Astrolabium - Das Himmelsinstrument

Jeder hat mit Sicherheit schon einmal den nächtlichen Sternenhimmel betrachtet mit seinen tausenden und abertausenden von Sternen. In manchen Regionen kann man auch die Milchstraße ausmachen, die sich als heller Verlauf über das Firmament zieht. Für ungeschulte Augen bietet der nächtliche Sternenhimmel nur eine Vielzahl von leuchtenden Punkten, die wirr über den Himmel verstreut sind. Geschulte Augen sortieren den Himmel hingegen in Sternbilder und unterscheiden zwischen Planeten und Sternen, so daß der Himmel sein Chaos verliert und sich relativ geordnet und aufgeteilt darstellt.

Vor Jahren, als es noch keine erschwinglichen Computer gab, war der Astronom auf Bücher und Schablonen angewiesen, um den nächtlichen Himmel zu einer bestimmten Zeit und von einem bestimmten Ort deuten zu können. Das war und ist eine umständliche Angelegenheit. Heutzutage gibt es Computer, die einem kräftig unter die Arme greifen - dem Astronomen. Ein solches Hilfsmittel nennt sich "Astrolabium“ und liegt in Bits und Bytes auf Diskette vor. „Astrolabium“ ist ein Astronomieprogramm für alle ATARI-ST-Computer mit monochromem Bildschirm. Laut Anleitung soll das Programm sowohl für den Profi- als auch für den Hobbyastronomen geeignet sein. Geliefert wird es auf drei Disketten und mit einem ca. 45 Seiten starken deutschen Handbuch.

Die Installation auf Festplatte ist denkbar einfach, dazu muß lediglich der „Astrolabium-Ordner“ auf die entsprechende Festplatte kopiert werden.

Los geht’s...

Nach dem Programmstart präsentiert sich „Astrolabium“ dem Anwender in GEM-Umgebung mit diversen Icons auf dem Desktop. Fünf Menüs: „Datei“, „Projektion“, „Suchen“, „Anzeigen“ und „Extra“, bieten die Funktionen des Programms an. Wurden noch keine bestimmten Einstellungen vorgenommen, sind drei Fenster auf dem Desktop - Grafik, Objekte, Projektion - geöffnet.

Das Datenbasisfenster

Zu den drei Fenstern kann sich noch das Datenbasisfenster gesellen, das alle im Speicher befindlichen Datendateien auflistet. Um welche Art von Daten es sich dabei handelt, wird in Form eines kleines Symbols mitgeteilt. Damit steht dem Anwender eine genaue Selektionsmöglichkeit offen, auf welche Daten zurückgegriffen werden soll.

Das Grafikfenster

Das Grafikfenster ist für die globale Darstellung der Grafik im Projektionsfenster verantwortlich. Funktionen, die nicht eingestellt sind, werden hell geschrieben. Die jeweilige Funktion wird durch Anklicken des vorder Funktionsbezeichnung stehenden Knopfes aktiviert. Erwähnen sollte man noch, daß die Anordnung des Grafikfensters verschiedene Formen annehmen kann.

Das Objektfenster

Im Objektfenster können Objekte ausgewählt werden, die in die Sternkarte eingezeichnet werden sollen. Wie beim Grafikfenster geschieht die Auswahl durch Anklicken des entsprechenden Objektknopfes. Objekte, die momentan nicht im Datenspeicher sind oder im eingestellten Arbeitsmodus des Programms nicht angewählt werden können, sind hell geschrieben. Für Nebel und Sterne läßt sich des weiteren eine Grenzgröße bestimmen, die bis „Mag 20“ reichen kann.

Astrolabium ist sauber unter GEM programmiert.

Das Projektionsfenster

Das Herzstück von „Astrolabium“ ist das Projektionsfenster. In ihm wird der Sternenhimmel unter Berücksichtigung der eingestellten Parameter grafisch ausgegeben. Dabei läßt sich die Fenstergröße beliebig ändern, wobei sich der Fensterinhalt der -große jeweils anpaßt. „Astrolabium“ bietet insgesamt fünf Projektionsarten: stereographisch, orthographisch, gnomonisch, zylindrisch und perspektivisch. Die stereographische Projektion ist winkeltreu und ermöglicht den größten Blickwinkel. Die orthographische (Parallel-) Projektion zeigt den Sternenglobus, wodurch relative Sternenpositionen anschaulich dargestellt werden können. Die gnomonische (Zentral-)Projektion ist gleichzusetzen mit der eines idealen Fotoobjektivs. Die perspektivische Projektion ist dem Sonnensystemmodus Vorbehalten. Sie liefert die natürliche Darstellung dreidimensionaler Objekte. Eine Besonderheit ist die zylindrische Projektion, die für die Modi Himmelskarte und Sternatlas gewählt werden kann. Sie verzerrt stark an den Polregionen; ferner eignet sie sich für die Darstellung äquatomaher Bereiche. Im Projektionsfenster kann der Anwender mit Hilfe der Maus beliebig ins Fenster zoomen, was bei großem angewählten Daten bestand fast zwingend ist. Von Bedeutung ist bei allen Projektionen die Statuszeile, die sich direkt unter der Titelleiste befindet. Sie gibt Informationen über die Blickhöhe, den Azimut (Koordinate im horizontalen Koordinatensystem, die den Winkelabstand von der Südrichtung beschreibt), die Rektaszension und Deklination (äquatoriale Koordinaten für Sternatlas- und Himmelsatlasmodus) und die Ekliptikalen Koordinaten (heliozentrische ekliptikale Koordinaten für den Sonnensystemmodus). Bewegt man die Maus über die Blickhöhe oder dem Azimut bzw. Rektaszension und Deklination (je nach Projektionsmodus), erscheint neben dem Mauszeiger ein Plus- oder Minuszeichen. Durch das Drücken des rechten Mausknopfes läßt sich der jeweilige Wert ändern. Korrespondierende Tastatursequenzen ermöglichen das Ändern ebenso. Ferner dient die Statuszeile zur Positionsanzeige, wobei die Anzeige durch kurzen Druck auf die Maustaste aktiviert wird. Die Koordinaten der Maus werden innerhalb des dargestellten Sternhimmels zum Äquinoktium (Tagundnachtgleiche, zum Frühlings- und Herbstanfang durchläuft die Sonne den Schnittpunkt zwischen Ekliptik und Himmelsäquator, wobei der Frühlingsschnittpunkt eines bestimmten Datums als Nullpunkt von verschiedenen astronomischen Koordinatensystemen gilt) des Datums angezeigt.

Die Menüs im Überblick

Datenanzeige

„Astrolabium“ greift auf eine bestimmte Anzahl von Daten zurück, die, wenn sie in die Datenbasis eingeladen und aktiviert sind, genutzt werden können. Derzeit sind dem Programm ca. 4500 Sterne bis zur Größenklasse 6, ca. 59 000 Sterne von ekliptiknahen SAO-Sternbilder und ca. 3000 Nebel bekannt. Dazu kommen weitere Daten von Planetenbahnpunkten und zahlreichen anderen Himmelskörpern wie Kometen. Mit der Maus läßt sich ein Objekt anwählen, woraufhin detailliertere Informationen über das Objekt in der Statuszeile ausgegeben werden.

Die Arbeitsmodi

„Astrolabium“ unterstützt die Arbeitsmodi Planetarium, Himmelskarte, Sternatlas und Sonnensystem. Auf einige kam ich schon etwas weiter oben zu sprechen, ich möchte sie an dieser Stelle noch etwas näher beschreiben. Im Sonnensystem-Modus werden die Bahnen der sechs inneren Planeten maßstabsgetreu dargestellt. Die Beobachterposition wird in ekliptikalen Koordinaten angegeben (Entfernung von der Sonne in astronomischen Einheiten). Die Statuszeile gibt Auskunft über Blickwinkel, Entfernung und Beobachterposition. Im Sternatlas-Modus werden die Positionen im äquatorialen Koodinatensystem berechnet. Die Statuszeile gibt Auskunft über Blickwinkel, Rektaszension, Deklination und Drehwinkel. Im Himmelskarte-Modus werden die Positionen im äquatorialen Koordinatensystem in bezug auf das aktuelle Äquinoktium berechnet. In der Statuszeile erscheinen Blickwinkel, Rektaszension, Deklination und Drehwinkel. Der Planetarium-Modus berechnet die Positionen im horizontalen Koordinatensystem zu Ort und Zeit. In der Statuszeile erscheinen Blickwinkel, Azimut und Blickhöhe.

Die perspektivische Darstellung des Sonnensystems ...

Bildformat

Das Projektionsfenster kann in Größe und Form verändert werden, wobei sich der Fensterinhalt bei Form- und Größenänderungen automatisch anpaßt. Neben dem flexiblen Bildformat läßt sich auch ein festes Format einstellen (bis 99.99 x 99.99 cm). In diesem Format kann der Fensterinhalt mit Hilfe von Rollbalken und Pfeilen gescrollt werden.

TeX

Ein besonderes Feature von „Astrolabium“ besteht in der Möglichkeit, Sternkarten oder Darstellungen des Sonnensystems als LATeX-kompilierbare Textdatei zu speichern. LATeX basiert auf TeX und erlaubt durch eine einfache Syntax und komfortable Makros mit wenigen Satzbefehlen eindrucksvolle Druckergebnisse zu erzielen.

Das Astronomieprogramm besitzt noch zahlreiche Möglichkeiten, auf einige möchte ich an dieser Stelle noch zu sprechen kommen. Das komplexe Suchen-Menü erlaubt es nach beliebigen Sternen, Sternbildern, Nebeln, Körpern, Ephemeriden und Planeten zu suchen. Bei Sternen, Nebeln und Sternbildern müssen in der Such-Dialogbox nur die ersten Buchstaben angegeben werden, daraufhin stellt das Programm in der Mitte des Projektionsfensters das zu suchende Objekt dar. Interessant ist auch die Ephemeriden-Berechnung. Für einen beliebigen Körper des Sonnensystems (Planeten, Monde, Kometen ...) kann die Zeitfunktion berechnet und angezeigt werden.

Geschwindigkeit

Kommen wir zu einem wichtigen Bewertungskriterium - der Geschwindigkeit. Grundlegend läßt sich folgendes feststellen: Auf einem normalen ATARI ST ist die Geschwindigkeit recht ansehnlich, lediglich wenn viele Objekte dargestellt werden, stockt der Bildschirmaufbau doch gewaltig. Das Deselektieren von Objekten schafft Abhilfe und steigert die Performance. Auf einem TT hingegen ist die Performance ausgezeichnet. Der Bildschirmaufbau geht flott vonstatten. Auch auf dem Falcon030 arbeitete „Astrolabium“ einwandfrei und ließ keine Inkompatibilität erkennen.

Die Bedienung

„Astrolabium“ ist sauber unter GEM programmiert, was die einwandfreie Nutzung von Accessories belegten. Neben der Mausbedienung existieren Tastaturkommandos, die nach der Eingewöhnung die Bedienung beschleunigen können. Einige Funktionen sind allerdings nur über die Tastatur aufrufbar, was ich etwas unglücklich finde. Dadurch wird man gezwungen, das Handbuch genau zu studieren, um den vollen Funktionsumfang auch nutzen zu können.

Fazit

„Astrolabium“ ist ausgezeichnet für den Hobbyastronomen geeignet. Einem professionellen Anspruch kann es nicht ganz genügen, dazu fehlen noch einige Features, was sich besonders in den Stern- und Nebeldatenbanken niederschlägt. Sie enthalten nur wenige Informationen des jeweiligen Sterns bzw. Nebels detailliertere wären sehr hilfreich. Die Stärken des Programms liegen in dem sauberen Konzept und der guten GEM-Einbindung. Obwohl an manchen Stellen die Bedienung ein wenig umständlich bzw. gewöhnungsbedürftig ist, kann sie überzeugen und gefallen. Der Hobbyastronom kann sich das Programm durchaus einmal anschauen.

AK

Bezugsquelle:
Jürgen Rensen
Padkamp 52
W-4407 Emsdetten
Preis: DM 149,-

Astrolabium

Positiv:

saubere GEM-Einbindung
durchdachtes Konzept
LATeX-Unterstützung

Negativ:

knappes Handbuch



Aus: ST-Computer 04 / 1993, Seite 46

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