Radfak - Den Einzelhandel im Griff

Nachdem Berlin in den vergangenen Monaten wieder in den Mittelpunkt des politischen Interesses gerückt ist, wenden auch wir uns heute der geteilten Stadt zu. Unser Weg führt nicht zufällig dorthin, sondern die Firma GaC hat uns eingeladen, ihr Warenwirtschaftssystem Radfak anhand einer Installation in Augenschein zu nehmen. Lesen Sie also, wie der ST seinen Platz im Fahrradhandel findet.

Zunächst aber die Kernfrage: Was ist überhaupt ein Warenwirtschaftssystem? Ein solches Programm hilft dem Einzel- oder auch Großhändler, sein Geschäft zu führen und sein Lager zu überwachen. Die größten Vorteile gegenüber allen herkömmlichen Methoden bestehen in der Fähigkeit des Systems, das Lager transparent zu machen und bestimmte Mindestlagermengen zu halten. Da die Kassen mit dem zentralen Rechner in Verbindung stehen, wird die Abwicklung des Verkaufsvorganges erheblich vereinfacht. So wird auch die Buchhaltung des Geschäfts automatisiert.

Von der Historie...

Die Geschichte der GaC beginnt mit einem jener Zufälle, die gerade in der Computerbranche nicht selten sind. Sie handelt von einem Mann namens Thomas Beck. Er ist aus dem Schwäbischen in die Wahlheimat Berlin emigriert und hat ‘eigentlich schon sehr früh’ Kontakt mit allen Formen von Computern gehabt. Anfang 1987 ist er bereits diplomierter Ingenieur der Elektrotechnik und programmiert neben Maschinensteuerungen alles andere, was ihm in die Finger gerät. Nebenbei fährt er Fahrrad, und so führt ihn sein Weg eines Tages in einen größeren Fahrradladen im Berliner Stadtteil Schöneberg.

Die Leute dort, Freaks allemal und teilweise auch in Sachen Computer, versuchen sich gerade an einer Maschine, die ausschaut wie ein Brotkasten mit braunen Tasten. Herrn Beck, der so klangvolle Namen wie ‘Vax’ und ‘Sun’ als Gegenüber gewohnt ist, entlockt das nur Worte des Mitleids. Doch anstatt wegen fortgesetzter Überheblichkeit des Geschäfts verwiesen zu werden, verläßt er dieses mit dem Auftrag, nach einer passenden Soft-und Hardware-Kombination Ausschau zu halten. Die jungen Zweiradhändler versprechen sich vom damals nicht gerade alltäglichen Schritt zur computergestützten Ladenverwaltung vor allem eine Vereinfachung ihrer Lagerhaltung.

Nach wochenlanger Recherche schwindet bei Beck die letzte Hoffnung, zu einem Preis unter 100.000 DM eine adäquate Lösung des Problems zu finden. Es sind ihm bei der Suche weder Betriebssysteme noch Rechnertypen vorgegeben - dennoch findet sich nichts, von dem er der Meinung ist, es könnte den einerseits praktischen Bedürfnissen des Ladenbetriebs genügen, noch Forderungen an ergonomische und leicht erlernbare Bedienung erfüllen. So gründet er kurz entschlossen die ‘Gesellschaft für anwendungsorientierte Computersysteme ' (der er netterweise das aussprechbare Kürzel ‘GaC’ mit auf den Weg gibt). Unter diesem Namen will er die Lösung auf den Weg bringen.

Wie das Programm, das er zu schreiben gedenkt, nicht aussehen soll, das weiß er bereits. Bei ersten Entwürfen ergeben sich auch eindeutige Forderungen an die Hardware. Er macht sich also auf den Weg. um nach einem Rechner auszuspähen, der als Basis seines Systems fungieren könnte. Die Wahl fällt auf den ATARI ST; Gründe sind der geringe Preis, der gute Monitor, der große Speicher und die Oberfläche GEM. Handicap, daraus macht Beck keinen Hehl, sind auch heute noch die Vorurteile, die viele Interessenten gegenüber nicht-MS-DOS-Systemen haben. Auch die mangelnde Unterstützung echt professioneller Anwender von Seiten ATARIs her betrachtet er als Schwierigkeit.

