Modulare Welten - Calamus und seine Module

Gut ein Jahr ist vergangen, seit Calamus SL auf der Atari-Messe 91 erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ein Jahr also und einige Updates älter -das heißt in der schnellebigen Computer-Zeitrechnung immerhin ja schon „fast erwachsen“. Mochte diese erste Version auch noch mit einigen pubertären Problemen aufwarten, so ließ doch vor allem der modulare Aufbau des Programms erwarten, daß nicht nur die notwendigen Fehlerbereinigungen, sondern auch Programmergänzungen für ganz spezielle Anwendungsbereiche schnell, weil eben modular folgen würden, wo sonst in der Regel eine vollständige Anpassung, des Programms unumgänglich gewesen wäre. Und hier hat sich, wie auch im gesamten Programm, inzwischen einiges getan.

Der Terminus „Layout-Software“ war bisher im Desktop Publishing systemübergreifend durchaus wörtlich zu verstehen: externe Programme übernehmen die Gestaltung von Bildmaterial, grafischen Daten und die Texterfassung, die abschließende Zusammenstellung und Endmontage ins Layout erfolgt dann in der Layout-Software. Nicht so Calamus SL, der den Rückgriff auf externe Software in hohem Maße überflüssig machen will. Dies bedeutet nun aber keinesfalls, daß man sich durch eine von Programmvielfalt strotzende, gigantisch aufgeblähte und dadurch völlig unübersichtliche Software kämpfen muß -im Gegenteil.

Elementenlehre

Oberflächlich betrachtet liegt mit Calamus SL lediglich ein Programmgerüst vor, das sich mit diversen beiliegenden oder auch optional erhältlichen Programmteilen (Module) erst zum arbeitsfähigen Programm machen läßt. Bis auf das Clipboard, das zum kurzfristigen Speichern oder Verschieben von beliebigen Rahmen. Texten und Vektorobjekten dient, liegt jeder Programmteil als solch ein Modul vor. Diese sind einzeln zuladbar und klinken sich in die Benutzeroberfläche mit einem entsprechenden Icon ein. Von nun an werden sie so behandelt, als seien sie immer schon ein Teil des Programms gewesen, versehen mit eigenen Befehlsgruppen, Bearbeitungsfeldern usw.

Wer dann mit vollzählig geladenen Modulen auf einem 4MB-Rechner mit der Arbeit im SL beginnen will, dürfte nur kleinere Gestaltungen im Sinn, und nur wenig für effektives Arbeiten haben. Farbanlagen, für einen kleinen Prospekt beispielsweise, führen hier unweigerlich schnell an die Speichergrenzen. Zwar hilft der virtuelle Speicher des Calamus auch in solchen Fällen weiter. Werden jedoch nur die Module geladen, die für den aktuellen Arbeitsbereich auch wirklich benötigt werden, wird nicht nur Speicherplatz gespart. Das Modulkonzept des SL bewährt sich in der täglichen Praxis vor allem in der Gestaltung einer eigenen, individuellen Arbeitsumgebung.

Ein Grund für diese Konzeption des Calamus war auf Entwicklerseite neben der Öffnung des Programms für zukünftige technische Entwicklungen sicher auch die Einsicht, daß es „den“ Calamus-Anwender ebensowenig gibt wie „den“ Desktop-Publisher. Etwas weniger als 20.000 registrierte Calamus-Anwender gestalten und publizieren momentan bundesweit, darunter Werbeagenturen, Hochschulen, Sportvereine, Pfarrämter und ganz bunt weiter. So wird eine kleine DTP-Agentur mit dem Calamus vielleicht im wesentlichen Satzarbeiten erledigen (manche Druckereien sind hier ja gute Stammkunden), Werbeagenturen werden komplette Ausstattungen von der Anzeige über Verpackungsgestaltungen bis zum 4-Farb-Prospekt realisieren. Sportvereine setzen ihre Vereinszeitschrift im SL. mein Siebdrucker seine Siebdruckvorlagen usw. Um solch unterschiedliche Anwendungen in nur einem Layout-Programm in einem einigermaßen überschaubaren Rahmen zu halten, ist das Modulkonzept natürlich ideal. Hier kann sich jeder, ob Sportverein oder Werbeagentur nach den Schwerpunkten der eigenen Tätigkeit durch die Auswahl der entsprechenden Module seine eigene Layoutsoftware mit der aktuell benötigten Arbeitsumgebung zusammenzustellen, ohne daß selten genutzte Programmteile die Übersicht und damit ein effektives Arbeiten erschweren. So ist es nur eine logische Entwicklung, wenn es demnächst, nach Auskunft des Calamus-Entwicklers DMC, komplette Modulpakete geben wird, die gezielte Spezialanwendungen unterstützen; EBV (Bildverarbeitung)- und Textpakete sind derzeit in Arbeit.

