ChessBase V2.3 - Schwarzweiß-marmoriertes Meisterspiel

Als der Trainer der amerikanischen Schach-Nationalmannschaft nach Hamburg gereist kam, staunte er nicht schlecht. Er wollte die Schachdatenbank ChessBase kennenlernen, von der man sich, überall dort, wo talentiert und professionell Menschen schweigsam, angestrengt denkend über den Holzbrettern mit den schwarz-weiß gemusterten Feldern und den zweiunddreißig Figuren brüten, Wunderdinge zuraunt. Besagter Schachtrainer hatte seine weite Reise unternommen, um in die Praxis der computergestützten Schachanalyse eingewiesen zu werden und seinen daheim gebliebenen Eleven im Land der tausend Möglichkeiten mitteilen zu können, wie die häusliche Vorbereitungsarbeit auf den nächsten Schachwettkampf unter Einsatz von ChessBase extrem zu rationalisieren sei.

Im Prinzip stellt ChessBase einen elektronischen Karteikasten dar, in dem gezielt Informationen über gespielte Schachpartien archiviert werden. Im Programm werden verschiedene Modi verwendet, um die Fülle von Schachdaten zu ordnen, zu kennzeichnen und auf den Bildschirm zu projizieren.

Als Datenmaterial, das für die Verwaltung durch ChessBase vorgesehen ist, verwendet man prinzipiell Tumierpartien von Spielern der Meisterklasse. Bevor es Schachdatenbanken gab, edierten Fachverlage kommentierte Partiesammlungen in Buchform. Die häusliche Analyse, auf die ein ambitionierter Schachspieler noch nie verzichten konnte, befaßte sich mit dem Nachspielen und Analysieren von Partien. Auch wer das andauernde, wenig unterhaltsame Auf- und Abbauen der Figuren auf dem Brett noch nicht miterlebt hat, mag sich eine Vorstellung davon machen, wieviel Zeit für die bloße Reorganisation von Partiestellungen nutzlos vergeht. Schachbuchautoren rieten, um das Problem zu verringern, an zwei Schachbrettern die Partie durchzuspielen, auf dem einen die Partiestellung vor der Abweichung, auf dem anderen die Varianten. Wenn ich es im Nachhinein betrachte, war das Nachspielen Zug für Zug ein heilloses Unterfangen. So dauerte es nicht selten Stunden, bis ich mit einer Wettkampfpartie Botwinnik gegen Reshevsky zu Ende kam. Mußte ich früher Stunde um Stunde mit Fleiß und Ausdauer vor dem Brett sitzen, bis ich den Gedankengang, der zur Wahl der speziellen Eröffnungsstrategie führte, verstand, oder bis ich die raffinierte Opferkombination nachvollzogen hatte, so komprimiert ChessBase diese alten Schachspielerprobleme auf wenige Minuten, nämlich genauso lange wie ein Schachspieler am Monitor braucht, um alle wichtigen Informationen, die eine Partie bietet, zu erfassen und zu beurteilen.

Abb. 1: Die Meister geben sich, wie hier in Moskau, die Ehre.
Abb. 2: Chess-Banking at its best

Was wird für die Archivierung von Schachdatensätzen benötigt? Beide Spielernamen, Ort, Datum, fehlerfreie Partienannotation, Endergebnis, Zuordnung des Eröffnungsschlüssels, eventuelle Kommentare. Um einen selektiven Zugriff auf den einzelnen Datensatz zu ermöglichen, müssen die konstitutiven Partieelemente in der Datenbank flexibel verwaltet werden. Jedoch spricht sehr für ChessBase, daß man nicht einfach aus einem theoretischen Konzept für die Verwaltung von Schachdaten ein Programm erstellt hat, das mit der Praxis von Anwendern bloß teilweise korrespondiert. Dann nämlich könnte ein Meisterspieler mit ChessBase kooperieren oder eben nicht. Er hätte weder Vor- noch Nachteile davon. ChessBase, in der aktuellen Version V2.3 vermag aber mehr, als bloß als elektronischer Karteikasten für die Auflistung und Sortierung von Partieinformationen genutzt zu werden.

Die Geschichte des Produkts ist schnell geschrieben. Vor knapp drei Jahren widmete sich ein Student aus Bonn der Frage, wie er es einrichten sollte, am ST seine persönlichen Schachdaten zu verwalten. Mit GFA-BASIC und Assembler werkelte Matthias Wüllenweber, so heißt der Student aus Bonn, so lange, bis die respektable Schachdatenbank lauffähig war. Unruhe ging durch die Schachwelt. Begeisterung folgte. War es jetzt doch möglich geworden, große Mengen von Schachpartien am Computer in einer kürzeren Zeit als früher analysierend zu bewältigen. In der ST-Computer 2/88 erläuterte der Programmautor das Konzept, das seiner Schachdatenbank zugrunde liegt. Damals schon galt die programmiertechnische Leistung, die hier aufgeboten worden ist, als eine kleine Sensation. Die Vorstellung, in Zukunft keine Eröffnungskompendien und Sammlungen wälzen zu müssen, schien vielen Meisterspielern sehr faszinierend zu sein, so daß sie Brett und Figuren in die Ecke stellten und sich einen ST mit ChessBase kauften. Man kann es sich vorstellen: Wenn eine Software von den intelligentesten Spielern in der ganzen Welt von morgens bis abends auf Herz und Nieren geprüft wird, tauchen immer wieder Fragen und Probleme auf. Den unumwundenen Maßstab für die Tauglichkeit der Schachdatenbank bestimmt die Praxis der täglichen Analysearbeit. Um optimale Bedingungen für die computerunterstützte Partienanalyse herzustellen, interviewten die Entwickler keinen geringeren als den Meister der Zunft Garry Kasparov. Der Champion schien während des Brainstormings in Sachen schachliche Analysepraktik nur so gesprudelt zu haben, denn vieles von dem, was bloß sehr starke Spieler vermissen dürften, ist in ChessBase implementiert. Als man den Meister aus der an Computer armen Sowjetunion mit dem Projekt ChessBase konfrontierte, fand dieser nach einigen Überlegungen ein Konzept, wie er sich die computerunterstützte Schachanalyse wünschen wurde. Daraus entstanden dann die Versionen 2.0 und jetzt 2.3.

