Arbeiten mit LineArt 2

Nachdem wir uns im letzten Monat mit den undokumentierten und dem Anwender somit völlig unbekannten Funktionen von LineArt beschäftigt haben, wenden wir uns nun wieder den eher vertrauten Arbeitsweisen zur Gestaltung mit Vektorobjekten zu.

Für die Arbeit mit Vektorobjekten stellt LineArt einige Funktionen zur Verfügung, die nicht nur bei der Erzeugung von vektoriellen Illustrationen gute Dienste leisten. Interessant wird es da, wo sich die zur Verfügung gestellten Vektorwerkzeuge auch für ganz andere Gestaltungsvorhaben nutzen und mit den übrigen Werkzeugen des Calamus „mischen“ lassen, und sich so z.B. auch für die Textgestaltung interessante neue Möglichkeiten ergeben.

Die Werkzeuge, die LineArt für diese Arbeiten zur Verfügung stellt, klingen eigentlich ganz vertraut: Farbverläufe, Netztransformationen. Vielleicht kann sich auch ein DTP-Neuling noch etwas unter„Farbverlaufskopie“ oder den „Verlaufsgruppen“ vorstellen. In welchen Bereichen der grafischen Gestaltung sich diese Werkzeuge aber am sinnvollsten einsetzen lassen und welche Hilfen sie in manch einem gestalterischen Problem völlig außerhalb der reinen Vektorarbeit bieten, bleibt dabei natürlich jedem selbst überlassen.

Masken und Verläufe

Im normalen Grafikeralltag stellt sich jedoch nicht zuallererst die Frage nach den besonderen Funktionen einer Software. Kommt eine neue Arbeit auf den Tisch, dann muß man die Software schon ganz gut kennen, um zu wissen, welche Werkzeuge zum Umsetzen der einzelnen Arbeitsbereiche am besten geeignet sind.

Nehmen wir als Beispiel einmal die Funktionen, die das Modul für die Arbeit mit Verläufen zur Verfügung stellt. Die mit LineArt erzeugten Farb- oder Grauverläufe sind reine Vektorverläufe, bei denen zwischen Start-und Zielfarbe die benötigten (und in LineArt auch einstellbaren) Zwischenstufen errechnet und durch zusätzliche Vektorobjekte dargestellt werden. Als Verlaufsformen stehen dabei Rechtecke und Kreise zur Verfügung, in denen dann die eingestellten Verlaufsrichtungen dargestellt werden können.

Es gibt nun aber auch eine recht einfache Möglichkeit, alle beliebigen Vektorobjekte mit diesen Verläufen zu „füllen”, indem wir aus dem zu füllenden Vektorobjekt einfach eine sogenannte „Lochmaske" konstruieren und diese über den gewünschten Verlauf schieben. Dieses Prinzip wird schon seit langem immer dann angewandt, wenn Bildteile, die über das Objekt hinausgehen, nicht sichtbar sein sollen oder frei gestaltete Formen mit anderem, z.B. auch Bildmaterial, gefüllt werden sollen.

Eine solche Lochmaske aus einer bereits vorhandenen Vektorgrafik zu konstruieren, ist denkbar einfach. Das mit einem Vektorverlauf zu füllende Objekt wird über einen in LineArt erzeugten Verlauf geschoben und ungefähr dort positioniert, wo der Verlauf später im Objekt sichtbar sein soll. Nun wird das Vektorobjekt selektiert - es können auch mehrere gleichzeitig sein - und auf die Pfadebene gewechselt („Hammer“). Bei gedrückter Control-Taste wird mit der rechten Maustaste ein Stützpunkt angewählt; alle Punkte des Pfades werden daraufhin selektiert. Hat man mehrere Objekte auf die Pfadebene geholt, wählen wir anstelle „Control" die Alternate-Taste, um die gesamten Punkte aller Pfade zu selektieren.

Nun kann das Objekt auf die gewünschte Position auf den Verlauf bewegt werden. Ist das geschehen, wird ein weiterer Pfad konstruiert, der alle Objekte und vor allem den gesamten Verlauf vollständig umschließt. Im Submenü „Flächenfarbe" wählen wir die Farbe „weiß", ebenso für die Linienfarbe.

