Am Puls der Zeit mit dem „Düsseldorfer Ei“

Es gibt einen Rundfunksender in Deutschland, der einzigartig ist. Er bringt weder Musik noch Reportage und ist auch mit einem normalen Radiogerät nicht zu empfangen. Er steht in Mainflingen, etwa 25 Kilometer südöstlich von Frankfurt/Main und sendet auf Langwelle 77,5 kHz. Das besondere an ihm, er verbreitet die Zeit, oder genauer: das gesetzlich gültige Zeitzeichen der Bundesrepublik Deutschland.

Festgelegt wird dieses Zeitsignal von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Grundlage dieser Zeitdefinition sind zehn sogenannte Atomuhren, die in den Niederlassungen der PTB betrieben werden. In Braunschweig erarbeiten zwei solcher Atomuhren parallel unsere deutsche „Zeitnormalbasis". Eine Atomuhr ist eine relativ komplizierte Konstruktion und sieht unseren Vorbildern einer Uhr überhaupt nicht ähnlich.

Grundlage dieser Zeitmessung ist das Atom des Cäsiumnuklids 133. Lassen Sie uns zum weiteren Verständnis einen kleinen Ausflug in das Physiklabor unserer Schulzeit machen: Atome kennen unter verschiedenen Energiezuständen hauptsächlich den positiven (+) und den negativen (-). Der Übergang von (+) nach (-) oder auch umgekehrt kann mit verschiedenen Mitteleinsätzen (mechanisch, elektrisch, magnetisch usw.) erzwungen werden. So wie der Übergang von (-) nach (+) unter Energieaufnahme denkbar ist, wäre der umgekehrte Fall unter Energieabgabe in Form von elektromagnetischer Strahlung möglich. Wenn sich nun an der Konstruktion sowie den äußeren und inneren Bedingungen eines Versuchsaufbaus nichts ändert, wird die zeitliche Abfolge (Frequenz) dieser Strahlungsabgabe immer gleich bleiben. Genau dieses Verfahren macht man sich bei der Bestimmung unserer Zeit zunutze.

In einer Vakuumkammer werden Cäsiumatome erhitzt, bis sie verdampfen. Ein Magnet hinter der Heizkammer lenkt alle positiv geladenen Atome in ein Auffangrohr ab. Dort gelangen sie in ein Mikrowellenfeld. das eine Ladungsänderung in den negativen Zustand erzwingt. Ein zweiter Magnetring leitet nur noch jene Atome ab. die diese Zustandsänderung durchgeführt haben. Diese Atome gelangen schließlich in einen Auffangbehälter. Wenn nun das erwähnte Mikrowellenfeld eine typische Schwingungszahl pro Sekunde (Maßeinheit Hertz. Abk. Hz) durchführt und genau 9 192 631 770 Hz hat, ist die Zahl der gefangenen (gewandelten) Atome am größten. Nun braucht nur noch diese Schwingungszahl durch eine aufwendige elektronische Regelung konstant gehalten zu werden und schon liegt eine verläßliche Ausgangsbasis für einen exakten Zeittakt vor. Die von dieser Atomuhr abgeleiteten Zeitintervalle sind in einem extrem hohen Maß beständig und unveränderlich.

Im Jahre 1967 wurde die Zeiteinheit Sekunde auf der Grundlage des Internationalen Einheitensystems unter Bezug auf diese konstante Schwingung der Cäsiumuhr festgelegt. Die Genauigkeit der Atomuhr beträgt 3 * 10-14, das bedeutet eine Zeitabweichung von weniger als einer Sekunde in einer Million Jahren.

Die Anzeigebox der „Ei"-Uhr

Das Zeitsignal des Mainflinger Senders ist für jeden frei zugänglich, der über entsprechende Empfangsgeräte verfügt. Unternehmen der Republik, die auf eine genaue Zeit angewiesen sind, wie Rundfunkanstalten, Post, Bahn oder Energieversorger, greifen das 77,5 kHz-Signal mit sogenannten Funkuhren ab. Es gibt sogar schon eine Funkarmbanduhr zu kaufen. Somit darf also auch der Privatanwender das Zeitsignal kostenfrei „benutzen".

Was lag also näher, als die genaueste Uhr der Welt auch unseren Computern zugänglich zu machen. Erinnern wir uns: Ursprünglich dachten die Entwickler nicht daran, die Uhrzeit in unseren Rechenanlagen zur Verfügung zu stellen. Die ersten PCs hatten keine Möglichkeit, die Uhrzeit zu verarbeiten. Schnell erkannte man aber, daß es durchaus nützlich sein könnte, die aktuelle Uhrzeit (und natürlich auch das Datum) zu verwalten. Wer einmal leidvoll nach einer verschollenen Datei in der Festplatte suchte, ist sicher dankbar, daß Datum und Uhrzeit im Verzeichniseintrag mitgespeichert werden. Der nächste Schritt war ein kleines Abfragemenü, mit dem man beim Systemstart Datum und Uhrzeit eintippen mußte. Die Software-Uhr war geboren.