Abb. 3: Kein böhmisches Dorf!? - Ein Auschnitt von der Eröffnungsklassifikation der sizilianischen Verteidigung als typische ChessBase-Maske. Es schließen einige frühe Partien mit sizilianischen Motiven an.
Abb. 4: Ein Labyrinth aus vierundsechzig Feldern

Um mit ChessBase den Dialog auf zunehmen, startet man zunächst das CBSH-Programm von Diskette, es errichtet quasi die komplett in GEM eingebundene grafische Benutzerumgebung. Gleichzeitig erscheint die Dialogbox, von der aus die Datenbank (Dokumentation) aufgerufen wird, mit der die Arbeit aufgenommen werden soll. Jede ChessBase-Dokumentation besteht aus vier Teilen.

Als Basisreservoir für Schachpartien werden die Zentraldatenbank Mainhase und eine Zusammenstellung von Weltmeisterschaftpartien von W. Steinitz bis R. Fischer unter dem Dokumentationsnamen WM mitgeliefert. Jede solche Chess-Base-Dokumentation verwaltet vorsortierte Datensätze nach charakteristischen Kriterien. Die Mainbase fungiert als Zentraldatenbank. die das vollständige System der Eröffnungsschlüssel enthält. Soll neues Partiematerial nach Eröffnungsmustern klassifiziert werden (ich komme dar auf zurück), müssen die optionalen Datensätze hierher importiert werden. Immer dann, wenn Daten im- und exportiert werden, stellt sich das Problem der Datenpflege. Man sollte, auch wenn mehrere Dutzend Megabytes auf der Harddisk auf ihre “Bebauung" warten, nicht zu große Datenbanken einrichten. Planmäßiger wäre es, kleinere und dadurch Übersichtlichere Dokumentationen zusammenzustellen, die man beispielsweise als Eröffnungsbibliotheken nach verschiedenen Spielanfängen thematisch gliedern könnte. Chessbase macht da keine Probleme, wenn Sie urplötzlich von ihrer Intuition wachgerüttelt vom Lettischen Gambit in die Sokolsky (Orang-Utan)-Eröffnung wechseln. Die Zentraldatenbank Mainbase setzt sich aus den vier Dateneinheiten zusammen:

Mainbase.CBF
enthält alle Partiedaten wie Züge, Kommentare und Kenndaten.

Mainbase.CBI
Indexdatei, Gliederung.

Mainbase.KEY
die Schlüsseldatei, enthält Eröffnungsnamen und Varianten, Partienverweise.

Mainbase.POS
die Stellungsdatei: enthält die Klassifikationsstellungen zur automatischen Eröffnungserkennung.

Etwas schwieriger wird es, wenn die Partien in einer Dokumentation neuklassifiziert werden. Dann kann man entweder das Material in die Mainbase importieren und dort auch einzeln zuordnen oder, wenn man theoretisch ambitioniert ist, ein selbstentwickeltes Eröffnungssystem zusammenstellen. Zum einen werden Eröffnungssysteme aufgrund ihres Erfolgs in der Praxis mit Varianten und Zugfolgen erweitert, so daß es sehr wichtig ist, die Neuerung im System zu vermerken. Man möchte ja nicht auf den Schnee von gestern hereinfallen. Zum anderen kann einem das Informator-Schlüsselsystem eine Eröffnungsvariante zu ungenau erfassen. Für diesen Fall bietet ChessBase die Möglichkeit, einen zweiten Schlüssel einzurichten. Es wäre beispielsweise leicht möglich, Endspiele nach den verschiedenen Figurenkonstellationen zu indizieren. Wer technische Fragen zum Programm hat, den möchte ich auf den erwähnten ST-Artikel verweisen. Dort mag man nachlesen, daß ChessBase pro Turnierpartie 110-130 Bytes Speicherplatz benötigt und auf einer 3,5 Zoll-Diskette bis zu 6000 unkommentierte Partien archivieren kann. Man stelle sich einmal vor, wieviel Papier dafür vergleichsweise auf einem Haufen zusammengetragen werden müßte. Um bei meinem Test über das ausreichend Partienmaterial verfügen zu können, erhielt ich die aktuelle Ausgabe der jugoslawischen Partiensammlung Schach-Informator Nr. 47 auf Diskette. Jeder Schachspieler kennt die Editionen von teilweise kommentierten Turnierpartien und weiß auch, wie mühevoll das nach einem festen Eröffnungsschlüssel System klassifizierte Material zu lesen ist. Seit zwanzig Jahren gilt der Informator als verbindliche Quelle für Spieler, die ihr schachliches Wissen ständig aktualisieren müssen. Der Chess-Base-Verlag kooperiert mit dem Informator-Verlag. Die Schachdatenbank bedient sich des bewahrten und weltweit anerkannten Informator-Systems zur Klassifikation von Schacheröffnungen und liefert, seit ChessBase auf dem Markt ist, die Halbjahreseditionen des Schach-Informators auf Diskette aus. Auf einer einzigen Diskette belegen knapp sechshundert, teilweise in der typischen symbolischen Schreibweise kommentierte Partien einen Speicherplatz von ungefähr 500kB. Weil es ChessBase gelingt. Schachinformationen auf ein Minimum komprimiert auf Diskette aufzuzeichnen, verzichtet man auf die zusätzliche Auszeichnung der Partie entsprechend dem Eröffnungsschlüsselsystem. Die programmtechnische Zuordnung von Partie und Eröffnungsschlüssel absolviert das Programm schon im manuellen Zugriff so schnell, daß es den Anwender kaum stören dürfte, wenn die schachlichen Rohinformationen nachträglich systematisiert werden müssen. Jede betreffende Partie wird dann “down - top", also vom Schluß zum Anfang, nach den bestimmten Eröffnungsmustern durchsucht und im Dialog mit den einzelnen Schlüsseln der riesigen Eröffnungsbibliothek in Windeseile verglichen. Die Klassifikation einer Sizilianischen Verteidigung mit ihren vielen Abspielvarianten meistert ChessBase in Sekundenschnelle.

