Geliftet: REPRO STUDIOs neue Kleider

Fristeten frühere Versionen des REPRO STUDIO ST eher das Dasein eines Mauerblümchens, so bringt Trade It ihr Programm nun in einer ‘Pro’(für Professional)-Version mit erheblich erweitertem Funktionsumfang auf den Markt.

Im Verlauf des Tests zeigte sich, in wieweit es Trade It gelungen ist, mit ihrem Programm in die Spitze der Bildverarbeiter auf dem Atari ST/TT vorzustoßen und ob das Kürzel ‘Pro’ die Interpretation ‘PROfessionelles PROgramm’ oder eher ‘PROblematisches PROdukt’ verdient. Soviel vorweg: Diejenigen unter uns, die schon frühere Versionen des Repro Studios kennen, werden angenehm überrascht sein.

Neues Outfit

Das Programm wurde optisch und programmtechnisch komplett überarbeitet. Dieses war auch sehr nötig; fand man doch in älteren Programmversionen Funktionen wie z.B. ‘Linie zeichnen’ noch in den Pull-Down-Menüs(!), welche nun in der neuen Version (im folgenden RSTpro genannt) neben globalen Voreinstellungen sämtliche Funktionen zum Datei-Handling sowie zur Bilddatenein- und -ausgabe verwalten. Übersichtlich auf fünf Modulblöcke verteilt, befinden sich jetzt die Werkzeuge für folgende Funktionsbereiche: Zeichnen, Block, Retusche/Filter, Graustufenmanipulation und Vektorbearbeitung. Die Icons - in ‘augenfreundlicher’ Größe - sind zumeist recht aussagekräftig, so daß man sich im Programm recht schnell zu Hause fühlt. Im unteren Bereich eines jeden Moduls hat der Benutzer zu jeder Zeit Zugriff auf die Graustufenpalette, die Werkzeuggröße, die Regler für Helligkeit und Kontrast sowie auf einige weitere Funktionen und Schalter. Hier ist die Beschriftung jedoch etwas unglücklich geraten; so stehen z.B. die Kürzel ‘VP’ für ‘Vektorobjekt als Zeichenpfad’ und ‘V’ für ‘Vektorobjekt in Bitmap’.

Die Dialogboxen wurden optisch auf den Stand der Zeit gebracht und lassen sich sehr angenehm bedienen; der Anwender nimmt fast sämtliche Einstellungen mittels Radio-Buttons, Check- und Pop-Up-Boxen vor.

Der Datenaustausch mit anderen Programmen gestaltet sich problemlos: RSTpro im- und exportiert die wichtigsten auf dem ST gängigen Grafikformate, wie z.B. TIFF und Gern Image. Das RSTpro-eigene RPS-Format, welches neben dem Halbtonbild auch die verwendeten Masken, Vektorgrafiken und Paletten enthält, wird wahrscheinlich schon bald direkt in den Calamus SL einzulesen sein. Außerdem lassen sich Calamus-Vektorgrafiken in geöffnete Fenster importieren, weiterverarbeiten und auch wieder im CVG-Format exportieren. Als Eingabegeräte kommen in erster Linie Scanner zum Einsatz; angefangen von den leistungsstarken firmeneigenen Handy-Scannern bis hin zu hochwertigen Flachbett-Scannern diverser Anbieter (Epson, Logitech, Sharp...). Die Druckausgabe erfolgt wahlweise über Laser- oder Nadeldrucker (ATARI Laser, HP Laser-jet, NEC...); auch für die Farbsublimationsdrucker von Mitsubishi sind Druckertreiber erhältlich. Vor dem Ausdruck läßt s ich über 4 sog. LUT-Diagramme der Tonwertzuwachs frei definieren. Diese Option w irkt sich nicht auf den Bildschirm aus, sondern wird erst beim Ausdrucken bzw. beim Rastern und Speichern des Bildes aktiv und dient somit der Druckoptimierung.

Das Handbuch ist vom Verhältnis Inhalt/Umfang als ausgewogen zu bezeichnen. Die diversen Funktionen werden ausreichend detailliert erläutert und durch nützliche Hinweise und Tips aufgelockert; allenfalls die Abbildungen sind manchmal etwas zu klein geraten. Angefangen bei der Installation und einer Quick-Referenz, gefolgt von separaten Erläuterungen zum Monochrom- bzw. Halbtonmodus bis hin zum Glossar und einem ausführlichen Index erfährt der Benutzer alles Wissenswerte über Programm und Peripherie.

Abb. 1: Die Pull-Down-Menüs von REPRO STUDIO ST pro
Abb. 2: Die diversen Funktionen und Werkzeuge wurden übersichtlich auf fünf Modulblöcke verteilt.