Auch in unserer ATARI ST-Geräteserie hat sich der Entwicklungsweg von den Soft- (siehe 260 ST und folgende) über die Hardware-Uhren (als Zubehör für ca. 150 DM zu kaufen) bis hin zu den batteriegepufferten Einbaulösungen (siehe MEGA ST) erstreckt. Die letzte Stufe allen Fortschritts stellt ein Funkuhrmodul dar, das uns die Firma HOCO EDV-Anlagen jetzt für alle ATARI STs anbietet.

So meldet sich das Acccssory. Hier sind verschiedene Anzeigemodi wählbar.

Das Düsseldorfer Ei

Der Name unseres Testgerätes bezieht sich wohl auf die erste Taschenuhr der Welt, die den Spitznamen Ei trug. Wie dem auch sei, das Düsseldorfer Ei besteht aus besagtem Kästchen, 543 cm groß (der Empfänger), einem angeschlossenen Kabel für den Joystickport sowie Diskette und Handbüchlein. Bevor wir uns über die genaueste Zeit freuen dürfen, müssen ein Treiberprogramm im Autoordner der Festplatte (2,5 kBytes lang) sowie ein Accessory (25 kBytes lang) im Boot-Laufwerk installiert werden. Natürlich funktioniert das alles auch mit einer Boot-Diskette. Danach wird der Rechner noch einmal ausgeschaltet, der Empfänger am Joystickport 2 angeschlossen und neu gebootet. Die Stromversorgung von ca. 50 mA stellt der Joystickport zur Verfügung.

Wenn der Rechner schließlich eingeschaltet ist, zeigt um der Empfänger durch eine rote Leuchtdiode seine Betriebsbereitschaft an, und eine gelbe blinkt im Sekundentakt. Damit sind die äußeren Bedingungen für ein Zeitabnahme im ST erfüllt. Ein kleines Ei-Symbol in der linken oberen Bildschirmecke zeigt uns, ob auch die systeminternen Bedingung erfüllt sind. Ist erst kein Symbol zu sehen, ist der Treiber im Autoordner nicht fehlerfrei geladen worden. Besteht das Ei-Symbol nur aus einer schwarzen Umrandung (Monochrommonitor), ist der Treiber zwar installiert, aber der Sekundentakt aus dem Empfänger läuft nicht synchron. Erst wenn diese Synchronisation stattgefunden hat, färbt sich das Ei völlig schwarz. Wenn schließlich in dem schwarzen Ei auch noch Zeigersymbole zu erkennen sind, bedeutet das, daß jetzt eine korrekte und vollständige Zeitinformation vom Empfänger ein gelesen worden ist. So extravagant diese „Ei-Symbol-Idee“ auch sein mag- mir hätte ein nüchterner Anzeigetext per Dialogbox auch genügt, zumal die beschriebenen Fehlerzustände sicher nicht sehr oft Vorkommen werden. Glücklicherweise kann man die Anzeige des beschriebenen Status-Eis auch abschalten.

Alle Darstellungen der Zeit in der rechten oberen Bildschirmecke sind über den Accessory-Eintrag veränderbar. Mögliche Zustände sind: Uhrzeit ein/aus, Datum ein/aus, Schrift groß/klein oder sogar Weckzeit ein/aus.

Interessanter wird es auf dem Bildschirm, wenn man im ACC den Dialogknopf DCF... aktiviert. Es erscheint eine Informationsbox, die uns sämtliche empfangenen Daten anzeigt. Im oberen Drittel werden die eintreffenden Signal-Bits mit laufender Nummer, Übertragungsdauer in Millisekunden und mit ihrem binären Werl dargestellt. Auch eventuelle Fehler wertet das Programm aus und bringt diese zur Anzeige. Im mittleren Drittel ist die Gesamtinformation des letzten Minutendurchgangs (darüber gleich mehr) aufgelistet, und im unteren Drittel steht eine kleine Zeichenerklärung.

Dieses Bild zeigt die Zusammensetzung des IKF77-Codes.

Was ist Zeit?

In den Datenpaketen des DCF 77 werden Minuten, Stunden, Tageszahl, Wochentag, Monat und Jahr als BCD-Zeichen kodiert übertragen. Fast jeder Computerbesitzer kennt den (erweiterten) ASCII-Code. Er wird als sogenannter 8-Bit-Code vornehmlich für die Ein- und Ausgabe darstellbarer Zeichen (also Buchstaben, vereinfachte Grafiksymbole usw.) benutzt und ist international genormt. Besonders im binären Rechnen ist der BCD-Code. ein sogenannter 6-Bit-Code, wesentlich effektiver und schneller als der ASCII. Dies ist auch der Grund, warum er für die Signalverarbeitung des DCF 77-Senders Verwendung findet.

