Interview mit Alwin Stumpf: Quo Vadis, Atari?

*lat.:"Wohin gehst Du?”

Anläßlich der Atari-Messe in Düsseldorf nahmen wir die Gelegenheit wahr, ein Interview mit Alwin Stumpf, President Worldwide Sales bei Atari, über Atari selbst, seine Weiterentwicklung und den Rest der Atari-Welt zu führen.

ST-Computer: Herr Stumpf, die erste Frage liegt eigentlich auf der Hand: Wieso gab es keine Pressekonferenz?

A. Stumpf: Das geschah zum einen aus Zeitmangel, zum anderen haben wir uns im gegenseitigen Einvernehmen von Harald Weiß als Pressebüro getrennt. Die Art und Weise, wie wir in den letzten Jahren hier die Pressekonferenz und das Pressefrühstück gemacht haben, hat mir nicht so ganz gefallen. Ich hatte genau zweieinhalb Tage Zeit, mich auf die Situation einzustellen, und aufgrund vieler interner Meetings haben wir es in diesem Jahr fallengelassen und lieber das Einzelgespräch gesucht. Wir werden uns im nächsten Jahr etwas Neues überlegen.

ST-Computer: Dieses formelle Schweigen, also der Ausfall dieses Pressefrühstücks sowie das Fehlen einer jeden Pressekonferenz, hat manchen zu dem Schluß verleitet, daß Atari nichts Neues, nichts mehr zu sagen hat.

A. Stumpf: Wir haben eine ganze Menge zu sagen, wir haben in den letzten sechs, sieben Monaten viel zu wenig gesagt, was eigentlich los ist. Insofern hätte ich gern eine Pressekonferenz abgehalten, aber das ist mehr eine interne Geschichte zwischen uns und Weiß. Um es ganz einfach auf einen Nenner zu bringen, vielleicht habe ich es etwas falsch eingeschätzt. Aufwand und Nutzen war für mich stark außerhalb des Gleichgewichts.

ST-Computer: Gut, wenn Sie am Pressefrühstück sparen müssen ...

A. Stumpf: Das hat nichts mit am Pressefrühstück sparen müssen zu tun. Das ist absoluter Blödsinn. Bei den 1,2 Millionen, die diese Messe kostet, würden die 20.000 Mark für solcherlei Veranstaltung nicht mehr ins Gewicht fallen.

ST-Computer: Da haben Sie recht. Sie sagten, Sie haben monatelang zu wenig gesagt, und dann erzählen Sie auf dieser Messe offiziell von verkauften Produktionsstätten.

A. Stumpf: Das ist doch als offizielle Pressenotiz schon vor zwei Monaten durch die Lande gegangen.

ST-Computer: Trotzdem hat das bei vielen eingeschlagen.

A. Stumpf: Das wundert mich, denn das war eine Diskussion, die innerhalb des Atari-Umfeldes eigentlich seit langem bekannt war. Das haben wir schon auf der Hannover-Messe-Pressekonferenz gesagt. Offiziell. Damals waren die Verträge noch nicht unterschriftsreif. Ich meine, die Begründung ist ja auch ganz einfach: Wir sehen das eher als einen sehr, sehr geschickten Zug. Wir haben dadurch wesentlich flexiblere Fertigung an vielen Stellen. Wir sind ja nicht ohne Fertigung. Was hier jetzt groß diskutiert wird, praktizieren auch Firmen wie Tandon zum Beispiel, die überhaupt nie eigene Fertigungsstätten hatten, oder auch Commodore, die über 80% ihrer Fertigung fremdproduzieren, selbst IBM produziert keine PCs. Vielleicht sehen wir das auch etwas zu locker, weil es Industrie-Usus ist.

ST-Computer: Ist jetzt nicht gerade der Umstieg von der eigenen Produktion auf eine Fremdproduktion sehr problematisch,...

A. Stumpf: Natürlich ist das problematisch.

ST-Computer:... wo der Markt gerade jetzt die Geräte verlangt, z.B. die neuen TT-Geräte.

A. Stumpf: Völlig klar, das ist ein Gewaltakt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Aus der Sicht des Händlers, des Endkunden ist das Problem noch nicht ganz gelöst.

Selbst TTs sind in dieser Woche wieder verfügbar. Wir haben Rückstände, aber die sind nicht dramatisch.

ST-Computer: Man spricht auch von hohen Ausfallraten.

A. Stumpf: Hier in Deutschland ist ein Fehler passiert, der nicht hätte passieren sollen. Aufgrund der zeitweiligen Knappheit der Geräte hat man - übrigens mit Zustimmung der Händler - sich auf das Abenteuer eingelassen, eines mehrfach zu reparieren und immer wieder in die Schleife zu schicken. Dadurch jubeln Sie jede Statistik hoch. Das war ein ganz eindeutiger Fehler, das ist sicherlich etwas, das, wenn ich hier gewesen wäre, nicht passiert wäre.

ST-Computer: Sie pendeln jetzt ja zwischen USA und hier, und es sind derzeit mehrere Personen für Atari Deutschland zuständig. Fehlt da nicht eine Führungsperson, die das Heft in der Hand hält?

A. Stumpf: Das mag scheinbar so sein. Wie alles, was im Augenblick bei Atari passiert, wird natürlich in einem enger werdenden Markt - und der Branche geht es ja nun wirklich nicht gut, und es gibt eine Menge Leute, denen es einen ganze Ecke schlechter geht als uns - begierig aufgenommen und ausgeschlachtet. Das ist immer so, wenn es nicht boomt. In einer Boom-Phase hätten sie das überhaupt nicht gemerkt. Ich bin aber ganz zufrieden damit, daß wir die ganzen Strukturveränderungen, die wir derzeit machen, in einer Phase machen, in der Fehler deutlich sichtbar werden. Das hat auch enorme Vorteile. Und wir sind ja in der glücklichen Lage, wir haben die beste Bilanz seit Bestehen und den zweithöchsten Cash-Bestand seit unseres Bestehens. Wir gehen da sehr, sehr gut gerüstet hinein. Das muß man auch mal ganz nüchtern betrachten. Natürlich gibt es -und irgendwo befriedigt mich das auch - gewisse Probleme, wenn ich mich nicht mehr so deutlich um die deutsche Gesellschaft kümmere. Nur, das ist ja auch nur scheinbar. Ich habe mich ja auch im letzten Jahr noch ca. 40-50% um die deutsche Gesellschaft gekümmert. Ich habe mich auch sehr viel um andere Gesellschaften und Distributoren gekümmert. Ich meine, ich war auch in den letzten zwei Jahren schon für den halben Weltumsatz verantwortlich. Und davon kam wiederum etwas mehr als die Hälfte aus Deutschland. Sicherlich gibt es immer, wenn Freiräume entstehen, gewisse Schwierigkeiten; wer übernimmt die Verantwortung, und wer nimmt sich diese Position? Das ist völlig klar. Aber ich habe das Gefühl, dies ist intern ausgestanden. Es ist immer eine ziemliche Umstellung, wenn sie von einer Ein-Mann-Führung, sag ich mal, nach außen hin zumindest, auf ein Team ausweichen. Nur ich habe gerade mit den Teams bei Atari sehr gute Erfahrung gemacht, und ich bin auch sicher, daß sich das hierin Deutschland mittlerweile einspielt. Gut, es kann nochmal die eine oder andere Reiberei geben, aber ich sehe das nicht dramatisch. Ich meine, man muß sich auch ein bißchen unsere Strategie anschauen, daß wir die Zentrale stärker in die Entscheidung miteinbinden wollen. Gut, hier in Deutschland hat es funktioniert, indem man an der ganz, ganz langen Leine ein eigenes Geschäft betrieben hat. Das hat nicht überall funktioniert. Und ich bin auch nicht sicher, ob das auf Dauer in Deutschland funktioniert hätte. Dazu ist auch die deutsche Gesellschaft viel zu wichtig, als daß sie losgelöst von dem, was wir sonst in der Welt machen, und was wir in Sunnyvale denken, hier ein eigenes Marketing aufmachen soll. Das heißt, in Zukunft werden die Befugnisse der deutschen Gesellschaft sicherlich zurückgehen.

