EDEN - Treffpunkt für jedermann?

Immer mehr Dialogsysteme überschwemmen die DFÜ-Welt. Natürlich macht diese Entwicklung auch vor dem Bildschirmtextsystem nicht halt. Wir untersuchten Eden, das beliebteste BTX-System, auf seine Tauglichkeit.

Wer in BTX seinen Spaß haben will, bekommt ihn sehr leicht. Mit *33033# erreicht man Eden, “die phantastische Stadt“. Die Übergabeseite verspricht, hier sei ein “Treffpunkt für phantasievolle Menschen”. Was auf den ersten Blick zu sehen ist, stellt zwar phantasievolle Pseudonyme dar, die meisten von ihnen jedoch mit Namen, die in eine eindeutige Richtung weisen. Hier erkennt man die “Lust auf Lust”, wie es die Aufsichten des Systems nennen, oder einfacher ausgedrückt: Sexbesessene. Man kann nämlich sein Pseudonym frei wählen und wird so von niemandem erkannt bzw. erkennt niemanden. Was macht das System also so interessant?

Nach dem Login in Eden kann man das oben erwähnte Pseudonym definieren. Als nächstes soll man versuchen, seine Person auf einer Visitenkarte zu beschreiben, die alle anderen Teilnehmer abrufen können. Dazu stehen nur 4 Zeilen à 40 Zeichen zur Verfügung - ein sinnloses Unterfangen, wie ich denke. Der Login in das System kostet DM 0,40.

Bild 1: Der “Stadtplan“ von Eden - was machen wir denn heute?

Im System...

...angelangt, sind verschiedene Auswahlen zu treffen - Eden soll ja schließlich eine Stadt darstellen. Wir entscheiden uns für die “Bar d’Amour”. Hier angelangt, trifft man zu jeder Tages- und Nachtzeit auf Teilnehmer, die Lust auf Lust haben, also schlicht sexbesessen sind. Dabei sind auch viele Pärchen und Homosexuelle anzutreffen. Denaturierte Lustmolche, sadistische Phrasen, schwülstige Klischees und deklamatorisches Wortgeklapper wirken eher abstumpfend als anregend. Nur zwei Beispiele: “Pärchen sucht jungen Mann zur Besamung” oder “zahle 500,- für IHN...” sind einfach ekelhaft. Deshalb sollten diejenigen, die normale Gespräche vorziehen, sich schnellstens in den “Pub” begeben.

Der Pub hat die gleichen Möglichkeiten wie die Bar d’Amour, allerdings trifft man hier noch auf halbwegs vernünftige Menschen, die einfach nur plaudern wollen. Das System bietet die Möglichkeit, Nachrichten zu schreiben (DM 0,15) und zu empfangen oder Visitenkarten anzusehen (DM 0,15). Wer sich mit diesen Möglichkeiten nicht zufriedengibt, kann auch ein Rundschreiben an die nächsten 50 Benutzer schicken, die nach Eden kommen (DM 7,50). Im Pub kann unter Umständen sogar ein interessantes Gespräch Zustandekommen. Positiv: Hier existiert ein harter Kern von Teilnehmern, die vernünftige Diskussionen führen oder nach ihrem Feierabend einfach nur ausgelassen sein wollen.

Bild 2: Hupfdohle, Lacerator, Callboy - eine illustre Gesellschaft.

Natürlich geht es farbig zu. Wie auch im echten Leben existiert in Eden eine “Rassentrennung”. Die “schwarzen” Benutzer sind nicht registriert und können deshalb auch keine private Post erhalten. Eine Position weiter folgen in der Rangliste “weiße” Anwender. Diese sind für einen Monat registriert (DM 2,00) und erhalten ein Paßwort, damit niemand ihren Namen benutzen kann. Dadurch werden sie auch in die Lage versetzt, persönliche Post zu versenden (DM 0,30), die nur der Empfänger der Nachricht selbst lesen kann. Eine noch höhere Priorität besitzt der „gelbe Bürgermeister”. Er bzw. sie wird einmal im Monat von den “Einwohnern” Edens gewählt. Alle Kosten, die ihm bei der Ausführung seines “Amtes” entstehen, werden durch die Betreibergesellschaft ersetzt. Den höchsten Rang besitzen die “gelben Aufsichten”: Sie können sogar Benutzer aus dem System komplimentieren.

Stadt oder Geldschlucker?

Die Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft. Man kann weiterhin wählen zwischen Party (mehrere Benutzer sprechen gleichzeitig miteinander), Cafe (zwei Benutzer führen einen direkten Dialog), Foren (Diskussionsrunden, in denen die Nachrichten gespeichert werden), Tageszeitung (für Inserate), Gewinnspielen, “Einwohnermeldeamt” usw.

Eden nennt sich “Stadt”. Allerdings sollte man vorsichtig sein, sich allzu oft hier aufzuhalten. Innerhalb von 12 Monaten habe ich für meine Recherchen über 500,- DM ausgegeben, die sich aus „Kleckerbeträgen” von jeweils 15 Pfennigen zusammensetzen -man verliert schnell die Übersicht über das, was man wirklich bezahlt hat. Eden ersetzt auf keinen Fall einen “echten” Dialogpartner und erst recht keine zwischenmenschliche Beziehung. Das scheint jedoch einigen Teilnehmern nicht klar zu sein. Wer nicht hinter dem Monitor verstauben will, sollte lieber einen richtigen Pub aufsuchen.

Fazit

Phantasievolle Menschen findet man bestimmt in Eden. Allerdings nimmt die Phantasie hier manchmal einen merkwürdigen Lauf. Wer einen kurzweiligen Spaß haben möchte, ist mit dem System gut beraten. Dabei darf er/sie sich aber nicht von sexbesessenen Teilnehmern stören lassen und muß unbedingt einen genauen Blick auf seine Ausgaben werfen! Ansonsten: Einfach mal ausprobieren!

MP

Bild 3: Ein schnelles Treffen mit Belinda im Mövenpick für 15 Pfennig


Aus: ST-Computer 09 / 1990, Seite 14

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