Der Maulwurf

**Es liegt schon eine Zeitlang zurück, als der "Maulwurf" zum ersten Mal in unserer Redaktion anrief. Eine verstellte Stimme - online moduliert mit einem Falcon, wie er mir später versicherte - fragte, ob ich an Informationen über ATARI und den Rest der Welt interessiert sei. Dies war der erste Kontakt. Ein Tag später, Treffpunkt Frankfurt, Paulskirche, links neben dem Hauptportal. Das stand er, der "Maulwurf", Spiegelbrille und hochgezogener Trenchcoat. Wir zogen uns in eine ruhige Ecke zurück, und dann fing er an ...**

"Die ganze ATARI-Szene ist doch zur Zeit eine üble Stimmungsmache. Da braucht sich doch keiner zu wundem. Sich's doch mal so: Also, wann fing denn dieser ganze Mist mit ATARI, den Zeitschriften und den Pleiten der einzelnen Händler und Software- Häuser eigentlich so an?"

"Na ja, denk' mal an die Rezession, die wirtschaftliche Lage", warf ich ein.

"Quatsch, Rezession. Also wirklich angefangen hat das doch alles schon 1985. Da kam der erste ST auf den Markt, und es gab ein paar Computerfreaks, die das Programmieren plötzlich sehr ernst betrieben. Man denke da so an Signum!, GFA-BASIC etc. Es gab sieben fette Jahre, in denen Software-Häuser und ATARI-Händler genügend Zeit gehabt hätten, ein umfassendes Vertriebsnetz aufzubauen. Doch was machten die stattdessen? Sie schöpften aus dem Vollen und ließen Gott 'neu lieben Mann sein."

"Aber es war doch ganz ok, jeder hat seine Programme verkaufen können, und alle waren zufrieden ", gab ich zu bedenken.

"Von wegen zufrieden. Am Rande und für den Endkunden kaum merkbar gab es Schlammschlachten und Stellungskriege. Es hagelte Abmahnungen, weil Händler Fonts verkauften, die sich lediglich als eingescannte Letrasetbögen herausstellten. Ein vergessenes CopyrightZeichen wurde dazu benutzt, seinen Gegner' zumindest für eine Weile außer Gefecht zu setzen. Alte Geschichten wurden immer wieder hochgekocht, so daß über Jahre kein nennenswerter Kontakt zu anderen Unternehmen entstand. Nicht das Verbessern der eigenen Produkte stand im Vordergrund, sondern das Schlechtmachen der Konkurrenz. Gemeinsamkeit, und sei es nur durch die Einigung auf einheitliche Datenformate, war nicht in Sicht."

"Aber es gab doch Treffen bei ATARI, bei denen es um gemeinsame Konzepte ging. "

"Klar, und was ist daraus geworden? Die Firmen wurschteln' bis heute noch an ihren eigenen Formaten. Hier wäre ja mal ATARI gefragt gewesen. Aber da war man schon eher damit beschäftigt, ein Lieblingshändlerkonzept aus dem Boden zu stampfen. Jeder Vertriebsmensch belieferte nur seine Händler mit nennenswerten Stückzahlen. Müßte so '90 gewesen sein. Damals kam übrigens auch die Cicero auf den Markt, die dem ATARI-User zeigen sollte, woher der DTP-Wind weht. Ach ja, und der große Split des ST-Magazins, als eine Gruppe von Redakteuren den Aufstand probte und die TOS gründete."

"Der Horst und seine Leute wollten doch was ganz anderes, was Neues machen. Und es waren doch für jede Zeitschrift genug Leser da. Warum nicht den Markt breiter fächern? "

"Leser vielleicht schon, aber sieh's doch mal so. Das brauch' ich Dir doch nicht zu erzählen, Du bist doch selber im Zeitungsgeschäft. "Ohne Moos, nix los." Zeitungen finanzieren sich zum Großteil durch Anzeigen. Wie kriegt man Anzeigen? Richtig, durch Auflagenzahlen und günstige Preise. Folglich gingen die einzelnen Magazine dazu über, mit Dumpingpreisen auf die Anzeigenkunden loszugehen, um die Mitbewerber auszustechen. Und schon wurde das Geld knapp. Die erste Zeitschrift, die ins Gras biß, war die Cicero, die dann als Beihefter im ST-Magazin erschien."

"Ok, aber das war ja nur das Ende einer Hauszeitschrift. Außerdem hatte der Wolfgang auch vorher schon mal fürs ST-Magazin geschrieben."

"Klar. Aber es ist doch mal so, daß bis Ende 1992 die Marktsättigung ihr übriges getan hat. Dumpingpreise, Fehlkalkulationen und Kleinkriege hatten nun ihren Höhepunkt erreicht. Die Folgen liegen heute auf der Hand.
Das Atari Journal wurde zur Jahreswende eingestellt, die TOS mit der Siebenernummer und das ST-Magazin jetzt auch noch. Soft- und Hardware-Firmen melden Konkurs an. Bei ATARI brach eine Kündingswelle aus, die mit Alwin Stumpf begann und bei der Tussi' an der Zentrale endlich ein Ende fand.
"Das alles ist immer solange kein Problem, bis Freunde oder die eigene Firma davon betroffen sind. Ich finde, die Leute sollten ein bißchen kooperativer sein. Natürlich belebt Konkurrenz das Geschäft, aber nicht um jeden Preis."
Sprach's und ließ mich mit einem freundlichen "Bis dann" stehen.



Aus: ST-Computer 09 / 1993, Seite 126

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