ST-Computer: Ist das nicht unter Umständen jetzt schon spürbar?

A. Stumpf: Natürlich. Ich hoffe das.

ST-Computer: Ja, aber unter Umständen auch negativ spürbar. Denn Sie haben auf der Pressekonferenz im Dezember zwei Neuheiten für die CeBIT ’91 angekündigt, die zu sehen waren, und auch für die Atari-Messe *91 eine Sensation. Das ist ein wörtliches Zitat. Da ist die Erwartungshaltung natürlich extrem enttäuscht worden.

A. Stumpf: Ja, gut, ich habe das nur in einem sehr, sehr kleinen Kreis geäußert und auch unter Vorbehalt. Ich meine, Vorbehalte werden sofort vergessen. Wir haben unsere Strategien bei der Markteinführung ein bißchen verändert, und ich habe damals schon gesagt, wir werden in Zukunft kein Produkt mehr zeigen, von dem ich nicht sicher bin, daß es in der Produktion ist. Es sei denn so wie beim ST-Pad. Das ist eine völlig neue Richtung, das ist ein Prototyp, eine Richtung, an der wir z.Zt. arbeiten. Bei den Brot-und-Butter-Produkten und insbesondere dann, wenn eine Ablösung von Produkten stattfindet, können Sie sicher sein, daß wir die erst zeigen, wenn wir zumindest die Produktion, also die Pre-Production, abgeschlossen haben. Und das war in diesem Falle nicht so.

ST-Computer: Aber es war eigentlich für diese Messe geplant?

A. Stumpf: Es war nicht dafür geplant. Der ursprüngliche Termin ist immer ’92 gewesen, und daran hat sich auch nichts geändert. Es schien nur zeitweilig so, daß wir etwas schneller sein könnten. Das ist richtig.

ST-Computer: Aber es hat nicht geklappt.

A. Stumpf: Sagen wir mal so, ich war nicht 100% sicher, ob wir schon in dem Zustand sind.

ST-Computer: Es ist aber noch eine große Messe in diesem Jahr, die Comdex.

A. Stumpf: Also ich kann Ihnen versichern, daß wir in diesem Jahr keine großartigen Sensationen mehr vorstellen werden.

ST-Computer: Zwei ganz gezielte Fragen: Der TT war bisher das Flaggschiff, manche sagen, er sei ein halbherziges Flaggschiff gewesen. Kompatibilität nach unten nicht so ganz und nach oben der Leistungsstandard auch nicht so ganz. Frage: „Wann kommt ein neues, so richtiges Flaggschiff?“, und die zweite Frage geht in Richtung UNIX.

A. Stumpf: Also hier muß man mal die Meinungen auseinanderhalten, die jetzt aus der - sag ich mal - Ur-ST-Szene kommen und die, die aus der kommerziellen Szene kommen. Aus dem kommerziellen Bereich wurde eindeutig bestätigt: an der Leistung des TT liegt’s mit Sicherheit nicht. Die Leistungsfähigkeit des Gerätes ist ja von vielen noch gar nicht ausgenutzt worden, und das sind ja jetzt erst die ersten Applikationen, die jetzt mehr und mehr die Möglichkeiten des TT nutzen. Das ist aber bei jedem Produkt so, da können Sie hingehen, wo Sie wollen. Es dauert ungefähr ein Jahr, bis man erkennt, was eigentlich in dem Gerät steckt. Ich will nicht sagen, daß die Leistungsmerkmale des TT in den nächsten fünf Jahren ausreichend sein werden, aber in diesem Jahr sind sie es in jedem Fall. Und wir haben auch keinerlei Probleme mit dem Verkauf von TTs.

ST-Computer: Wie liegen denn z.Zt. die Verkaufszahlen des TT?

A. Stumpf: Wir liegen hier in Deutschland übers Jahr gerechnet pro Monat bei ca. 600-1000 Stück. Und das ist keine so schlechte Zahl, verglichen mit dem Aufwand. Denn wir haben ja mit gebremstem Schaum gefahren, weil wir die Problematiken bei der Produktionsumstellung gesehen haben.

ST-Computer: Man könnte also sagen, daß jetzt ca. 10.000 Geräte verkauft sind?

A. Stumpf: Die haben wir sicherlich.

ST-Computer: 10.000 Geräte - etwas überspitzt gesagt -, die auch laufen? Oder muß man die Fehlerquote noch abziehen?

A. Stumpf: Die Fehlerquote muß man da nicht abziehen. In Wirklichkeit liegt die eigentliche Ausfallrate nicht oberhalb des Normalen. Es hat da etliche Mißverständnisse gegeben. Wir haben auch ein paar Probleme mit den Sockeln gehabt, nicht reproduzierbare Fehler, die sich dann als simple Kontaktfehler entpuppt haben. Das ist nichts Ungewöhnliches in der Anfangszeit, wenn Chips gesockelt sind.

ST-Computer: Zurück zur zweiten Frage: Was macht UNIX?

A. Stumpf: Nun, UNIX ist jetzt in der Entwicklerversion verfügbar und wird auch geliefert. Es ist hier freigegeben, und wir sind jetzt dabei, beim UNIX-Vertrieb erstmal über die Entwicklerschiene -einfach um den Support nicht zu überlasten - in den Markt zu gehen. Unser UNIX ist in den letzten Monaten - und ich bin sehr froh, daß wir das nochmals um zwei Monate hinausgezögert haben - um ein Vielfaches besser geworden. Die Benchmarks sind um Faktoren besser geworden, als sie Ende Mai waren. Ich glaube, mit dem UNIX liegen wir nicht so ganz schlecht.

