DigiTape - 6 auf einen Streich

ATARIs Falcon030 zeichnet sich gegenüber anderen Rechnern vor allem durch seinen eingebauten Analog/Digital-und Digital/Analog-Wandler, der in Stereo mit 16 Bit Auflösung digitalisiert, sowie durch den Signalprozessor DSP 56001, der mit 32 MHz parallel zum Hauptprozessor läuft und Klangveränderungen in Echtzeit errechnet, aus. Eines der ersten Programme, die diese Möglichkeiten des Falcon nutzen, ist das DigiTape der Firma Trade iT, bekannt vor allem durch das EBV-Programm Chagall.

Mit DigiTape kann sich jeder Falcon-Besitzer zum Dumpingpreis ein kleines Home-Recording-Studio mit Mehrspurtechnik und digitalen Soundeffekten leisten. Man kann also Gesang, Musikinstrumente oder Geräusche statt auf ein Tonband direkt auf die Festplatte des Falcon aufnehmen und bearbeiten. Harddiskrecording nennt sich so etwas neudeutsch. Das einzige, was man dafür braucht, ist ein Falcon mit Festplatte, ein Mikrofon, eine Gitarre oder ähnliches und die Software DigiTape.

Der Lieferumfang

DigiTape ist erhältlich in einem geschmackvollen Schuber, in dem sich eine Diskette, ein Hardware-Kopierschutz, der in den DSP-Port auf der Rückseite des Rechners eingeschoben wird, und ein DIN-A5-Handbuch befinden. Das Handbuch ist mit 40 Seiten zwar etwas knapp ausgefallen, dafür ist es aber sehr gut gegliedert und gut lesbar.

Die Installation

Die Installation auf der Festplatte ist kinderleicht, man kopiert einfach den Inhalt der Diskette in einen Ordner auf die Festplatte - fertig. Wichtig ist dabei möglichst viel Speicherplatz auf der Festplatte für DigiTape zu haben. Harddiskrecording hat je nach Sampling-Frequenz - und diese bestimmt die Qualität der Aufnahmen -einen ziemlich großen Speicherhunger. Trade iT empfiehlt, die interne Festplatte des Falcon in eine größere und eine kleinere Partition aufzuteilen und die größere für DigiTape zu reservieren.

Das Mischpult protestiert

Etwas problematischer kann da schon dank ATARI der Anschluß des Falcon an die Musikanlage ausfallen. Für den Signaleingang sowie den -ausgang hat unsere sparsame Firma in Sunnyvale dem Falcon je einen Stereo-Mini-Klinkenstecker, wie er im Walkman-Bereich üblich ist, spendiert. Gut, auf professionelle XLR-Stecker bei ATARI zu hoffen, habe ich gar nicht gewagt, aber wenigstens die bei den HiFi-Anlagen üblichen Cinch-Steckerhätten es ruhig sein können!

Also konstruieren wir erst einmal eine wackelige Verbindung mit einem Adapter vom Mischpultausgang, zum Falcon-Ein-gang. Hier kommt die Überraschung: Das Mischpult protestiert! Es schlägt voll aus, obwohl ich noch gar kein Signal aufgelegt habe. Natürlich ist man als Musiker und Computeranwender Kummer gewöhnt.

Also reißt man sich nicht alle Haare aus und wird auch nicht gleich mit einem Tobsuchtsanfall in die Psychiatrie eingewiesen, nein, man fängt an, über das Problem nachzudenken.

Das ganze liegt wohl daran, daß es sich beim Falcon um einen niederohmigen Mikrofoneingang handelt; damit kam zumindest mein Mischpult nicht klar. Abhilfe schafft ein kleines Kabel mit Widerständen (eine genaue Beschreibung eines solchen Kabels gab es bereits in der ST-Computer 11/92, Seite 114). Aber auch ohne dieses Spezialkabel kann man mit dem Eingang des Falcon arbeiten, man muß nur statt eines Mischpults zum Beispiel ein Mikrofon oder eine Gitarre anschließen. Beides klappt einwandfrei. Bei näherer Betrachtung ist die von ATARI gewählte Eingangsimpedanz gar nicht so schlecht, so kann man eben ohne jedes weitere Hilfsmittel direkt mit dem Rechner arbeiten.