Radfak beim Kassenbetrieb

...zur Gegenwart

Anfang 1988 dann steht die erste Version von Radfak, so tauft Beck das Produkt durch programmierter Nächte und ungezählter Tassen Kaffee. Erste Gehversuche finden natürlich im Fahrradbüro statt, wo schließlich die Wiege des Projekts steht. Hier beschäftigt sich Beck auch immer wieder mit den Forderungen an ein solches System und den Handlungsabläufen, wie sie tatsächlich in der Praxis auftreten. Das Fahrradgeschäft dient ihm, der zuvor Läden nur von der anderen Seite des Tresens her kannte, als Prototyp für den Einzelhandel.

Im Berliner FahrradBüro hat es das Programm bis heute zu immer mehr Reife gebracht. Aber nicht nur dort, von ca. 50 Einzelhändlern wird Radfak mittlerweile eingesetzt. Besonders stolz ist Beck auf die Tatsache, daß einerseits alle Systeme, die er geliefert hat, auch wirklich genutzt werden, also nicht nur als Staubfänger dienen; andererseits habe keiner der Kunden länger als wenige Tage seinen Hotline-Service in Anspruch genommen. Trotzdem sammelt er Anregungen und Verbesserungsvorschläge, die aus der Praxis an ihn herangetragen werden. Daher hat Radfak mittlerweile die Versionsnummer 3.0 bekommen.

Wir wollten wissen, wie es um die Absatzmöglichkeiten eines solchen speziellen Programms steht. Beck ist da selbstbewußt optimistisch. Neben den verkauften 50 hofft er, mindestens weitere 150 Exemplare vor allem an Fahrradhändler absetzen zu können. Die GaC ist mittlerweile auch gewachsen: Burghard Britzke, diplomierter Mathematiker und angehender Diplom Informatiker, kümmert sich um Marketing und Kundenpflege. Und demnächst wird die Firma noch einen dritten Mitarbeiter ernähren müssen. Erweiterungen des Programms sind geplant, im Herbst soll ein passendes Finanzbuchhaltungsprogramm angeboten werden. Und die Zahl der Zweiradhändler beträgt in der BRD immerhin 4(XK).

Davon wird sicher nur ein Teil überhaupt ein solches System benötigen, doch sieht Beck den Markt als ergiebig genug an. Bekannt macht sich die GaC über einschlägige Fachmessen, wo Händler, die das Programm schon einsetzen, ebenfalls für die nötige Mundpropaganda sorgen.

ATARI und die 40 Fahrradteile

Objekt des Interesses

Wenden wir uns aber nun kurz dem Programm, besser gesagt dem Gesamtsystem Radfak zu. Grundvoraussetzung für dessen Einsatz ist ein ST mit mindestens 1MB RAM und Festplatte. Sinnvoll ist jedoch, einen kleineren Rechner (1040 ST) als Kasse einzusetzen und einen größeren (Mega 2/Mega 4) im Büro zur Verwaltung und Pflege der Daten zu benutzen. Auf dem Rechner am Tresen läuft dann die Kassen-Software, auf dem Hauptrechner Radfak selbst.

Mit dem Kassenprogramm werden Daten über die Artikel abgerufen, Angebote erstellt, Verkäufe getätigt und Rechnungen gedruckt. In der Praxis sieht das so aus, daß ein Kunde z.B. ein Fahrrad aus Einzelteilen zusammengebaut haben möchte. Das Angebot kann der Verkäufer direkt mit der Maus am Monitor zusammenstellen. In einem Fenster werden die einzelnen Artikel gelistet. Ist dem Mitarbeiter aber gerade die Artikelnummer des 6-Gang-Schaltwerkes von Shimano entfallen, kann er sich über diverse Hilfestellungen, die ihm das Programm bietet, dahin durchfragen. Schließlich wird das Ganze auf dem angeschlossenen Drucker ausgegeben. Der Verkauf läuft dann im Prinzip genau so, allerdings muß jetzt ein Kassenbon gedruckt werden, was ein evtl, angeschlossener Bondrucker erledigt. Ist auch noch eine Kassenschublade angeschlossen, öffnet der Rechner diese wie gewohnt.

Gläsernes Lager

Im Büro sitzt der Chef, informiert sich über getätigte Umsätze und überträgt diese ins Kassenbuch, das Radfak führt. Über dieses findet das System auch heute schon Anschluß an Buchhaltungsprogramme. Radfak informiert den Händler über Artikel, deren Mindestmenge unterschritten wurde. Diese Menge wird bei der ersten Erfassung eines Artikels angegeben. Wird sie unterschritten, d.h. an der Kasse ist der Artikel oft genug verkauft worden, wird er in eine Mindermengenliste aufgenommen. Diese Liste ist der entscheidende Vorteil des Rechnereinsatzes. Denn hier erkennt der Händler auf einen Blick, was bestellt werden muß. Er kann sich zu jedem Artikel die Großhändler geben lassen, die diesen anbieten. Gleichzeitig erhält er Informationen darüber, wie oft der Artikel in den letzten Monaten verkauft wurde. So wird nicht durch subjektives Empfinden ein bestimmtes Produkt ins Lager genommen, sondern die tatsächlichen Verkaufszahlen dienen als Entscheidungsgrundlage.

Das betont GaC-Mann Britzke, sei der große Vorteil des Systems. Er demonstriert sogleich am Beispiel, wie Bestellungen durchgeführt werden. Diese müssen aber nicht sofort an den Lieferanten losgeschickt werden. Die Bestellungen können gesammelt und z.B. einmal wöchentlich abgesandt werden. Geradezu selbstverständlich ist, daß Radfak dabei vollautomatisch druckt und lediglich um die Angabe der Bestellmenge bittet. Hat die Bestellung den Laden verlassen, landet der Artikel in einer Liste offener Posten, von der er erst wieder verschwindet, wenn er tatsächlich geliefert, ausgezeichnet und im Regal verstaut ist. Dabei hilft Radfak durch Etikettendruck und Vergleich von Lieferung und Bestellung. Hier wird erfaßt, welche Artikel tatsächlich ins Lager gelangen und somit das Wareneingangsbuch geführt.

Beim FahrradBüro fiel auf, daß ein hoher Prozentsatz der angebotenen Waren (insgesamt zirka 7000 Artikel) in der Mindermengenliste auftauchten. Britzke hat die Erklärung: Es sei Winter und damit keine Saison für die Zweiradbranche. Da seien die Händler bemüht, kein Kapital ans Lager zu binden. Da Radfak eine ständige Inventur ermöglicht, kann auf Knopfdruck der Gesamtwert aller am Lager befindlichen Waren abgerufen und der Erfolg kapitalsparender Bemühungen kontrolliert werden.

Zum vollständigen Überblick über die Menge der Waren bietet das System eine Reihe von Statistiken auf der Grundlage der Artikeldaten. Diese ermöglichen. Verkaufsrenner und Ladenhüter zu erkennen. Verkäufe, Gewinne. Verkaufszahlen können nach Warengruppen. Jahreszeiten usw. sortiert werden.

Der Radfak-Kassenbildschirm

Im Netz

Während im Büro der Chef das Lager am Monitor inspiziert, muß der Verkauf natürlich weitergehen. Dazu hat die GaC ein Netzwerk geschaffen, das einen Hauptrechner mit bis zu vier Kassenrechnern auf dem Weg der MIDI-Schnittstelle verbindet. Die Rechner im Laden greifen während des Kassenbetriebes auf die Daten zu, die auf der Festplatte des zentralen Rechners gespeichert sind. Ein pfiffiges System der Datenaktualisierung ermöglicht das, auch wenn auf dem Hauptrechner Radfak oder ein anderes Programm im Vordergrund läuft. Im Berliner Fahrrad Büro sind vier Kassenrechner mit einem Mega 4 vernetzt. Die jeweiligen Geschwindigkeitseinbußen halten sich dabei in erträglichen Grenzen.

Mensch & Maschine

Wo denn nun die Vorteile des Rechnereinsatzes und speziell ihres Programms im Einzelhandel bzw. in der Fahrradbranche liegen, wollten wir von den GaC-Leuten wissen. Burghard Britzke hat die Antwort parat: Der Rechner hilft, das Lager zu reduzieren, gebundenes Kapital - auch saisonal - zu minimieren, Doppelbestellungen zu vermeiden und so die Kosten zu senken. Gerade in Einzelhandelsbranchen, die mit sehr vielen Artikeln handelten, seien solche Hilfen vonnöten. Radfak sei speziell auf diese Probleme zugeschnitten, die nicht nur im Zweirad-, sondern z.B. auch im Elektronikhandel auftreten.

Aber früher - so halten wir dagegen - habe doch der Chef alles im Kopf gehabt, und der Laden sei auch gelaufen. Auch hier folgt die Antwort auf dem Fuße: Der Preisdruck werde von Tag zu Tag größer, genauso die Konkurrenz und die Produktfolge. Das könne ein Mensch heute kaum noch allein bewältigen. Wollten es - wie im Berliner Beispiel - denn gleich vier Geschäftsführer gleichzeitig, ginge das überhaupt nicht. Es sei häufig zu Doppelbestellungen oder zu leeren Regalplätzen gekommen, denn dort sind zu unterschiedlichen Zeiten acht Mitarbeiter tätig. Weil allein die Kommunikation dieser untereinander erhebliche Zeit erfordert und natürlich unvollständig bleibt, hätte die Notwendigkeit bestanden, die Lagerhaltung per Rechner abzuwickeln.

Die größten Pluspunkte, die ihr System für sich verbuchen kann, sehen die GaC-Leute darin, daß es von Anfang an nur eine Vorgabe hatte: Sich nämlich möglichst reibungslos und unauffällig in den Ladenbetrieb einzuordnen. Weder bei der Gestaltung der Datenbasis noch der Bedienerführung sei man an irgendwelche Vorgaben gebunden gewesen, sondern habe diese den im Laden herrschenden Forderungen anpassen können. Besonderen Wert legten sie auf die motivierende und für alle Mitarbeiter leicht erlernbare Bedienung per Zehnertastatur und Maus. Bisher seien alle Käufer problemlos damit zurechtgekommen. Diese Erfahrung verweist übrigens jede Kritik aus der MS-DOS-Ecke. Mäuse und Fenster seien Spielerei, in den Bereich der Unkenrufe.

Der Preis für eine Programmlizenz von Radfak beträgt ca. 5500 DM, hinzu kommt die Kassen-Software für 1250 DM. Mithin kostet ein System mit zwei Rechnern, entsprechenden Druckern, Kassenschublade etc. ca. 15000 DM. Daß trotz solcher dem Hobbyisten hoch anmutender Preise die Händler reges Interesse haben und bisher jeder der Kunden Radfak überzeugt einsetze, erfüllt die GaC-Mannen mit besonderem Stolz. Das läge allerdings auch zum Teil daran, daß diejenigen, die noch keine Rechner einsetzen, immer mehr in Zugzwang gerieten.

Für die Zukunft stellen sie sich einen forcierten Absatz, auch im Ausland, vor. Dabei soll nicht vergessen werden, daß ihr System nicht zwingend im Fahrradhandel eingesetzt werden muß. In Berlin hätten mittlerweile eine Reihe - vor allem alternativer - Geschäfte Interesse angemeldet. Gerade in diesen Kreisen sei die Akzeptanz gegenüber dem vermeintlichen Jobkiller Computer relativ hoch. Aber auch der Berliner ATARI-Händler Dataplay setzt das GaC-Produkt ein. Eine zu Radfak passende Fibu soll es noch in diesem Jahr geben. Dem archaischen ATARI-Äußerem mit dem Kabelsalat auf dem Tresen rücken sie jetzt mit einem schicken Gehäuse für Rechner und Drucker zu Leibe.

Die Geschichte der Berliner GaC und ihres Radfak-Projektes ist auch die Geschichte eines mutigen Geschäftsmannes. Denn wer gibt schon den Beruf auf und verläßt sich allein auf die Programmideen der eigenen Gehirnwindungen? Thomas Beck hat es getan, und er hat dank Einsatzes und Phantasie Erfolg. Daß seine Arbeit auf den Rechnern der ATARI ST-Serie läuft, war ein willkommener Anlaß für uns, sie vorzustellen.



Aus: ST-Computer 04 / 1990, Seite 20

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