Werkzeugkasten

RSTpro ist - für ein EBV-Programm - sehr reichhaltig mit Werkzeugen ausgestattet, die eher typisch für ein monochrom arbeitendes Grafikprogramm sind: so findet man neben Freihandlinien und Polygonzügen auch Ovale, Rauten, Parallelogramme und sogar Bezier-Kurven. Diese Zeichenfunktionen haben jedoch zwei zusätzliche Aufgaben: einerseits lassen sie sich in Graustufenbildern als normale Zeichenwerkzeuge benutzen, andererseits kann man sie aber auch zum Erzeugen von Masken einsetzen. Sogar die Sprühdose läßt sich zur Maskengenerierung heranziehen, wodurch z.B. interessante Überblendeffekte beim Kombinieren von Scans möglich sind. Ist der Schalter ‘Funktionen ausweiten’ aktiv, scrollt der Bildschirm bei Erreichen des Fensterrandes automatisch weiter, wodurch der Aktionsradius der Zeichenwerkzeuge nicht nur auf den sichtbaren Bildschirmausschnitt begrenzt ist. Um auch Bilddateien bearbeiten zu können, die nicht mehr in den Arbeitsspeicher des Rechners passen, lagert RSTpro Bildteile, die gerade nicht benötigt werden, virtuell auf Festplatte aus. Im Extremfall könnten so auch Grafiken bearbeitet werden, die 100 MB und größer sind, natürlich genügend Plattenkapazität vorausgesetzt.

RSTpro stellt einen UNDO-Puffer bereit, in den jederzeit durch Druck auf die Space-Taste der aktuelle Bildschirminhalt ‘hineingesichert’ werden kann, um bei Bedarf das ganze Bild oder mittels des ‘Teil-Undo’-Werkzeuges auch beliebige Teile des Bildes zu restaurieren. Durch wiederholtes Betätigen der Undo-Taste läßt sich zwischen dem aktuellen Bild und dem Undo-Puffer hin und her schalten. So lassen sich das ’Original’ und die manipulierte Version bequem miteinander vergleichen. Übrigens existiert auch für die Maske ein Undo-Puffer, welcher mittels Shift-Space aufgefrischt wird. So können auch Fehler bei der Maskenerstellung schnell wieder behoben werden.

Blockiert...

RSTpro unterscheidet rechteckige Blöcke und sog. Lassos. Während die normale Blockfunktion ausschließlich rechteckige Bildbereiche ausschneidet, kommt das Lasso in Verbindung mit der Maske zum Einsatz und ermöglicht das Ausschneiden unregelmäßig geformter Blöcke. Einmal definiert, lassen sich die Blöcke auf vielfältige Art und Weise manipulieren; z.B. drehen um beliebige Winkel, spiegeln, skalieren, invertieren und verzerren. Sogar die Projektion auf eine frei editierbare Sinuskurve ist möglich. In Kombination mit der Verzerrfunktion lassen sich hiermit z.B. im Wind flatternde Fahnen oder -wie in der Beispielmontage - gewelltes Papier spielend realisieren. Bildteile, die sich im Blockpuffer befinden, lassen sich natürlich auch in andere Fenster einmontieren; die Transparenz läßt sich vorher stufenlos einstellen. War der Block als Lasso definiert, werden seine Umrisse -bei aktiviertem Masken-Weichzeichner -beim Einsetzen ins Zielbild automatisch geglättet und dem Zielbild angepaßt.

Sämtliche zur Bildbearbeitung notwendigen Retuschewerkzeuge und Filter sind in einem gemeinsamen Modul untergebracht. Neben dem Schwamm, der dazu dient, Graustufenübergänge zu verwischen und harte Konturen und Kontraste aufzuweichen, sind hier ein Spachtel zum Aufhellen bzw. Verdunkeln von Bildteilen, ein Marker und diverse andere Malwerkzeuge vorhanden. Mit dem Finger-Werkzeug lassen sich Grauwerte in andere Bildbereiche ‘hineinschmieren’ und so gezielt Feinheiten heraus arbeiten. Für ziemlich überflüssig halte ich den Wasserpinsel. Dessen Verhalten erinnert zwar durchaus an das reale Vorbild, ein sinnvolles Einsatzgebiet für dieses Werkzeug kann ich mir jedoch beim besten Willen nicht vorstellen. Als sehr hilfreich dagegen erweist sich das sog. ‘partielle Undo’: mit diesem Werkzeug lassen sich Manipulationen an der Grafik in beliebigem Umfang wieder rückgängig machen; vorausgesetzt, man hat den Undo-Puffer, auf dessen Bildinformationen hierbei zurückgegriffen wird, rechtzeitig aktualisiert. Demselben Zweck dient auch die Undo-Sprühdose, hier jedoch mit einem Airbrush-Effekt.

