Die letzte Probe verlief mal wieder wie immer. Der Drummer schlug verbissen auf seine Trommeln ein, um die verzerrten Gitarren der beiden Sologitarristen übertönen zu können, und die Saiten der Baligitarre wurden wie beim Bogenschießen gespannt. Kaum eine Chance für den Keyboarder, einen gefühlvollen Akkord anzubringen. Nach der Warmspielphase wurde dann endlich besprochen, welche Stücke nun geprobt werden sollen. In etwas gedämpfterer Lautstärke wurde dann die Probe fortgesetzt. Nach 5 Takten stockte plötzlich alles, und es begann eine Diskussion über einen bestimmten Akkord an einer bestimmten Stelle.
Der Keyboarder versuchte vorsichtig zu erklären, daß an dieser Stelle eine andere Umkehrung gespielt werden soll, was aber durch ein schroffes „das ist doch sch... egal“ des Leadgitarristen verworfen wurde. Der zweite Aufklärungsversuch wurde dann durch einen überaus lauten Slapbaß unterbrochen und führte zum ansatzlosen Wiedereinstieg in das eben geprobte Stück.
Solche Proben sind sicherlich bei vielen Musikern keine Seltenheit, da zum einen das Instrument nicht richtig beherrscht wird oder das tiefere Wissen der Harmonielehre nicht bekannt ist. Wer noch kein musikalisches Gehör hat, sollte versuchen, mit Gleichgesinnten über gewisse Eigenarten der Musik zu sprechen, damit ein besseres Verständnis für die anderen Musiker heranwachsen kann. Auf solche Diskussionen lassen sich aber nur die wenigsten ein, so daß einem nichts anderes übrig bleibt, als autodidaktisch an die Sache heranzugehen. Ich hoffe, daß davon auszugehen ist, daß derjenige, der die ST-Computer liest, auch Besitzer eines ATARI-Computers ist. Falls nicht, dann sofort einen zulegen, denn die Firma „Fröhlich Musiconsulting“ hat ein Programm veröffentlicht, das einige zwischenmusikalische Probleme lösen könnte. Die Rede ist vom „ADVANCED KEYBOARD TABULATOR“. Ob dieses Programm einen Nutzen für lernfreudige Musiker hat, soll der nachfolgende Testbericht zeigen.
Der "ADVANCED KEYBOARD TABULATOR“, im weiteren Verlauf kurz, "AKT" genannt, ist ein Lernprogramm, das die Unterschiede von Akkorden und verschiedene Arten von Skalen dem Gehör näher bringen soll. Akkorde können selbst kreiert und in Play-Listen eingebunden werden, um sie einzeln zu hören oder in einen Song einzubinden, der als Midi-File abgespeichert werden kann. Der Weiterverwendung in Sequenzerprogrammen steht also nichts im Wege. Wie der Name schon zeigt, ist dieses Programm für Tasteninstrumente konzipiert, aber auch für Gitarren erhältlich. Der „AKT“ läuft auf folgenden Rechnern: ATARI ST 520+/1040 STFE, MEGA ST2, MEGA ST4 und jeweils mit monochromem Monitor. Die zum Test vorliegende Version hat die Nummer 1.1.
Das Arbeitsblatt, von dem zahlreiche Funktionen aufgerufen werden, öffnet sich direkt nach dem Hochladen des AKTs. Die Darstellung kann die Form einer Notenpartitur oder die Gestalt mehrerer Tastaturen mit ca. dreieinhalb Oktaven annehmen. Am oberen Bildschirmrand befindet sich für die direkte Eingabe von Noten und Akkorden ein etwa fünf Oktaven umfassendes Keyboard, auf dem mit der Maus Veränderungen gemacht werden können. Mit der linken Maustaste wird monophon und mit der rechten Maustaste durch einzelnes Anklicken nacheinander gespielt. Durch kleine Buttons werden die verschiedensten Voreinstellungen getätigt, die zur Anpassung an das verwendete MIDI-Equipment sowie zur Veränderung der Funktionsweise des „AKTs“ dienen. Fangen wir am besten oben links an:
MIDI (Pfeil nach links) - wer die Akkorde mit einem Keyboard einspielen möchte, sollte diesen Button invers schalten, damit die gespielten Töne auf dem Bildschirm-Keyboard erscheinen. Andernfalls erfolgt lediglich eine MIDI-Ausgabe. Mit der Space-Taste können Falscheingaben gelöscht werden.
