Phase 4 Teil 1: Ohne Phasenverschiebung

3D-Konstruktion, -Animation und Raytracing sind einige der meistbenutzten Schlagwörter im (Home-)Computer-Bereich. Schließlich eignen sich solche Dinge am besten, um den Nachbarn zu beeindrucken und mit vor Farben strotzenden Bildern, womöglich noch flüssig animiert, Neid aufkommen zu lassen. Im ATARI-Markt fristete diese Art der Anwendung allerdings bis dato ein eher stiefmütterliches Dasein. Entweder war die Qualität nicht ausreichend, oder der Computer rechnete sich an den einzelnen Bildern fast schwindelig. Im Heft 10/92 hatten wir bereits einen Vorreiter in Sachen Raytracing getestet. Leider gibt es bislang kein Programm, das diese Bilder schnell genug abspielen könnte, um einen ruckfreien Film entstehen zu lassen.

Vor vier bis fünf Jahren schon gab es die Cyber-Software-Serie aus den USA. Sie bestand aus mehreren kleinen Programmen, wie z.B. Cyber-Sculpt und CAD 3D 2.0 (getestet in ST-Computer 11/87). Cyber-Sculpt ist nun auch Bestandteil eines neuen Software-Pakets namens Phase 4. Phase 4 ist von der amerikanischen Firma Lexicor-Software entwickelt und zusammengestellt worden. Deutscher Distributor ist die Firma Richter mit Sitz in Gevelsberg. Das Paket besteht aus einer Vielzahl von Programmen. Die erste Stufe beinhaltet Programme zur Erstellung oder,Beschaffung4 von Objekten. So wird in den USA (Sitz der Firma Lexicor) ein Utility mit dem Namen „Rosetta“ vertrieben. Es ermöglicht die Konvertierung diverser Formate, wie z.B. AutoCAD release 10 DXF-Format und die 3D-Formate von Amiga- und Macintosh-Sculpt. Da der Konvertierer nicht in Europa vertrieben wird, müssen sich die User hierzulande ihre Objekte mit Hilfe des mitgelieferten „Cyber-Sculpt“ selbst erstellen. Da es sich hierbei um ein sehr altes Programm handelt, das vielen, Neu-Usem4 deshalb wahrscheinlich unbekannt ist, wollen wir Cyber-Sculpt noch einmal vorstellen und einige Funktionen beschreiben. Man könnte Cyber-Sculpt also auch als Phase-1 bezeichnen.

Der nächste Schritt (Phase-2) ist dann die Key-Frame-Animation. Dafür ist Chronos-3D zuständig. Es ist sowohl eine ST-Version als auch ein Programm für den TT vorhanden. Chronos erlaubt, um es einmal vorwegzunehmen, eine Verschiebung der Objekte mit der Maus, was eine schnelle, komfortable Arbeit ermöglicht. Mit Chronos werden also Animationen erstellt.

Mit Prism-Paint, der dritten Phase, können die Animationen farblich korrigiert und Special-Effects eingebaut werden.
In der vierten Phase schließlich kommt der „Prism-Render“ zum Einsatz. Hier können den Objekten der Animation oder des 3D-Films Texturen, also Oberflächenstrukturen zugeordnet werden.

Ein weiteres Programm, welches in Europa leider nicht vertrieben wird, ist „Vektorize“. Hiermit können Rastergrafiken vektorisiert und als Template für Cyber-Sculpt und CAD-3D gespeichert werden. Auch direktes Speichern in CAD-3D-3.0-Objekten ist damit möglich. Dadurch ist einem erlaubt, Texte und Logos schnell und einfach zu erfassen. Mit „Genesis“, einem weiteren Programm, werden einige Weltraumeffekte generiert. Da zu diesem Zeitpunkt des Testes nicht alle Programmteile vorliegen und der Umfang für eine Ausgabe bei weitem zu groß wäre, haben wir den Test auf zwei Monate verteilt. In dieser Ausgabe wird über Cyber-Sculpt und Chronos berichtet. In der April-Ausgabe wird über Prism-Paint und „Iris-Ren-der“ referiert. Iris-Render soll auch den Falcon030 unterstützen (DSP), was wir untersuchen werden.

Schaffe', schaffe Häusle baue’

Am Anfang steht der Schweiß; und in diesem Sinne muß auch im Computerzeitalter der User zunächst einmal eine Grundlage schaffen. Starten wir also Cyber-Sculpt - ein Blick ins Info verrät uns, daß Tom Hudson es bereits 1988/89 geschaffen hat. Damals wurde es noch von Antic-Publishing vertrieben. Hierzulande war es der Markt&Technik-Verlag, der sich des Vertriebs annahm. Die Version 1.1 war zu diesem Zeitpunkt aktuell und ist es noch heute, da das Produkt nicht weiterentwickelt wurde. Tom Hudson hat es aber recht sauber programmiert, so daß es sogar auf einem TT stabil läuft. Allerdings hat Cyber-Sculpt mit den Farbauflösungen einige Probleme, und man kann nur in ST-Hoch vernünftig arbeiten.

Unter Tools erreicht man den 3D-Editor, das eigentliche Herzstück des Programms. Knapp zwei Drittel des Bildschirms werden von der Editier-Oberfläche beansprucht. Auf der rechten Seite befinden sich alle verfügbaren Funktionen des Editors. Mit Hilfe der Drag-Funktionen kann man die vorher aktivierten Objekte entsprechend verschieben. Das Aktivieren geschieht dabei nicht über den Active-Button, sondern über eine Punktauswahl im Selektionsbereich. Mit dem Active-Button wird ein ganzes Objekt bestimmt, an dem Veränderungen und Ergänzungen vorgenommen werden können.

Cyber-Sculpt mit geöffnetem 3D-Editor

Rotationen werden mit der Maus gesteuert, wobei in der Menüleiste die aktuelle Gradzahl angezeigt wird. Ungewöhnlich ist die entgegengesetzte Bewegung des Rahmens gegenüber der Mausbewegung. Horizontales und vertikales Verdrehen sowie Spiegeln und Biegen sind weitere Bearbeitungs-Features. Um überhaupt ein Objekt erstellen zu können, müssen Scheitelpunkte gesetzt werden, die, miteinander verbunden, eine Fläche ergeben. Mehrere Flächen zusammengefügt ergeben folglich ein 3D-Objekt. Um die Linien und Flächen zu bearbeiten, stehen die üblichen Vektorgrafikwerkzeuge zur Verfügung. So kann geteilt, getrennt, gelöscht, geklebt und verbunden werden. Hat das Objekt nicht die gewünschte Größe, kann es in horizontaler und vertikaler Richtung skaliert werden. Möchte man gleichzeitig beide Richtungen verändern, ist dies mit der Scale3-Funktion auch möglich. Eine freie Verformung mittels Magneten ist wohl eher für die Künstler unter den Usern gedacht.

In den „Optionen“ wird das Gitter eingeschaltet. Auf Verlangen können auch hier die Koordinaten in der Menüleiste angezeigt werden. Gesetzt den Fall, man habe eine schon existierende Papierzeichnung von einem Körper und möchte diese nun in Cyber-Sculpt eingeben: dann sollte man zunächst den Fang auf die Rasterpunkte schalten. Vergrößert man jetzt die Darstellung auf das 32fache und springt von Punkt zu Punkt, fällt auf, daß die Koordinatenanzeige satt um einen Zähler, immer um den Betrag 8 erhöht wird. Möchte man die Koordinaten der Zeichnung manuell eingeben, wird einem wohl nichts anderes übrigbleiben, als alle Zahlen der Zeichnung mit acht zu multiplizieren. Aus einer Kantenlänge auf dem Papier von 10 mm werden dann natürlich 80mm. Die maximale Arbeitsfläche in Cyber-Sculpt beträgt 1408. Der Arbeitsraum gleicht also einem Würfel mit der Kantenlänge 1408. Bei einer Genauigkeit von 1 mm als kleinster Einheit entspricht das einer Kantenlänge von 1,4 m.

Ein gelungener Rundumblick

Bei den Sichtoptionen stellt man den Zoom-Faktor und die Blickrichtung auf die Arbeitsfläche ein. In der 3D-Darstellung läßt sich das gesamte Bild bei gedrückter linker Maustaste rotieren. Auf einem ST geschieht dies gerade noch mit akzeptabler Geschwindigkeit. Auf einem TT ist es dagegen ein Vergnügen, die Objekte in Echtzeit zu rotieren. Neben dem 3D-Editor gibt es aber noch drei weitere Punkte in Cyber-Sculpt: der Spin-Editor dient zur Erstellung von Rotationsobjekten, wie z.B. einem Glas oder einer Vase. Dazu werden ähnlich wie im 3D-Editor die Punkte gesetzt und gleichzeitig mit einer Linie verbunden. Dabei gibt es allerdings keine Bezier-Kurven, sondern nur gerade Linien. Zur Bearbeitung dienen last die gleichen Tools wie im 3D-Editor. Die erstellte Linie wird anschließend um eine Achse rotiert, wodurch ein 3D-Objekt entsteht. In einer Dialogbox wird dabei die Anzahl der Rotationsschritte (Segmente - maximal 500 Stück) angegeben. Auch eine unvollständige Drehung wird möglich. Wie bekommt man nun eine Feder, wie sie zum Beispiel in fast jedem Auto oder auch Kugelschreiber sitzt, wenn man nur auf einem Kreis rotiert? Für Abhilfe sorgt hier der Button „Use-Path“, hinter dem sich der 3D-Pfad-Fditor verbirgt. Hier läßt sich ein Pfad eingegeben, auf dem ein Kreis oder Rechteck rotieren müßte, um eine Feder zu erhalten.

Der Extrude-Editor verdreht die Flächen zusätzlich, wenn man sie auf einem Pfad laufen läßt. Eine Anwendungsmöglichkeit dafür wäre ein Schraubengewinde. Als Angaben für so einen Extrudier-Vorgang (extrudieren = Formstücke thermoplastisch herstellen) braucht man die Länge, die Anzahl der Segmente und sicherlich des öfteren einen Pfad. Ein recht kompliziertes Unterfangen also.

T.C.S.O.D.C.P.

Hinter diesem Abkürzungsungetüm verbirgt sich „The-Cross-Sectional-Objekt-Definition-Control-Panel“. Es ist vom Prinzip her dem Extrude-Tool sehr ähnlich, mit dem Unterschied, daß hier mehr Hand angelegt wird. Dadurch lassen sich kompliziertere und individuellere Objekte erzeugen. Natürlich bietet Cyber-Sculpt schon ein paar vorgefertigte Grundkörper wie Würfel, Trapez usw. an. Den Objekten können auch Farben zugeordnet werden, wobei im Monochrombetrieb 15 Graustufenmuster zur Verfügung stehen.

So bleibt zum Schluß nur übrig den Hut vor Tom Hudson zu ziehen und neidlos anzuerkennen, daß er bereits 1989 zukunftsorientierte Programme schreiben konnte. Der Funktionsumfang und die Möglichkeiten, 3D-Objekte zu erstellen und zu verändern, sind auch heute noch (fast) Stand der Dinge. Schade ist nur, daß es nicht mehr weiterentwickelt und somit über die Jahre immer weiter ins Hintertreffen kommen wird.

Phase-2

Wenn Cyber-Sculpt verlassen wird, sind alle Objekte fertig, und es geht daran, sie ins rechte Licht zu rücken. Dazu kommt Chronos ins Spiel. Vor Programmstart muß allerdings erst entschieden werden, auf welchem Rechner es läuft. Es gibt sowohl eine ST- als auch eine TT-Version. Wer einen ST besitzt, wird nicht nur mit langsameren Aktionen bestraft, sondern auch mit ca. 50 KB mehr Speicherbedarf gegenüber der ca. 300 KB großen TT-Version. Raubkopierern wird bei Chronos zur Zeit keine Chance gegeben. Ein Hardware-Key, der in den seriellen Port gesteckt werden muß, verhindert das gründlich. Allerdings ist für die nahe Zukunft (vielleicht schon bei Erscheinen dieses Hefts?) eine Version angekündigt, die ohne Hardware-Schutz lauffähig sein soll. Am TT stellt sich zusätzlich das Problem, den 25poligen Key an den 9poligen Modem-1 -Port anzuschließen. Ein entsprechender Adapter ist nicht im Lieferumfang enthalten, muß also nachgekauft werden. Zwar ist der Port durchgeführt, der Hardware-Key und ein serielles Kabel belasten die Schnittstelle aber mechanisch ziemlich stark. Zudem verweigerte der Key und somit Chronos die Arbeit, wenn der Port zuvor (beispielsweise mit einem Modem) benutzt wurde.

Das Video-Studio

Chronos ist das Studio, mit dessen Hilfe wir einen Film mit den schon erstellten Objekten drehen wollen. Key-Frame-Animation ist hier das Schlagwort. Auf deutsch ist das nichts anderes als eine Berechnung von Zwischenpositionen. Die Ausgangs- und Zielpositionen (Key-Frames genannt) werden vorgegeben. Die Zwischenwerte errechnet das Programm selbsttätig. Aus den Einzelbildern entsteht dann eine Animation. Eine Animation wäre auch schon das Verdunkeln eines Objektes, obwohl sich hier noch nichts bewegt.

Licht und Schatten

Zu einer Animation gehören drei unverzichtbare Dinge: das Objekt, eine Kamera und das Licht. Das Objekt der Begierde haben wir in Cyber-Sculpt bereits erstellt und importieren es mit der „Load"-Funktion. Mit „Open“ würde Chronos versuchen, eine Animation zu laden, und die haben wir ja noch nicht.

Im Chronos-Window werden die Kamera und das Licht (das runde Objekt links neben dem Help-Window) mit dem geladenen Objekt dargestellt. An der linken Seite neben dem Fenster befindet sich eine Anzahl von Icons. Die oberen beiden dienen zur Auswahl der Betrachterposition -also entweder Regiestuhl, oder man schaut durch die Kamera. Darunter befinden sich acht Icons für die Objektmanipulation. Mit den letzten sechs kann man wieder eine Betrachterposition wählen.

Der Einfachheit halber haben wir die wichtigen Fenster geöffnet (siehe Chronos-Bild). Ganz rechts sieht man das Objektfenster. Dort wird, wie in Cyber-Sculpt, das Objekt selektiert, mit dem gearbeitet werden soll. Eine Mehrfachselektion ist nicht möglich. Dies geht nur im Chronos-Fenster, indem ein Rahmen um die Objekte gezogen wird. Links unten ist das Frame( Rahmen = Einzelbild)-Fenster. Hier kann jedes einzelne Fenster angewählt werden. Dort befindet sich leider auch ein böser Fehler. Beim Bewegen des Sliders durch „Danebenklicken“ stürzt der Rechner ab. Abgesehen davon ist die Anzahl der möglichen Rahmen sehr hoch. Es ließen sich etwas über 1,4 Mrd. Rahmen erzeugen. Bei einer genügend großen Platte und einer Abspielrate von 25 Bildern pro Sekunde könnte man auf eine gesamte Spielzeit von ca. 652 Tagen kommen! Dies dürfte auch für Ewig-Nörgler mehr als genug sein.

Mit dem View-Fenster kann man seinen Regiestuhl ins „Irgendwo“ stellen. Alle Positionen und Neigungen sind einstellbar. In der Mitte neben dem Objektfenster ist das Help-Fenster geöffnet. Dort findet man zu allem und jedem eine Hilfe. Allerdings muß man sich darüber im klaren sein, daß alles, ebenso wie die Handbücher, in Englisch geschrieben ist. Allerdings ist ein sehr spärliches Vokabular verwendet worden, so daß auch Ungeübte größere Passagen ohne Wörterbuch lesen können. An diesem Punkt sei auch erwähnt, daß die Handbücher sehr ausführlich geschrieben sind. Dies mag für den einen gut sein, für den anderen vielleicht eher ermüdend. Aber es ist immer besser, ein bißchen zuviel zu schreiben als zu wenig.

Achtung Klappe...

... heißt es dann im zweiten Teil, in dem die Aufnahme gestartet wird und ein paar Effekte die Sache abrunden werden. Des weiteren kommt natürlich auch die vielzitierte Farbe ins Spiel. Die Animation wird anschließend mit Prism-Paint überarbeitet, und wir hoffen, daß bis dahin auch der neue Iris-Render eingetroffen ist, um auch fotorealistische Bilder in kurzer Zeit erzeugen zu können. Also, bleiben Sie am Bildschirm und spielen Sie nicht mit der Fernbedienung. Wir sehen uns dann nach der Werbung wieder ...

Bezugsadresse:
Richter Distributor
Hagener Str. 65
W-5820 Gevelsberg

Chronos mit einigen Aktionsfenstern

Joachim Heller
Aus: ST-Computer 03 / 1993, Seite 46

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