Typo-Magie: Type Art - Ein Präzisionswerkzeug für alle Vektor-Fälle

Vielleicht war am Anfang ja das Wort, und vielleicht entwickelte sich unsere Sprache ja, wie Linguisten heute vermuten, auch durch „der Hände Arbeit“. Daß dieses zumindest für die geschriebene Sprache, die Schrift, zutreffen mag, wird für jeden sofort nachvollziehbar, der sich schon einmal gestalterisch um eine solche bemüht hat. In der gesamten Geschichte der Schriftkunst gab es noch nie gleichzeitig so viele verschiedene und auch eigenständige Stile wie in unserem Jahrhundert.

Wie die gesprochene Sprache, befindet sich die Schrift jedoch in einer ständigen Entwicklung - neue Ideen schaffen neue Zusammenhänge, schaffen und bedingen auch neue Schriften. Eine „endgültige“ Schrift wird es darum ebenso wenig geben wie eine vollständige Schriftensammlung in Ihrem Font-Ordner. Diese „typografische Inflation“ spiegelt auch den Zeitgeist wider, wobei vor allem durch und in der Werbung die „Schrift an sich“ zu einem Idiom, zu einer auch grafisch erfaßbaren Gleichung für ihren eigentlichen Inhalt wurde. Gerade im DTP-Bereich, dessen gestalterische Basis ja in erster Linie „Schrift“ ist, erfordert diese Entwicklung ein exzellentes Werkzeug, um gerade benötigte Zeichen korrekt erstellen, oder zumindest die schon vorhandenen dem aktuellen Bedarf entsprechend modifizieren zu können. Ein faszinierendes Werkzeug zur vektoriellen Schriftgestaltung und digitalen Reinzeichnung liegt den Desktop Publishern nun mit dem Font-Editor TYPE ART aus dem Calamus-Haus DMC vor.

Wozu aber einen Font-Editor, wo doch inzwischen jede mögliche Schrift von den verschiedensten Anbietern erhältlich ist? Auch wer so denkt und keine weiteren Ambitionen bzgl. einer eigenen Schriftgestaltung hat, wird mit Type Art zaubern können: Vorhandene Fonts lassen sich en bloc vielfältig modifizieren, mit anderen mischen und in manchen Fällen auch erheblich verbessern, wie wir später noch sehen werden. Neue Schriften (z.B. „Kapitälchen“) lassen sich aus beliebigen Fonts schnell erstellen und als neuer Font abspeichern. Fehlende Sonderzeichen oder Umlaute (ä, ü, ö) werden für den gesamten Font automatisch generiert, und sogar „zusammengestückelte" Fonts oder Grafiken können auf Knopfdruck in saubere Outlines verwandelt werden! Und das ist längst noch nicht alles.

Fliegende Boxen und freie Formen

Type Art ist ein eigenständiges Programm und nicht als Calamus-SL-Modul zu laden, wie man vielleicht vermuten könnte. Es läuft ab 1 MB-Speicher auf allen ST- und TT-Rechnern. Nach dem Programmstart präsentiert es sich denn auch in einem Calamus-ähnlichen Layout: über die Menüleiste sind alle Zugriffe auf Speichermedien. Im- und Exporttreiber, globale Rechenoperationen usw. untergebracht. In der Kopfzeile lassen sich Arbeitsbereiche anwählen, über die sich die gewünschten Werkzeuge aus umfangreichen Bearbeitungsgruppen heraussuchen lassen. Insgesamt teilt sich Type Art in drei Arbeitsbereiche auf: die Zeichensatzbearbeitung, die Erstellung von Vektorzeichen und Grafiken sowie die Rasterbildverarbeitung nebst automatischer Vektorisierung. Hinter jeder dieser Gruppen liegen weitere Befehlsfelder mit zusätzlichen, teilweise ganz schön umfangreichen Submenüs. Den klug konzipierten, hierarchisch angelegten Befehlseingaben ist es hier zu verdanken, daß bei aller Vielfalt der Werkzeuge das gesamte Programm einen außerordentlich bedienerfreundlichen Eindruck macht. Ein Eindruck, der sich auch bei der Arbeit mit dem beiliegenden Handbuch bestätigt: Gut die Hälfte wird von einem Tutorial bestimmt, in dem Schritt für Schritt und anhand vieler Beispiele mit der Arbeitsweise in Type Art vertraut gemacht wird. Auch auf kleine typografische Besonderheiten beim Erstellen von Vektor-Fonts wird eingegangen, was für manchen den Einstieg in diesen Bereich etwas leichter machen wird.