Mit Button „#/b“ wird die Darstellungsweise der Tonart umgestellt. Als nächstes folgt, wie oben bereits beschrieben, die Möglichkeit, von Notenform auf Griffbilder umzustellen. Klickt man auf das kleine Notensymbol links über dem Keyboard, werden alle Notennamen über und unter den entsprechenden Tasten angezeigt. Durch Klick auf den Keyboard-Button wird eine etwas größere Tastatur sichtbar, auf der die gewählten Töne dann in einem schwarzen Kreis erscheinen. Mit „Clear“ wird ein Akkord aus dem Chord-Symbolfenster gelöscht. Ein Bestätigen mit dem „Enter-Button“ übernimmt einen Akkord in das Fenster. „NEW“ löst ein Update des gewählten Akkordes aus. Dieser muß allerdings im kleinen Fenster, das sich ganz unten rechts befindet, ausgewählt werden. Unter den 600 möglichen Akkorden ist sicherlich für jeden etwas dabei. Falls ein Akkord mal mehr Umkehrungen birgt, als die gewählte Darstellungsform erlaubt, kann durch Scrollen jede Akkordart dargestellt werden. Das Diskettensymbol mit den zwei Pfeilen aktiviert das Laden und Sichern von Chord-Librarys.
Hierunter verbirgt sich eine äußerst mächtige Suchfunktion. Wird dieser Button angeklickt, erscheint am unteren Bildschirmrand eine neue Menüleiste. Hier kann entweder ein 6stimmiger Akkord in ein PopUp-Menü eingegeben und die gesamte Library nach diesen sechs Tönen durchsucht, oder der im Auswahlfenster stehende Akkord als Suchkriterium benutzt werden. Alle gefundenen Übereinstimmungen werden gezählt und in einen Puffer geschrieben, so daß zum Schluß der Suche die Anzahl und der erste gefundene Akkord sichtbar werden. Nun kann nach Belieben gescrollt werden. Dies geht so schnell vonstatten, daß niemand so schnell in einer entsprechenden Fachliteratur nachblättern könnte. Die Frage nach einem gesuchten Baßton kann mit dieser Funktion sehr schnell und umfangreich beantwortet werden.
Mit „Function“ wird das Gehörtraining zum Üben von Intervallen und Akkorden angewählt. Bei den Intervallen können die Tonabstände voreingestellt, oder mit den Buttons „1-8“ und „AU“ eine schnelle Wahl für einen Start getroffen werden. Beim „Akkordtraining“ erfolgt eine direkte Anwahl der Akkordtypen über Mausklick oder entsprechende Buttons, die eine Vorauswahl der Dreier- und Viererklänge bereitstellt. Mit „ALL“ trifft der Schüler die Auswahl aller aufgezeigten Akkordtypen. Das Gehörtraining berücksichtigt den Grundakkord, aber auch die dazugehörenden Umkehrungen, die auf Wunsch Bestandteil der Lernaufgabe werden. Global werden die Anzahl der Wiederholungen, der Baßton, auf-/abwärts (bei Intervallen) oder die Geschwindigkeit bei der Tonwiedergabe eingestellt. Ein Akkord, der alle in sich enthaltenen Töne gleichzeitig erklingen lassen soll, verlangt bei der Einstellung der Wiedergabegeschwindigkeit eine „0“.
Unter dieser Funktion lassen sich zahlreiche Einstellungen vornehmen, die nach allen Regeln der musikalischen Kunst Skalen abspielen lassen. Die Variationen sind sehr umfangreich und erlauben zum Beispiel, den Beginn einer Skala frei zu bestimmen oder aber Tonleitern zu üben, die normalerweise nur die geschulteren Musiker kennen. Klickt man in die obere rechte Ecke des Scales-Windows auf das „M", öffnet sich ein neues Fenster aus dem dann eine sehr schnelle Akkordwahl getroffen werden kann.
Die Wiedergabe der Töne (Akkorde) geschieht über den ATARI-Soundchip oder über MID! und dann über den angeschlossenen Tonerzeuger. Der Sendekanal kann frei eingestellt werden. Eine Thru-Funktion ist ebenfalls implementiert, so daß keine ungewollten Midi-Schleifen entstehen können. Es sind noch eine ganze Reihe anderer Parameter einstellbar. die zur heutigen Zeit leider noch nicht bei jedem MIDI-Programm selbstverständlich sind.