An den Ausgang des Falcon kann man entweder - diesmal ganz ohne Probleme -über einen Adapter das Mischpult oder ganz einfach einen Walkman-Kopfhörer anschließen. Arbeitet man regelmäßig mit dem Programm, empfiehlt sich natürlich statt der Adapter das Herstellen entsprechender Spezialkabel.

Programmaufbau

DigiTape ist ganz einfach aufgebaut und läßt sich sehr leicht bedienen. Was mir beim Durchlesen der Bedienungsanleitung - und Ihnen vielleicht auch beim Lesen dieses Artikels - als etwas undurchsichtig erscheint, löst sich nach kurzem Ausprobieren sehr schnell von selbst. Man spielt mehr mit dem Programm als mit der Bedienungsanleitung - und so soll es auch sein . Wenn wir schon dabei sind: einen dieser Menüpunkte können Sie von vornherein streichen: den Frequency-Analyzer. Das ist nur ein hübscher kleiner Gag, man schaut sich die schönen grünen Ausschläge im schwarzen Fenster ein- oder zweimal an, viel mehr kann man damit leider nicht anfangen (allenfalls kann man noch sein Musikinstrument z. B. die Gitarre, grob danach stimmen).

Digitale Effekte in Realtime

Wir starten das Programm und versuchen als erstes, die Effekte auszuprobieren. Dazu klickt man auf den Menüpunkt Online Effects.

DigiTape ist modular aufgebaut, das heißt, daß man sich sowohl sein Mischpult als auch die benötigten Effekte selbst nach Bedarf zusammenstellt. In der gegenwärtigen Version stehen ein Delay mit längeren Zeiten, eines mit kürzeren Zeiten, Flanger, Vibrato und Verzerrer mit Noise Gate zur Verfügung. Der Vorteil des modularen Aufbaus liegt auf der Hand: mit weiteren fertiggestellten Modulen wird Ihr Studio immer besser ausgerüstet sein.

Nachdem also auf dem Bildschirm eine Art hübsches Mischpult mit vier Slots erscheint, füllt man diese nacheinander mit Effekten, die man benutzen möchte, auf. Nach der Einstellung des Eingangs- und Ausgangspegels kann man in das angeschlossene Mikro hineinsingen und sich direkt in Echtzeit die Wirkung der Effekte anhören. Bei den Eingangs- und Ausgangsreglern kann man mit dem Button „two finger action“ die zwei Regler rechts und links zusammenschalten, mit dem Button „in to out signal bypass“ wird das Originalsignal dem Ausgang zugemischt, was bei manchen Effekten sinnvoll ist (Delay), bei anderen nicht (Distortion).

Bereits dieser erste Test erfüllt einen mit Staunen und Freude. Es klappt wirklich, und die Qualität vor allem der Delays ist durchaus überzeugend. Über den Verzerrer sollten wir vielleicht lieber nicht reden, da habe ich als Gitarrist andere Ansprüche, aber um mal einem Hammond-Sound etwas Biß zu verleihen, könnte man sich dessen Einsatz vorstellen. Auch der Flanger ist nicht so beschaffen, daß die Hersteller von Effektgeräten sich vor seiner Konkurrenz fürchten müßten. Aber auch so sieht man schon, was mit dem DSP im Falcon030 alles möglich ist. Ein ernsthafter Kritikpunkt ist hier nur der fehlende Hall. Hall ist nun mal der wichtigste Effekt für jede Aufnahme, hier muß Trade iT schnell handeln und ein Hallmodul entwerfen.

Bitte Ruhe, Aufnahme!

Bevor man zur Aufnahme schreitet, konstruiert man sich erst einmal seine Aufnahmeumgebung. Hier wird festgelegt, mit welcher Sampling-Rate man aufnehmen möchte, wieviele Spuren man braucht und wieviel Aufnahmezeit benötigt wird.

Hat man alles eingestellt, erscheint ein faszinierend schönes Mischpult: Knöpfe für Aufnahme, Wiedergabe, schnellen Vorlauf, Rücklauf, Stop sowie je ein Knopf zum direktem Anspringen von Bandanfang beziehungsweise Bandende. Ich war zunächst einmal bescheiden und wählte nur zwei Spuren für Aufnahme und zwei für Wiedergabe. Durch Umwandlung der zwei Aufnahmespuren in Wiedergabespuren am Ende der Aufnahmen hat man damit dann ein Vierspurgerät. Das sollte zunächst genügen.