Rahmenhilfen

Doch kommen wir zum aktuellen Calamus. Zur Atari-Messe ’92 stellte DMC drei neue Module für den Calamus SL und der kleineren Calamus S-Version vor. Diese sind optional erhältlich, also gehören nicht zum regulären Lieferumfang: ein Utility-Modul für die Rahmenarbeit im SL und S, ein Maskenmodul mit EBV-Qualitäten für den Calamus SL sowie ein GDPS-Modul zur direkten Scanner-Ansteuerung.

Das Utility-Modul erleichtert die Arbeit mit allen Rahmentypen des Calamus. Obwohl noch einige vorgesehene Funktionen fehlen, ist es jetzt schon eine kleine Hilfe, die man nicht mehr missen möchte.

Zusätzliche Rahmenfunktionen hält das Utility-Modul bereit. Mit kleinen Zusatzfunktionen zum im Calamus schon vorhandenen Rahmenmodul soll dieses Modul das Arbeiten mit den Calamus-Rahmenelementen insgesamt leichter und eleganter machen. Müssen beispielsweise einzelne Textrahmen für den Tabellensatz zueinander ausgerichtet oder in anderen Gestaltungen unterschiedliche Rahmentypen exakt zentriert gesetzt werden, ist dieses Modul eine schnelle Hilfe, - genau da also, wo die Calamus-internen Snap-Funktionen nur begrenzt oder mit mehr Zeitaufwand einsetzbar sind. Auch eine Hierarchieänderung übereinanderliegender Rahmen - im Calamus gibt es ja lediglich die Wahl zwischen „Rahmen in den Vordergrund“ oder „Hintergrund“, kann nun schrittweise in jede Ebene durchgeführt werden. Zusätzlich können einzelne Rahmen unterschiedlichen Typs für den Ausdruck aktiviert oder ausgeblendet werden. Als ein Beispiel für diese Funktion kann man sich eine fertig gestaltete Prospektseite vorstellen, mit Hintergrundbildern, Grafiken und Textblöcken, die zur Textkorrektur auf dem Laserdrucker ausgegeben werden soll. Unter Umständen wird da gar nicht mehr viel zu lesen sein, je nach Grauwert des Texthintergrundes. Einfacher geht es, wenn irgendeiner der vorhandenen Textrahmen selektiert und dann im Dateimenü „alles selektieren“ angewählt wird (wodurch alle Textrahmen der Seite selektiert werden). Im Utility-Modul können die so selektierten Rahmen nun für die Druckausgabe bestimmt werden. In unserem Beispiel kommt dann lediglich das gesamte vorhandene Text-Layout zum Ausdruck.

Auch die Calamus-Module werden in Zukunft durch Updates Ergänzungen erfahren. Im Utility-Modul ist beispielsweise neben einer Notizblock-Funktion die Möglichkeit zur Umwandlung von Rahmentypen in einen anderen vorgesehen. Hierdurch werden Änderungen im Dokument bei gleichbleibendem Layout vereinfacht. Etwas unverständlich ist mir allerdings die inkonsequente Icon-Gestaltung in den zusätzlich erhältlichen Modulen. Hier wäre der einheitliche Stil der Calamus-Piktogramme, die ja auch für viele andere Atari-Programme in den letzten Jahren ein Beispiel waren, von Vorteil gewesen. Ein anderes Problem in der Benutzerführung, daß nämlich bei der Arbeit in den zusätzlichen Modulen auch auf notwendige ergänzende Funktionen zugegriffen werden muß, die in anderen Modulen verstreut liegen (z.B. werden beim Aufhellen von Bildelementen im Maskenmodul die Kennlinien des Rahmenmoduls benötigt), lassen sich durch die Anlage zweier Bearbeitungsfelder leicht umgehen.