Die Type-Art-Arbeitsfläche paßt sich nach dem Start der Größe des benutzten Monitors an, wobei auch in höheren Zoom-Stufen die GEM-üblichen Scrollbalken ein von anderen Programmen gewohntes Arbeiten ermöglichen. Schon das Anwählen eines der Icons im Bearbeitungsfenster zeigt jedoch eine der Besonderheiten in der Bedienung dieses Editors. Hinter jedem Icon verbirgt sich ein Pop-Up Menü, das die zum jeweiligen Bearbeitungsmodus gehörenden Werkzeuge beinhaltet. Dieses Menü kann auf Mausklick überall im Fenster aufgerufen werden und erscheint umgehend an der aktuellen Mausposition. Extrem gewöhnungsbedürftig, aber auch genauso nützlich für die Arbeit am Großbildschirm. Da der reibungslose Umgang mit den Icons aber voraussetzt, daß deren Bedeutung auch bekannt ist, können für den ersten Einstieg Online-Hilfen gewählt werden, die zu jeder angewählten Funktion noch vor der Ausführung eine mehrzeilige Erklärung einblenden. Neben allen für Vektorzeichenarbeiten relevanten Werkzeugen können in den Pop-Ups auch einige geometrische Objekte (Dreieck, Ellipse usw.) direkt angewählt werden, die sich teilweise auch gleich mit einer zusätzlichen Outline konstruieren lassen.

In der Darstellung und Bearbeitung der Vektorobjekte geht Type Art anwenderfreundliche und zum Teil auch völlig neue Wege. Wird ein Stützpunkt oder eine Tangente auch nur „berührt“, ertönt ein akustisches Signal(!), und die entsprechende Linie wird mit allen dazugehörigen Punkten hervorgehoben dargestellt. Liegen mehrere Punkte über- oder dicht beieinander, werden die einzelnen Punkte automatisch und nach einer einstellbaren Zeitvorgabe nacheinander selektiert. Ein Mausklick fixiert dann das gewünschte Segment für die Bearbeitung (Einfügen, Kopieren, Projektionen usw.). Ein absolut exaktes Arbeiten ist durch dieses Verfahren gewährleistet, ohne daß „versuchsweise" Stützpunkte verschoben werden müssen, um z.B. Zugehörigkeiten zu erkennen. Auch in der Bearbeitung von Hilfslinien hat Type Art etwas Besonderes zu bieten: Hilfslinien werden nach Anwählen des entsprechenden Icons wie Vektorobjekte erstellt, mit allen hier zur Verfügung stehenden Werkzeugen. Es ist somit auch möglich, die konstruierten Hilfslinien als Vektorgrafik (was sie ja sind) abzuspeichern oder die Zeichen eines geladenen Fonts und auch importierte CVGs als Hilfslinien zu definieren. Diese werden beim Speichern eines Fonts im CFN-Format automatisch gesichert und bleiben so für die nächsten Sitzungen erhalten. Zur besseren Unterscheidung kann Punkten, Beziers, Linien und Tangenten auch eine Farbe zugeordnet werden, was bedeutet, daß Type Art auch in diesem Modus seine Dienste tut. In der aktuellen Version werden jedoch einige Grafikkarten noch nicht unterstützt, so z.B. die Coco/C 32 und C110 von Matrix; in den verschiedenen TT-Modi läuft Type Art jedoch einwandfrei.

Diese differenzierte Darstellung der Oberfläche und der zu bearbeitenden Objekte ist ohne Zweifel vorteilhaft, reicht aber für eine angemessene optische Kontrolle der erstellten Zeichen noch nicht aus. Type Art stellt Vektorobjekte, und in einem Font-Editor sind das nun einmal zu allererst Schriftobjekte, in der aktuellen Version nur als Outline-Pfad dar; eine Darstellung in gefüllter Form ist noch nicht möglich. Die Gesamterscheinung eines Zeichens läßt sich jedoch erst im Schwarzweißkontrast, sozusagen zwischen „innen und außen", korrekt beurteilen (ich denke hier beispielsweise an die Punzen beim „e" oder „o"). Wünschenswert wäre hier also eine auch gefüllte Darstellung von Vektorobjekten, die sich dann vielleicht sogar - wie in „Ikarus" oder auch im Calamus SL-Vektormodul - editieren ließe. Ein weiteres Problem tritt in diesem Zusammenhang fast zwangsläufig auf. Wird eine Vektorgrafik importiert, die in einer externen Software (Outline Art, Didot) schon mit Rasterungen versehen wurde, sind diese nach einer Bearbeitung in Type Art verschwunden bzw. werden durchgängig „schwarz" abgespeichert.

Bild 1: Das Type Art-Desktop. Die Werkzeuge der einzelnen Arbeitsmodi sind in Pop-Ups zusammengefaßt, die auf Klick an der Mausposition erscheinen.
Bild 2: Durch Feineinstellungen zur Zeichenerkennung liefert Type Art eine bessere Ausgangsbasis für die dann folgende Handarbeit (Zeile 1), als dieses bisher im reinen Stufen-Kerning möglich war (Zeile 2).
Bild 3a und b: Zur Kerning-Arbeit steht neben dem gut gefüllten Bearbeitungsfeld auch eine kleine Satzfunktion zur Verfügung, mit der ein Test-Text des gerade bearbeiteten Fonts in unterschiedlichen Größen dargestellt wird, Kerning-Änderungen werden dabei sofort übernommen.
Bild 4a: Der kurze Weg zur sauberen Vektor-Outline: Das Zeichen eines Fonts, aus einzelnen Segmenten zusammengesetzt.
4b: Vom Programm werden nacheinander alle sich überschneidenden Linien markiert ...
4c:... und gelöscht. Übrig bleibt ein sauberes Outline-Zeichen.

Font-Arbeit

Wie überhaupt im gesamten Programm, sind auch die Funktionen zur Font-Bearbeitung alternativ per Tastatur aufrufbar. Es genügt ein Klick auf die Tastatur, und das entsprechende Vektorzeichen des Fonts erscheint umgehend im Fenster. Gleich 2 Fonts können sich gleichzeitig im Speicher befinden, zwischen denen dann auch bei der Kerning-Bearbeitung hin- und hergeschaltet und beispielsweise verglichen werden kann. Geladen, bearbeitet und gespeichert werden können Vektorgrafiken (CVG) sowie alle Fonts im CFN-Format, auch serialisierte, CVGs können zudem wahlweise ins Arbeitsfenster oder direkt ins Clipboard geladen werden. Im 2.0-Update wird es möglich sein, zusätzlich alle Type-I-Schriften der PC- und Mac-Welt zu laden und ins CFN-Format zu konvertieren. Auch die in schier unendlicher Zahl erhältlichen Signum-Zeichensätze können dann via Type Art als Vektor-Fonts des Calamus Licht und Schatten erblicken! Für die reine Font-Arbeit sind in Type Art vier Bearbeitungsfelder vorhanden:

  1. Die Zeichensatzauswahl, eine Übersicht aller Zeichen des (oder der beiden) geladenen Fonts
  2. Die Fontbearbeitung. In diesem Bearbeitungsfeld können ausgewählte Bereiche eines Fonts in einen zweiten kopiert und auch eventuell fehlende Sonderzeichen („Ö“, „=“ usw.) und Umlaute (ä, ü, ö) automatisch (!) erzeugt werden. Type Art benutzt zu diesem Zweck die schon vorhandenen Zeichen und generiert dann z.B. aus und „A“ ein „Ä“. Genauso, wie man es auch in Handarbeit machen würde, geschieht es nun auf Knopfdruck. Mit den hier vorhandenen Funktionen können zudem, ohne daß man selbst zum Font-Schneider werden muß, aus vorhandenen Fonts gebrauchsfähige neue Fonts erstellt werden. Beispielsweise kann eine Kapitälchen-Schrift (nur Versalien, mit etwas größeren „Großbuchstaben“) auch für nicht Schriftkundige schnell entwickelt und als neue Schrift gespeichert werden.
  3. Die Einstellung der Ausrichtungslinien. Diese Linien können in Type Art für ein einzelnes Zeichen oder auch für den gesamten Font exakt gesetzt werden. Hier kann z.B. auch durch eine korrekte Ein Stellung des M-Squares - das sind die Begrenzungslinien, von denen alle Zeichen komplett umschlossen und nach denen im Calamus Zeichenhöhe und Zeilenabstand eines Textes errechnet werden - ein schon vorhandener, falsch eingestellter Font nachträglich neu berechnet werden.
  4. Das Kerning-Menü. Par excellence. Die hier mögliche Präzision ist selbst in den automatisierten Funktionen erstaunlich. Für das saubere Kerning eines rohen Fonts müssen generell einige Arbeitstage eingeplant werden: die Hohlräume einzelner Zeichen werden manuell eingestellt (z.B „C“, „K“), eventuell vorhandene Serifen sowieso, Rundungen eingezogen und die Unterschneidung problematischer Buchstabenpaare (z.B. „Ta“) gesondert behandelt. Aufgelockert wird das Ganze nur durch viele Probeausdrucke in den verschiedensten Größen und Test-Texten. Das hört sich schwierig und zeitintensiv an, es ist auch so. Nicht, daß Type Art all diese Arbeiten auf Knopfdruck erledigt - oder doch? Nach Aussage der Handbuchautoren wurden für Type Art Programmroutinen entwickelt, die das automatische Unterschneiden aller Zeichenkombinationen eines Zeichensatzes mit einer Zuverlässigkeitsquote von bis zu 98% ermöglichen. Wie kann so etwas bei einem mathematisch gar nicht richtig faßbaren Objekt wie der menschlichen Schrift möglich sein? Da in Handbüchern jedoch oft allerhand stehen kann, was auf dem Bildschirm dann partout nicht mehr nachvollziehbar ist, reizt so eine Aussage natürlich zu einer praktischen Überprüfung.

Zusätzlich zum in Font-Editoren üblichen Dickten-, Block- und Stufen-Kerning („Dickte“ bezeichnet die absolute Breite, „Stufen-Kerning“ beschreibt die konkreten Außenlinien eines Zeichens) bietet Type Art eine Feineinstellung zur Hohlraum-, Serifen- und Steigungserkennung der im Font verwendeten Zeichen an. Zu dieser können Prozentwerte eingegeben werden, nach denen beispielsweise die Hohlräume im „C“ oder „K“ oder auch Verjüngungen wie im „T“ erkannt und berechnet werden. Auch Serifen können um einen frei einstellbaren Wert beschnitten und bei runden Zeichen die Kerning-Treppe etwas eingerückt werden. Die Berechnung des gesamten Zeichensatzes geschieht dann nach den einmal eingestellten Werten vollautomatisch und dauert auf dem TT im Schnitt weniger als 30 Sekunden (Test mit SWISS 50,160 Zeichen belegt, 20 Sekunden)! Wie die Abbildung zeigt, liefert selbst die werkseitige Voreinstellung gute Ergebnisse. Man braucht nur einmal einen beliebigen Font in die beiden Font-Speicherplätze zu laden. und dann einen davon von Type Art nachkernen zu lassen. Der Vergleich zwischen beiden kann direkt in Type Art vorgenommen werden, wozu sich ein weiteres Fenster aus dem Kerning-Menü heraus öffnen läßt. In verschiedenen Darstellungsgrößen kann hier ein beliebiger Text eingegeben und auf Knopfdruck in den beiden vorhandenen Schriften angezeigt werden. Jede nachträgliche Kerning-Änderung einzelner Zeichen oder im Pärchen-Kerning-Modus wird sofort im Text realisiert.

Abrakadabra - Vektorenzauberei

Die wohl spektakulärsten Anwendungsmöglichkeiten von Type Art liegen in der Modifikation schon fertig vorliegender Zeichensätze. Hier gibt es eine ganze Reihe von Funktionen, die mich bei der ersten Arbeit am meisten beeindruckt haben, und die Type Art sicher für jeden, der viel mit Vektorschriften arbeitet, zu einem wichtigen Wekzeug werden läßt.

Faszinierend ist die Join-Funktion. Sie erledigt das „Entgraten“ solcher Schriftzeichen, die aus einzelnen Segmenten zusammengestückelt wurden. Wie Sie sicher selbst schon frustvoll erfahren haben, wird bei so gestalteten Fonts jedes einzelne Segment in einer Outline-Grafik genauso erbarmungslos gezeichnet, wie es beim Schneid-Plotter mitgeschnitten wird. Für solche Anwendungen sind diese Schriften also absolut wertlos - bis jetzt jedenfalls! Type Art berechnet bei diesen Zeichen die Schnittpunkte der sich überschneidenden Segmente und löscht in einem weiteren Schritt alle überflüssigen Linien innerhalb des Zeichens. Das Resultat ist ein sauberes Outline-Zeichen! Das hört sich vielleicht phantastisch an; im Ergebnis kann mit dieser Funktion aus allen sich überschneidenden Objekten eines Schriftzeichens oder einer importierten Vektorgrafik jeweils eine saubere Outline errechnet werden, wobei die Rechenzeit trotz der hier notwendigen umfangreichen Berechnung auf einem TT z.B. nur wenige Sekunden dauert!

Sehr schnell ist dieser Editor; kaum ein Arbeitsschritt, der nicht im Augenblick ausgeführt oder dargestellt wird. Mit der gleichen Join-Funktion lassen sich aber auch Objekte gegenseitig beschneiden, wobei ein Objekt quasi als Stanze fungiert. Noch einmal: die Rede ist immer noch von Vektorobjekten! In der 2.0-Version wird es zudem möglich sein, zusätzliche Outlines in einem frei definierbaren Abstand um oder in ein Objekt zu legen, wodurch unter anderem das Abspeichem echter Outline-Fonts in den jeweils gewünschten Stärken möglich ist. Auch für die Plott-Ausgabe bereitet es dann keine Probleme mehr, ein z.B. rotes Logo mit einer paßgenauen schwarzen Outline nacheinander auf Folie auszugeben.

Diese Funktion hat aber auch weitreichende Konsequenzen für die Font-Arbeit: unterschiedliche Schriftschnitte (light, medium, bold usw.) können dann von Type Art automatisch generiert werden! Inwieweit typografische Normen und ästhetischer Gesamteindruck erhalten bleiben, werden wir sehen. In der aktuellen Entwicklung ist dieses jedoch schon in einer eindrucksvollen Qualität möglich, wie die Beispiele zeigen. Zur „Effekthascherei“ mit Vektorobjekten beinhaltet Type Art ein Rechenformular, in das beiliegende Formeln geladen oder auch neue erstellt und gespeichert werden können. Wer jetzt vielleicht an das Programm „Outline Art“ der gleichen Firma denkt, denkt richtig. Nur ist die Handhabung und Ausstattung der Rechenfunktionen in Type Art um einiges besser gelöst worden; auch wenn das Handbuch in diesem Zusammenhang nur mit wenigen Beispielen aufwartet, die sich auch nicht so ohne weiteres auf andere Bereiche übertragen lassen. Objektprojektionen auf Kugel und Tonne, Drehen und Neigen sind per Knopfdruck auch ohne Formeleingabe auszuführen und werden, wenn gewünscht, gleich für den gesamten Font berechnet. Ganz bestimmt ist nicht jeder „Spiral-Kugel-Trapez-Schrift-Font“ typografisch innovativ und sinnvoll; zum Erstellen von Wortmarken oder grafischen Zeichen gleich den entsprechenden kompletten Font zur Verfügung zu haben - das ist schon was.

Rasterbilder und Vektorisierung

Rasterbilder akzeptiert Type Art nur im IMG-Format. Wozu Rasterbilder in einem rein vektororientierten Programm? Nun, das ist der Weg, auf dem die meisten Schriften und Zeichen ins Vektorformat kommen. Mit Stift und Papier wird ein Zeichen entworfen und als Pixelbild gescannt. Für die dann folgenden Arbeiten bietet Type Art ein eigenes Bearbeitungsfeld. Hier lassen sich die Scans den unterschiedlichen Zeichenhöhen (p, k, x-Linie) genau anpassen, so daß auch unterschiedlich groß gescannte Zeichen eines Alphabets ihren genauen Platz zwischen den Ausrichtungslinien einnehmen. Eine einmal vorgenommene Skalierung kann dann für alle folgenden Zeichen übernommen werden, die Proportionen bleiben erhalten. Damit aus den so aufbereiteten Pixel-Bildern auch schöne Vektoren werden, ist zur automatischen Vektorisierung mit Linien und Béziers das Modul „Speed Line“ integriert, das auch in Calamus SL seine Dienste leistet und sehr gute Resultate bringt (ST-Computer 9/91). Auch für die Eingabe über Grafiktabletts stehen die gängigsten Treiber zur Verfügung. Nachteilig wirkt sich hier, wie in der gesamten Vektorarbeit, die interne Bearbeitungsgrenze von maximal 256 Polygonen aus, was für einen einfachen Font-Editor ausreichen mag, den viel weitergehenden Fähigkeiten von Type Art aber eine spürbare Grenze setzt. Größere Objekte werden bei Überschreiten dieser Größe nur teilweise oder gar nicht geladen. Hier wird deutlich, daß Type Art in seinen Möglichkeiten zwar auf erheblich mehr angelegt ist alsein Font-Editor; dieses „Mehr“ dann aber zu bearbeiten und auszugeben, wieder auf Font-Editor-Niveau reduziert ist. Nach Auskunft der Programmautoren soll es derlei Ladebegrenzungen in Kürze denn auch nicht mehr geben.

Zur Ausgabe steht im Moment „nur“ ein Plotter-Modul zur Verfügung, serienmäßig! Mit dem Erscheinungstermin dieses Artikels wird auch ein Druckformular aufzurufen sein, in dem die ganz speziellen Bedürfnisse bei der Font-Erstellung (Kontrolldrucke) berücksichtigt sind: Font-Ausdruck in Outline oder gefüllt, mit Ausrichtungslinien, Kerning-Tabellen usw. Wer einen Schneid-Plotter besitzt, kann aus Type Art heraus hier erstellte Objekte oder importierte CVGs auf Folie ausgeben. Die einzigen, aber wichtigen Einschränkungen sind die schon erwähnte Limitierung der Objektgrößen und die Darstellung der Plot-Flächen in nur DIN-Formaten (bis AO). Für den gewerblichen Einsatz reicht das noch nicht aus. Innerhalb dieser Grenzen ist das Modul jedoch eine leistungsfähige Plotter-Software. was durch die Modifikationsmöglichkeiten in Type Art nur noch interessanter wird. Entsprechende Treiber liegen bei (z.B. für den „Camm 1“), andere können selbst editiert und abgespeichert werden.

Bild 5a: Out- und Inlines generiert Type Art in der jetzt kommenden Version automatisch. In Verbindung mit den Join-Funktionen lassen sich Objekte gegenseitig ausstanzen...
Bild 5b:... und in wenigen Arbeitsschritten zu sauber separierten Vektorobjekten zusammenstellen. Das exakte Ineinandersetzen von Z.B. mehrfarbigen Plot-Elementen ist so möglich.

Quo vadis

Gerade erst das Atari-Licht der Welt erblickt, und schon auf dem Weg zum Klassenbesten seiner Sparte: voll von nützlichen und sauber arbeitenden Funktionen, die es in dieser Software-Gattung zum Teil bisher noch nicht gegeben hat. Wer Vektorschriften selbst erstellt, wird an Type Art gar nicht mehr vorbeikommen. Aber auch diejenigen, die das eigene Font-Archiv um zusätzliche Fonts ergänzen oder vorhandene Schriften qualitativ verbessern oder auch überhaupt erst brauchbar machen wollen (ich denke hier z.B. an die Join- und Kerning-Funktionen), werden in Type Art ein sehr produktives und zuverlässiges Werkzeug finden.

Die weitere Entwicklung über die reinen Font-Editor-Arbeiten hinaus ist im Programm selbst ja eigentlich schon vorgezeichnet: umfangreiche Schriftbearbeitung, das Erstellen und Bearbeiten von Vektorgrafiken, Plot-Modul, demnächst gefüllte Darstellung und echte Farbverlaufsraster in definierten Zeichen (also keine Masken-Arbeiten wie in Outline Art), Text-Editor (ASCII-Import), Bearbeitung mehrerer Fenster gleichzeitig, Joblisten-Verwaltung im erweiterten Plott-Modul - ein Präzisionswerkzeug für alle vektororientierten Arbeiten tritt da in Erscheinung. Type Art einen „Font-Editor“ zu nennen, halte ich darum eher für eine Untertreibung. Es gibt nicht viel Software für den professionellen DTP-Bereich, die in sich stimmig ist, innovativ dazu und rundherum funktional: Type Art gehört dazu.

Bezugsadresse:
DMC
Nelkenstr. 2 W-6229 Walluf

6a, b, und c: Auch das Generieren mehrerer Schriftschnitte...
... aus einem einzigen vorhandenen Font übernimmt dann Type Art. Ein Zeichen des Ausgangs-Fonts,...
... in unserem Beispiel die „Souvenir medium“, sehen Sie in der Abbildung 6a. Andere Schnitte lassen sich nach frei einstellbaren Prozentwerten erstellen.

Jürgen Funcke
Aus: ST-Computer 12 / 1991, Seite 36

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite