Overscan - Die Auflösungs-Erweiterung

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Mit einer originellen Idee und einer einfachen Schaltung, garniert mit einem Stück Software, läßt sich die Bildschirmauflösung des ST massiv erhöhen. Das Produkt nennt sich Autoswitch-Overscan und ist für DM 97 erhältlich.

Overscan hat eine längere Entwicklungsgeschichte und tauchte erstmalig unter dem Namen Hyperscreen in einer ST-Zeitschrift auf. Damals waren als Hardware nur ein paar Kabel und ein Umschalter notwendig. Die Software war frei und wurde mehrfach überarbeitet.
Die Entwickler haben sich nun hingesetzt und aus der Idee ein professionelles Produkt gemacht. Herausgekommen ist der Autoswitch- Overscan, der die Auflösung des ST massiv erhöht und sich durch eine kleine Logik automatisch auf nicht auflösungsunabhängig programmierte Software einstellt.

Die mit Overscan erzielbaren Auflösungen sind phänomenal und sollen selbst die ATARI-Entwickler überrascht haben. Ein normaler ST mit der Overscan-Schaltung kann monochrom bis über 700 * 480, in der mittleren Auflösung bis über 800* 280 und in der niedrigen Einstellung bis zu 400*232 Pixel darstellen.

Wie hoch die Auflösung getrieben werden kann, hängt vom verwendeten Monitormodell und teilweise auch von geräteeigenen Eigenschaften ab. Die Entwickler geben beispielsweise für einen SM124 von ATARI eine monochrom Auflösung von 672 * 480 an, ein NEC Multisync GS bringt sogar 752 * 480. Mit ATARIs SC1224 kommt man auf 384 * 280 bzw. 752 * 280 - ein Multisync oder ein AMIGA-Monitor erreicht dagegen 400 * 280 bzw. 816 * 280 in Farbe. Ein Test mit einem billigen portablen Fernseher erbrachte noch 352 * 272 bzw. 736 * 272 Pixel.

Möglich wird das Ganze, indem - grob gesagt - der Shifter einen höheren Takt erhält. Dieser wird einfach an einer anderen Stelle auf der ST-Platine abgegriffen und von der Hardware mit dem Shifter verbunden. Aufgrund der eingebauten Logik in zwei GAL-Bausteinen kann die Verbindung und damit die Auflösung unter Software-Kontrolle geschaltet werden. Der Software-Treiber kümmert sich im Kern um die Verwaltung des neuen Bildschirmspeichers, erlaubt die Umschaltung der Auflösung und bindet das Ganze in GEM ein.

Overscan kann mit allen ST-Modellen mit Ausnahme des 1040STE verwendet werden. Bei diesem Modell fiel ein benötigtes Signal der Integration zum Opfer und ist nicht mehr zugänglich, sondern direkt auf einem Chip verschaltet.

Einsteigen

Am Anfang steht der Einbau des kleinen Platinchens, auf dem sich die beiden GAL-Bausteine befinden. Wie in Bild 1 zu sehen, erhebt sich ein kleiner Kabelbaum aus der Schaltung, denn immerhin müssen zehn Verbindungen an verschiedene Stellen auf der ST-Platine gezogen werden.

Neben dem Auffinden dieser Punkte und der Lötarbeit sind noch drei Leiterbahnen auf der ST-Platine zu durchtrennen. Aufgrund eines Layout-Fehlers muß bei einigen MEGA-Modellen ein weiterer Kontakt durchtrennt werden. Sind die Verbindungen gezogen, kann das Overscan-Platinchen im Rechner verstaut werden, was durch einen einfachen Haftstreifen unterstützt wird. Im Bild hat Overscan neben dem 68000 Platz gefunden und gerät auch nicht mit einem PC-Speed ins Gehege. Sollten andere Zusatzplatinen vorhanden sein, ist die Plazierung den Overscan-Schaltung ebenfalls probletnlos. Der Einbau ist nicht unbedingt für Anfänger geeignet, da die entsprechenden Lötpunkte auf der Platine natürlich extra verbunden werden müssen und die Leiter bahnen auf einer modernen Platine wie die des ST sehr fein sind. Traut man sich den Einbau nicht zu, sollte man ihn besser einem Händler oder einem versierte Bekannten überlassen.

Das 48seitige Handbuch beschreibt den Einbau detailliert in 18 Schritten und gibt einige Tips, falls nicht sofort das gewünschte Ergebnis eintritt. Mehrere Grafiken beschreiben die Lage der durchzutrennenden Leiterbahnen und der Lötpunkte für die verschiedensten ST-Modelle und -Platinen. Das Handbuch sollte keine Fragen zum Einbau offen lassen.