Diverse Filterfunktionen ermöglichen globale bzw. durch Block und/oder Maske lokal begrenzte Bildmanipulationen wie z.B. Weichzeichnen, Verwaschen, Schärfen, Konturieren oder Aufrauhen. Besondere Erwähnung verdient hier der sog. ‘freie Filter’. Mit seiner Hilfe ist es z.B. möglich, Reliefeffekte zu erzeugen. Hierbei scheinen dunkle Flächen ‘erhaben’ aus dem Bild herauszutreten, wie man in dem zweiten Beispielbild (RSTpro-Schriftzug) gut erkennt. Auch die Monochromfilter sollten nicht unerwähnt bleiben: Mit ihrer Hilfe lassen sich Bitmap-Grafiken z.B. glätten, konturieren und die Linienstärken ausdünnen bzw. verstärken. Sämtliche Filterfunktionen arbeiten erfreulich schnell. Dasselbe gilt übrigens auch für den Bildschirmaufbau, der ebenfalls sehr flott vonstatten geht.

Abb. 3: Gradationsveränderungen lassen sich entweder freihändig oder mittels Bézier-Kurven bestimmen.
Abb. 4: Auswahl aus 256 Graustufen bzw. Farben

Maskiert...

Um Bildmanipulationen auf bestimmte Graustufen bzw. Bildbereiche zu begrenzen, bietet RSTpro diverse Möglichkeiten, Masken zu erzeugen. Beim Einsatz einer Grafikkarte erscheint die Maske übrigens transparent rot, wodurch auch die Bildteile noch gut erkennbar sind, die von der Maske bedeckt werden. Neben der Möglichkeit, die Maske manuell bzw. unter Zuhilfenahme der Monochromwerkzeuge zu zeichnen, bietet RSTpro auch ‘automatische Masken’ an. So z.B. die ‘Maske durch Zaubers tab’, die benachbarte Graustufen maskieren soll. Diese Funktion sollte man jedoch schnell wieder vergessen, da sie extrem langsam und ineffektiv arbeitet. Es geht jedoch auch anders: so z.B. mit der Funktion ‘Maske zwischen Graustufen’. Nach Festlegen eines Graustufenbereiches - dies geschieht durch Überstreichen mit der Maus - werden die in diesem Bereich liegenden Graustufen automatisch maskiert. Sollten noch Grauwerte fehlen, wiederholt man ganz einfach diese Prozedur; die neugefundenen Maskenteile werden der ‘alten’ Maske dann hinzugefügt. Um im Beispielbild den Oberkörper vor dem Hintergrundverlauf zu schützen, wählte ich eine Kombination aus manuellem und automatischem Maskieren, was insgesamt sehr zügig vonstatten ging.

Im gleichen Modul befinden sich auch die sog. LUT-Funktionen zur Manipulation der Gradationskurve. Bei Einsatz einer Grafikkarte sieht man deren Änderungen in Echtzeit auf dem Bildschirm; das gleiche gilt für Änderungen von Helligkeit und Kontrast! Dieses Feature, welches man schon bald nicht mehr missen möchte, ermöglicht eine unmittelbare Ergebniskontrolle. REPRO STUDIO ST pro arbeitet übrigens auch in der ‘Graustufen-Version’ mit Farbe, allerdings nur begrenzt. In der Graustufen- bzw. Farbpalette lassen sich über drei RGB-Regler beliebige der 255 Grauwerte mit Farben belegen. Wenn auch diese Option aus RSTpro noch lange kein ‘Farbretusche-Programm’ macht, so ist sie zumindest für Schmuckfarben und farbige Beschriftungen sehr gut zu gebrauchen.

Auch Verläufe sind für RSTpro kein Problem. Neben vertikalen und horizontalen Verläufen beherrscht RSTpro auch Kreisverläufe. Da die Graustufen der Verläufe nicht automatisch verrauschen, können unter ungünstigen Umständen Stufen sichtbar werden. Daher sollte man die Verläufe im Anschluß mit einem Unschärfe-Filter behandeln. Als sehr effektvoll erweist sich die Wiederholfunktion der linearen Verläufe; hierbei legt man nach dem Umriß des Verlaufs den Abstand fest, mit dem sich der Verlauf bis zum Ende wiederholt. So auch geschehen in meiner Beispiel-Grafik, wo der Effekt sehr an ein Fensterrollo erinnert. Leider lassen sich die Verläufe nicht in einem freien Winkel erzeugen; diese Funktion wird einem späteren Update Vorbehalten sein (ebenso wie die freie Definition des Verlaufsursprungs bei Radial Verläufen).

Abb. 5: Die Wandlungs- und Rastermöglichkeiten für die Bilddatenausgabe
Abb. 6: Auch Beschriftungen sind in RSTpro kein Problem

Auf Vektor-Pfaden...

Importierte Vektorgrafiken können manipuliert bzw. neue Grafiken erstellt werden. Hierzu lassen sich über ein kleines Pop-Up-Menü geometrische Grundfiguren erzeugen oder freie Linien und Bezier-Kurven zeichnen. Neben den Standard-Vektorfunktionen wie z.B. Punkte setzen/löschen und Pfade auftrennen/verbinden lassen sich Linien und Bezier-Kurven tauschen sowie Gruppen bilden und auflösen. Jedem Vektorobjekt kann eine beliebige Linienstärke sowie eine der 256 Graustufen in Verbindung mit einem Füllmuster zugeordnet werden. Leider werden die Objekte nach jeder Manipulation komplett neu gezeichnet. Da das Vektormodul ohnehin etwas ‘gemächlich’ zur Sache geht, sind Wartezeiten leider die Regel. Das Vektormodul bietet weiterhin die meines Wissens einzigartige Funktion, bis zu vier sog. ‘freie’ (also nicht lizensierte) Calamus-Fonts zu laden und (nicht nur) zur Titelgenerierung zu verwenden. In einem separaten Fenster verfolgt man in Echtzeit das Vergrößern und Drehen des jeweiligen Fonts; selbst ein Schatten läßt sich in beliebiger Richtung setzen. Nach dem Festlegen der Textattribute wird dann der eigentliche Text in einem leider sehr spartanisch ausgefallenen Zeileneditor eigegeben, der jedoch für Headlines und kleinere Texteinblendungen ausreicht. Leider ist es noch nicht möglich, Sonderzeichen einzugeben, die nicht auf der Tastatur liegen. Nach Betätigen der Escape-Taste erscheint der Text dann im Grafikfenster, wo er weiter ‘behandelt’ werden kann. Trommel- und Kugelprojektionen sowie freies Verzerren seien hier nur zwei Stichworte. Auf diese Weise entstand auch der ‘Graffiti’-Schriftzug in dem Beispielbild, den ich halbtransparent auf die Mauerstruktur gelegt habe. Es ist ebenfalls möglich, Zeichenwerkzeuge und Maskierstifte entlang von Vektor(text)pfaden laufen zu lassen, was weitere kreative Möglichkeiten eröffnet. Dank der (begrenzten) Farbmöglichkeiten von RSTpro lassen sich übrigens auch farbige Vektorgrafiken leicht realisieren und effektvoll mit Graustufenbildem kombinieren.

Abb. 7: Die Verlaufsrasterdialogbox von RSTpro

Ausblick und Fazit

Trade It plant zur CeBIT ’92 die Fertigstellung einer 24-Bit-Farbversion des REPRO STUDIOs, die um spezielle Funktionen zur Farbbildverarbeitung erweitert sein wird. Neben Geschwindigkeitsoptimierungen wird auch an einem Vektorisierungsmodul sowie an diversen externen Modulen getüftelt; denkbar wäre hier z.B. ein Vermessungsmodul für Luftaufnahmen. Realität ist bereits ein separates ‘Post-Script-Modul’; zum Preis von 498,- DM ermöglicht dieses die direkte Bildformat-Wandlung in PostScript, GEM3 und viele andere Formate.

Wer momentan sowohl gescannte Graustufen- als auch Monochrombilder weiterverarbeiten und für die Übernahme in einen Publisher bzw. die Direktausgabe auf einen Drucker auf bereiten möchte, dem kann ‘REPRO STUDIO ST pro’ in der aktuellen Version guten Gewissens empfohlen werden. Kleinere Schwächen (z.B. Geschwindigkeit des Vektormoduls) werden durch andere Features (z.B. die flexible Blockbearbeitung) ausgeglichen. Der Preis scheint mir mit 998,- DM nicht zu hoch angesetzt. Will man am Bildschirm mit ‘echten’ Graustufen arbeiten, muß man jedoch noch weitere 98,- DM für einen GEM-Grafikkartentreiber bzw. 198,- DM für einen speziellen TT-Bildschirmtreiber hinzurechnen. Letztgenannter hat es aber in sich: im 16-Farben-Modus des TT (Auflösung 640 x 480) stellt RSTpro dank trickreicher Programmierung 256 Graustufen dar; selbst die Maske erscheint noch transparent rot! Als Ausgleich für diese zusätzlichen Kosten liefert Trade It auf den Programmdisketten bereits diverse Scanner- und Druckertreiber mit, so daß einem sofortigen Start in die Welt der elektronischen Bildverarbeitung nichts im Wege steht.

Abb. 8A: Vorher...
Abb. 8B: ...nachher!

Bezugsquelle:
Trade It
Arheilger Weg 6
W-6101 Roßdorf


Matthias Ficht
Aus: ST-Computer 12 / 1991, Seite 30

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