Apropos Geschwindigkeit - da die Entwickler wenig Zutrauen in die Schnelligkeit der ST-Hardware haben, sprich: ihnen Diskettenzugriffe zu langsam sind, wird ChessBase prinzipiell in einem Cache-Zwischenspeicher installiert, in dem Daten, auf die man aktuell zugreift, bis zum Ende einer Sitzung reserviert werden. Das Material speichert man erst ab, bevor die Datenbank verlassen wird. ChessBase wird wie in grauer Vorzeit als Modul-Version ausgliefert. Ohne daß man den beigen Kasten in den ROM-Port schiebt, läuft leider gar nichts. Man scheint hierin den sichersten Kopierschutz zu sehen, der Unternehmungen im Zwielicht des Raubkopierens sabotiert. Außerdem versiegelt man beim Erwerb die Software mit dem vollen Namen des Käufers, so daß er/sie darauf achten muß, daß das persönlich ausgezeichnete Produkt nicht in dunkle Kanäle entschlüpft. Pro Rechner ein Exemplar, lautet die Devise, was sicherlich aus marktstrategischen Gesichtspunkten auch nicht falsch sein mag. Ein so hochspezialisiertes Produkt wie ChessBase, das sich an einen relativ kleinen Anwenderkreis wendet, muß bewirken, möglichst oft verkauft zu werden. Sonst würde sich seine Entwicklung kaum lohnen. Und der ST wäre um eine faszinierende Applikation ärmer. Zumindest fürchten die Macher von ChessBase die Habgier der Raubkopierer, egal, ob sie enthusiastische, aber verarmte Schachfanatiker oder wildernde Software-Piraten sind, die sich alles und jedes zuschaufeln. Allerdings ist der Bezug der zahlreich vom ChessBase-Verlag angebotenen Sonderdisketten, wie spezielles Eröffnungsrepertoire oder detaillierte Eröffnungs- und Endspielanalysen, an den Erwerb einer Lizenz gekoppelt. Und wer wird schon als ambitionierter Spieler auf die Aktualisierung seiner Schachdatenbank verzichten wollen? Vom Verlag wird betont, daß etwa sechzig Prozent der Kunden einen ST erwerben, um ausschließlich ChessBase darauf zu fahren. Da wird mancher bedauern, daß das Computerfieber trotz Perestroika die UdSSR, in der Schach als Volkssport Nr. 1 betrieben wird, nur mit Verzögerung erfaßt.

Nach dem Starten offenbart sich ChessBase im obligatorischen GEM-Outfit mit der an Angeboten übervollen Menüleiste: das große, übersichtliche Schachbrett mit den weißen und schwarzen Figuren auf der linken Seite, daneben, auf der rechten Seite, das Zügeformular. Ein Display blendet Kommentare, Varianten usw. automatisch ein, sobald eine diesbezügliche Operation ausgeführt wird.

ChessBase folgt einem relationalen Datenbankkonzept. Jeder Datensatz findet sich tabellarisch geordnet in der Datenbank, so wie üblicherweise eine Schachpartie notiert wird, inklusive der spezifizierenden Kenndaten (Spieler, Turnier, Ergebnis). Bekanntlich ähneln sich im Stadium der Eröffnung bestimmte Zugfolgen, andere dagegen zeigen abweichende Stellungsmuster. Zugfolgen gleicher Aufeinanderfolge werden in der Schachwelt nach dem Grad der Abweichung von der Eröffnungshauptvariante als Neben- und Untervarianten gekennzeichnet und mit Bezug auf ein allgemeines Schlüsselsystem nach Namen (Damengambit, Grünfeldindische Verteidigung, Katalanisch, u.v.m.) und der charakteristischen Zugfolge klassifiziert. Der Eröffnungsschlüssel, der entsprechend der Anzahl sämtlicher bekannten Schacheröffnungen sehr komplex ist, verzeichnet zu jeder einzelnen Eröffnung die Hauptlinie, Abweichung und Varianten.

Die Klassifikation von Schachpartien entsprechend der verschiedenen Eröffnungsmodi ist ein Highlight des Programms. Wie in meinem Fall, mit einer nichtklassifizierten Informator-Diskette, muß jeder Benutzer von ChessBase das neuerstandene Partienmaterial Partie für Partie zuordnen lassen. Daß das keine Prozedur von Stunden, sondern von Sekunden und Minuten ist, habe ich schon erwähnt. Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten zehntausend nicht-klassifizierte Schachpartien erhalten. Kasparov soll fünfzehntausend auswendig kennen, also ist zehntausend, die Sie in Ihrer Schachdatenbank, Ihrem elektronischen Gedächtnis, halten, eine realistische Zahl. Eine Datenbank ist ja nichts anderes als eben ein elektronisches Gedächtnis, mit dem Sie sich helfen, auf die darin verwalteten Informationen schnell und sicher zuzugreifen. Sie laden dann die Diskette mit den Partiedaten, d.h. Sie exportieren Daten von der Diskette und importieren Sie in die Mainbase Ihrer Zentraldatenbank (Dokumentation wäre der genauere Fachterminus). ChessBase eröffnet ein Protokollformular Export.CBF, in das die Datensätze “zwischengelagert” werden, bevor der Importvorgang folgt. Das Eröffnungsschlüsselsystem kann dann aktiviert werden, falls Bedarf besteht, die importierten Datensätze nach den charakteristischen Eröffnungsmustern zu ordnen. Mit F6 kann die jeweils aktuelle Partie zugeordnet werden. Es gibt dann auch noch den Befehl Alle Partien, mit dem die Masse der importierten Partien klassifiziert werden kann. Allerdings sind die pro Schlüssel eingetragenen Partien auf 120 begrenzt. Alle das gesetzte Limit überschreitenden Partien bleiben unklassifiziert - ein Appell der ChessBase-Entwickler, die gesammelten Datensätze nicht übermäßig anschwellen zu lassen, sondern klein und übersichtlich zu halten. Bei der Eröffnungszuordnung richtet sich ChessBase nicht nach der Partienzugfolge, sondern nach dem charakteristischen Stellungsmuster, denn Zugumstellungen meistert das Programm mit Leichtigkeit.

Abb. 5: Varianten über Varianten. Es ist zum Verzweifeln. Ein Mausklick auf das Diagramm, und es werden nichts als Varianten produziert.

Eine wenig bekannte, aber trotzdem sehr nützliche Funktion, stellen Exportdateien zur Verfügung. Man kann nämlich je nach Anwendungsgebiet verschiedene Exportdateien anlegen, indem man das Gesamtmaterial je nach Interessensschwerpunkt selektiert und archiviert. Partien eines Bundesligawettkampfs, bestimmte Fernschachgegner oder Endspielbibliotheken können selektiv als Exportdatei zusammengestellt sein. Der Vorteil liegt auf der Hand. Während der Arbeit in einer Datenbank können verschiedene Exportdateien wahlweise aufgerufen und angesehen werden, ohne die aktuelle Analyse zu unterbrechen. Wenn das Material dagegen in einer separaten Datenbank gelagert wäre, müßte man eine Datenbank verlassen und das betreffende Supplement aufrufen. Das Eröffnungsschlüsselsystem stellt das sicherste Hilfsmittel dar, um eine natürliche Ordnung in das Schachmaterial zu bringen. Man kann sich den selektiven Zugriff auf Materialien auch aus der Perspektive des Benutzers vorstellen. Man würde nämlich dann eine Zugfolge vom Format 1. e2-e4c7-c5 2. Sg1-f3 d7-d63, d2 - d4 c5xd4 4. Sf3 xd4 a7- a6 5.Sb1- c3 e7- e5... eingeben, und jeder Eingeweihte würde leicht die Grundstellung der Sveshnikov-Variante in der Sizilianischen Verteidigung wiedererkennen. Das Material der Datenbank würde nach Partien, die die charakteristische Zugfolge aufweisen, durchforstet werden. Alle Partien, die das entsprechende Eröffnungsmuster zeigen, trägt ChessBase automatisch in das Clip-Brett ein. Das Clip-Brett ist der wichtige interne Speicher, der sämtliche Partien, die zum Nachspielen ausgewählt werden, quasi bis zum Ende einer Sitzung reserviert. Die Möglichkeit zur Rekonstruktion einer Variante oder Partiestellung per Maus auf der Schachbrettminiatur (das Fantastische daran erkläre ich gleich) mit anschließenden Suchoperalion ist nur eines von mehreren effizienten Suchverfahren. Der Vorteil einer Relationaldatenbank liegt unter anderem darin, unterschiedliche Sichtweisen auf die internen Datensätze zu ermöglichen. ChessBase unterstützt drei generelle Darstellungsmodi von Partieinformationen: als Brett-, Diagramm-und Listendarstellung. Man mag sich vielleicht vorstellen, daß diese drei Modi unabhängig voneinander Partiedaten verwalten lassen. Diese Annahme hätte die Rechnung aber ohne ChessBase gemacht.

Denn alle drei Darstellungsmodi kooperieren miteinander und tragen Sorge für die maximale Transparenz, mit der eine Schachpartie über haupt kontrolliert werden kann.

In den meisten Arbeitssitzungen werden Schachpartien zum Nachspielen im Zwischenspeicher reserviert und nacheinander auf den Bildschirm geladen. Der Aufruf zum Nachladen von Partiedaten wird zentral mit der Funktionstaste F5 bzw. im Menü Partien gesteuert. Man nennt F5 auch scherzhaft Kasparov-Taste, weil der Herr und Meister auf vierundsechzig Feldern selten mehr als eine Minute damit verbringt. eine Partie anzusehen. Nur Großmeister erfassen die Brisanz einer Stellung mit einem Blick. Spieler mit bescheideneren intuitiven Fähigkeiten müssen in mühevoller Kleinarbeit Varianten und Positionen analysieren, bis sie den leitenden Einfall, der dieses Abspiel (und kein anderes) in einer Partiestellung wählen ließ, nachvollzogen haben. ChessBase unterstützt verschiedene Analysepraktiken von Schachspielern in hervorragender Weise. Jeder Schachspieler verfügt über spezielle Eröffnungsvarianten, die er immer wieder anwendet. Er verteidigt sich auf 1. e2 - e4 nicht einfach sizilianisch mit c7 - c5, sondern wählt eine bestimmte Zugfolge wie die oben angegebene des sizilianischen Sveshnikov-Systems. Im modernen Turnierschach gibt es einige Modeeröffnungen, die naturgemäß häufig auf die Bretter kommen. Es gibt heutzutage kaum einen ambitionierten Amateur und mit Sicherheit keinen Meister, der, um dem hohen Leistungsniveau standzuhalten, nicht über ein eigenes Repertoire an Schacheröffnungen verfügt. Die gezielte und genaue Kenntnis von Eröffnungsvarianten sorgt beim Wettkampf für zeitliche Freiräume, denn über eine Variante, die man in ihrer Feinstruktur kennt, braucht nicht noch lange “gebrütet” zu werden. Der Zeitgewinn kommt beim Mittel- und Endspiel positiv zum Tragen. Viele Schachspieler verwenden ein Quantum ihrer Vorbereitungszeit für das Studium von Partien, die ihrem Eröffnungsrepertoire entsprechen. Denn sie wissen: Wenn sie die vielversprechende Neuerung in der Najdorf-Variante im Sizilianer ignorieren - ihr nächster Gegner kennt sie bestimmt. Ab einem bestimmten hohen Spielniveau, mindestens aber ab Bundesligareife, ist es Pflicht, täglich ein mehrstündiges Trainingspensum zu absolvieren. Für solche Spielergruppen ist ChessBase das ideale Trainingsinstrument.

