Morpher: Gitophon und Saxarre - Mit Morpher ist alles möglich!

Metarmorphose - Gestaltwandel: fast jeder hat diesen Begriff schon im Bioiogieunterricht gehört. Gemeint ist dort die Umwandlung eines Pflanzenorgans im Lauf der Stammesgeschichte. So ist darunter z.B. die Umformung von Blättern, Sprossen oder Wurzeln zu Ranken oder Dornen zu verstehen. Auch die Abwandlung einer Gestalt (Metabolie) ist jedem bekannt, wenn man nur an die Larve-Puppe-Imago denkt.

Im Computerzeitalter werden solche Vorgänge natürlich gerne im Rechner simuliert. DieWerbebranche hat diese Simulationsart für sich aufgegriffen und läßt spätestens seit dem Kinofilm Terminator 2 die Puppen tanzen. Einmal verwandelt sich der Sprecher in einen Schweinskopf und Sekunden später in einen kleinen Jungen.

Morphing macht's möglich

Für solche Projekte (Terminator 2, Werbefilme etc.) ist natürlich eine entsprechend teure Spezial-Hard- und -Software verwendet worden. Seit kurzem halten aber Ableger dieser teuren Systeme Einzug in den Consumer-Markt, auf daß nun jeder seine gemeine Schwiegermutter in die Hexe Schrumpeldei verwandeln kann - wenn auch nur elektronisch! Für ATARI-Computer gibt es seit ein paar Wochen nun ebenfalls einen Morpher. Vertrieben wird er von der altbekannten Firma Application Systems Heidelberg. Da es zur Zeit keine Mitbewerber auf diesem Markt gibt, kann kein Vergleich zu anderen Systemen stattfinden! Zeitgemäß präsentiert sich Morpher im sauberen GEM-Gewand. Auf Wunsch werden die Bedienelemente auch in 3D gezeichnet, statt wie üblich in 2D. Der Morpher läuft auch erwartungsgemäß auf jedem ATARI mit TOS. Für Rechner mit einem Coprozessor (TT/Falcon) gibt es eine eigene Programmversion.

Bild 1: Nur wenige Funktionen sind nötig, um wahre Wunder zu vollbringen.

Fünf ist Trümpf

Maximal fünf Fenster baut der Morpher auf, da er mehr nicht benötigt. Zwei Fenster, die immer auf dem Bildschirm liegen, nennen sich „Tools“ und „Morpher-Aktionen“. Zwei weitere Fenster erscheinen, wenn man ein Quellbild und ein Zielbild eingeladen hat. Das fünfte Fenster erscheint nach der Berechnung eines Morphing-Bildes. Bevor wir jetzt aber alle Funktionen des Programmes erläutern, sollte noch geklärt werden, was denn der Morpher genau macht. Wie eingangs erwähnt, handelt es sich um die Um- oder Verwandlung von Objekten. Beim vorliegenden Morpher gibt es zwei Möglichkeiten des Morphings. Die erste ist eine Mischung von zwei Bildern zu einem dritten Bild. Dabei wird angegeben, wie hoch der prozentuale Anteil der Ausgangsbilder am Zielbild sein soll. Bekommt ein Bild 30% Gewicht, so erhält das andere automatisch 70%. Die zweite Möglichkeit ist die Berechnung einer Animation. Flier werden x (1 <= x <= 99) Bilder als Zwischenstufe berechnet. Beide Methoden wären prinzipiell nur langweilige Überblendeffekte, wenn da nicht die Sache mit den Stützpunkten und -linien wäre.

Äpfel und Birnen

Um ein wirklich gutes Morphing zu erreichen, muß dem Computer mitgeteilt werden, welche Bereiche im Quellbild zu der entsprechenden Stelle im Zielbild wandern sollen. Die Vorgehens weise ist recht einfach. Man nehme sich zwei Bilder, die sich vom groben Aufbau her ähnlich sein sollten. In der abgedruckten Animation ist das Quellbild das Bild der jungen Dame, die am Strohhalm saugt. Im Zielbild streckt sie dem Betrachter die Zunge raus. Quell- und Zielbild sind sich in diesem Falle sehr ähnlich und deshalb für eine Animation sehr gut geeignet. Andere Beispiele sind die Köpfe von Politikern, die in jedem Wochenmagazin zuhauf abgedruckt sind.

Grundbedingung für den Morpher sind auf jeden Fall Truecolor-Bilder, die gleich groß sein müssen. Um nun nicht nur einen Überblendeffekt zu bekommen, müssen markante Bereiche indiziert werden. Diese sind z.B. Augen, Mund, Nase, Ohren, ein ganzer Kopf, Krawatten, Arme und Beine etc. Aus diesem Grund fällt es etwas schwer, aus einem Auto ein Gesicht werden zu lassen oder aus einem Fisch ein Stuhl. In Bild 1 sehen Sie die Oberfläche vom Morpher, in der bereits ein Quell- und ein Zielbild eingeladen wurden. Des weiteren sind in den Bildern grüne Punkte zu sehen, die teilweise mit beiner blauen Linie verbunden sind. Dieses sind die besagten Stützpunkte und -linien. Die Linien kennzeichnen wichtige Konturen, w ie z.B. die Arme, den Kopf und auch die Brille und den Mund. Diese Punkte und Linien wurden mit den Werkzeugen, die im Tool-Fenster abgebildet sind, hergestellt. Deren Handhabung ist denkbar einfach. Mit dem Hammer wird ein Punkt eingeschlagen. Mit der Zange kann er wieder entfernt werden. Mit dem Pfeil können die Punkte verschoben werden. Mit dem Faden werden die Punkte verbunden, und die Schere trennt Verbindungen wieder auf. Jeder, der schon mal mit einem Vektorgrafikprogramm gearbeitet hat, kennt solche Werkzeuge. Nachdem nun diverse Punkte gesetzt wurden und einzelne Konturen mit dem Faden nachgebildet worden sind, sieht man im Zielbild eine Kopie der Punkte und Linien. Nun werden diese Punkte auf das Zielgebiet, verschoben. Dadurch wird dem Rechner mitgeteilt, welche Kontur des Quellbildes in welche Kontur des Zielbildes übergehen soll. Vorsichtig sollte man bei langen Entfernungen4 sein. Um ein gutes Ergebnis zu erhalten, sollten genug Zwischenbilder generiert werden, und zum zweiten sollte man darauf achten, daß sich Konturlinien nicht kreuzen! Soweit zur Ausgangsposition. Selbstverständlich lassen sich die Stützpunkte abspeichern, da es unter Umständen erforderlich ist, diese später einmal zu korrigieren.

Oink! - der saugute Geschmack!

Jetzt muß man sich wohl oder übel einmal die Einstellungen anschauen, um bösen Überraschungen vorzubeugen. In dem Menü (auch in Bild 1 zu sehen) stehen vier Ausgabequalitäten zur Verfügung. Die beste Qualität dürfte einen normalen ST für einige Tage lahmlegen, da auf einem TT schon zwei bis drei Stunden vergehen, bis er ein Bild in der abgedruckten Größe (384 x 256 Pixel) berechnet hat. Wer Risse im Bild vermeiden möchte, wählt auch diesen Punkt zusätzlich an, wobei dann die Berechnung noch etwas länger dauert. Es ist aber in der Regel nicht nötig. Weitere Morph-Parameter entscheiden über die Verzerrungseigenschaften. Hier spielt im wesentlichen die Erfahrung eine große Rolle. Nachdem noch das TIFF-Packverfahren für die entstehenden Bilder ausgewählt wurde, kann es im Prinzip losgehen. Unter dem Menü „Aktionen“ stehen jetzt Morphing und Animation zur Auswahl. Ausgabepfad angegeben - und los geht's. Wurde ein Morphing fertig berechnet, erscheint das Ergebnis im schon genannten fünften Fenster. Es kann natürlich als True-color-Bild abgespeichert werden. An dieser Stelle sollte noch erwähnt werden, daß generell alle Bilder in Truecolor (16.7 Mio. Farben) berechnet und abgespeichert werden. Das ist es unabhängig davon, in welcher Auflösung man gerade arbeitet. Die Bilder werden immer für die momentane Bildschirmauflösung umgerechnet. Das hat den Vorteil, daß man sogar als Besitzer eines Monochrommonitors Truecolor-Animationen berechnen kann.