Wenn Sie diesen Arbeitsablauf nachvollziehen und nach dem letzten Schritt auf Ihrem Monitor das Vektorobjekt gar nicht mehr sehen - auch keinen Verlauf und auch nicht das zu füllende Objekt dann ist sicher die Drehrichtung des umschließenden Pfades nicht korrekt eingestellt. Diese muß, in bezug zum „inneren" Objekt, gegenläufig sein, damit sich an dieser Stelle auch unser gewünschtes „Loch" ergibt und die Fläche zwischen Objekt und dem umschließenden Pfad deckend weiß dargestellt wird. In diesem Fall wechseln wir einfach wieder auf die Pfadebene und wählen mit der entsprechenden Funktion („Drehrichtung ändern") den äußeren Pfad nochmals an. Nach Rückkehr ins Objektmenü ist nun die mit einem Verlauf gefüllte Grafik sichtbar.

Die einzelnen Schritte zur Erzeugung einer Lochmaske. Auf diese Weise kann mit Vektorobjekten so ziemlich alles maskiert werden, was an Bildmaterial zur Verfügung steht.

Kleine Probleme und Lösungen

Bei der Arbeit mit Objekten, die als Textrahmen in den Vektormodus verschoben wurden, kann es in LineArt manchmal zu einem seltsamen Phänomen kommen: In LineArt wird das selektierte Objekt zwar als „Gruppe" angezeigt (das Icon „Gruppenobjekt" ist bei selektiertem Rahmen invertiert), es läßt sich jedoch nicht auf lösen und somit auch nicht weiter auf Pfadebene bearbeiten. Statt dessen erscheint die Meldung: „Bitte wählen Sie mindestens ein Objekt an". Gerade das hat man doch eben getan...? Auch die Funktion „Rahmen auf Objektgröße anpassen" zeigt keinerlei Wirkung. Des Rätsels Lösung ist, daß es sich bei der Gruppe noch nicht um ein reines Vektorobjekt handelt, auch wenn es sich bei Größenveränderungen des Rahmens wie ein solches verhalten mag.

Man muß dieses Objekt also erst in ein Vektorobjekt umwandeln. Im Line-Art-Menü „Transformationsobjekt" (Netzprojektionen) findet sich unten links im Bearbeitungsfeld das entsprechende Werkzeug. Nach erfolgter Konvertierung kann dann die Gruppe aufgelöst werden, und die Objekte liegen als einzeln anwählbare Objekte vor. Wird nun ins Pfadmenü gewechselt, werden alle selektierten Objekte auf eine gemeinsame Pfadebene gebracht.

Diese Operationen sollten nicht in einer zu hohen Vergrößerungsstufe durchgeführt werden. Ist der Vektorpuffer nicht groß genug, passiert nämlich gar nichts! In diesem Fall müssen Sie einfach in die Ganzseitendarstellung wechseln, dann geht's.

Verlaufskopie

Der Begriff „Verlaufskopie“ bezeichnet eigentlich nur den rein technischen Ablauf, mit dem Line Art seine Verläufe erzeugt: von einem selektierten Objekt bis zu einem zweiten werden einzelne Objekte generiert, wobei die im Parameterformular für Farbverläufe eingestellten Start- und Zielfarben angewandt werden. Jedes auf diese Weise zwischengerechnete Objekt wird in einer Farbnuance unterschiedlich zur vorhergehenden generiert, wodurch der Eindruck eines Farbverlaufs erreicht wird.

Wir wollen diese Funktion einmal auf einen im Calamus gesetzten Text anwenden. Nachdem der Textrahmen auf dem mittlerweile bekannten Weg in den Vektormodus verschoben und in ein Vektorobjekt gewandelt wurde (siehe oben), müssen wir noch die als einzelne Vektorobjekte vorliegenden Buchstaben auf eine gemeinsame Pfadebene bringen. Also: „Gruppe auflösen" anwählen und mit allen dann selektiert dargestellten Objekten ins Pfadmenü wechseln (eine Verlaufskopie ist nur zwischen zwei Objekten und nicht zwischen Gruppen möglich).