Abb. 6: Look! - Worauf mag Kasparov sich nur vorbereitet haben?

Zum Beispiel beginnen einige Abspiele der Spanischen Verteidigung erst so richtig nach dem neunten Zug von Schwarz interessant zu werden. Gewöhnlich kennt man das, was davor auf dem Brett geschieht, wie im Schlaf. Dann ruft man über den Hauptschlüssel alle Partien der Datenbank mit der Zugfolge der spanischen Breyer-Variante auf und reserviert per Mausklick auf die betreffende Partieinformation im Suchmenü das Material im Clip-Brett. Für das angestrengte Analysieren der Eröffnungsvariante wäre es immer noch zu zeitaufwendig, die ersten Züge von jeder einzelnen Partie bis zur Analysestellung, obwohl auch das über Cursor-Taste “rechts” sehr schnell von der Hand geht, durchzuspielen. Kasparov wäre damit bestimmt nicht zufrieden gewesen. Deshalb hat man einfach einen Zugzähler installiert, der die Brettstellung mit dem jeweils gewünschten Eröffnungsbild auf den Bildschirm bringt. So nimmt man die Stellungsanalyse unter Umständen mit dem neunten, dem zehnten oder sechsten Zug auf. Wenn eine Turnierpartie mit der speziellen Eröffnungsvariante auf dem Bildschirmbrett dargestellt ist, kann niemand wissen, ob ihr Verlauf auch wirklich einen eröffnungstheoretisch interessanten Aspekt mit sich bringt. Man darf zwar vom Bekanntheitsgrad der Spielernamen, auf deren Kompetenz schließen. Und man kennt auch das Spielergebnis sowie die Zügezahl. Aber das sind bloß äußere Anhaltspunkte. Eine gute Spielanlage mit erworbenem Eröffnungsvorteil könnte durch Fehler im Mittel- oder Endspiel verlorengegangen sein. Dann ist es sinnvoll, die Eröffnung unabhängig vom Verlauf der Partie zu betrachten. Selbst turniererfahrene Großmeister könnten von raffinierten Eröffnungsexperten hinters Licht geführt worden sein, aufgrund der größeren Spielstärke sich aber ins Remis gerettet oder sogar gesiegt haben. Solche theoretisch interessanten Partien haben einen unschätzbaren Wert für die Eröffnungsanalyse. Bei einem komplexen Partienmaterial von mehreren tausend Abspielen, die bei ChessBase mit Leichtigkeit auftreten können, dauert es schon eine ganze Weile bis die Spreu vom Weizen getrennt ist. Gerade wenn man sich den möglichst optimalen Zugriff auf Datensätze wünscht, wird effizientes Arbeiten dadurch behindert, daß man unstrukturiertes Material nachlädt. Man muß also aus dem riesigen Reservoire an schachlichen Informationen entsprechend den persönlichen Interessen auswählen können. Um die Auswahl und die Transparenz von Schachpartien noch weiter zu erleichtern, besteht die Option, jede im Zwischenspeicher abgelegte Schachpartie als Display von acht charakteristischen Brettstellungen am Monitor anzusehen.

Auf den acht Diagrammen finden sich ausschnittsweise die Stationen einer Partie festgehalten. So erkennt, wer kann, auf einen Blick die kritische Stellungsphase im Mittelspiel oder den Typ eines End spiels. Per Mausklick auf das entsprechende Diagramm mag man sich ad hoc ent scheiden, in welche Phase der Partie man sich einblendet. Ein Doppelklick, und man hat eine Stellung im vierzigsten oder im fünfundsechzigsten, je nachdem, vor Augen. Die betreffende Partie kann in ihrem Entwicklungsgang zurückverfolgt, zu Ende gespielt oder analysiert werden. Tiefergehende Analysen bestimmter Positionen gehören zum Arbeitspensum jedes Schachroutiniers. Eine Schachsituation kann man unter vielen Fragestellungen untersuchen: Ist die Abwicklung konsequent, das Opfer berechtigt, das Endspiel notwendig verloren?

Wer sich solche Fragen vorlegt, betreibt mit dem Schachspiel eine kleine Wissenschaft, deren Hauptunternehmungen in der Analyse von ausgewähltem Partienmaterial bestehen. Dann schaltet man einfach im Partien Menu in den Analysemodus, und die Grundstellung, von der aus eine Partie angegangen werden soll, bleibt automatisch im elektronischen Kurzzeitgedächtnis, dem Memo, erhalten. Bei diesen komfortablen Angeboten ist es fast schon selbstverständlich, daß ChessBase erlaubt, eine Schachpartien von jeder real gespielten Brettposition aus anzugehen und die Fäden der Analyse darüber hinwegzuziehen.