Klein und fein: das Maskenmodul

In der aktuellen Version hat das Masken-Modul noch nicht seinen von den Programmierern angestrebten Funktionsumfang. Das, was mit den bereits vorhandenen Funktionen machbar ist, ist jedoch beeindruckend. Da alle Rahmeninhalte mit diesem Modul bearbeitet werden können (auch Gruppenrahmen, bereits maskierte Rahmen usw.), ist dieses Modul neben seinem hohen Nutzen für „Bildarbeiter“ auch eine exzellente kreative Spielwiese.

Auf den ersten Blick ist das Maskenmodul nur spärlich ausgestattet. Im Bearbeitungsfeld befinden sich 3 anwählbare Icons zum Erzeugen, Auflösen und Invertieren von Masken. Hier zeigt sich jedoch, daß eine abzählbare Menge von Funktionen noch lange nichts über die Funktionalität und Qualität aussagt, die dahinter verborgen liegen kann. Und in dieser Hinsicht haben mich die vielfältigen kreativen Möglichkeiten dieses Moduls überrascht und überzeugt. Möglichkeiten, die für einige Anwendungen in der Layout- oder Bild/Textarbeit sogar den Einsatz eines separaten EBV-Programms überflüssig machen können. Beliebige Rahmenobjekte, also Farbbilder, Rasterflächen, Text usw. können als Masken genutzt oder selbst maskiert werden. Eine solche Maske kann man sich auch als „Stanze“ vorstellen, mit der beispielsweise ein Bild mit einer Rasterfläche oder/und gesetztem Text quasi „ausgestanzt“ wird. Zum Ausmaskieren, einfachen Freistellen oder Aufhellen von Bildelementen lassen sich aber auch im Vektormodul angelegte Vektorpfade nutzen und für spätere Anwendungen im Vektorformat abspeichern. Frei zu definierende Flächen eines Bildes (z.B. mittels Rasterflächenrahmen oder Vektorobjekten) können für das Text-Layout aufgehellt werden, die Farbe eines Textes kann aus dem abgedunkelten Motiv des Hintergrundbildes bestehen und so aus diesem hervorgehoben werden usw. Eine kreative Spielwiese ist dieses Modul, das selbst Text/ Farbbild-Kombinationen schnell und direkt im Layout ermöglicht, die in externen EBV-Programmen nur mit einigem Aufwand realisierbar sind. Gerade denjenigen unter den Calamus-Grafikern, die häufig Bild/Textgestaltungen im Mehrfarbbereich vornehmen müssen, wird das Masken-Modul sicher ein wichtiges Werkzeug werden.

Der Funktionsumfang und die Ausstattung des Masken-Moduls sollen in der nächsten Zeit noch um zusätzliche EBV-Funktionen ergänzt werden. Endstanden ist dieses Modul übrigens aus der Überlegung, bei schon gedreht gescannten Dias die notwendigen Retouche-Arbeiten (Diarahmen entfernen) direkt im SL vornehmen zu können. Für diesen Zweck kann nun eine entsprechend gedrehte Rasterfläche als Maske aufgezogen und auf den gewünschten Bildausschnitt geschoben werden. Nach erfolgter Maskierung ist nur noch der zuvor mit der Rasterfläche bedeckte Ausschnitt des Bildes sichtbar. Derart maskierte Rahmen werden als „Spezialrahmen“ abgelegt; ein Rahmentyp, der in jedem Calamus anwählbar, aber natürlich ohne das entsprechende Modul nicht zu bearbeiten ist. Wird solch ein Rahmen wieder aufgelöst, liegen die einzelnen Elemente in ihrer ursprünglichen Form vor, es wird hier also nichts unwiederbringlich gelöscht. Das Laden und die Weiterbearbeitung von Dokumenten auf einem anderen Calamus SL, der das Masken-Modul nicht geladen hat, ist, wie bei allen anderen Modulen auch, ohne Probleme möglich.

Für die Bildarbeit im Calamus steht mit dem neuen GDPS-Scanner-Modul eine schon lange erwartete Option zur Verfügung. Über dieses Modul können Scans nun direkt aus dem Calamus heraus vorgenommen werden, wobei für den Prescan einfach eine Dokumentenseite genutzt wird. Für die zusätzlich notwendigen Einstellungen besitzt das Modul ein eigenes Formular. In diesem Zusammenhang ein kleiner Tip am Rande: Gerade bei der Arbeit mit gescannten Bildern wird mancher auf die Calamus-interne virtuelle Speicherverwaltung zurückgreifen müssen. Da stellt sich natürlich des öfteren die Frage, auf welcher Partition der Festplatte noch genügend Speicherkapazität frei ist, sei es für den virtuellen Speicher oder auch zur Ablage der aus dem SL heraus gescannten Bilddaten. Im Calamus selbst sucht man eine solche Abfragemöglichkeit vergebens, und doch gibt es sie, nur leider etwas versteckt und nirgendwo dokumentiert:

Ein Doppelklick auf ein Laufwerkssymbol im Datei-Auswahlformular des Calamus genügt, und es erscheint eine Box mit den gewünschten Laufwerksinformationen der gewählten Partition.

Arbeiten im Maskenmodul: Über den Scan einer Blume wurden drei Textrahmen gelegt, mit denen das Blumenbild daraufhin maskiert wurde.

Formate und Vektoren

Ergänzt wird die Modulpalette durch die optional erhältliche HKS-Palette, die für die Druckvorlagenerstellung aber sicher erst dann so richtig interessant wird, wenn im nächsten SL-Update die automatische Schmuckfarbenseparation eingebaut sein wird, und den Dataformer, der sich in ein Modul für Raster- und eines für Vektor-Exportformate aufteilt. Etwas schlicht, mag man meinen: eine Art „Konvertierungsprogramm“ für Grafikformate, und dann auch nur für den Export. So dachte ich zumindest im ersten Moment. Aber hier eröffnen sich nicht nur für einzelne Grafikobjekte, sondern auch für komplett gestaltete Calamus-Dokumentenseiten die Wege in andere Programme und Systeme zur Weiterverarbeitung und Belichtung.

Unter den Exportformaten, die der Dataformer-Raster in der aktuellen Version zur Verfügung stellt, befinden sich: CRG (Calamus Rastergrafik), IMG, ESM (Cranach), GFA, Tiff, PCX (Paintbrush), Targa (Diabelichter), IFF und einige mehr, wobei sich bei den Farbformaten die Planes zur Farbtiefe bis 24 Bit einstellen lassen. Eine Änderung von Größe und Auflösung (dpi) der zu exportierenden Objekte ist in jedem Format möglich. Der Dataformer-Vektor liefert an Exportformaten: CVG, GEM, DXF (AutoCad), das Plotter-Format HPGL sowie für die Formate PS und EPS für die PostScript-Ausgabe.

Interessant mag unter diesen Formaten für viele Anwendungen sicher das PostScript-Format sein. Dokumentenseiten, aber auch beliebige Rahmentypen lassen sich im PS- oder EPS-Format exportieren und so über andere Systeme, PostScript-Drucker und Belichter ausgeben. Die Ausgabe einer.Calamus-Seite dauert auf einem PostScript-Rip allerdings länger als eine gewöhnliche PostScript-Belichtung.

Mit dem Dataformer-Modul, das aus zwei Modulteilen für Raster- und Vektorexportformate besteht, lassen sich neben einzelnen Calamus-Rahmen auch ganze Dokumentenseiten für eine Weiternutzung in externen Programmen und Systemen exportieren.

Wer schon im alten Calamus viel mit Vektorobjekten arbeitete, wird im SL den CVG-Exporttreiber vermißt haben. Mit dem Dataformer ist nun das Abspeichern von Vektorgrafiken im CVG-Format möglich, aber nicht nur das: Zusätzlich zum Export einzelner Rahmen im CVG-Format (wobei es egal ist, ob es sich um Vektorobjekte, in Textrahmen gesetzter Text oder Rasterflächen handelt), kann der Vektorexport auch auf die gesamte Dokumentenseite bezogen werden. So kann z.B. ein Firmenlogo in einem CDK-Dokument mit Text ergänzt und im CVG-Vektorformat exportiert werden. Auch die mit den Calamus(CFN)-Fonts gesetzten Texte, die ja im Ursprung schon Vektorobjekte sind, werden in ihrer korrekten Gestaltung als Vektorgrafik abgelegt. Für eine Folienbeschriftung via Schneide-Plotter oder eine Filmvorlage für den Siebdruck können also eine bereits als CDK-Dokument vorhandene Visitenkartengestaltung oder ein Briefkopf mit Text und Logo über den Dataformer ins CVG-Vektorformat mit allen Vektoranlagen und gesetztem Text exportiert werden. Offene Wege, die wohl auch für die neue Folien-Cut-Software von DMC von Nutzen sind.

So leicht die Arbeit mit Vektorobjekten auf der einen Seite geworden ist, so problematisch gestaltet sich im Calamus selbst noch im Moment die Darstellung und Ausgabe von Vektorgrafiken. Eigentlich völlig unverständlich, da hier der SL-Vorgänger 1.09N kaum Probleme hatte. Was ich meine, ist die programminterne Polygonbegrenzung auf 32000 Pixel. Diese Grenze wird schon dadurch erreicht, daß eine Vektorgrafik im Monitor mittels der Lupe vergrößert dargestellt werden soll. Kennt man diese Eigenschaft, ist sie vielleicht zu umgehen - problematischer wirkt sie sich jedoch in der Druckvorlagenerstellung aus. Müssen Vektorgrafiken für eine manuelle Schmuckfarbenseparation überfüllt werden, das heißt, die jeweils dunklere Farbe eine etwas stärkere Randeinstellung bekommen, lassen sich diese Vorlagen unter Umständen genauso wenig ausgeben wie komplexere Vektorobjekte. Was also tun? In den meisten Fällen wird es genügen, die Datei „Calamus Set“ in einen Text-Editor zu laden und die werkseitig eingestellte Größe des „VecBufSize“ in z.B.00080000 zu ändern. Beliebig höhere Zahlen sind möglich, kosten jedoch, auch bei der Ausgabe auf einem Belichter, einigen Speicherplatz.

Status

Wichtige Funktionen, die nach der Erstauslieferung des SL im letzten Jahr noch nicht implementiert waren, sind inzwischen zugänglich. Wer häufig Dokumente belichten lassen muß, kennt z.B. auch dieses: Ein umfangreiches Dokument oder gleich eine komplette Geschäftsausstattung ist als Druckvorlage fertiggestellt und wird, häufig noch unter Zeitdruck, für die Belichtung vorbereitet. Im Dokument nicht benötigte Fonts und leere Dokumentenseiten werden gelöscht (oder auch nicht...), die genutzten Fonts dahingehend überprüft, ob der Belichtungsservice einige eventuell nicht vorliegen hat und diese dann mit dem Dokument zusammen auf Diskette oder Wechselplatte gespeichert (oder auch nicht,..). Werden hier Fehler gemacht, was bei etwas größeren Dokumenten oder Termindruck schnell passieren kann (leider auch eigene Erfahrung!), kostet das jedesmal Zeit und Geld wegen Fehlbelichtungen. Einige dieser Vorbereitungen zur Belichtung und noch einige mehr können im Calamus in einem eigens dafür vorgesehenen Formular erledigt werden. Ist die Druckvorlage erstellt, also der letzte Schritt vor der Belichtung getan, können hier die ungenutzten Fonts, nicht belegte Seiten, speicherplatzfressende nicht verwendete Farbtabbellen usw. auf Knopfdruck aus dem Dokument entfernt werden.

Solche praktischen „Kleinigkeiten“ mag ich. Man sollte halt eine Layout-Software nicht nur ausschließlich an den Möglichkeiten messen, die sie zur Fertigung professionell gestalteter Druckvorlagen bereithält. Es wird sich hoffentlich zeigen, daß die qualitative Potenz einer für den professionellen Einsatz bestimmten Layout-Software, gleich welchen Systems, in den nächsten Jahren sich von Konkurrenzprodukten dadurch unterscheiden wird, daß ein Programm den Anwender durch eine praxisorientierte Benutzerführung vergessen machen kann, daß es ein hochtechnisches Gerät ist, an dem er arbeitet.

Mit dem nächsten, und, wie alle bisherigen, erfreulicherweise auch kostenlosen Update soll der von den Calamus-Entwicklern angestrebte Funktionsumfang erreicht sein. Da zudem die Entwicklerunterlagen und Programmierrichtlinien für Modulschnittstellen in Kürze bei DMC zur Verfügung stehen, werden bald sicher auch zusätzliche Programm-Module von Fremdanbietern erhältlich sein. Insgesamt zeigt sich der Calamus SL mit seinen modularen Erweiterungen zur Atari-Messe ’92 als ein durchaus zukunftsorientiertes Software-System. Durch seine modulare Struktur kann er kommenden Entwicklungen im Hard- und Software-Bereich vielleicht auch etwas gelassener entgegensehen, da auf Neuerungen durch zusätzliche oder erweiterte Module schneller reagiert werden kann, als dieses durch eine Anpassung des gesamten Systems möglich wäre.

Bezugsadresse:

DMC, Nelkenstr. 2, W-6229 Walluf

Das, was da ist, fertig machen

Interview mit Raimund Thiel, Software-Entwickler bei DMC, und Thomas Meier, DMC-Produktmanagement

ST Computer: Herr Thiel, in den nächsten Jahren wird sich der DTP-Markt mehr und mehr differenzieren. Immer mehr Leute werden am Schreibtisch mit einer Software publizieren können, die genauso auch in der Lithographie und Drucktechnik Anwendung findet. Wo steht die DTP-Software Calamus SL in dieser Entwicklung?

R. Thiel: Calamus ist als System so offen, daß es eigentlich nicht nur reines DTP ist. Es ist eher ein Betriebssystem mit sehr guten Grafikausgabemöglichkeiten. Die modulare Konzeption könnte dabei genauso für eine Datenbank genutzt werden. Die Idee ist, eine Software zu haben, mit der man wie am Schreibtisch arbeiten kann: Blätter, auf denen man Notizen festhält, Dokumente, die für den Druck vorbereitet werden, in die man aber auch eine Tabellenkalkulation einfügen kann, die vielleicht als Modul da ist. Ein wirklich integriertes System also, das nicht darauf angewiesen ist, Dateien von irgendwoher zu laden. Wenn ich mir Systeme auf anderen Rechnern angucke, die teilweise deutlich teurer sind, haben uns manche in einigen Bereichen vielleicht noch was voraus. Ich weiß aber, daß wir viele dieser Dinge allein durch Module abdecken können.

ST Computer: Werden also auch eigenständige Programme wie „Type Art“ oder auch eine Bildverarbeitung mit vielleicht „Cranach“ irgendwann einmal als Module im Calamus zu finden sein?

R.Thiel: Module sind eigenständige Programme, die nicht GEM oder TOS, sondern Calamus als Betriebssystem nutzen. Wir haben mal versucht, externe Programme von Calamus aus aufzurufen. Einfacher ist es aber, z.B. mit MultiTOS zu arbeiten. Insgesamt ist auch noch gar nicht so bekannt, was mit dem modularen System überhaupt möglich ist. Es wird, glaube ich, wie kleine Utilities gesehen, die irgendwie mit dem Programm kommunizieren, wie man es von Accessories her kennt. Das Modulkonzept geht aber viel, viel weiter. Es ist ein integraler Bestandteil des Systems, es tauscht also nicht nur Informationen aus, sondern arbeitet mit den Informationen des Systems. Das Masken-Modul ist beispielsweise nur ca. 13 KB groß, da ist nur die wesentliche Funktionalität drin. Ein sauber programmiertes Modul, das nur die definierten Schnittstellen zum Calamus nutzt, könnte theoretisch, wenn wir auf ein Mac- oder UNIX-System gehen würden, einfach neu compiliert werden und würde funktionieren, ohne daß irgendwelche systemspezifischen Anpassungen gemacht werden müßten.

ST Computer: Was den Atari-DTP-Markt weltweit betrifft, könnte man die Bundesrepublik als eine Art fruchtbare Insel sehen...

R.Thiel: Ja.

ST Computer: ...wobei es auf längere Sicht schon unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten schwer sein dürfte, nur von den Erträgen einer Insel zu leben. Die Namen „Mac“ und „Unix“ sind gefallen; es ist also etwas Wahres dran an den Gerüchten, daß es Calamus SL auch unter Windows oder auf dem Macintosh...

R.Thiel: ...am liebsten auf allen Rechnerplattformen, vom Mengenmarkt her ist es zumindest vorgesehen. Wir werden versuchen, das mit anderen Leuten in eine andere Rechnerwelt rüberzubringen, und das Zu schaffen, ist schon eine Herausforderung. Die Priorität ist aber ganz klar: Das, was da ist, fertig machen. Wir sind beim SL im Moment im Fehlerbereinigungs- und letzte-Sachen-einbauen-Stadium, was in der Hauptsache die Schmuckfarbenseparation, Überfüllung usw. betrifft. Manche noch vorhandenen Probleme, z.B. die Polygon-Begrenzung, erledigen sich dann vielleicht auch im Rahmen einer Portierung auf andere Systeme. Das ist ja auch ein Vorteil: Wenn auf einer anderen Plattform etwas verbessert wird, kann das auf den Atari zurück übertragen werden. Was uns hier fehlt, sind in vielen Bereichen Entwicklungskapazitäten. Das heißt jedoch nicht, das muß ich jetzt, glaube ich, sagen, daß wir vom ATARI verschwinden werden. Schon als Entwickler würden wir das nicht mitmachen, weil uns der ATARI die liebste Entwicklungsplattform ist.

Th.Meier: Man sollte auch bedenken, daß diese „Insel“ Atari momentan immerhin an die 20.000 Calamus-Anwender trägt. Natürlich werden wir oft gefragt, wann der Calamus auch auf andere Rechnerplattformen portiert wird. Und natürlich ist die Vorstellung von einem Calamus auf allen Plattformen auch für uns eine sehr reizvolle Aufgabe. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, daß der Calamus seine Herkunft nicht umsonst auf dem Atari hat. Hier liegt unser Entwicklerschwerpunkt. Andere Plattformen bedürfen einer erheblichen Erweiterung des Entwicklungsteams aus anderen Rechnerplattformen, dann ist so etwas durchaus realisierbar. Für unser derzeitiges Entwicklungsteam stehen aber erst einmal die Fehlerbeseitigung sowie die Funktionsausstattung des Calamus SL an oberster Stelle.

ST Computer: Mit der Erstauslieferung des SL im letzten Jahr verbinden sich ja einige unangenehme Erinnerungen. Betriebsunsicherheit und Fehlfunktionen dieser ersten Version haben für einigen Unmut bei den Anwendern gesorgt. Was für einen Stellenwert hatten da betriebsinterne Fehlerkontrollen oder auch das Feedback von Calamus-Anwendern in der Programmentwicklung?

R.Thiel: Wir haben uns anfangs etwas überschätzt, ganz ehrlich. Dank der Fehlermeldungen, die reinkamen, konnte aber vieles schnell behoben werden, das wäre anders gar nicht möglich gewesen. Vor allem die Rückmeldungen der Anwender haben uns hier sehr geholfen. Daß wir, als Entwickler, selbst mit den Leuten reden können, beschränkt sich seit einiger Zeit leider nur auf Messen. Was wir von dort als Eindruck mitgenommen haben, ist auch in Calamus eingeflossen. Einer unserer Entwickler hat sich jetzt zum Beispiel mal eine Woche hingesetzt, und nichts anderes getan, als Kundendokumente auf Fehler zu untersuchen, und dabei auch zwei, drei kleine Fehler im Programm gefunden und rausgeworfen. Das war auch wichtig, aus unserer Sicht sogar wichtiger, als dauernd neue Funktionen einzubauen. Man kann jetzt gut und schnell mit Calamus SL arbeiten; aber das ist längst noch nicht das, was machbar ist, schon gar nicht mit dem 68030. Gerade hier wird sich noch einiges tun. Im Moment aber ist es für uns wichtig, erstmal eine Funktionalität zu haben, die man dann optimieren kann.

ST Computer: Über das Dataformer-Modul können Calamus-Dokumente auch auf PostScript-Belichtern ausgegeben werden. Der Weg in diesen Standard anderer Systeme ist also offen. Ziemlich verschlossen verhält sich der Calamus jedoch bei den ins Calamus-Format konvertierten PostScript-Schriften im Type-1-Format.

Th.Meier: Unsere „Verschlossenheit“ gegenüber konvertierten Schriften ist nichts anderes, als die Qualität, die durch die original Satzbelichter-Schriften erreicht wird, zu erhalten. Wir sind eigentlich auch ein bißchen stolz auf das Vertrauen, das uns Firmen wie Agfa Compugrafic, Linotype-Hell, URW, Berthold und andere schenken. Dieses Vertrauen konnten wir nur dadurch erwerben, daß wir dem Vorurteil, der Atari-Markt sei ein „Raubkopierer-Markt“, entschieden entgegengetreten sind. Es gibt zum Beispiel weltweit nur zwei DTP-Software-Häuser, die Berthold-Schriften in ihrer Bibliothek aufweisen können. Daß DMC eines davon ist. haben wir dem strikten Einhalten der Lizenzverträge zu verdanken, die eben eine Nutzung von Type-1-Fonts im SL nicht gestalten. Und die Möglichkeit, in Berthold-Schriften mit einem Calamus setzen zu können, ist sicherlich ein erhaltenswerter Zustand.

Mit Raimund Thiel und Thomas Meier sprach Jürgen Funcke


Jürgen Funcke
Aus: ST-Computer 10 / 1992, Seite 46

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