Hochfahren

Der Software-Treiber OVERSCAN.PRG muß von der mitgelieferten Diskette in den AUTO-Ordner kopiert werden. Damit wird bei jedem Booten automatisch die Overscan-Darstellung eingeschaltet. Beim ersten Start muß die Software auf den verwendeten Monitor konfiguriert werden, wozu auf Festhalten einer Shift-Taste beim Booten ein Menü erscheint. Ein Rechteck zeigt dann den momentan von Overscan genutzten Bildschirmbereich an. Er kann mit den Pfeiltasten so vergrößert oder verkleinert werden, dass er vollständig auf dem Monitor angezeigt wird. Mit dem Zehnerblock läßt sich auch die Lage des angezeigten Monitor-Bilds verändern, so dass eine Anpassung an die Fähigkeiten des Monitors einfach und interaktiv möglich ist.

Weiterhin existieren verschiedene Optionen bei der Konfiguration. So können bei einem Farbmonitor die Auflösung, die Darstellungsfrequenz und die Farbe des Bildschinnrands gewechselt werden Da die ST-interne Hardcopy-Routine ihre Macken hat und mit einem großen Bildschirmspeicher nicht umgehen kann, läßt sich Overscan so einstellen, dass beim Auslösen einer Hardcopy der gesamte Overscan-Bildschirminhalt in eine Datei im GEM-Image-Format geschrieben wird. Im Schwarzweißbetrieb läßt sich die Auflösungsumschaltung durch eine Zusatzspeicheroption beschleunigen.

Hat man alle Einstellungen nach Wunsch getätigt, werden sie in OVERSCAN.PRG abgespeichert und stehen beim nächsten Booten sofort bereit. Will man - aus welchen Gründen auch immer - nur kurzzeitig eine andere Bildschirmauflösung benutzen, kann das Konfigurations-Menü auch ohne Abspeichern verlassen werden.

Abfahren

Beim nächsten Booten fährt der Treiber dann die Bildschirmauflösung mit einem opfischen Effekt auf die konfigurierten Werte hoch. Es erscheint das Desktop, und der seinen festen Bildschirmrahrnen gewohnte Benutzer wird zunächst einmal den Atem anhalten. Bild 2 zeigt das gleiche Desktop mit und ohne Overscan- Auflösung auf einem Farbmonitor. Neben dem offensichtlichen Auflösungsgewinn (in den Farbauflösungen läßt sich die Pixel-Anzahl glattweg verdoppeln) sieht hier mit einem normalen ST auch die Mehrspaltendarstellung der Directory-Fenster möglich ist. Ohne Übertreibung - man fühlt sich fast wie auf einem Großbildschirm.

Abbremsen

Leider hat sich schon mit dem Aufkommen von Großbildschirmen oder dem Software-Emulator BigScreen gezeigt, dass viele ST- Programme nicht auflösungsunabhängig programmiert sind. Dies reicht von einfacheren Problemen wie festen Maximalgrößen für Fenster bis zu Programmen, die direkt in den - vermeintlich normalen - Bildschirmspeicher schreiben. Letztere liefern bei veränderter Bildschirmgröße wilde Bit-Muster und sind in einer solchen Konfiguration nicht zu gebrauchen. Ursache dafür ist sicher das Fehlen fester ATARI-Richtlinien für die Programmierung, wie sie beispielsweise Apple für seinen Macintosh durchgesetzt hat.

Dieses Problem wird sich nicht nur bei Systemen mit Großbildschirmen bemerkbar machen, sondern auch auf den neuen ATARI-Maschinen TT und EST, die bekanntlich erheblich mehr Auflösungsmodi bieten. Aber auch auf einem mit Overscan ausgerüsteten normalen ST machen einige Programme Schwierigkeiten. Das Problem wird gelöst, indem man Overscan einfach mitteilt, welche Programme nicht in der erweiterten Auflösung laufen. Ruft man solche Software vom Desktop, aus einer Shell oder anderen Programmen auf, schaltet Overscan automatisch, ohne dass irgendwelche Eingaben nötig wären, auf die alte Originalauflösung. Wird ein auflösungsabhängiges Programm beendet, tritt wieder der erweiterte Overscan-Modus in Kraft.

Festgelegt wird der gewünschte Auflösungmodus in einer ASCII-Datei OVERSCAN.INF, die beim Booten eingelesen wird. Dort könnte man beispielsweise mit einem Eintrag "GULAM.PRG " auswählen, dass die Shell Guläm nicht in hoher Auflösung gefahren wird. Übrigens bleibt hier die eingestellte Auflösung beim Aufruf weiterer Programme aus der Shell erhalten - es sei denn, man hätte beispielsweise mit einem Eintrag "WORDPLUS.PRG +" festgelegt, dass WordPlus immer in der höheren Auflösung gestartet wird.

Bild 2: Beeindruckend: originale und erweiterte Auflösung im mittleren Modus

Bei der Erstellung der Einträge kann man Übrigens auch Listen mit Programmnamen schreiben, für die eine Einstellung gemeinsam gelten soll, oder Wildcards verwenden. Die INF-Datei wird beim Einlesen gepackt, wofür ein Datenraum von maximal vier KB bereitsteht. Gerade durch die Wildcard dürfte dies ausreichen.

Man wird also während der Arbeit mit seinen Programmen feststellen, ob ein Programm auflösungsunabhängig ist. Trifft dies nicht zu, trägt man einfach den Namen mit einem Editor in die Info-Datei ein, und nach dem nächsten Booten stellt Overscan automatisch den gewünschten Modus ein. Will man sofort mit einem problematischen Programm arbeiten, kann man durch Drücken von Alternate +Control beim Doppelklick auf dem Desktop manuell die original ST- Auflösung anwählen. Diese Tastenkombination läßt sich übrigens durch einen im Handbuch beschrieben Patch mit einem Disk-Monitor ändern.

Hochgetrieben

Der Software-Treiber muß bei der Umschaltung der Auflösung eine ganze Reihe von Betriebssystemvariablen verändern. Gleichzeitig hängt er sich in fast alle System-Trap-Vektoren ein, um das Verhalten einiger Funktionen zu ändern. Der Treiber arbeitet mit allen TOS-Versionen, darunter auch dem "durchgepatchten" KAOS. Lediglich bei der Uraltversion des ersten ROM-TOS sind Patches nötig. Für den Programmierer implementiert der Software-Treiber zusätzliche XBIOS- Funktionen, mit denen beispielsweise die Versionsnummer abgefragt oder die Auflösung von einem Programm aus umgeschaltet werden kann. In einem Header-File für TURBO-C werden die Funktionen zugänglich gemacht.

Da Overscan auch implizit eine Testmöglichkeit für die Auflösungsunabhängigkeit eigener Programme ist, sollte unter Overscan selbsterstellte Software zu den verschiedensten Auflösungen kompatibel sein. Auf welche Feinheiten man in der Programmierung dabei zu achten hat, und mit welchen GEM-Funktionen man beispielsweise die X-Auflösung wirklich sicher abfragt, erläutert ein kurzer, aber sehr interessanter Text auf der Diskette. Zwei Beispielprogramme in GFA und C sowie C-Routinen zur auflösungsgerechten Verwendung von Image-Daten bei Icons runden die zusätzliche Software ab. Übrigens läßt sich die erhöhte Auflösung beispielsweise mit pc- speed schon seit geraumer Zeit nutzen. Durch Auswahl der Bildschirminstallation "HYPERHERC" kann mit Overscan eine Hercules-Karte emuliert werden. Nach Angaben der Entwickler sollen auch der Mac-Emulator Spectre und der QL-Emulator an Overscan angepaßt werden.

Fazit

Das Erscheinen einer kostengünstigen Erweiterung, die eine erhöhte Bildschirmauflösung ermöglicht, könnte bei größerer Verbreitung auch Einfluß auf die Software-Qualität auf dem ST haben. Programme, die nur mit den üblichen Auflösungen arbeiten, werden unter Overscan sofort unangenehm auffallen und landen so in der Ausnahmeliste, die schließlich zu einer "schwarzen Liste" schlecht geschriebener Software werden kann.

Der Autoswitch-Overscan ist ein preiswertes Produkt, das den ST durch die erhöhte Auflösung deutlich aufwertet. Der Software- Treiber ermöglicht eine flexible Benutzung, und das Autoswitch-Konzept sichert auch die Verwendung auflösungsabhängig programmierter Software. Das Handbuch beschreibt Einbau und Betrieb eingänglich und sollte alle Fragen abdecken. Das kleine Overscan- Platinchen sollte und wird sicher seinen Weg in viele STs finden.

RT

Overscan GbR Isakovic-, Hartmann, Jerchel
Säntisstr. 166
1000 Berlin 48



Aus: ST-Computer 07 / 1990, Seite 58

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