ST-Computer: Tja, leidiges Thema Support. Es ist uns schon des öfteren zu Ohren gekommen, daß der Support von Atari zu seinen Entwicklern und zu seinen Benutzern nicht das Optimum darstellt, was man von einer Firma diesen Ranges eigentlich erwarten könnte.

A. Stumpf: Nun, das Optimum werden wir mit Sicherheit nie erreichen. Das ist völlig klar. Dadurch ist der Anspruch viel zu hoch, und das Ganze muß ja irgendwie in einem Verhältnis stehen. Es gibt sicherlich hier und da Entwickler, die nicht so den richtigen Draht haben. Das liegt aber nicht daran, daß wir keine oder nicht genug Support-Kapazität haben, sondern das liegt im emotionalen Bereich. Man muß eins sehen - und das kann ich Ihnen heute aus der etwas differenzierten und etwas distanzierten Sicht sagen: Die deutschen Entwickler, überhaupt der deutsche ST-Markt, ist gegenüber den Support-Stellen, auch in Sunnyvale, unwahrscheinlich arrogant und überheblich. Und dadurch kommt es zu erheblichen Mißverständnissen.

Viele Leute in den Support- und Entwicklungsabteilungen, insbesondere in der Software-Entwicklung, haben große Schwierigkeiten, auf einem sachlichen Niveau mit deutschen Entwicklern - und ich möchte die deutsche Gesellschaft da nicht ausnehmen - zu kommunizieren. Daran arbeite ich, weil ich beide Seiten verstehe. Es herrscht hier ganz einfach die Auffassung, wir hier in Deutschland wüßten viel besser und viel mehr über den ST, wüßten viel besser, wie es weitergeht, als Atari in Sunnyvale. Und das ist eine Grundhaltung, die macht es sehr, sehr schwierig, sachlich miteinander zu kommunizieren.

ST-Computer: Liegt es nicht vielleicht auch daran, daß hier in Deutschland zu wenig Manpower ist?

A. Stumpf: Das glaube ich nicht. Wir haben mit weitem Abstand hier die größte Support-Abteilung. Die Frage ist, ob das in jedem Falle immer richtig genutzt wird. An sich müßte der Support für die Zahl der Entwickler bei weitem ausreichen. Wo es sicherlich Schwierigkeiten gibt, ist bei der Endkundenbetreuung. Da ist manchmal eine Fülle von Anrufen, wo alles durcheinanderkommt. Der eine sucht irgendein Videospiel, und der andere hat irgendein Problem mit dem TOS. Das ist ein unheimliches Problem. Ich kenne viele Firmen, die deswegen die sogenannte Hotline eingestellt haben. Es ist schwierig -wir müßten derzeit über eine Million Geräte installiert haben - dafür noch einen vernünftigen Support zu leisten. Stellen Sie sich mal vor, Volkswagen müßte den Support für seine Autos übernehmen. Das funktioniert nicht. Hier ist der Händler auch wesentlich mehr gefragt. Klar, in einer Zeit, in der Margen unter Druck sind -ich meine, nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen wird das Ganze mehr und mehr auf den Hersteller verlagert. Und es gibt auch immer mehr Vertriebswege, die ganz bewußt nur das Gerät verkaufen, und das war’s dann.

ST-Computer: Sie haben vorhin gesagt, beim TT würden jetzt so langsam die ersten Produkte kommen, nach einem Jahr. Liegt diese Zeitverzögerung nicht auch einfach daran, daß bei der Markteinführung die Dokumentation fehlte?

A. Stumpf: Richtig! Die Dokumentation sowohl von der technischen als auch von der Marketing-Seite her lag im Argen. Ganz klar. Es gab bei Atari in der Zentrale keine Marketing-Abteilung und kein Produkt-Management, die sich um diese Dinge gekümmert haben. Atari war - einmal überspitzt gesagt - ein loser Zusammenschluß von unabhängigen Atari-Gesellschaften, die eins gemeinsam hatten: Sie haben in etwa die gleichen Produkte vertrieben. Und man hat, was ’85 der einzige und richtige Weg war, den Märkten überlassen, wie sie ihr Produkt vermarkten. Heute unterscheiden sich die Märkte kaum noch, und hier ist jetzt die Zentrale gefragt, etwas vorzugeben und dafür zu sorgen, daß diese Dinge bei Markteinführung vorliegen. Das waren auch organisatorische Schwächen, bei denen ich erst drüben erkannt habe, warum das nicht funktioniert. Das ist übrigens eine generelle Auffassung. In Amerika sieht man diese Dinge etwas lockerer als in Europa. In Amerika ist man mit einer innerlich guten, aber doch lose zusammengestellten Information zufrieden. Das ist man hier nicht. Und daran arbeiten wir.

ST-Computer: Eine vielleicht provokante Frage, die aber vielen auf den Nägeln brennt: In der Computerbranche geht’s vielen schlecht, wie geht’s Atari?

A. Stumpf: Ja, ich sagte das am Anfang schon. Wenn Sie es rein von der Bilanz her sehen, vom Firmen wert her: Uns ist es noch nie besser gegangen. Von der Cash-Position, von der Bilanz, vom Firmenwert her haben wir eine sehr, sehr gute Position, und deswegen sehen wir das Ganze auch in einem etwas enger werdenden Markt relativ locker. Wir können in diesem Jahr die Dinge durchführen, die wir brauchen, damit wir in ’92 oder, sagen wir mal Ende '91, richtig Fahrt aufnehmen können. Aber das ist nichts Neues. Ich meine, solche Phasen -ich bin glaube ich 17 oder 18 Jahre in der Branche -, die habe ich mehrfach mitgemacht und bei verschiedenen Firmen.

ST-Computer: Ist es vielleicht nicht eine Art Fehlrechnung, wenn man sagt, die Cash-Position ist so gut wie nie! Das ist logisch, wenn man seine Fertigungsanlagen verkauft. Die haben vorher einen Wert gehabt.

A. Stumpf: Der Wert dieser Immobilie war vor anderthalb Jahren etwa fünf Millionen Dollar. Der Wert 1991 war 66 Millionen Dollar. Das sind einfach Veränderungen, die dazu führen, daß man in eine solche Position hineinkommt. Man hat ja deswegen nicht abgespeckt oder etwas abgegeben. Für 66 Millionen können Sie etwa vier modernste Fertigungsstätten für Mikrocomputer aufbauen.

Die deutschen Entwickler, überhaupt der deutsche ST-Markt, ist gegenüber den Support-Stellen, auch in Sunnyvale, unwahrscheinlich arrogant und überheblich. Und dadurch kommt es zu erheblichen Mißverständnissen.

ST-Computer: Aber Sie müssen sie erst aufbauen. Sie sind noch nicht da.

A. Stumpf: Nein, das ist nicht richtig. Wir sind in einer Position, wo man beliebig und fast zu beliebigen Preisen Fertigungskapazitäten zukaufen kann, von sehr namhaften Firmen. Das ist ein Zustand, der sicherlich nicht ewig dauern wird. In einer Marktwirtschaft gleicht sich so etwas relativ schnell aus, und wir werden sicherlich auch nicht dabei bleiben, wie viele unserer Wettbewerber das tun. Man muß mal in die Branche schauen und schauen, wieviel Prozent Eigenfertigung wird in unserer Branche überhaupt betrieben? Sie werden nur eine Handvoll Firmen finden, die überhaupt eine eigene Fertigung haben. Und das sind sehr namhafte Firmen. In der Fachwelt hat das überhaupt keinen überrascht. Jeder hat gesagt: ein vernünftiger Schritt im Jahre ’91. Sie können im Moment in einer eigenen Fertigung nicht so preiswert produzieren, wie Sie das z.Zt. mit zugekauften Kapazitäten können.

ST-Computer: Es treten dadurch natürlich andere Probleme auf, weil durch verschiedene Zulieferanten bzw. Fertigungsmöglichkeiten - gerade in verschiedenen Länder - eventuell Transportprobleme bzw. andere Probleme auftreten.

A. Stumpf: Nein, das ist nicht richtig. Wir hatten z.B. in ’86/'87 eine sehr, sehr hohe Fertigungstiefe. Damals haben wir sogar die Keyboards selber montiert. Das haben ganz, ganz wenige je gemacht. Das war eigentlich alte deutsche Tradition, die in der Computerbranche überhaupt nicht üblich war. Und es ist ja nicht so, daß wir jetzt auf alle Zeiten Aufträge vergeben werden - wir haben ja eine Fabrik schon praktisch ready to go. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß sie dieses Jahr noch an fängt.

ST-Computer: Trotz alledem. Die Gerüchteküche wallt wie immer, muß man sagen.

A. Stumpf: Die Gerüchteküche kommt immer dann, und das hätten wir - insbesondere ich - wissen sollen, wenn man 5-6 Monaten nicht viel sagt. Das ist eine alte Lehre. Ich glaube, wir haben die Lektion gelernt. Es war vielleicht auch eine Schwäche, daß die Informationspolitik Ataris in Deutschland zu sehr mit meiner Person verbunden war. Darin sehe ich rückblickend eigentlich die einzige, wesentliche Schwierigkeit, die die Umstellung gehabt hat.

ST-Computer: Hatten also zuviele Leute Angst, etwas zu sagen; Angst, daß Sie nachher sagen: „Wärst Du bloß ruhig gewesen!“?

A. Stumpf: Richtig, ja.

ST-Computer: Trotzdem, wenn man sich hier umhört, wenn wir uns hier umhören, wir hören ja sowieso immer was ganz anderes, als wenn Sie herumgehen...

A. Stumpf: Nicht unbedingt.

ST-Computer: ... bei uns hört man immer, das große Geschrei, das große Wehklagen ist angebrochen: Atari macht maximal noch zwei Jahre, manche sagen: „In einem Vierteljahr sind die pleite“.

A. Stumpf: Gut, diese Stimmen verstummen nie.

ST-Computer: Nur haben die natürlich gewaltig Futter gekriegt durch all diese Gerüchte von Produktionsstättenverkauf, keine Pressekonferenz, nichts Neues auf der Atari-Messe usw. Es ist also definitiv nichts dran. Atari geht es stabil gut, besser als anderen.

A. Stumpf: Ja, ich schicke Ihnen gerne die Veröffentlichungen, aber ich weiß nicht, ob das unbedingt das ist, was Sie wissen wollen. Nur das ist der einzige Beweis, den ich im Moment antreten kann. Ich fühl’ mich nach wie vor in dieser Firma recht wohl. Ich sehe zwar eine Menge Schwierigkeiten, aber auf der anderen Seite sehe ich, daß wir die Möglichkeit haben, das zu verändern. Und wenn ich das mit vielen unserer Wettbewerber vergleiche: die haben eigentlich noch gar nicht erkannt, wo es langgeht. Ich glaube, daß wir hier wieder einen Schritt voraus sind, denn wenn ich auch unsere Kostenstruktur, all das anschaue, was ja mitausschlaggebend ist in dieser Branche, um zu überleben, dann haben wir hier mit Sicherheit einen gewaltigen Vorsprung. Und wir haben auch ein sehr flexibles Management, ein Management, das sehr schnell entscheidet und auch den Mut hat, unpopuläre und nicht sonderlich pressefreundliche Entscheidungen zu treffen.

ST-Computer: Noch eine weitere Frage: Früher hieß das hauptsächliche Thema von Atari: Power without the price. Inzwischen hat sich Atari mehrfach bemüht, auch im professionellen Bereich Fuß zu fassen. Jetzt fühlen sich die Kleinen vernachlässigt. Wo geht Atari jetzt hin? Versuchen Sie weiter den Mittelweg, oder geht es irgendwo eindeutig in eine Richtung?

A. Stumpf: Eine große Schwierigkeit, die wir haben, und die ist in Deutschland besonders ausgeprägt: Wir haben eine solche Produktbreite, daß es schwierig ist, das ganze unter einen Hut zu kriegen und hier eine vernünftige Marketing-Aussage zu machen. In den Randgruppen beißt sich das ganz erheblich. Wenn Sie hier mit einem 99-Mark-Videospiel im Markt sind und dort mit einem 10.000-Mark-DTP-System, dann ist das schwierig, und das dauert auch. Aber ich hab’ das schon mal gesagt: auch Siemens hat es geschafft, seine Kernkraftwerke und Staubsauger unter einen Marketing-Hut zu bringen. Warum soll das für uns nicht möglich sein, bei Geräten, die technologisch so ähnlich sind?

ST-Computer: Das sorgt - eventuell andersrum gesehen - für einen gewissen Image-Verlust auf dem professionellen Markt.

A. Stumpf: Ja, das muß man durch Marketing, sprich durch Werbung, PR-Maßnahmen, ausgleichen. Im Atari-DTP-Bereich kann man z.B. mit Fug und Recht sagen kann, das ist State of the Art. Und in vielen Bereichen sind wir schon dem Wettbewerb hier und da einen Schritt voraus. Das ganze jetzt werblich, als Information, darzustellen, ist nicht leicht. Hier müssen wir etwas ändern. Das ist zweifelsohne richtig.