Um analysierend in ein Spielgeschehen einzugreifen, wählt man am besten gezielt besonders kritische Positionen aus. Dann gibt es eine Hauptvariante, der ein Spieler am Brett den Vorzug gab, und mehrere Möglichkeiten, aus einer Stellung heraus in verschiedene Abspiele zu verzweigen. Diese Verzweigungen können unter Umständen zehn und noch mehr Züge betragen, während Unter- und Nebenvarianten mit jedem neuen Zug auftauchen. Man stelle sich bildlich die Verzweigung von Varianten als Baum vor, der von den Wurzeln in ein dichtes Blätterwerk führt. Intuitiv sind Baum Strukturen Schachspielern sehr bekannt, denn eine Partie entwickelt sich bekanntlich als Variantenbaum. Es liegt in der Entscheidung beider Spieler, welche Eröffnungsvariante nach fünfzehn Zügen auf dem Brett steht. Geht es dann ins Mittelspiel, berechnet ein Schachspieler Zugfolgen wie Äste eines Variantenbaumes, in die sich die Partie möglichweise verzweigen soll. Daß Schachinformationen als Baumstruktur dargestellt und je nach Dichte des verfügbaren Materials in Aste und Zweige sortiert werden können, kommt der relationalen Datenbankkonzeption von ChessBase sehr entgegen.

Aufgrund der verschiedenen Darstellungsmodi von Schachinformation erreicht man, daß jeder sinnvoll ausgeführte Schachzug aus verschiedenen Perspektiven kontrollierbar ist. Beispielsweise kann eine x-beliebige Spielposition, was ohne Datenbank unfaßbar wäre, mit ChessBase leicht und mühelos konkreten Turnierpartien zugeordnet werden. Folgendes Problem löst ChessBase so überraschend, daß man sich über gar nichts mehr wundern darf. Man gibt per Maus die charakteristische Zugfolge der Drachenvariante in der sizilianischen Verteidigung ein. Die Grundstellung wird mit dem fünften Zug von Schwarz abgeschlossen, dann noch eine von der Hauptlinie abweichende Variante. Man hat aber auch die Möglichkeit. Standardstellungen im Mittelspiel oder bestimmte Figurenkonstellationen im Endspiel auf dem elektronischen Schachbrett zu plazieren. Auf Befehl werden die gesamten Datensätze in der Datenbank nach dem identischen Stellungsmuster durchforscht, eventuelle Suchergebnisse lädt ChessBase in den Zwischenspeicher. Dieses Suchverfahren, während dem ChessBase wiederum jeden Datensatz von hinter nach vorne hinsichtlich der charakteristischen Musterstellung durchsucht, schafft das Programm in einem Minimum an Zeit. Bei der Eingabe von Schachpartien mit der Maus über das Schachbrett kommt einem die intelligente Zugeingabe HEUMAS gerade recht.

Die Abkürzung HEUMAS steht für die englische Bezeichnung Heuristic Move Assistant. Als Heuristik bezeichnet man eine von Wissenschaftlern angewandte Methode. Sie definiert sich als Erkenntnisschritt, intuitiv einen Gegenstand zur Forschung zu bestim men, von dem es wenig oder kein anerkanntes Wissen gibt. Dank HEUMAS, gibt das Handbuch Auskunft, soll man es sich sparen können, die Spielzüge durch Verschieben mit dem Mauspfeil auf dem Schachbrett auszuführen.

Abb. 7: Heumas geht zur Hand

HEUMAS heißt darum intelligent, weil es aus der Grundstellung heraus die Mehrzahl aller plausiblen Schachzüge intuitiv findet. Man klickt beispielsweise den Springer auf g1 nicht mehr an und führt den Mauszeiger auf das Zielfeld f3. Diese Prozeduren sowie im späteren Stadium der Partie manuell ausgeführte mehrschichtige Tauschabfolgen darf man sich in vielen Fällen sparen. In besagtem Beispiel ruft man den alerten Assistenten Heumas einfach auf den Plan, indem man das Grundfeld des Springers g1 anklickt. Automatisch hüpft das hölzerne Getier nach f3, weil HEUMAS, wie jeder Schachspieler auch, weiß, daß der Springer am Rand Kummer und Schand' verursacht. Und so geht es fort. Man klickt den schwarzen Bauern g7 an, und der schiebt sich vor auf g6, weil er von Heumas eingetrichtert bekommen hat, daß so ein kleiner Bauernschlingel auf g5 geradewegs in sein Verderben rennt, wenn er sich so sinnlos dem feindlichen Läufer c1 ausliefert. Geschenke und Selbstopfer haben noch keinen Schachspieler geziert. Man tippt e2 an, und der Bauer schießt vor auf e4. Warum denn nicht? Der verhaltene Zug e2-e3 würde auf eine ängstliche Spielanlage schließen lassen. Es folgt d7 nach d6. Allerdings befiehlt HEUMAS den weißfeldrigen Läufer nach c4, wo ich ihn doch lieber auf e2 sähe. Also liegt es an mir, den Läufer manuell mit der Maus zu positionieren. Dann aber mischt sich HEUMAS wieder ein und plaziert wie mit magischen Fingern den schwarzen Läufer auf g7. Phasenweise erlaubt HEUMAS, Zugfolgen einzugeben, ohne das Zielfeld mit der Maus zu bestreichen. Auch im Mittelfeld findet der zuvorkommende Heuristiker Abwicklungen mit Leichtigkeit, auf die mancher Amateur nur nach langem Kopfzerbrechen stoßen würde. Vor allem assistiert der mit Intuition begabte Zugexperte bei der Selbsteingabe von Schachpartien. Mit ChessBase scheint die Eingabe von Schachpartien über Tastatur der Vergangenheit anzugehören. Der innovative Eingabemodus gewährleistet die höchste Präzision. Nach Aufrufen des Befehls Partie eingeben erscheint wie gewohnt das Schachbrett mit den Figuren in der Grundstellung. Dann spielt man Zug für Zug die Partie nach, sowie sie auf einem Partieformular aufgezeichnet steht, in Kooperation Assistenten HEUMAS und Maus, bis die Partie vollständig und fehlerfrei aufgenommen ist. Während der Eingabe wandelt ChessBase Zug für Zug automatisch in die typische algebraische Vollnotation für Schachpartien (z.B 16. Dd8 - b6) um. Es bleibt auch gleich, ob Sie Ostdeutscher, Rumäne, Engländer oder Russe sind. ChessBase fungiert als Übersetzer und präsentiert wahlweise jede Schachpartie in der landesüblichen Notation. Die Liste mit den aufgenommenen Zügen kann man sequentiell auf der rechten Bildschirmhälfte kontrollieren. Der gesamte Ablauf einer Schachpartie wird automatisch auf seine Richtigkeit hin überwacht. Fehlzüge, sogenannte "unmögliche” Züge, verhindert das Programm auf der Stelle. Darin, Fehlzüge zu vermeiden, wird ChessBase wegen seiner elektronisch kontrollierten Unbestechlickeit besser sein als Sie. Wenn Sie aber Ihre Gegner nicht mit peinlich auffallenden Fehlzügen angenehm überraschen wollen, bleibt Ihnen nichts anderes als hartes Training übrig.

Training kann zum einen bedeuten, ein intensives Pensum an Eröffnungswissen zu absolvieren. Zum anderen dürfen Sie auch nicht die beiden anderen Phasen der Partie außer acht lassen. Wenn Sie sich vorstellen können, am Monitor eine Partie nach allen Regeln der Kunst zu analysieren, mit verzweigten Varianten zu experimentieren. aus denen Sie per Tastendruck mühelos zur Ausgangsstellung zurückfinden und mit selbständig edierten Kommentaren zu arbeiten, in denen Sie Ihre persönlichen Überlegungen zur Partiestellung wiedergeben, dann lädt ChessBase Sie zu kreativem Tun ein. Zur Selbstkontrolle Ihrer schachlichen Fähigkeiten kann es nur von Vorteil sein, wenn Sie die hervorragende Opferkombination, den fehlgeschlagenen strategischen Plan oder das ungenau behandelte Bauernendspiel mit den schachüblichen Symbolen zur Bewertung von Schachpartien sowie mit präzisen Formulierungen begleiten. Nicht nur, daß diese Symbole über Tastatur abgerufen werden können. Sie kommunizieren mit diesen Sonderzeichen auch im internationalen Standard. Der Schachspieler, der einen geschehenen Spielzug durch die Zeichenfolge!? kommentiert sieht, weiß sofort, daß bezeichneter Zug in dieser Stellung sowohl Vor- als auch Nachteile zeigt, obwohl das positive Argument überwiegt.

Der ChessBase-Verlag liefert eine Sonderdiskette mit Partieanalysen von Dr. Roben Hübner. Der spielstärkste deutsche Großmeister hat sich ausgewählte Stellungen aus eigenen Turnierpartien vorgenommen und die entscheidenden Stellungsphasen kommentiert. Der Schachmeister bietet mit seiner Partienkollektion ein Beispiel für einen hervorragenden Analyse- und Bewertungsstil. Hübner konfrontiert den Co-Analysator und ChessBase-Nutzer, wie das schachliche Leben spielt, mit alternativen Zugfolgen, die einen Plan vermissen lassen, mit raffinierten Abtauschvarianten oder krisenhaften Endspielstellungen. Übungsprogramme in Buchform für Anfänger und Fortgeschrittene stellen in der Schachwelt keine Seltenheit dar.

Vermöge des Höchstleistungsstandard, den ChessBase setzt, kann Teachware, wie eben ein Schachlernprogramm, auf Computern gefahren werden. Man sagte mir beim ChessBase-Verlag, daß die Hübner-Analysen ein Pilotprojekt sind, um das Interesse bei Anwendern anzutesten. Falls die Nachfrage angemessen hoch ist, wird es weitere Datenbank-Kooperationen mit Großmeistern geben.

Der Schach-Informator oder ein Trainingsprogramm auf Diskette, mag sich mancher denken, wird, wenn der Trend weiter dahin geht, Informationen auf Datenträger zu packen, dazu führen, Bücher als das klassische Informationsmedium zu verdrängen. Die Frage kann auch zugeschärft werden: Warum kaufen wir noch Zeitungen, wenn alles, was wir erfahren wollen, über Datenträger und -netze auf den Bildschirm daheim zu holen ist? Das ist sicherlich eine interessante Frage, bei der Pro und Contra sich hitzig die Schlagworte geben. Der ChessBase-Verlag möchte jedenfalls nicht der schachlichen Buchkultur, um die es hier geht, den Dolchstoß geben. Obgleich man sagen muß, daß die Spitze schon im Gewände steckt. Man bedenke, daß kein noch so transparent geschriebenes Buch die darin enthaltene Informationsmenge in annähernd übersichtlicher Darstellungsweise verwaltet wie eine Spezialdatenbank. Die Qualität von ChessBase ist ja auch so gut, daß es das informierende Sachbuch nicht vermissen läßt. Ein anderer, mit der Marktsituation befaßter Gedanke läßt fragen, wie es dem jugoslawischen Informator-Verlag ergehen wird, wenn ChessBase die gesamte Buchproduktion von zwanzig Jahren auf fünfzig Disketten speichert. Die Jugoslawen haben auch ökonomisch gedacht und Lizenzrechte an ChessBase verkauft, weil man auf dem Balkan die Zukunft des modernen wissenschaftlichen Schachs auch in Computern und Datenbanken sieht. Heutzutage sitzen in Belgrad Großmeister hinter ihren STs oder PCs und analysieren und kommentieren mit einem Minimum an Zeit Schachpartien, die sie, bevor es Mikrocomputer gab. mit den klassischen Arbeitsmitteln, Brett und Figuren. Papier und Bleistift, haben erarbeiten müssen.

Obgleich ich vom Thema meiner eigentlichen Software-Rezension etwas abgeschweift bin, finde ich, daß der kleine Bericht über die Karriere, die ChessBase in gut zwei Jahren genommen hat, auch hierher gehört.

Nomen est Omen. ChessBase ist eines der besten Programme, das aktuell am ST zu fahren ist. Allerdings verlangt das hohe Niveau, auf dem die Schachdatenbank angesiedelt ist, auch kompetente Anwender. Jeder Benutzer wird verpflichtet sein, seinen eigenen Stil zu entwickeln. Die Fülle von Partieinformation, die monatlich anwächst, kann von einem einzelnen, auch als Professioneller, kaum bewältigt werden. Der Schachspieler, der mit ChessBase kooperiert, wird nicht darum herumkommen, als Datenbankmanager einen zweiten Beruf zu entdecken. Selektion von Partiedaten ist weit mehr gefordert, als sich von dem angehäuften Partienmaterial berieseln zu lassen. Auf Wunsch führt ChessBase mit einer gemächlichen Geschwindigkeit bei der Zugfolge Schachpartien vor. Ob aber ChessBase die Spielstärke wirklich auf grund von datenbankmäßig erfaßten Informationsmengen steigern kann, bleibt hier eine Frage ohne Antwort. Man kann zwar unzählige Varianten studieren, das Eröffnungsrepertoire auf dem aktuellsten Stand halten oder Spielercharaktere anhand ihrer Turnierpatien studieren. Sind damit aber schon die intuitiven Fähigkeiten, die Willensstärke und praktische Spielerfahrung aufgewogen? Man mag das bezweifeln. Aber das hieße, die falschen Fragen an das Programm zu stellen.

Abb. 8: ...wo das Gute ist so nah...

ChessBase eröffnet den Zutritt zu den höheren und höchsten Sphären des Turnierschachs. Zweifellos kann der wenig erfahrene Vereinsspieler seine Spielstärke durch die richtige Auswahl von Partien steigern. Er täte aber besser daran, sich mit guten Lehrbüchern zu begnügen. Der HSV beschenkte seine erste Bundesligamannschaft komplett mit STs und ChessBase-Software. Vereine könnten die Schachdatenbank nutzen, um die Partien ihrer Vereinsmeisterschaften zu archivieren und ihren Mitgliedern zur Verfügung zu stellen. Denn bekanntlich kennen ambitionierte Clubspieler genaustens, was Kasparov oder Hübner am letzten Mittwoch gespielt haben, die Vorlieben ihrer Meisterschaftsgegner kennen sie aber kaum. Jedem, der, sagen wir, den Dreibauemangriff von der Winawervariante unterscheiden kann, kann ChessBase empfohlen werden. Vielleicht wird einmal der Besitz von ChessBase die Spreu vom Weizen trennen. Über Nic-Base, das holländische Konkurrenzunternehmen, möchte ich hier nichts sagen. Wer mag, kann meinen Artikel über die New In Chess-Schachdatenbank in der ST-Computer 2/90 vergleichsweise hinzuziehen.

Da ich zum Schluß komme, möchte ich auch ein Manko erwähnen. Und zwar hat ChessBase keinen vernünftigen Partiendruck. Man kann sich zwar Diagramm-Stellungen auf Papier ausgeben lassen, aber nichts weiter. Allerdings hat der ChessBase-Verlag eine Art "Desktop Publishing-Version" im Auge. Dann müßte man das Programm wegen seiner Größe von mehr als 220kB wohl auf mehrere Arbeitsbereiche unterteilen. Übrigens läßt sich ChessBase voll über die Tastatur bedienen. Allerdings mußte man wegen der vielen Funktionsaufrufe auf teilweise exotische Tastaturkombinationen ausweichen, die alle gelernt werden müssen, falls man sich gegen die Mausbedienung sträubt.

Für die meisten Leser wird ChessBase zum einen, weil sie keinen Zugang zum Schachspiel haben, zum anderen, weil sie über eine bestimmte Spielstärke nicht hinauskommen, ein Programm sein, das sie niemals sinnvoll werden anwenden können. Das klingt enttäuschend. Es könnte aber auch sein, daß man, von den Fähigkeiten von ChessBase animiert, die "schönste" Nebenbeschäftigung zu seinem favorisierten Hobby wählt und allen Enthusiasmus und alle Willenskraft einsetzt, um dem königlichen Spiel noch in gereiftem Alter Spielwitz und denkerische Energie einzuhauchen. Solchen Spätentwicklern wie auch allen Lokalmatadoren, Meistern und Großmeistern präsentiert sich ChessBase als kompetenter Trainingspartner mit vielen Facetten für die computerunterstützte Archivierung von Schachpartien. Auch ohne die Kapazitäten einer Schachdatenbank annähernd erschöpfend auszunutzen, wird man schnell bemerken, daß sich die Spielstärke sichtlich verbessert. Aktiv Schach spielen wie mit Schachcomputern kann man mit ChessBase (noch) nicht. Die Entwickler scheinen jedoch in Aussicht zu stellen, daß sich in Zukunft ChessBase neben der Schachdatenbank noch zum spielstarken Schachcomputer, also zum Multitalent, entwickeln wird. Doch vorerst ist davon nicht die Rede. ChessBase ist auch ohne diese Fähigkeit zum aktiven Spiel eine der intelligentesten Programme, die auf dem ST laufen.

Für DM 498,- ist man auf den marmorierten Brettern, die bekanntlich die Welt bedeuten, dabei und erhält neben Programmdiskette und Steckmodul ein schmales bescheiden wirkendes Handbuch. Es scheint für Leser geschrieben worden zu sein, die sich nicht gleich nach dem Erwerb einer Software hinter ihr Computercockpit schnallen, sondern durch das Studium von Detailinformation allmählich in die Lüfte gehoben werden wollen. Es führt kompetent in die einzelnen Ressorts der Schachdatenbank ein. Dann aber geht es steil in die schachlichen Wölken nach oben. Caissa, die Göttin des Schachs, wartet mit offenen Armen auf alle schachbegeisterten Datenbankanwender.

Bezugsadresse:

ChessBase-Verlag Uberseering 25 2000 Hamburg 60


Ralf Blittkowsky
Aus: ST-Computer 04 / 1990, Seite 141

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