Jetzt steht einer Aufnahme nichts mehr im Weg. Also aussteuern, Record-Button drücken und losspielen. Hat man genug gespielt, drückt man auf den Stop-Button. Jetzt wird die Record-Spur auf eine Playback-Spur kopiert und schon kann man sie wie von einem Tonband anhören. Ich muß zugeben, daß ich schon ziemlich fasziniert meiner ersten Aufnahme auf dem Falcon gelauscht habe. Mit so wenigen Mitteln und für so wenig Geld so etwas durchzuführen, ist schon etwas Besonderes.

Aber lassen Sie uns weiter aufnehmen, wir haben es ja schließlich mit einem Mehrspursystem zu tun. Also gehen wir zurück zum Record-Mischpult und nehmen die nächste Spur auf. Dabei kann man entscheiden, ob man nur den Eingang, also das live Gespielte, oder auch die bereits aufgenommene Spur hören will. Natürlich wollen wir die vorherige Aufnahme mithören und fahren mit der Nächsten fort. Zu meinem Erstaunen klappt das auch völlig problemlos. Ich nehme jetzt einfach noch einmal eine Spur auf, mit Hilfe der Track-Copy-Funktion wandele ich sie in Playback-Track und höre mein Werk auf drei Spuren ab. Dieses Umwandeln der Record- in Playback-Tracks macht man vor allem dann, wenn man keine Wiedergabespuren mehr zur Verfügung hat und die letzten Aufnahmen behalten möchte.

Kein Spielzeug

Von diesen Erfolgen ermutigt, erzeuge ich einfach ein neues Band mit sechs Spuren und nehme auf. Es klappt auch. Meine anfängliche Skepsis ist weg: Man kann mit dem Falcon030 wirklich Harddiskrecording betreiben. Und mit DigiTape kann man es schon für unter 200 Mark. Dabei sollte man das Programm auf keinen Fall in die Spielzeugecke stecken. Es ist eine schöne kleine Homerecording-Anlage in Mehrspurtechnik mit einigen durchaus überzeugenden Features, einer sehr einfachen Bedienung und einer wunderschönen grafischen Oberfläche, die mich vollkommen überzeugt hat.

Wunschliste

Allerdings ist die Liste der der Kritik und Wünsche für die nächsten Versionen noch lang: Warum muß man die Anzahl der Spuren und die Aufnahmedauer unbedingt voreinstellen? Die Buttons Record, Play ...sollten auch per Tastatur bedienbar sein. Einzelne Spuren sollte man separat abspeichern können. Der wichtige Halleffekt fehlt. Die Delay-Zeiten sollten in Millisekunden angegeben werden. Ein „Punch in“ fehlt, ebenso Spuren schneiden, verschieben und Teile kopieren. Auch in die Samples hineinzoomen und sie direkt bearbeiten kann man mit DigiTape (noch) nicht.

Es wäre aber unfair DigiTape an einem 1700 DM teuren Produkt wie z.B. Cubase Audio zu messen. Es ist kein Programm für das professionelle Tonstudio. Es soll dem musikinteressierten Falcon-Besitzer für wenig Geld ein kleines, aber feines Studio zum Komponieren, Ausprobieren und Spaß haben bieten. Und für diese Aufgaben ist DigiTape mehr als geeignet.

Ich hatte die Möglichkeit, bereits auf die in Arbeit befindliche Version 2 einen Blick zu werfen und muß sagen, daß schon hier wahrscheinlich sehr viele Wünsche erfüllt werden. Hall, Zehn-Band-Equalizer, weiter vereinfachte Bedienung, Bearbeitung der Samples ... Bei dem Entwicklungstempo bin ich sicher, daß es sich lohnt, bei DigiTape einzusteigen.

Bezugsquelle: Trade iT Arheilgenveg 6 D-64380 Roßdorf

Positiv:

Negativ:



Aus: ST-Computer 08 / 1993, Seite 38

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