch Drag&Drop- sowie diverse andere Protokolle verarbeitet. Auch werden die diversen Grafikkarten und der Falcon 030 unterstützt, so daß es keine Schwierigkeiten geben sollte. Leider ist die Oberfläche etwas ungewöhnlich aufgeteilt, so daß eine Orientierung zuerst doch recht schwer fällt. Eine Annäherung an den GEM-Standard wäre meiner Meinung nach sinnvoll.

An Lade- und Konvertierungsfunktionen bietet GEM-View alles, was das Herz begehrt. Von IFF bis TIF, von JPEG bis SunRasterGrafics ist alles vorhanden. Durch das in der Version 3.0 neu hinzugekommene Modulkonzept kann GEM-View leicht um weitere Module erweitert bzw. alte verbessert werden. Aber nicht nur das Laden, sondern auch das Sichern, das Drucken und das Bearbeiten von Bildern wurde modularisiert. so daß somit die Kernfunktionen von GEM-View praktisch unbegrenzt erweiterbar sind. Mitgeliefert werden Unmengen an Lade-, die wichtigsten Speicher- sowie einige Druck- und Bearbeitungsmodule. Es liegt eine ausführliche Beschreibung der Modulschnittstelle bei, so daß auch andere Programmierer neue Module für GEM-View entwerfen können.

Und auch bei der Anpassung eines geladenen Bildes an die gerade aktive Bildschirmauflösung ist bei GEM-View alles Wichtige und Nützliche vorhanden: sollte der Bildschirm weniger Farben haben als das Bild, so wird es durch "Dithern", das Ersetzen einer Farbe durch geschicktes Gegeneinandersetzen von Farben aus der Zielpalette, auf die entsprechende Farbenzahl heruntergerechnet. Hierfür stehen mehrere Verfahren zur Verfügung, die unterschiedlich gut und schnell arbeiten. Besonders hervorzuheben ist das Ordered-Dither-Verfahren, da hierbei mit Hilfe eines mitgelieferten Editors sogenannte Dither-Muster selbst erstellt werden können, anhand derer GEM View dann die Bilder umrechnet. Mit dieser Funktion lassen sich nicht nur recht gute Ergebnisse, sondern auch äußerst interessante Effekte erzielen. Allgemein kann man aber sicherlich sagen: hier ist Ausprobieren gefragt, welches Verfahren mit einem bestimmten Bild die besten Ergebnisse liefert.

Wie Sie sehen, ist GEM-View nicht gerade spartanisch ausgestattet. Und selbst bei den mitgelieferten Utilities gibt es noch einiges Bemerkenswerte: Winx 2.1 für mehr als 8 Fenster und eine verbesserte Fensterbedienung, ein Editor für Dither-Muster (siehe weiter unten) sowie das Programm VDIFix zur Behebung eines Fehlers im GEM.

GEM-View ist sicherlich der beste Bildkonvertierer und Betrachter, den es auf dem Shareware-Markt zur Zeit gibt. Zwar ist die Bedienoberfläche gewöhnungsbedürftig, durch die Anzahl und Qualität der gebotenen Funktionen ist es seinen Preis aber auf jeden Fall wert und sollte bei niemandem fehlen, der sich mit Grafik beschäftigt und der zwischen seinen eigenen Programmen oder mit anderen Rechnern Bilder austauschen möchte. Und wer sich registrieren läßt und einen Falcon 030 sein eigen nennt, kommt in einen ganz besonderen Genuß: das JPEG-Modul nutzt dann auch den DSP mit aus, was das Konvertieren um mehr als ein Vielfaches beschleunigt.

EB

Autor: Dieter Fiebelkorn
ST-PD: 678 & 679
Status: Shareware
Auflösungen: hoch, mittel, niedrig, sonstige
Positiv: sehr viele Bildformate lad-, betracht- und sicherbar, volle GEM-Unterstützung, kompatibel zu Grafikkarten, DSP-Unterstützung
Negativ: etwas gewöhnungsbedürftige Oberfläche, unübersichtliche Dialoge



Aus: ST-Computer 03 / 1994, Seite 129

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