Film ab

Die Bilder der Animation (maximal 99 Stück) werden nicht angezeigt, sondern sofort nach der Berechnung gespeichert. Während der Berechnung der Animation kann man im Aktionen-Fenster ersehen, an welchem Bild gerade gerechnet wird und wie lange es voraussichtlich noch dauert. Will man nach der Berechnung die Animation betrachten, muß der Morpher verlassen und der mitgelieferte Player gestartet werden. Auch hier kann man kaum etwas falsch bedienen. Ein Film wird eingeladen, indem das erste Bild der Animation ausgewählt wird. An Einstellungen gibt es nicht mehr viele. Neben dem Rasterverfahren, welches entscheidend für die Ausgabequalität auf dem verwendeten Monitor ist, kann noch die Abspielgeschwindigkeit gesetzt werden. Wichtig für alle Anwender mit wenig RAM: Auslagern der Daten auf Diskette/Festplatte ist möglich. Hierbei werden erzeugte Zugriffswerte abgespeichert, die für das Abspielen notwendig sind. Somit ist es auch mit nur einem 1MB RAM möglich, eine Animation mit 90 Bildern zu generieren und zu betrachten; vorausgesetzt, die Festplatte hat genug Platz! Ist der Film geladen, kann er über die Player-Bedienelemente abgespielt werden. Entweder Bild für Bild, vorwärts/rückwärts oder auch endlos hin und her. Bei einem Film mit ausgelagerten Zugriffswerten ist die Lesegeschwindigkeit der Festplatte entscheidend für die Abspielgeschwindigkeit.

Kurz vor Buchsenknopf

Viel gibt es an einem Morpher nicht zu bedienen. Auch der Player ist kinderleicht zu handhaben. Über den Komfort in guten GEM-Programmen braucht man nicht zu diskutieren. Deshalb hätte das Programm an sich eine sehr gute Note verdient. Allerdings gibt es bei genauerem Hinschauen noch einige Kanten, an denen sich manch einer stoßen wird. So fehlt in dem Morpher die Tastaturbedienung. Kein einziger Short-Cut weit und breit. Auch Kartenbesitzer, die gerne unter 32k- oder 16M-Farben arbeiten gucken in die Röhre. Weder der Morpher noch der Player laufen unter mehr als 256 Farben. Wünschenswert wäre auch die Möglichkeit zur Unterbrechung und späteren Fortsetzung einer Animationsberechnung. Im Player bleibt man während des Ladevorgangs, der unter Umständen recht lange dauern kann, im Unklaren darüber, wieviele Bilder schon geladen wurden. So summieren sich Kleinigkeiten, die für manch einen wichtig, für andere aber belanglos sind.

Fazit

Dies soll ja immer zum Schluß kommen, da einige nur daran interessiert sind. Der Morpher und der Player stellen auf dem ATARI-Markt eine Neuheit dar, die zweifelsohne topaktuell ist. Dennoch beschleicht einem das Gefühl, daß die Programme die Versionsnummer 1.0 so gerade eben verdient haben - vielleicht war das Ziel, das lukrative Weihnachtsgeschäft mitzunehmen. An den Ergebnissen des Morphers gibt es nichts zu rütteln. Sie sind sehr gut und genügen den Ansprüchen im Consumer-Bereich. Aber keiner wird es mit diesen Programmen schaffen den nächsten Tchibo-Spot zu berechnen, aber für solche Projekte existieren ja andere Plattformen. Die uneingeschränkte Lauffähigkeit auf jedem ATARI, auch unter Multi-TOS, ist auf jeden Fall sehr positiv zu bewerten. Das Preis-Leistungs-Verhältnis macht den Morpher zu einem weiteren Stern am Weihnachtshimmel!

JH

Morpher

Positiv:

Negativ:



Aus: ST-Computer 12 / 1993, Seite 12

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