Im LineArt-Hauptmenü wird das so erzeugte Objekt kopiert und die Kopie etwas versetzt hinter das er ste Objekt gelegt. Um die beiden Vektorobjekte besser zueinander ausrichten zu können, bietet es sich an, beide in unterschiedlichen Farben darzustellen. Die Kopie liegt wie ein Schatten hinter dem ersten Objekt. Nachdem wir das erste Objekt erst einmal aufs Clipboard kopiert haben - warum, werden wir später noch sehen - werden beide Objekte selektiert und ins Submenü „Farbverlaufsobjekte“ gewechselt. Im Formular „Parameter einstellen“ wählen wir die Start- und Zielfarbe, in denen sich das vordere zum hinteren Objekt bewegen soll.

Erst in diesem Arbeitsschritt wird also die Farbe festgelegt. Die vorher eingestellten Farben der Objekte sind irrelevant. Für die zu generierenden „Zwischenobjekte“ tragen wir die gewünschte Anzahl ein (unter „Kopierverlauf“). Ein niedriger Wert, z.B. „4“, erzeugt dann halt nur 4 Kopien (bzw. 3 Zwischenstufen zwischen beiden Objekten). Auch das kann ein gewollter, interessanter Effekt sein. Um sanfte Farbübergänge zu erzeugen, sollten aber, abhängig von der Verlaufsweite, Werte größer als 100 eintragen werden. Weniger als diese 4 Kopien können allerdings nicht erzeugt werden. Wie bei den „Farbverlaufsgruppen“ - um solche handelt es sich ja eigentlich auch - müssen im Ergebnis immer mindestens 5 Objekte vorliegen, - warum soll man es sich einfach machen, wenn's auch kompliziert geht

Um noch ein wenig mehr Kontrast in unser Verlaufsobjekt zu bekommen, holen wir nun unsere aufs Clipboard gelegte Kopie wieder ins Dokument und geben ihr eine neue Flächen- und Outline-Farbe; fertig ist unser Logo, unsere Headline, Blickfang, oder wie auch immer.

LineArt 2.0

Leider wird man, wenn man mit diesen Funktionen so richtig kreativ arbeiten will, schnell auf eine Grenze stoßen; es können nur identische Objekte auf diese Art miteinander „verlaufen" werden. Richtiges „morphen“ zwischen im Aufbau völlig unterschiedlichen Vektorobjekten, zum Beispiel zwischen einem Text und einer Grafik, wird erst im nächsten Upgrade von LineArt möglich sein, das nach Auskunft von DMC in Kürze erhältlich sein soll.

In dieser neuen LineArt-Version wird sich dann auch das Rätsel um den „Reisnagel“ aufklären, der bereits seit der ersten SL-Version in einem Calamus Submenü ohne eigentlichen Sinn und Anwendungszweck als Icon vorhanden ist. Benutzer von „OutlineArt" werden dieses Werkzeug kennen, das mit dem neuen LineArt-Upgrade auch im Calamus angewendet werden kann. Auch der Taschenrechner wird dann wie in O-Line vorhanden sein, wird jedoch durch eine weniger mathematisch orientierte Anwendung leichter zu bedienen sein. Und wer das Toolbox-Modul des Calamus kennt: auch diese Funktionen werden dann für die Vektorarbeit in LineArt zur Verfügung stehen. Da sich im aktuellen LineArt Objekte nicht auf Hilfslinien snappen lassen, werden gerade diese Funktionen sehr hilfreich sein.

Es gibt viel in LineArt zu entdecken, darunter auch etwas, was bisher allen Anwendern wahrscheinlich verborgen geblieben ist: Im Help-Text zu LineArt befindet sich gleich oben auf der ersten Seite ein kleiner, nur 1 Pixel großer Punkt. Suchen Sie ihn, und versuchen Sie ihn mal mit dem Mauszeiger zu treffen - und sinnieren Sie mit einem, der sich wohl gefreut hat, ein Mann zu sein...


Jürgen Funcke
Aus: ST-Computer 03 / 1994, Seite 70

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