ST-Computer: Sie haben gerade den DTP-Markt angesprochen. Ich meine, gerade derjenige, der sich gerade in Deutschland sehr stark dafür gemacht hat bei Atari, Herr Grikscheit, geht jetzt von Atari weg. (Anm.: Herr Grikscheit geht zur Finna 3K Computerbild)

A. Stumpf: Ja, da sind wir aber nicht böse darüber. Er geht ja dem Atari-DTP-Geschäft als Ganzes nicht verloren. Und ich meine, die Phase, die der Herr Grikscheit initiiert und wesentlich mitgestaltet hat, ist ohnehin abgeschlossen. Das war Basisarbeit. Jetzt müssen wir mehr auf die klassischen Marketing-Instrumente zurückgreifen.

ST-Computer: Manche halten den Mega ST4 für den erfolgreichsten oder vernünftigsten Rechner, den Atari je gebaut hat. Warum gibt es den nicht mehr?

A. Stumpf: Der alte Mega ST4 hat ein paar große Nachteile. Wir waren dort kostenmäßig am Ende. Da war nichts mehr möglich. Insbesondere dann, wenn Sie die Harddisk mit dazurechnen. Durch die vielen redundanten Teile sind wir nicht mehr in der Lage gewesen, hier auf einen wettbewerbsfähigen Preis zu kommen. Deswegen haben wir den Schritt zum Mega STE4 gemacht, und ich halte den für mindestens genauso gut.

ST-Computer: Wie sehen denn die Verkaufszahlen gerade bei dem Gerät aus?

A. Stumpf: Bei dem sehen sie sehr, sehr gut aus. Wir hatten zwar jetzt einen kleinen Einbruch, durch Sommer und durch Lieferung. Außerdem haben wir auch hier die Produktion umgestellt.

ST-Computer: Wie sieht es denn mit HD-Laufwerken aus? Da gab es ja die ganze Zeit Probleme, sowohl bei TT als auch bei STE. Vorgesehen ist ja alles, und der Markt verlangt es eigentlich auch.

A. Stumpf: Zweifelsohne.

ST-Computer: Es ist an und für sich Stand der Technik. Man geht ja mittlerweile schon auf 2,88 MB.

A. Stumpf: Wobei die noch sehr, sehr selten sind. Es gibt ja, glaube ich, erst ein Betriebssystem in der PC-Weit, das das überhaupt unterstützt.

ST-Computer: Der Next zum Beispiel.

A. Stumpf: Ja, gut, Next unterstützt es. Next hat hier ja nun auch insofern eine Sonderstellung, und das ist etwas, was unbedingt geschehen muß. Darüber brauchen wir nicht weiter zu reden.

ST-Computer: Wird das dann automatisch sang- und klanglos irgendwo drin sein, oder...

A. Stumpf: Es ist ein sogenannter Running-Change in der Fertigung.

ST-Computer: Ein Aufrüst Kit für die alten Rechner...

A. Stumpf: ... ist jederzeit möglich. Jeder TT, jeder Mega STE kann nachgerüstet werden. Es ist ja schon vorgesehen, es ist kein großes Problem.

ST-Computer: Kommen wir zum ST-Book. Bis wann soll er denn erhältlich sein?

A. Stumpf: Wir sind vorige Woche in Produktion gegangen. Die Books, die Sie hier sehen, sind erste Produktionsgeräte. Die gehen jetzt noch durch besondere Tests.

ST-Computer: Wird es noch bis Jahresende dauern?

A. Stumpf: Nein, so lange wird es nicht dauern. Das glaube ich nicht.

ST-Computer: Was macht der ST-Pad?

A. Stumpf: So, wie es jetzt aussieht, müßten wir in der Lage sein, auf der COMDEX im Herbst ein relativ fertiges Gerät zu präsentieren, das dann in der zweiten Hälfte des vierten Quartals an erste Kunden, die auch eine Vorstellung haben, was man damit machen kann, ausgeliefert wird. Da bin ich recht sicher. Das eigentliche Problem, das wir zur Zeit noch haben, ist technischer Art: der Stylus stört zu sehr. Der empfängt zuviel und bringt also Störungen in das Gerät, aber das ist an sich ein Routineproblem.

ST-Computer: Thema: Software-Entwicklung. Das heißt also Betriebssystem. Wie sieht es aus mit dem TOS, in welche Richtung geht es? Alle Welt verlangt ein Multitasking-System.

A. Stumpf: Es wird neue Versionen des TOS geben, und zwar laufend. Es ist nie so intensiv an neuen TOS-Versionen und an Fortführungen gearbeitet worden wie z.Zt. Und da sind ja auch - wenn man mal die ersten fünf Jahre mit den letzten zwei Jahren vergleicht - ständig Verbesserungen hineingekommen.

ST-Computer: Wir meinen nicht nur kleine Verbesserungen. Wir meinen den großen Schritt vom normalen Single-Task-TOS zum Multitasking. Wäre es nicht eine sehr kluge Überlegung, wenigstens anzudeuten, auf welchem technischen Hintergrund das basieren soll, damit Programmierer sich schon mal darauf einstellen können.

A. Stumpf: Ich glaube, eine Menge Programmierer wissen schon, wie wir uns das vorgestellt haben, und wir haben auch schon mit vielen darüber diskutiert. Was wir anstreben, ist die höchstmögliche Kompatibilität. Was manchmal aber sehr schwierig durchführbar ist, denn gerade in Deutschland hat man in der Anfangszeit so wild wie nirgendwo auf der Welt programmiert. Mittlerweile sind aber die Programme so wichtig für uns geworden, daß wir mit aller Gewalt versuchen, die wieder da hineinzubringen. Andere Hersteller hätten vielleicht gesagt: Ihr habt Euch nicht an die Regeln gehalten, so wird nun mal nicht programmiert.

ST-Computer: Ein bißchen in die Ferne geguckt: das neue Atari-Flaggschiff ist irgendwo in der Ferne des Horizonts zu sehen...

A. Stumpf: Für mich schon recht deutlich, für Sie am Horizont. Das ist richtig.

ST-Computer: ... es wird in erster Linie mit einem neuen Prozessor und einem Multitasking-System ausgestattet sein?

A. Stumpf: Sicherlich, ich glaube, man kann 1992 kein Gerät mehr in den Markt bringen, das nicht über Multitasking-Funktionen verfügt. Ich glaube, daß das unseren Stammentwicklern, die unser Geschäft tragen, wohl bekannt ist, und da wird ja auch diskutiert, und wir werden zur COMDEX ein Gespräch - oder wie auch immer man das nennen will - mit den weltweit wichtigsten Entwicklern führen. Wir haben das hier ansatzweise versucht. Aber es ist sehr schwierig. Wir haben da Tagungen gehabt, wo dann Leute rausgegangen sind, um zu telefonieren. Auf einer solchen Basis läßt sich das natürlich sehr schwer durchführen. Aber mittlerweile haben wir wohl einen Kern von Entwicklern, die genauso wirtschaftlich abhängig sind von solchen Entwicklungen wie wir, so daß man darauf vertrauen kann.

daß man die Katze sehr weit aus dem Sack lassen kann. Zumindest bei den Dingen, die für Entwickler relevant sind. Wir haben also auch hier viele Gespräche geführt, wie wir uns die weiteren Schnittstellen, die Randbedingungen vorstellen, daß man sich schon mal darauf einstellen kann. Und das ist zum Teil hier sehr erfolgreich verlaufen. Wir haben also einen Konsens gefunden, daß man bestimmte Dinge nicht mehr nutzt, die technisch nicht weiter fortgeführt werden können, weil es zwangsläufig zu einem Kompatibilitätsbruch führt, wenn man es so macht. Allein der VME-Bus als Standardschnittstelle, das sind ja wesentliche Aussagen, auf die sich die Industrie um uns herum einstellen kann und auch teilweise schon eingestellt hat.

ST-Computer: Wenn wir gerade von Schnittstellen reden: Es gibt das Gerücht, daß Atari nun auch mal was für die LAN-Schnittstelle im Mega STE und TT tut. Wird von Atari selbst irgendetwas kommen?

A. Stumpf: Das ist sehr wahrscheinlich. Wobei wir hier auch grundsätzlich auf das, was sich um uns herum tut, Rücksicht nehmen. Wir haben uns nun mal als der Generalist dargestellt, der möglichst wenig in das Geschäft unserer Partner, von dem wir letztendlich auch leben, eingreift. Das ist manchmal eine sehr heikle Geschichte, wo man sieht, wenn man bestimmte Dinge macht, daß dann zwei, drei Firmen garantiert am Ende sind. Und da muß man natürlich mit den Leuten reden und sagen, in diese Richtung gehen wir. Es hat in letzter Zeit eigentlich recht gut geklappt, daß wir gesagt haben, zu diesem Zeitpunkt müßt Ihr Euch darauf einstellen, daß das, was Ihr jetzt als Zusatzentwicklung anbietet, irgendwo in die Geräteeinfließt. Wir lassen ja auch Wettbewerb zu uns selbst bis zu einem gewissen Maße zu, was ja kaum ein Hersteller tut.

ST-Computer: Was zum Beispiel bei der LAN-Schnittstelle schön wäre, wäre eine gewisse AppleTalk-Kompatibilität - daß man z.B. auch mit Fremdrechnern automatisch kostengünstig Netze aufbauen könnte. Natürlich fehlt für so etwas der Grundstock im TOS.

A. Stumpf: Netzwerke sind ein wichtiges Thema, und das ist es auch bei uns.

ST-Computer: Ansonsten, Thema Weiterentwicklung. Wie sieht es z.B. mit Grafikkarten aus? Es gibt momentan sehr viele Anbieter, doch es gibt auch wiederum Gerüchte, daß irgendwann mal so etwas wie True Color einfließen sollte in neue Maschinen.

A. Stumpf: Das ist doch ganz klar. Wenn Sie sich heute mal einen Computer anschauen: Wie soll denn der nächste Computer aussehen? Ich meine, es ist ja nun nicht so, daß der statt 33 MHz mit 45 oder 60 läuft. Damit ist es ja nicht getan. Da muß ja einiges mehr kommen, und es gibt ja nicht allzu viele Richtungen, in die man einen Computer noch verbessern kann. Natürlich läßt sich die Darstellung noch wesentlich verbessern. Und irgendwann, ja, bei True Color ist dann wahrscheinlich irgendwann Schluß. Ich weiß nicht, was danach kommt. Vielleicht kommen dann solche Geräte wie ST-Pad oder völlig andere Geräte. Aber das ist ja die logische Weiterentwicklung von Computern. Die bessere Darstellung, die ergonomischere Bedienung, das sind ja die beiden Richtungen, und die Verknüpfung von anderen Medien. Das ist ja der Weg, der sich ziemlich deutlich zeigt heute.

ST-Computer: Wie sieht es mit dem Stacy aus? Wird er weiterentwickelt, oder läuft er jetzt aus?

A. Stumpf: Nein, der Stacy wird in der jetzigen Form so nicht weitergeführt. Aber ein transportabler ST oder TT - was immer - hat sehr wohl einen interessanten Markt.

ST-Computer: Das gilt ja auch für die Musikbranche, wo Atari doch ein gewaltiges Standbein hat.

A. Stumpf: Die Musik - neben DTP - wird mit Sicherheit einer unserer Zukunftsmärkte sein, wo wir z.Zt. erheblich investieren und sehr intensiv nachdenken, wie könnte ein Computer für diese Marktsegmente aussehen. Wir sehen das beides, und gerade in dem gesamten MIDI-Umfeld haben wir eine sehr starke Position - auch von uns jahrelang vernachlässigt. Wir haben wohl in keinem Marktsegment soviel Erfolg gehabt, mit so wenig Marketing- Investitionen.

ST-Computer: Kann man aus den Aussagen vielleicht spekulativ schließen, daß ein TT-Laptop ...

A. Stumpf: Ich weiß nicht, ob man es TT-Laptop nennen sollte, aber es könnte durchaus sein, daß es einen Computer gibt, aus vorhandenen Entwicklungen und Modulen, der speziell auf einen bestimmten Markt angepaßt ist, auf dessen Bedürfnisse. Ich nenne das jetzt mal mechanisch angepaßt.

ST-Computer: Und trotz allem noch mehr oder weniger ein ST ist?

A. Stumpf: Ja, natürlich. Es gibt eine ganz klare Entscheidung: Wir gehen auf der TOS-Linie weiter.

ST-Computer: Anderes Thema: Atari baut in Schwalbach ...

A. Stumpf: Das steht übrigens in krassem Wiederspruch zu den Meldungen - Fertigung dicht... es ist immerhin ein 20-Millionen-Objekt.

ST-Computer: Angefangen haben Sie schon.

A. Stumpf: Ja, die Bauzeit ist auf etwa 10-12 Monate kalkuliert, das heißt in einem Jahr müßten wir eigentlich drin sein.

ST-Computer: Die Unken, die nach wie vor unken: „Atari ist am Ende“ - das sind Unken?

A. Stumpf: Ich weiß nicht, woher diese Dinge kommen. Und solange ich in der Branche bin - vielleicht mit Ausnahme von IBM -, schlage ich mich damit herum. Bei Olympia habe ich gelernt, damit zu leben. Da stand das jeden Tag in der Zeitung, und 10 Jahre später oder 12 Jahre später stelle ich fest: Du, jetzt wird’s vielleicht ernst -aber die Firma existiert immer noch. Und bei Commodore konnte man das auch alle Vierteljahre von der einen oder anderen Seite hören.

ST-Computer: Nun ja, Apple ist ja auch nicht davon verschont geblieben.

A. Stumpf: Die Stimmung, die in Silicon Valley gerade im Hinblick auf Apple herrscht, ist alles andere als euphorisch.

ST-Computer: Wie sehen Sie überhaupt momentan den ST/TT im Vergleich zu anderen Firmen? Apple ist mit einem billigen Rechner auf den Markt gekommen, der Next kommt mit einem guten, wenn auch etwas hohen Einsteigerpreis ...

A. Stumpf: Man muß grundsätzlich unterscheiden. Next hat eine sehr ähnliche Philosophie. Und Next nehme ich auch sehr ernst. Auf der anderen Seite, wenn ich mir so die Marketing-Bemühungen hier in Europa anschaue, dann flacht das deutlich ab, und auch in USA ist schon eine deutliche Abflachung der Euphorie festzustellen. Das ist eine Geschichte, aber ernst nehmen muß man Next in jedem Falle, weil sie sehr genau den Nerv unseres Umfeldes treffen. Das ist ganz deutlich. Wir haben sicherlich das ein oder andere von Next gelernt.

Apple sehe ich ganz anders. Apple hat jahrelang seinen Macintosh - die Zahlen sind gerade veröffentlicht worden - mit 750 Dollar pro Stück Marketing-Kosten eingewickelt. Damit läßt sich vortrefflich wuchern, und damit kann man auch ein phantastisches Image aufbauen. Jetzt sind sie im Niedrigpreisbereich - Sie sollten da nicht mich fragen, sondern die Händler, wie die Stimmung dort ist.

ST-Computer: Die Stimmung ist nicht so toll - gar nicht toll. Viele der „Unken“ stammen aus den Händlerkreisen.

A. Stumpf: Natürlich. Auch aus der Werbung - irgendwo befriedigt mich das - jahrelang hat uns Apple nicht zur Kenntnis genommen, jetzt geht man in der Werbung ganz gezielt auf uns (los), und in den Dealer-Mailings geht man noch deutlicher gegen uns vor und arbeitet gewisse Schwachpunkte, die bei jedem Hersteller vorhanden sind, ganz deutlich heraus. Darauf muß man sich einstellen, das ist eine neue Situation, die wir bisher nicht hatten. Wir waren jahrelang in Deutschland umsatz-mäßig wesentlich größer als Apple und haben uns darüber wenig Sorgen gemacht. Das hat sich geändert; aber ich glaube, daß wir für einen niedrigpreisigen Markt sehr viel besser präpariert sind als andere Firmen.

ST-Computer: Zumal die Apple-Geräte nicht gerade das Image von Low-Price-Produkten haben.

A. Stumpf: Sensationell ist es ja weiß Gott nicht - ich möchte jederzeit den Vergleich 1040 - Apple Classic antreten, leistungsmäßig, und mit Gesamtkosten, wenn das Ding läuft, mit vernünftiger Software.

ST-Computer: Was erwarten Sie von der Kooperation Apple/IBM? Stellen sich bei Ihnen die Nackenhaare auf?

A. Stumpf: Nein. Ganz im Gegenteil. Das bestätigt eigentlich, daß die Welt nicht mehr mit 80-85% MS-DOS zufrieden ist. Und das liegt eigentlich genau in unserer Richtung. Das kann uns eigentlich, auf den Gesamtweltmarkt gesehen, als Außenseiter, nur nutzen. Diese gewaltige Front MS-DOS und Kompatible - das waren ja jahrelang in vielen Bereichen die einzigen Worte, mit denen man Computer verkaufen konnte, wenn man nicht etwas aufgeklärter war - das bricht auf, das sehen Sie überall.

Wie soll denn der nächste Computer aussehen? Ich meine, es ist ja nun nicht so, daß der statt 33 MHz mit 45 oder 60 läuft. Damit ist es ja nicht getan.

ST-Computer: Es brechen ja interessanterweise ausgerechnet die auf, die zum großen Teil davon gelebt haben - die einen als Verkäufer (IBM), die anderen als „Kontrastprogramm“ (Apple). Zum Stichwort MS-DOS: Es gibt in vielen Bundesländern Vorbehalte in den Schulen, in der öffentlichen Verwaltung. Es muß alles MS-DOS-kompatibel sein. Hat Atari da zu wenig agiert, zu wenig propagiert?

A. Stumpf: Es ist sehr schwierig, gerade im Behördenbereich. Wir haben aber auch eine ganze Menge Erfolge, das kann man ja auf dieser Messe sehen. Es ist ja nicht so, daß wir im Bildungswesen nicht vertreten sind. Wir sind im eigentlichen Schul-Massenmarkt mit dem ST nicht so vertreten, wie wir das gerne hätten. Behörden sind nun mal nicht dafür prädestiniert, Außenseiterentscheidungen zu treffen. Es gibt auch viele Großfirmen, wo wir vertreten sind, wo die Geschäftsleitung gar nicht weiß, daß das Ding nicht kompatibel ist.

ST-Computer: Es gibt da ja auch den Trick: Man nehme Mega plus Emulator und verkaufe das als Kompatiblen.

A. Stumpf:... obwohl der Emulator nie genutzt wird - oder nur so am Rande. Aber ich halte die Geschichte mit den Emulatoren für eine vernünftige Sache. Man muß hier in diesem Bereich flexibel sein, und der ST ist ja nach wie vor wohl der flexibelste Computer überhaupt. Ich glaube, es gibt keinen Computer weltweit, auf dem es soviele Emulationen gibt, angefangen bei CP/M über OS9, MS-DOS, Apple ... was immer.

ST-Computer: Es gab mal Gerüchte, Atari würde einen ST mit bereits eingebautem Emulator vertreiben.

A. Stumpf: Ich halte diese Idee für gut - und ich bin ein Verfechter der Idee, daß man zukünftige Computer nicht mehr nur auf ein Betriebssystem ausrichtet, daß man einfach die Marktgegebenheiten sieht und sagt: OK, das ist unser Hauptprodukt, da ist die volle Leistung da, aber dies und jenes decke ich mit ab, um einfach die Verbindung zu anderen Software-Welten zu halten. Das heißt aber nicht, daß wir deswegen die TOS-Linie vernachlässigen. Gott sei dank, muß man sagen - da waren wir zu träge - hat der Markt das sofort erkannt und dieses Problem gelöst.

ST-Computer: Was sagen Sie denn zu all den Beschleunigerkarten, die den ST Scheibchen für Scheibchen doch noch in den Bereich TT heben sollen?

A. Stumpf: Ist doch schön!

ST-Computer: Ist das nicht irgendwo auch ein Indiz dafür, daß sich Atari zuwenig um diese kleinen Leute gekümmert hat?

A. Stumpf: Das kann durchaus sein, und ich will nicht verhehlen, daß wir gerade 1987/88 eine gewisse Irritation hatten, wo wir uns mal zwei Jahre lang im Kreis gedreht haben - und das spürt man.

Das will ich auch gar nicht wegdiskutieren. Hier hätte man viele Dinge, die wir jetzt machen, vielleicht nicht in der Perfektion, vielleicht nicht in der Vollendung, aber schon etwas früher bringen können. Wir hätten sicherlich zwei Jahre weiter sein können in der Entwicklung, das ist ganz klar.

ST-Computer: Der Vorwurf, daß sich am TOS zuwenig getan hat, daß zuwenig Fehlerbereinigung betrieben wurde, ist ja nicht neu.

A. Stumpf: Richtig. Sie dürfen auch nicht verkennen: Wir hatten einen Wechsel in der technischen Leitung. Das hat auch eine Weile gedauert, denn da gehen ja auch Philosophien gegeneinander und auseinander, und das ganze muß ja erst wieder eingefangen werden, und das Unternehmen war auch eine Zeit lang mit anderen Dingen beschäftigt, und es hat auch einen gewissen Widerspruch innerhalb der Märkte gegeben. In dieser Zeit begannen der englische und der französische Markt im Consumer-Bereich unheimlich zu boomen. Da hat man also gesagt: Vielleicht ist das der bessere Weg als der deutsche Weg. Aus einer Konzernspitze muß man das ja sehr nüchtern sehen, wo man mit Atari lang will, wo sieht man eine Chance, und dabei kann man nicht immer Rücksicht auf jeden einzelnen Teilmarkt nehmen, sondern muß die große Linie sehen: Wie kriegen wir Atari in das Jahr 2000?

ST-Computer: Darf sich dann der deutsche Atari-Benutzer -gleich welchen Rechners - der Tatsache erfreuen, daß „wir“ jetzt „unseren“ Mann in Amerika haben?

A. Stumpf: Ja, sicherlich. Das ist zwar gewaltig übertrieben, aber es ist sicherlich ein Ausdruck, daß man nicht unbedingt die Low-End-Consumer-Schiene forciert. Darin sehe ich nicht unbedingt meine großen Stärken, sondern ich sehe sie eher im Gesamtbereich, so wie sich der deutsche Markt darstellt. Daß sich das nicht in jedem Land durchführen läßt, weil wir andere Marktverhältnisse und auch andere Gesellschaften haben, andere Qualifikationen, ist ganz klar.

ST-Computer: Hier auf der Messe haben wir bisher nur einen einzigen Anbieter aus der ehemaligen DDR gefunden. Tut Atari da zu wenig?

A. Stumpf: Wir tun eine ganze Menge. Es gibt ein fast geschlossenes Händlernetz. Firmen von der Entwicklerseite gibt es relativ wenig. Wir arbeiten allerdings mittlerweile mit einer Gruppe um Erfurt, wo die frühere Mikroelektronik zu Hause war, wo auch die Micro-Vax-Clone-Entwicklung zu Hause war, sehr intensiv. Und nicht nur, daß wir mittlerweile einen Großteil unserer Aufarbeitungen und Reparaturen dort durchführen, dort sind mittlerweile auch Ansatzpunkte erkennbar, daß von dort Hardware-Entwicklungen kommen; die Software-Entwicklung liegt noch im argen, da ist noch keine Basis da.

Ich bin ein Verfechter der Idee, daß man zukünftige Computer nicht mehr nur auf ein Betriebssystem ausrichtet, daß man einfach die Marktgegebenheiten sieht.

ST-Computer: Wäre es also möglich, daß irgendwann auch deutschsprachige Entwickler in Sunnyvale Gewicht bekommen?

A. Stumpf: Es sind hin und wieder deutsche Entwickler dort, z.B. Hans Martin Kröber, der ja permanent an der Unix-Entwicklung beteiligt ist. Wir haben eine sehr, sehr internationale Entwicklergruppe. Nur war das Problem in der Vergangenheit, daß wir nicht die richtigen Leute hier gefunden haben. Soviel Computer-Entwicklung gibt es in Deutschland nicht. Es gibt eine ganze Menge Fortentwicklungen, Veredelungen, aber es gibt sehr, sehr wenig Grundlagenentwicklung hier - praktisch keine.

ST-Computer: ... so daß da die Konzentration auf Sunnyvale doch berechtigt ist.

A. Stumpf: Nicht nur auf Sunnyvale. Wir betreiben mittlerweile auch in Taiwan, in England und Japan Entwicklung und in Sunnyvale und Dallas. Dallas ist eigentlich vom Volumen her die größte Gruppe. Wir haben dort ein Umfeld gefunden, das beinahe ideal ist, das die Qualifikation von Silicon Valley hat, aber nicht die Nachteile, die Fluktuation, und die sehr legere Einstellung zur Arbeit.

ST-Computer: Nun ja, der Geist der Apple-Gründer kreist dort immer noch.

A. Stumpf: Richtig. Und damit tut man sich als Europäer sehr schwer.

ST-Computer:... obwohl es auch hier Firmen geben soll, die diese Arbeitsmoral übernommen haben, wenn auch nicht unbedingt zum Vorteil ihrer Produkte.

A. Stumpf: Genau; ich bin mir nicht sicher, ob das der zukünftige Weg sein wird.

ST-Computer: Anderes Thema: Wird die Megafile 44 noch hergestellt?

A. Stumpf: Es gibt noch die Megafile 44. Aber ein Ende ist abzusehen - wenn auch diese Entscheidung noch nicht endgültig gefallen ist. Sobald es die 3 1/2M-Laufwerke oder kleiner gibt, ist das mit Sicherheit wieder ein Thema. So in der heutigen Art ist es kostenmäßig nicht mehr darstellbar. Die Linie Megafile 44 in der heutigen Form ist am Ende. Da muß kostenmäßig etwas passieren. 5 1/4"-Laufwerke sind out. Da geht mit den Kosten nichts mehr.

ST-Computer: Obwohl ja jetzt gerade das 88-MB-Laufwerk von SyQuest auf den Markt gekommen ist. Es fällt halt nur auf, daß Atari diesen Markt fast völlig den Drittanbietern überläßt.

A. Stumpf: Das ist eine rein kaufmännische Überlegung. Es gibt nun mal gewisse Produkte, die Sie als Hersteller unserer Art nicht machen können.

ST-Computer: Also können sich dort auch weiterhin Drittanbieter tummeln?

A. Stumpf: Sie müssen natürlich die Entwicklung sehr genau beobachten. Es sind da gewisse Entwicklungen im Gange, und ich sehe schon den Zeitpunkt, wo das wieder ein interessantes Medium sein könnte.

ST-Computer: Herr Stumpf, wir danken für das Gespräch



Aus: ST-Computer 10 / 1991, Seite 22

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