Trio infernale - Das ATARI-MIDI-Studio Teil 1

Alle reden davon, viele praktizieren es. Gemeint ist das Musizieren mit dem Computer. Wer nun immer noch die anderen beneidet, weil sie schon lange einen Computer haben, mit dem sie die tollsten Sachen machen, dem ist jetzt zu helfen. Für alle, die bislang als musikalisch unbelastet gelten und in die MIDI-Szene einsteigen wollen, gibt es ein Einsteiger-Trio als komplettes MIDI-Studio direkt von ATARI zu kaufen.

Dieses Trio besteht aus einem ATARI-STE-Computer, Sequenzer-Programm („Happy Music“ von Steinberg“) und dem MS-710-Keyboard von KAWAI. Das Komplettpaket kostet nicht mal 1500,-DM und ist, das sei an dieser Stelle schon mal gesagt, für den Neueinsteiger prädestiniert. Da ein einziger Bericht zu lang werden würde, haben wir uns entschlossen, das Ganze in drei einzelne Beiträge aufzusplitten. Im ersten Teil wollen wir uns etwas näher mit dem MS-710 von Kawai befassen und als nächstes dann mit dem Sequenzerprogramm „Happy Music“ von Steinberg. Im dritten Teil werden wir dann gemeinsam eine Aufnahme mit dem 12-Spur-Studio machen, bei der wir in kurzen Zügen auch auf das schon weltberühmte ATARI-Sequenzer-Programm CUBASE von Steinberg eingehen. Happy Music ist eine stark vereinfachte Version von Cubase und bietet somit die Möglichkeit, die wichtigsten Features des großen Bruders nutzen zu können.

ATARI 1040 STE

Wer bislang noch keinen ATARI-Computer sein eigen nennen kann, sollte sich überlegen, ob er bei einem solchen Angebot nicht zuschlagen sollte. Der ATARI-STE ist ein Rechner mit einer 68000er-CPU. Die Taktfrequenz beträgt 8 MHz. Sein 1 Megabyte großer Arbeitsspeicher ist auf einfache Art und Weise (SIMMs) auf 4 Megabyte aufrüstbar. Auch hier kommt der schon beliebt gewordene monochrome Monitor SM 124 zur Anwendung. Der STE macht selbstverständlich auch Farben und davon gleich 4096(!) verschiedene, wovon 16 gleichzeitig dargestellt werden können. Eine weitere Besonderheit dieses Rechners ist sein Stereo-8-Bit-DMA-Sound. Ein eigens für diesen Zweck eingesetzter DMA-Chip entlastet die CPU bei der Sound-Verarbeitung. Das bringt Geschwindigkeit und läßt alle Spielerherzen höherschlagen.

KAWAI MS-710

Das Äußere des vier Oktaven umfassenden Keyboards mit Minitasten ist mit einem Stereoverstärkersystem und 2 Lautsprechern ausgestattet. Die Minitasten sind von mittlerer Größe, so daß auch ein Erwachsener noch bequem damit umgehen kann, ohne ständig auf mehrere Tasten gleichzeitig zu drücken. Auf der Rückseite befinden sich ein MIDI-In- und ein MIDI-Out-Anschluß. Desweiteren kann hier ein 9 bis 12-Volt-Netzteil angeschlossen werden, das leider nicht zum Lieferumfang gehört. Auf der Unterseite des Gerätes ist ein Batteriefach zu finden, so daß dem Gebrauch bei einem Picknick im Freien nichts im Wege steht. Eine Miniklinkenbuchse erlaubt das Musizieren mit einem Kopfhörer. Bei Kontaktierung dieses Anschlusses verstummt das eingebaute Lautsprechersystem. Mit einem entsprechenden Adapter kann man auch direkt über die HiFi-Anlage spielen. Auf der Bedieneroberfläche befinden sich 36 Taster bzw. Schieber. Auf ein Klarschrift-Display oder eine Sieben-Segment-Anzeige ist gänzlich verzichtet worden. Eine Kontrolle der Einstellungen ist lediglich über 11 Leuchtdioden (LEDs) möglich. Das schwarze Plastikgehäuse ist erfreulich leicht und übersichtlich bedruckt.

Das Innere das KAWAI MS 710 ist ein 10stimmiger Synthesizer mit Begleitautomatik, eingebauten Effekten und integriertem (einfachem) Sequenzer. Auf einer Spur wird im Real-Time-Modus alles aufgenommen, was während der Aufnahme verändert wird. Der mitlaufende Vorzähler sorgt für das richtige Timing. Es kann auf den MIDI-Kanälen 1-16 gesendet und auf den Kanälen 1-4 und 16 empfangen werden. Die 24 eingebauten Sounds können über die Tastatur dynamisch gespielt und mit Stereoeffekten, wie Chorus und Vibrato, versehen werden. Pitch Bend up/ down ist ebenfalls möglich. 4 der 24 zur Verfügung stehenden Klangspeicher sind mit dem Aufdruck User 1-4 versehen. Hier kann der Anwender seine eigenen Sounds, die er selbst programmiert hat, abspeichern und jederzeit wieder neu kreieren. Eine „Recall-Funktion“ stellt die Möglichkeit bereit, den Sound, der gerade verändert wird, mit dem Basismaterial zu vergleichen.

Die 24 eingebauten Rhythmen werden über die Start/Stop-Taste oder bei aktivierter Sync/Fill-In-Funktion durch Anschlägen einer Taste gestartet. 4 Effekt-Pads erlauben das Einwerfen von Hand-claps, Gong, Becken, Toms etc., und das alles frei programmierbar. 4 etwas kleinere Pads ermöglichen ein Pitch-Band per Tastendruck und das Einschalten einer Vibrato- und Stereochorusfunktion. Der ON/OFF- und Volume-Schieber sollte klar sein. Direkt darunter befindet sich der Schalter, mit dem der Spielmodus eingestellt wird. „Off“ läßt das Spielen eines Klanges über die gesamte Tastatur zu, und die Stellung „Auto“ aktiviert den Begleitautomaten. In Stellung „Drum & Pad select“ sind die Drumsounds auf den unteren eineinhalb Oktaven direkt spielbar und die Effekt-Pads durch Herunterdrücken und gleichzeitiges Anschlägen einer mit einem Drumsound belegten Taste programmierbar.

Happy-Music kann seine Ähnlichkeit mit dem Profi-Sequenzer CUBASE nicht verleugnen.

Der Recorder

Darunter verbirgt sich ein 1 Spur Realtime-Sequenzer, der nach dem Starten und Anschlägen einer beliebigen Taste seine Aufnahme beginnt. Während der Aufnahme wird alles in einem gepufferten Speicher abgelegt, so daß auch nach dem Ausschalten der Song erhalten bleibt. Programm-Change-Befehle sowie Rhythmuswechsel werden selbstverständlich mit aufgezeichnet und über MIDI gesendet. Es hat lediglich nur ein Song im Speicher Platz, so daß vor der nächsten Aufnahme durch gleichzeitiges Drücken der „REC“-und „PLAY“-Taste der alte Song gelöscht werden muß.

AD-LIBITUM

Hinter diesem Feature verbirgt sich eine sehr nette, zusätzliche Begleitautomatik. Wenn in einem auf dem Gehäuse gekennzeichnetem Tastaturbereich eine Taste bei aktivierter „One Finger Ad-Lib“-Funktion angeschlagen wird, erklingt passend zum gewählten Rhythmus eine sich wiederholende Phrase. 17 Ad-Lib-Möglichkeiten stehen hier nacheinander zur Wahl. Das Ein- und Ausschalten dieser Funktion wird auch vom Sequenzer aufgezeichnet. Die einzelnen Phrasen bestehen aus kleinen eintaktigen Patterns, die meiner Meinung nach sehr schön ausgewählt wurden. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei, ja sogar solche, die ein „normaler“ Musiker nicht spielen kann. Als Beispiel könnte man da einen teuflisch schnellen Trommelwirbel nennen.

Die einzelnen Belegungen der Tasten sind nicht immer gleich und ändern sich automatisch mit dem gewählten Sound und dem eingestellten Rhythmus. Es sind zum größten Teil Tonfolgen gewählt worden, die in berühmt gewordenen Stücken immer wieder als Hintergrundphrasierung zum Einsatz gekommen sind und oft den eigentlich Groove des Stückes ausgemacht haben. So ein Feature wünscht man sich oft bei erheblich teureren Begleitautomaten.

TOP-NOTE-DUAL

Ist diese Funktion aktiviert, wird dem obersten Ton der Melodie ein zweiter Ton hinzugefügt. Es sind nach Angaben von KAWAI 576 Variationen möglich. Eine Beschreibung aller Möglichkeiten ist aus Platzgründen nicht möglich, trotzdem möchte ich ein paar Kombinationen als Beispiel geben. Bei aktivierter TOP-NOTE-DUAL-Funktion ist der momentan gewählte Klang der polyphon spielbare Sound. Der als nächstes angewählte Sound ist dann die „TOP NOTE“, die monophon spielbar ist. Somit kann einem Streichersound als höchste Note ein Saxophon hinzugefügt oder aber umgekehrt ein E-Piano als Groove gespielt werden und mit dem kleinen Finger eine Trompete zur Melodieführung zum Einsatz kommen. Bei Geräten dieser Preisklasse vermochte ich bislang eine solche Spielhilfe nicht zu finden.

Selbst Notensatz ist (in einfacher Form) mit Happy-Music möglich.

Der Synthesizer

Diese Sektion ist etwas spartanisch ausgefallen, erfüllt aber ihren Zweck. Es stehen 32 verschiedene Wellenformen bereit, die als WAVE 1 bezeichnet sind und mit WAVE 2 in drei Stufen variiert werden können. Eine einfache Hüllkurve steuert einen VCA (Voltage Controlled Amplifier). „Attack“ steuert das langsame Einschwingen und „Decay“ das langsame Ausschwingen der Sound-Lautstärke. „Level“ bestimmt den Pegel, der bei gehaltenen Tönen als Restlautstärke nach Durchlaufen der „Decay“-Phase erhalten bleibt. Ein Sustain-Level, das die Ausschwingzeit nach Loslassen der Tasten bestimmt, kann nicht eingestellt werden. Dennoch ist die Möglichkeit gegeben, diesen Wert für jeden Sound zu bestimmen. Bevor man anfängt, einen Sound zu kreieren, sucht man sich einen der Werksounds aus, der die gewünschte Sustain-Level-Zeit enthält. Begibt man sich nun in den Editier-Modus, um sein eigenes Werk zu schaffen, wird der Wert für die Sustain-Level-Phase automatisch übernommen. Es ist also nicht zu befürchten, gegenüber anderen einstufigen Hüllkurven, die bei einigen Synthesizern zum Einsatz kommen, Abstriche machen zu müssen.

Der Sound

Wie klingt das KAWAI MS 710 denn eigentlich? Mit Worten ist es immer etwas schwierig, ein Klangereignis zu schildern. Der persönliche Geschmack und die Verwöhntheit des Beschreibers spielen sicherlich eine große Rolle und sind nicht das Maß der Dinge. Global gesehen, sind die mit 16 Bit gesampleten Sounds von guter Qualität. Die Strings und Vibes haben mir besonders gut gefallen. Der Stereo-Sound rundet das Klangbild nach oben ab. Die wichtigsten Naturklänge sind vorhanden, um sein Spiel abwechslungsreich gestalten zu können. Das eingebaute Stereoverstärkersystem nebst eingebauten Lautsprechern verrichtete seine Arbeit jederzeit zuverlässig. Wer aber einige Stunden vor dem MS-710 gesessen hat, wird wahrscheinlich, so wie ich, ein entsprechendes Kabel anschließen, um den Sound über eine große (HiFi) Anlage genießen zu können. Auf Dauer ist dies auf jeden Fall zu empfehlen, da man erst dann in den Genuß der vollen Soundqualität kommt.

Der Rhythmus

Auch hier hat man sich auf die wichtigsten und gängigsten Rhythmen beschränkt. Sie sind einfach gehalten und nicht zu dominant. Kleine automatische Variationen beleben das Spiel und lassen nicht alles ähnlich klingen. Einen ganzen Hochzeitsabend würde ich allerdings mit diesem Gerät als einzigem Instrument nicht bestreiten wollen. Dazu reichen die Möglichkeiten nicht aus.

Fazit

Für den Heimgebrauch und zu Übungszwecken ist das Gerät in dieser Preisklasse und besonders für Einsteiger als ordentlich zu bezeichnen. Die Sounds sind sorgfältig ausgewählt worden, und die Rhythmen bieten die gängigsten Möglichkeiten. Wer schon auf einem großen Profi gerät gespielt hat, wird hier keinen so großen Spaß haben, da der Preisunterschied sich doch hier und da widerspiegelt. Der profihaft ambitionierte Musiker wird nun denken: „Das kann ich nicht gebrauchen“. Aber STOP! - keine voreiligen Schlüsse ziehen, denn da sind doch noch der ATARI-STE und HAPPY MUSIC. Eingangs haben wir schon von dem Sequenzer im CUBASE-Gewand gehört, der es ermöglicht, das MS-710 auf mehreren MIDI-Kanälen anzusprechen.

Kurzer Einblick (Vorschau)

HAPPY MUSIC ist ein 12-Spur-Sequenzer, der auf den ersten Blick genauso aussieht wie CUBASE, aber leider abgespeckt ist, um dem Neueinsteiger ein leichteres Einarbeiten zu ermöglichen. Aus der Abbildung erkennt man die Ähnlichkeit zum großen Bruder. Die zweite Abbildung zeigt, daß auch ein ordentlicher Notendruck möglich ist. Dies aber nur als kleiner Vorgeschmack. In Teil 2 unseres MIDI-STUDIOS werden wir dann mehr von HAPPY MUSIC erfahren.

Bezugsquelle: Fachhandel/ATARI


Wolfgang Weniger
Aus: ST-Computer 02 / 1992, Seite 143

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