Die Datenpakete strahlt der Sender jeweils zwischen der 21. und 58. Sekunde als Information für die darauf folgende Minute aus. Alle binären Werte kommen im Sekundentakt zum Empfänger. Dabei wird das Trägersignal (Amplitudenmodulation) um etwa ein Viertel seines Wertes abgesenkt, und genau der Beginn dieser Absenkung (Flanke) gilt als der Sekundentakt. Wenn nun diese Absenkung eine Zehntelsekunde (0,1 sec) dauert, entspricht dies der binären Null, eine Absenkung um eine Zwanzigstelsekunde (0,2 sec) bedeutet eine binäre Eins.

Zu jeder vollen Minute startet der Durchlauf der Zeitinformationen von neuem. Das Bit Nr. 0 (Name „M“) signalisiert den Minutenanfang und hat immer den binären Wert 0. Die Bits Nr. 1 bis 14 werden zur Zeit nicht kodiert und stehen ebenfalls immer auf binär Null. Bit 17 und 18 zeigen an, ob die Zeit als MEZ (Mitteleuropäische Zeit) oder als MESZ (Mitteleuropäische Sommerzeit) ausgesendet wird. Bit 19 würde eine Schaltsekunde (wenn 1) ankündigen, die als Bit 59 folgt. Diese Schaltsekunde ist gelegentlich zum Jahreswechsel eingefügt worden, um eine größer werdenden Differenz zwischen der (künstlichen) Atomzeit und dem wirklichen Lauf der Sonne auszugleichen. Bit 20 (immer 1) zeigt den Start der auswertbaren Zeitinformation an. Danach folgen die entsprechenden Datenpakete für Minute, Stunde, Tag (d.h. Ifd. Tagesnummer seit Jahresbeginn), Wochentagsname, Monats- und Jahreszahl. Das Ende der Zeitinformation zeigt das 59. Bit an, das einfach gar nicht gesendet wird, d.h. es wird keine Trägerabsenkung durchgeführt. Zwischen den einzelnen Paketen sind noch Paritäts-Bits eingefügt worden, die einen Übertragungsfehler aufzeigen helfen. Es bleibt dem Programm überlassen, ob es diese Paritätswerte abnimmt und zu einer Überprüfung heranzieht.

Für Programmierer

Die zur Uhr mitgelieferte Software verändert den XBIOS-Aufruf 22d Uhr stellen in einer Form, die es erlaubt, auf alle 59 übertragenen Informations Bits des DCF77-Senders zuzugreifen. Mit diesem XBIOS-Aufruf ist es dem Programmierer möglich, aus jeder Programmiersprache heraus eigene Auswertungen dieser Informationen vorzunehmen. Außerdem verändert der Treiber die Vektoren Trap #1 (GEMDOS), Trap #13 (BIOS), Trap #14 (XBIOS) und Joyvec, gleichzeitig Findet ein Eintrag in die VBL Liste statt. Eine ausführliche Beschreibung, wie ein Programmierer diese Informationen erreichen kann. Findet man im Handbuch.

Abschließende Wertung

Sehr zu loben ist die Möglichkeit, aus eigenen Programmen auf die Daten zugreifen zu können, was in dem 22 Seiten umfassenden Handbüchlein ausführlich beschrieben wird. Kleine Routinen in C, GFA-BASIC und Assembler stehen für solche Anfragen und Treiberansteuerung auch auf Diskette zur Verfügung.

Der Empfänger besteht aus einem 2 m langen Kabel und einem kleinen Plastikkästchen, welches nur eine Ferritkernspule als Antenne und etwas Ansteuerelektronik verbirgt. Er ist zwar relativ unempfindlich gegen Störstrahlung, sollte aber nicht allzu nahe am Monitor plaziert sein. Fensternähe ist ihm lieber.

Eingefleischte Genauigkeitsfanatiker werden ihre Freude haben mit der präzisesten Uhr der Welt. Wenn man bedenkt, daß es bis vor kurzem noch relativ ungenaue ROM-Port-Uhren (gemessen an dem DCF-77-Zeitzeichen) im Zubehörhandel zu einem ähnlichen Preis gab, dann sind 98 DM sicher nicht zu teuer.

DK

Bezugsquelle

HOCO EDV Anlagen GmbH Ellersrraße 155 4000 Düsseldorf



Aus: ST-Computer 12 / 1990, Seite 156

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite