Multitasking ist seit ca. einem Jahr für interessierte ATARI-Besitzer kein unbekanntes Thema mehr. Zur CeBIT 1991 kam die erste Multitasking-Erweiterung unter dem Namen MultiGEM für den ATARI ST auf den Markt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten es viele für unmöglich gehalten, daß der ATARI je mit Multitasking-Eigenschaften ausgestattet werden könnte.
Zuerst aber mal ein paar allgemeine Worte zum Thema Multitasking. Ein Multitasking-Betriebssystem ermöglicht es, mehrere Programme quasi parallel laufen zu lassen. So kann z.B. ein Programm im Hintergrund rechnen, während im Vordergrund ein Text editiert wird. Auf einigen Computersystemen, wie z.B. UNIX-Rechnern, PCs mit OS/2 oder WINDOWS, ist das Thema Multitasking schon länger bekannt. Wenn man mal etwas hinter die Kulissen schaut, stellt man fest, daß die einzelnen Tasks nur oberflächlich parallel laufen. Ein Prozessor, wie z.B. der 68000 von Motorola, der ja auch im ATARI-ST Verwendung findet, kann nur einen Prozessorbefehl zur gleichen Zeit ausführen. Damit aber mehrere Programme parallel laufen können, wird die Prozessorzeit unter den laufenden Tasks aufgeteilt. Genauer: der Prozessor arbeitet immer im zeitlichen Wechsel einen Teil des einen Programms ab und wechselt dann zum nächsten. Während ein Task vom Prozessor bearbeitet wird, stehen die anderen Prozesse still. Der Wechsel zwischen den einzelnen Tasks vollzieht sich aber so schnell, daß der Anwender kaum einen Unterschied bemerkt. Das einzige, was auffällt, ist der Geschwindigkeitsverlust bei bestimmten Programmen, wenn sehr viele Tasks parallel laufen oder Programme benutzt werden, die sehr rechenintensiv sind und somit viel Prozessorzeit benötigen. Aus diesem Grund lohnt sich Multitasking nur auf leistungsfähigen Prozessortypen, zu denen auch der 68000 gezählt werden kann.
Wie der Name MultiGEM schont sagt, greift dieses Programm aktiv in das GEM des ATARIs ein, genauer: in das AES, welches ja ein Teil des GEMs ist. MultiGEM sitzt also regelrecht im AES und verteilt von dort die Rechenzeit an die anderen gestarteten Prozesse. MultiGEM verwaltet für jeden Task einen eigenen Prozeßdeskriptor, was z.B. zur Folge hat, daß es keinen fremden Dateizugriff eines Tasks auf einen anderen geben kann. Wie man hieran schon erkennen kann, greift MultiGEM recht tief ins Betriebssystem des ATARI ein, was bedeutet, daß es an die verschiedenen TOS-Versionen angepaßt werden muß. Dies geschieht während der Installation von MultiGEM2, bei der genau analysiert wird, was für ein TOS in dem jeweiligen ATARI eingebaut ist bzw. welche wichtigen Änderungen z.B. von AUTO-Ordner-Programmen am Betriebssystem schon vorgenommen wurden. Aus diesem Grund sollte man MultiGEM2 immer unter der Boot-Konfiguration vom Install-Programm installieren lassen, damit sich MultiGEM2 der gegebenen Umgebung optimal anpassen kann. Auch sollte MultiGEM2 immer zuletzt aus dem AUTO-Ordner gebootet werden, damit die Änderungen von anderen AUTO-Ordner-Programmen es mitbekommt und sich entsprechend anpassen kann. Wenn man also das TOS wechselt muß man MultiGEM2 wieder neu von Diskette installieren. Da das eigentliche AUTO-Ordner-Programm von MultiGEM2 nur ca. 32 KByte groß ist, geht der Installationsvorgang recht schnell vonstatten.
Für den, der bereits die Version 1.x von MultiGEM kennt, erstmal die wichtigsten Punkte in Kurzform:
Äußerlich hat sich MultiGEM 1.x zu MultiGEM 2.0 in einigen Bereichen geändert. Die wohl wichtigste Änderung betrifft die Anzahl von verfügbaren ACCs und gestarteten Programmen. Unter MultiGEM 1 .x standen ja nur sechs Einträge für ACCs oder Tasks (Programme) zur Verfügung. Hatte man also vier ACCs geladen, konnte man nur noch zwei Programme benutzen. Im neuen MultiGEM2 kann man beliebig viele ACCs und auch beliebig viele Programme starten. Die Grenze stellt in diesem Fall wirklich nur der verfügbare RAM-Speicher dar. Um die verschiedenen Programme sowie die ACCs anwählen zu können, braucht man nur in die Menüleiste zu klicken, und zwar dorthin, wo keine Menüeinträge stehen. Um auch eine optische Kontrolle zu haben, ob MultiGEM2 geladen und aktiv ist, wird in der linken oberen Ecke ein kleines Grafiksymbol angezeigt. Ein Klick auf dieses Grafiksymbol ruft das MultiGEM2-Pull-Down-Menü auf, welches in vier Bereiche unterteilt ist.
Über den obersten Bereich ‘Programme ausblenden ->’ kann man ein Pop-Up-Menü aufrufen, in dem man die Möglichkeit hat, die momentan aktiven Programme auszublenden. Die Bedienung des Pop-Ups ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber das ist evtl. Geschmackssache. Man hat die Wahl, ob man die Programme einzeln zum Ausblenden anwählt oder alle auf einmal. Das Ausblenden von unter MultiGEM2 gestarteten und aktiven Programmen hat den Vorteil, daß man die Applikationen, die man aktuell nicht unbedingt benötigt vom Desktop komplett verschwinden lassen kann. Auch die Fenster dieser Programme werden geschlossen. Das ist besonders dann interessant, wenn man für ein weiteres Programm noch freie GEM-Fenster benötigt. Es bietet sich an, dieses Feature auch dann zu benutzen, wenn man nicht im Besitz eines Großbildschirms ist und es auf dem Bildschirm mal unübersichtlich wird.
Normalerweise wäre bei MultiGEM2, wie es bei GEM üblich ist, die Anzahl der Fenster auf sieben begrenzt; allerdings befindet sich im Lieferumfang das Programm Winx II, mit dem sich unter MultiGEM2 bis zu 40 Fenster gleichzeitig öffnen lassen.
Im zweiten Bereich stehen alle ACC-Ein-träge zur Anwahl zur Verfügung. Wie schon erwähnt, erlaubt MultiGEM2 beliebig viele ACCs, im Gegensatz zum normalen ATARI-Betriebssystem, bei dem nur maximal sechs möglich sind. Programme wie Chamäleon oder Multidesk werden also nicht mehr benötigt.
