Gehörbildung - Musikunterricht mit dem Atari ST

Bild 1: Das Hauptmenü im Intervalltraining

Der Computer dringt heute in alle Lebensbereiche des Menschen ein, da er sich als ein äußerst vielseitiges Werkzeug zur Bewältigung unzähliger Aufgaben erwiesen hat. Er wird mehr und mehr auch für musikalische Zwecke eingespannt, vor allem in Verbindung mit elektronischen Musikinstrumenten. Viele Atari-Programme beweisen das.

Jeder, der Spaß an der Musik hat, hat sicherlich schon oft die Überlegung angestellt, Musikunterricht zu nehmen. Die Suche nach einem tauglichen Musikprogramm war meistens vergebens. Ach was war’ es doch schön, sich zu Hause hinsetzen zu können, wann immer es einem beliebt, und dabei noch effizient lernen zu können. Diese Möglichkeit soll jetzt geschaffen werden, nämlich mit einem Musiklernprogramm von B.Schott’s Söhne, Mainz mit dem Titel „Gehörbildung“. Es ist im Musikalien-Fachhandel erhältlich. Den Update-Service übernimmt Herr Dr.Bernd Enders von der „CAMI“. CAMI ist die Abkürzung für „Computer Aided Music Instruction“. Zu deutsch: rechnerunterstützter Musikunterricht.

Lieferumfang

Das mir vorliegende Programm besteht aus 4 Disketten. Auf jeder befinden sich das Startprogramm (STARTER.PRG) und ein Kurs.

Folgende Trainingsteile gehören zum Lieferumfang:

Trainingsteil 1 : INTERVALLE SMS 101
Trainingsteil 2 : SKALEN SMS 102
Trainingsteil 3 : RHYTHMEN SMS 103
Trainingsteil 4 : AKKORDE SMS 104

Weitere Aufbaukurse sind in Kürze zu erwarten, waren jedoch zur Zeit des Druckes leider noch nicht verfügbar.

Trainingsteil 5 : MELODIEN SMS 105
Trainingsteil 6 : KADENZEN SMS 106
Trainingsteil 7 : TANZRHYTHMEN SMS 107
Trainingsteil 8 : SATZELEMENTE SMS 108

Das DIN-A5-Handbuch ist klar gegliedert und in einem sehr gut verständlichen Deutsch geschrieben. Nach einmaligem Lesen kann man es getrost zur Seite legen. Es werden für Atari- und MIDI-Anfänger viele Tips gegeben, so daß eigentlich jeder auf Anhieb klarkommen sollte. Lobenswerterweise ist das Programm nicht softwaregeschützt. Eine Sicherheitskopie ist ohne Probleme anzufertigen, (sollte man auf jeden Fall tun). Softwaregeschützte Programme bringen doch all zu oft Probleme mit sich. Man denke nur an die Installation auf einer Festplatte. Beim Testkandidaten muß allerdings bei ausgeschaltetem Computer ein „KEY“, auch „DONGLE“ genannt, in den ROM-Port gesteckt werden. Der ROM-Port befindet sich rechts neben den beiden Midi-Anschlüssen des Atari-ST. Liegt der Atari auf dem Kopf, ist er links daneben. Aber die Speichererweiterung können wir später auch noch einbauen. Also wieder richtig hinstellen - womit wir bei der Hardware wären.

Bild 2: Gehörschulung durch Intervalltrainer

Hardwarevoraussetzungen

Benötigt werden ein Atari ST mit mindestens 1 MB und ein Monochrombildschirm. Optional ist eine Festplatte von Vorteil. Dies ist aber kein Muß. Dasselbe gilt für einen Drucker und ein MIDI-Keyboard. Letzteres ist auf jeden Fall zu empfehlen, da der Atari-Soundchip nicht mehr als 3 Töne gleichzeitig erzeugen kann. Zur Gehörbildung gehören nun mal auch Akkorde mit mehr als 3 Stimmen, und das kann ein Synthesizer nun mal besser. Geeignete Geräte gibt es wie Sand am Meer. MIDI-IN und MIDI-OUT sollten vorhanden sein. Die Verbindung wird wie folgt vorgenommen: MIDI-OUT (Atari) zum MIDI-IN (KEYBOARD), MIDI-IN (Atari) zum MIDI-OUT (KEYBOARD) Die MIDI-Ausgabe des Atari erfolgt in diesem Fall auf Kanal 1. Der Anschluß eines Expanders (Synthesizer ohne Tastatur) ist im Handbuch beschrieben.

Zum ersten Kurs - Intervalle - benötigt man die Diskette SMS 101 -Intervalle. Nach dem Starten durch Doppelklick auf „STARTER.PRG“ erscheint eine Personalienbox. Sind alle Angaben gemacht, gelangt man zur ersten Menüseite. Hier wird Intervall- oder Zweiklangtraining ausgewählt. Ist dies geschehen, öffnet sich das Hauptmenü (Bild 1). Mit dem Gehörtraining „Intervalle“ kann der Lernende das Hören von Intervallen auf zwei Arten üben: simultan (gleichzeitig erklingend) und sukzessiv (aufeinander folgend). Das sichere Erkennen von Intervallen legt die unverzichtbaren Grundlagen für das musikalische Hören von melodischen harmonischen Zusammenhängen. Ein Einführender Informationsteil und Melodiebeispiele sind ebenfalls enthalten. Die sukzessiven Übungen können noch ohne Beanstandungen mit dem SM 124 durchgeführt werden. Die simultanen Höraufgaben sollte man auf jeden Fall in Verbindung mit einem MIDI-Keyboard durchführen. Um sich nicht immer wieder an neue Sounds gewöhnen zu müssen, wird ein Pianoklang empfohlen, der während aller Kurse beibehalten wird. Wie die Eingabe eines Lösungsvorschlages vor sich geht, ist in Bild 2 zu sehen.