Am rechten Bildschirmrand hat die Playlist ihren Platz. Hier können Akkorde abgelegt oder per Diskette geladen werden. Es ist möglich, auf einfache Art und Weise einen kompletten Song durch Kopieren. Verschieben. Einfügen und Löschen zu erstellen. Sogar Pausen sind einfügbar und erlauben eine übersichtliche Unterteilung. Links neben den Playlist-Einträgen stehen entweder die Notenwerte (halbe Note, viertel Note etc.) oder auf Wunsch eine laufende Nummer, um jederzeit eine gute Orientierung zu gewährleisten. Die gesamte Playlist kann zudem als Notensystem mit den Akkorden in notationsgerechter Dar stellungsweise angezeigt und lobenswerterweise auch ausgedruckt werden. Die gängigsten Druckertreiber befinden sich ebenfalls auf der Programmdiskette. Wer nun seinen Song zusammengestellt hat. kann ihn als Standard-MIDI-File auf Diskette ablegen und später in ein Sequenzer-Programm laden, wenn dieses Format akzeptiert wird. In den meisten Fällen wird das sicherlich problemlos funktionieren, da sich in der Regel die Programmautoren an diesen Standard halten oder spezielle Routinen zwecks Anpassung bereitstellen.
Der einfachste Weg, komplette Arrangements analysieren und erlernen zu können, ist, die schon vorhandenen Song-Libraries zu nutzen, die als SET I (POP & Country), Set 2(Standards) und Set 3(Jazz Tunes) für 69,-DM pro Set erhältlich sind. Allerdings sind die Jazz-Tunes noch in Vorbereitung. Jedes Set beinhaltet eine Auswahl von 50 Songs.
Was wäre nun eine riesige Akkordtabelle, wenn man nicht hören könnte, wie der Ablauf der Eingaben klingt? Zu diesem Zweck ist ein, wie der Name schon sagt, kleiner Mikro-Sequenzer implementiert. Aktiviert wird dieser durch das Musikcassetten-Symbol direkt über der Playlist. Während der Sequenzer läuft, zeigt das Pop-Up-Menü den gerade aktiven Akkord der Playlist und die dazugehörende laufende Nummer. Vergleichbar mit anderen für diese Anwendung gedachten Programmen ist die Ausstattung etwas spartanisch ausgefallen, aber für den Lerneffekt völlig ausreichend. Sogar eine Loop ist vorgesehen. um einen kleinen Part aus einem Song herausfiltern zu können. Einzelne Parameter können während des Abspielens verändert werden, ohne vorher anzuhalten.
Der „Advanced Keyboard Tabulator" erwies sich während des Tests als zuverlässiger Lernpartner. Ein Programmabsturz war nicht zu vermelden. Leider wurden beim unsauberen Verlassen einiger „Lern-Modi" Notenhänger provoziert, die mit der Zeit als etwas störend empfunden wurden. Der Lerneffekt, um den es eigentlich bei diesem Programm gehen soll, war allerdings jederzeit gegeben. Ich halte den AKT für ein nützliches Werkzeug, um Skalen, Akkorde, Umkehrungen und Songabläufe studieren zu können. Die individuelle Lernausbeute liegt sicherlich zuletzt an der Eigendisziplin eines jeden einzelnen Schülers. Wer eisern alle Möglichkeiten durcharbeitet, wird auf keinen Fall enttäuscht werden und sich nach kurzer Zeit an den Früchten seiner Bemühungen erfreuen. Der AKT ist mit viel Liebe zum Detail programmiert worden. Es ist ratsam, die sehr gut gegliederte und in einem verständlichen Deutsch geschriebene Bedienungsanleitung zur Hand zu nehmen, um auch die verstecktesten Funktionen zu entdecken. Da keine Menüleiste vorgesehen ist, ruft der Akt seine Lernroutinen über Pop-Up-Menüs oder direkt über Buttons auf. Die Bedienung geht schnell und einfach von der Hand und bereitet keine Probleme. Positiv ist, daß das Programm ebenfalls als Accessory lauffähig ist. Die Klangerzeugung kann vom ATARI-Monitor, oder besser, von einem angeschlossenen MIDI-Klangerzeuger übernommen werden. Der „ADVANCED KEYBOARD TABULATOR" wird in einer edlen Dokumentenmappe geliefert und kostet 239,-DM.
Bezugsquelle:
Fröhlich Musiconsulting
Postfach 1424
W-3550 Marburg 1