Im dritten Bereich sind ein paar Hilfsfunktionen von MultiGEM2 untergebracht. Über den Punkt ‘Desktop’ kann man zu jederzeit aus laufenden Programmen heraus das Betriebssystem-Desktop in den Vordergrund holen. Sehr viele GEM-Programme haben einen eigenen Desktop-Hintergrund und versperren somit den Zugriff auf die Laufwerks-Icons. Will man also aus einem laufenden Programm mit einem eigenen Desktop-Hintergrund, z.B. einen Blick in ein bestimmtes Laufwerksverzeichnis werfen, kann man das über den Punkt ‘Desktop’ jederzeit erreichen. Der zweite Punkt ‘Neuzeichnen’ ist hin und wieder auch sehr hilfreich, und zwar besonders dann, wenn einige Programme Probleme mit dem Redraw ihrer GEM-Fenster haben. Um dann wieder etwas Ordnung auf dem Bildschirm zu bekommen, kann man diesen Punkt anwählen. Über den dritten Punkt ‘MultiGEM-Optionen’ läßt sich das externe MultiGEM-Konfigurationsprogramm laden. Mit Hilfe dieses Programms kann man für jedes beliebige Programm, egal ob GEM-, TOS-oder TTP-Anwendung, verschiedene Einstellungen vornehmen. Da das Thema Multitasking auf dem ATARI noch recht jung ist, sind viele ältere Programme nicht speziell im Hinblick auf Multitasking-Eigenschaften programmiert worden. Damit sich solche Programme aber auch unter MultiGEM2 nutzen lassen, kann man hier die entsprechenden Installationanpassungen vornehmen. Als erstes wäre da der ‘Single-Modus’ zu nennen, der für solche Programme gedacht ist, die keine reine oder überhaupt keine GEM-Oberfläche haben, wie z.B. Signum! oder der GFA-BASIC-Interpreter. Startet man ein Programm im Single-Mode, werden alle anderen aktiven Programme eingefroren. Wenn das entsprechende Programm auch eine Menüzeile haben sollte, kommt man weiterhin an die ACC-Einträge heran (selbst wenn das Programm den Zugriff auf ACCs über die eigene Menüleiste unterbunden hat), man kann lediglich kein anderes Programm in den Vordergrund holen. Falls man dies doch versucht, taucht eine entsprechende Info-Box auf, die auf den Single-Modus hinweist.
Der nächste Menüpunkt ‘ext.tasks’ muß bei allen Programmen aktiviert werden, die von Haus aus schon andere Programme starten können (z.B. die Gemini-Shell). Dadurch wird erreicht, daß diese Programme auch als ein separater Task gestartet werden. Wäre das nicht der Fall, könnte man z.B. aus Gemini heraus nur ein einziges weiteres Programm starten, was den Möglichkeiten von Gemini nicht ganz gerecht würde.
Neben den speziellen Programminstallationsmöglichkeiten ‘Xwind-find’ (z.B. für Programme wie Calamus oder Cranach notwendig, die Texte einblenden, wenn man über ein Icon fährt) und ‘va_start’ (erkennt mehrfaches Starten, muß aber von dem Programm unterstützt werden) kann man jedes Programm über den Menüpunkt ‘Autostart’ beim Booten von MultiGEM2 automatisch laden lassen. Damit MultiGEM2 auch das entsprechende Programm zum Autostart finden kann, muß man unter ‘Pfad:’ noch den genauen Pfadnamen eintragen oder ihn per Klick auf das Wort ‘Pfad’ per Fileselectorbox aus wählen. Über die Edit-Zeile ‘Datei:’ kann man auch noch eine beliebige Datei anwählen, die beim Autoboot an das entsprechende Programm übergeben werden soll. Somit kann man z.B. direkt beim Booten schon einen bestimmten Text in einen Text-Editor laden lassen. Das MultiGEM-Konfigurationsprogramm bietet noch die Möglichkeit, für jedes installierte Programm den verfügbaren RAM-Speicher festzulegen. Dies ist besonders für solche Programme notwendig, die nach dem Start allen noch freien Speicher für sich reservieren, was dann das Starten von weiteren Programmen aus Speicherplatzmangel unmöglich macht. Einen Überblick über die aktuelle Speicherbelegung gibt das MultiGEM-Konfigurationsprogramm auch an.
Im vierten Bereich des MultiGEM2-Pull-Down-Menüs werden automatisch alle Programme eingetragen, die momentan laufen. Sollte man z.B. über einen GEM-Fenster-Wechsel ein geladenes Programm nicht mehr in den Vordergrund holen können, kann man dies jederzeit durch einen Klick auf den entsprechenden Programmnamen, machen. Genauso lassen sich ausgeblendete Programme, dargestellt in heller Schrift, wieder aktivieren, worauf alle seine Fenster wieder geöffnet werden und exakt der Zustand, der zum Zeitpunkt des Ausblendens herrschte, wieder hergestellt wird.
Neben den GEM-Programmen lassen sich unter MultiGEM2 auch TOS- oder TTP-Programme nutzen. Will man diese Programme nicht im Single-Modus starten, kann man sie als TOS- oder TTP-Programme im MultiGEM-Konfigurationsprogramm anmelden. Wenn man das entsprechende Programm startet, wird die Aus- und Eingabe in ein GEM-Fenster umgelenkt, wodurch weiterhin alle Multitasking-Eigenschaften von MultiGEM2 erhalten bleiben. Leider funktioniert das Umlenken der Aus- und Eingabe vieler TOS-oder TTP-Programme nicht einwandfrei, wenn VT52-Steuerzeichen zum Positionieren von Zeichen benutzt werden.
Wie oben schon erklärt, läuft im Prinzip fast jedes Programm unter MultiGEM2, auch wenn man für das eine oder andere den ‘Single-Modus’ aktivieren muß. Prinzipiell laufen alle sauber programmierten GEM-Anwendungen unter den Multitasking-Eigenschaften von MultiGEM2. Ein Handicap vieler GEM-Programme ist die Verwendung normaler Dialoge, statt der in GEM-Fenstern. Zeigt ein Programm nämlich eine Dialog- oder Alertbox am Bildschirm an, stehen für diesen Zeitraum alle Prozesse im Hintergrund still. GEM wartet hier auf eine Eingabe wie z.B. die Aktivierung eines Buttons. Erst wenn der Dialog wieder geschlossen ist, also der Button „gedrückt“ wurde, laufen alle Programme in den MultiGEM2-Tasks weiter. Aus diesem Grund findet man heute in neueren Programmen keine normalen Dialoge mehr, sondern nur noch GEM-Dialog-Fenster, die erst eine 100%ige MultiGEM2-Nutzung ermöglichen.
Daß das Thema Multitasking für ATAR1-Rechner in Zukunft noch aktueller wird, hat ATARI selbst auf der diesjährigen CeBIT gezeigt. Dort stellte die Firma nämlich ein eigenes Multitaskings-Betriebssystem MultiTOS vor, das noch in diesem Jahr auf den Markt kommen soll. Auch mit MINT (dem Kern des MultiTOS) läuft MultiGEM2 recht gut zusammen, wodurch sich die Nachteile bei TOS-Programmen wieder ausgleichen lassen. MINT greift bereits im GEMDOS des Atari-Betriebssystems ein, wodurch Dinge, wie z.B. im Hintergrund zu formatieren etc. in Zukunft unter MultiTOS möglich sein dürften.
Zum Abschluß aber noch ein paar Worte zum Thema Geschwindigkeit. Daß Multitasking-Betrieb, egal in welcher Form, Rechen-Power kostet, sollte eigentlich verständlich sein. Jedes Programm benötigt seinen Teil. Da Programme die meiste Zeit aber auf Eingaben warten (Textverarbeitung, Datenbanken etc.), macht sich eine Verlangsamung des Rechners unter Multitasking-Betrieb nicht so deutlich bemerkbar. Wer allerdings mehrere rechenintensive Programme parallel laufen lassen will, sollte schon einen TT sein eigen nennen, oder zumindest den ST mit 16 MHz tunen.
In den verschiedenen Tests hat sich MultiGEM2 als sehr stabiles Programm erwiesen. Es läuft nämlich auf allen ATARI-Rechnern, egal ob ST, STE oder TT. Wer seinen ATARI mit Multitasking-Eigenschaften ausstatten will, kann das Programm MultiGEM2 ab sofort bei MAXON-Computer für 159,- DM erwerben. Für MultiGEM-1.x-Anwender bietet die Firma PAM-Software aus Mainz für 20,-DM einen Upgrade-Service an.
SK
Bezugsquelle:
MAXON-Computer GmbH Schwalbacher Straße 52 W-6236 Eschborn
Aus presserechtlichen Gründen sind wir zu folgendem Hinweis verpflichtet: MAXON Computer als Herausgeber dieser Zeitschrift ist gleichzeitig Vertrieb des beschriebenen Programms MultiGEM 2.