Wer meint, er könne sich während der Kurse einen lauen Lenz machen, der irrt. Erfolgt nach ca. einer Minute keine Eingabe, ertönt ein Signalton, und es erscheint ein Schriftzug "Hallo, bitte weitermachen". Die gesamte Benutzerführung erfolgt durch Hilfstexte (darum benutzt man auch das Handbuch nicht mehr) und Grafiken. Alle Beurteilungen der absolvierten Übungen werden durch nette, immer wieder wechselnde Texte aufgelockert. Beurteilt wird nach einem Punktesystem. Je nachdem welches Alter in die Personalienbox (s.o.) eingetragen wurde, behandelt das Programm den Benutzer anders, zum Beispiel ist bei einem 11jährigen die Anrede „Du“. Gehörbildung paßt sich immer den Leistungsstufen an. Schwierigkeitsgrade können vorgegeben werden und geht mal alles schief, wird man durch einen Buchtip auf die entsprechende Fachliteratur hingewiesen. Längere Hilfstexte lassen sich, wenn auch nur recht langsam, scrollen. Wer sein Alarm-Clock-Accessory installieren möchte, hat Pech (pP). Eine Menüleiste ist leider nicht vorhanden. Dafür wird man aber immer wieder durch Animationen und schöne Grafiken entschädigt. Die Kurse bieten wirklich eine Menge Know How, was mit einem Preis von ca. 400,- DM teuer bezahlt wird. Das Preis/Leistungsverhältnis ist sicherlich ok, wenn man bedenkt, wieviele Fachkräfte an der Entstehung einer solchen Musiklektion mitgewirkt haben müssen. Ob dieses Programm seine 400,- DM wert ist, muß jeder für sich selber entscheiden. Sollten diese Kurse den Unterricht wirklich ersetzen, sind die Kosten schnell wieder drin. Den Kauf aus „Just for Fun“-Gründen, werden sich wohl nur die Besserverdiener leisten können. Hier auf alle Einzelheiten der Lektionen einzugehen, würde bei weitem den Rahmen eines Testberichtes sprengen. Im Kern haben alle Kurse den gleichen Aufbau, so daß eine schwierige Umgewöhnung von Trainingsprogramm zu Trainingsprogramm nicht befürchtet werden muß.

Skalen

Skalen übt das Erkennen von Tonleitern, um die musikalischen Grundlagen für das Hören von melodischen Zusammenhängen zu legen. Als Übungsmaterial werden fünftönige Tonleiterausschnitte und acht-tönige Skalen in den Vorübungen sowie bekannte Tonleitern, unter anderem Kirchentonleitern, im Hauptteil verwendet. Verschiedene Stimmungen der Tonleitern sind hier über Midi nicht realisierbar. Dies ist nur mit speziellen Keyboards möglich, bei denen „Microtune-Tables“ programmiert werden können: Phytagorean, Werckmeister, Kirnberger, Vallotti & Young; um hier nur einige zu erwähnen.

Rhythmen

Mit dem dritten Kurs übt man das Hören zufällig ausgewählter und vom Programm erzeugter Rhythmen, die in verschiedenen Taktarten, mit steigenden Tempi und wachsenden Schwierigkeitsgraden erklingen. Auch hier sind Informations- und Übungsteil enthalten. Als Höraufgaben dienen bekannte Volkslieder und Popsongs.

Akkorde

Akkorde trainiert das Hören von wichtigen Akkordtypen, Akkordumkehrungen und Akkordlagen. Das Hören und Erkennen von Akkorden gilt als eine wichtige Grundlage für die musikalische Erfassung harmonischer Zusammenhänge. Spezielle Kursteile sind dem Erkennen von typischen Jazzakkorden und dem Hören von Akkordzusammenhängen gewidmet.

Weitere Aufbaukurse

Weitere Aufbaukurse sollen wie oben beschrieben, in Kürze erhältlich sein.

Fazit

„Gehörbildung“ ist ein durchaus geeignetes Mittel, um Anfängern oder alten Hasen eine erweiterte musikalische Wissensbasis zu schaffen. Animationen, Grafiken und Texte beleben die doch recht trockene Materie. Manchmal wäre mir allerdings ein klares „richtig“ oder „falsch“ lieber, da die abwechslungsreichen Bemerkungen den Anwender bei seinen Lernübungen auch ablenken können. Die fehlende Menüleiste ist sicherlich für die „Accessory“-Freunde unter uns ein Manko, schmälert jedoch in keiner Weise die Funktion und den Sinn der Gehörbildung. Eine flexible, jederzeit veränderbare Midikanaleinstellung sollte Bedingung sein, da somit das lästige Umstöpseln der Midikabel von Keyboard zu Keyboard entfällt. Es soll Leute geben, die mehr als einen Synthesizer Ihr eigen nennen. Um der Pingeligkeit noch einen letzten Dienst zu erweisen, möchte ich auf das mir persönlich zu langsam erscheinende Scrollen mancher Hilfstexte hinweisen. Time is money. Alles in Allem ist hier ein gutes Zeugnis auszustellen, wobei zu bedenken ist, daß die Entwickler Pionierarbeit geleistet haben. Vergleichbare Programme sind mir nicht bekannt, obwohl der Gedanke solcher Computerschulungen sicherlich schon älter ist. Der eine oder andere Programmierer hat die Thematik bestimmt schon in Angriff genommen, und das ist auch gut so. Die Konkurrenz schläft nicht.

CAMI-GROUP Wilhelm-Mentrup-Weg 10 W-4500 Osnabrück


Wolfgang Weniger
Aus: ST-Computer 11 / 1991, Seite 62

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