Didot Fonteditor

Das neue Gesicht: DIDOT

Ein neuer Font-Editor für Calamus-Fonts aus dem Lande der Eidgenossen schickt sich an, dem DMC-Font-Editor Konkurrenz zu machen, und nicht nur das - er erhebt den Anspruch, einen Standard zu setzen. So wie einst der Pariser Schriftgießer Francois Ambroise Didot und dessen Sohn Firmin Didot, die 1785 das typographische Maßsystem neu ordneten und den heute noch gebräuchlichen typographischen Punkt (Cicero) schufen (1 Pt. Didot = 0,376 mm).

Der Anspruch und die Tatsachen

Also nicht von ungefähr wurde gerade der Name Didot für den neuen Font-Editor gewählt, der jetzt auch von ATARI Deutschland vertrieben wird. Aber kann das Produkt dem Anspruch auch gerecht werden? Wird tatsächlich ein neuer Standard gesetzt in der Arbeitsweise? Ich meine ja. Wer mit dem DMC-Font-Editor gearbeitet hat, wird an vielen Stellen Möglichkeiten der GEM-Oberfläche vermißt haben, die die Arbeit erleichtern.

Wer zudem noch die 19"-Version des DMC-Editors unter Protos benutzt hat, um einen 19"-Monitor auf dem SM 124 zu emulieren, wird über der Arbeit manchmal verzweifelt sein. Protos bremst bei einem Bildschirm von ca 800 x 800 Punkten die Geschwindigkeit so stark ab, daß das ständige Neuzeichnen der ganzen Kontur bei Setzen oder Verschieben eines Punktes die Arbeit quälend langsam macht. Mit Didot braucht man weder einen echten noch einen emulierten 19”-Monitor, weil die eingebaute Lupe so flexibel ist, daß man völlig flüssig arbeiten kann.

Bei Didot kann einfach mit der gedrückten rechten Maustaste der Bildausschnitt verschoben werden - auch in der Lupe. Ein gescanntes Bild im Hintergrund läßt sich davon unabhängig verschieben! Man ist also nicht wie im DMC-Editor darauf angewiesen, beim Ausschneiden einer Vorlage sofort 100prozentig den richtigen Ausschnitt zu finden (Ich hatte in meinem letzten Artikel beschrieben, wie man mit einem Hilfsrahmen aus Linien im Calamus den richtigen Ausschnitt treffen kann beim Snapshot im DMC-Editor).

Didot kann auch einen Ausschnitt aus einem großen IMG-Bild frei verschieben.

Ein weiterer Vorteil von Didot ist, daß gescannte Hintergrund-Bilder mit zunehmender Vergrößerung nicht zunehmend “dünner" werden, weil die Rasterpunkte auseinanderrücken - auch in der größten Vergrößerung ist die Vorlage immer klar erkennbar. Aber auch viele kleine Detailverbesserungen gegenüber dem alten Standard bei gleichartigen Funktionen machen die Arbeit angenehm.

Beim Kerning beispielsweise kann man in Didot einen ganzen Zeichensatz “durchrauschen” lassen mit einem Mausklick, während bei DMC die Bearbeitung eines Zeichensatzes Buchstabe für Buchstabe zur “Klickeritis” oder zur Verwendung des GEM Retrace-Rekorders führte (ein Hilfsprogramm, das Mausbewegungen aufzeichnet und abspielt).

Ein weiterer dicker Pluspunkt ist die wirklich GEM-mäßige Arbeitsweise mit Didot: Verzerrungen und Drehungen von Buchstaben sind über eine Gummiband-Box mit Handle äußerst einfach möglich mit optischer Kontrolle in Echtzeit (im Gegensatz zum DMC-Taschenrechner, der nach Tastatureingaben vor sich hin rechnet...).

Das i-Tüpfelchen...

Allerdings wäre es das i-Tüpfelchen für Didot, wenn man eine gefundene Einstellung genauso auf einen ganzen Zeichensatz anwenden könnte wie beim Kerning. Was die Wiederholbarkeit von Verzerrungen betrifft, hat DMC mit den Zahlenwerten Pluspunkte, sei es über den Taschenrechner oder über das M-Square, mit dem man Schriften in Breite und Höhe verändern kann.

In Didot kann man sich jedoch mit Winkelangaben, Koordinaten und Hilfslinien helfen und die Vorteile der optischen Kontrolle genießen. Auch die Funktion "Zeichensatz zuladen” von DMC hat Didot nicht vorzuweisen, was besonders bei Sonderzeichen schade ist, die man bei DMC einfach auf freie Positionen zuladen kann. Dafür ist bei Didot die Clipboard-Funktion wesentlich besser und leistungsfähiger gelöst durch fünf (!) freie Clipboards und die jederzeit gegebene optische Kontrolle über die Verschiebung von Linienzügen oder ganzen Buchstaben. Auch das Springen zum nächsten Buchstaben geht bei Didot schneller und einfacher.

Außerdem ist es nach Studium des Handbuches bei Didot ganz einfach, Linienzüge an bestimmten Stellen mit einer Schere auf zutrennen oder mit einer Schusterahle zusammenzufügen (Alternate und linke Maustaste bei Hammer und Zange).

Beide Editoren haben ähnliche Funktionen mit ähnlichen Icons, aber die Umschaltung der Lupen z.B. geht bei Didot blitzschnell; man sieht auch gleich optisch, welche Linien man in den Mülleimer zerrt usw., die Verschiebung der Hilfslinien geht einfacher, und man kann auch Kreise als Hilfslinie generieren.

Zukunfts-Bonbons

Einen Taschenrechner wie bei DMC hat Didot zur Zeit nicht, das vorhandene Icon ist vorgesehen für spätere Erweiterungen, genauso wie ein Icon, das automatische Vektorisierung von Hintergrundbildern verspricht.

Ein weiteres Zukunfts-Bonbon von Didot sind Zusatzmodule. die die Umwandlung von Calamus-Fonts in Postscript-(!), Signum-, GEM-DOS- und Ultrascript-Fonts ermöglichen. Die damit gegebenen Möglichkeiten sind gar nicht absehbar...

Allerdings wird es noch eine Weile dauern. Entweder der Treiber GDOS.CNV wird vom Programm nicht gefunden (Vers. 1.4). oder er produziert nur Müll, der nicht als GEM-DOS-Font zu laden ist (Vers. 1.3).

Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend, und der Gedanke, nebenbei auch PostScript- und andere Fonts zu erhalten, beflügelt die Ausdauer des einsamen Schriftenschnitzers ...

Der erste Versuch - Verwirrung

Generell unterscheidet sich die Arbeitsweise bei beiden Editoren beim Zeichnen der Kurven: Bei DMC werden Punkte gesetzt, und die Tangenten müssen danach entfaltet werden (wir erinnern uns, Tangenten sind die Linien, die die Kurve tangieren, d.h. berühren). Bei Didot sind die Tangenten gleich "ausgefahren”, aber nur ihre Endpunkte als Kreuze sichtbar, und man kann sie auch nicht als Linie sichtbar machen wie bei DMC.

Bei meinem ersten Versuch mit Didot herrschte also spontan Verwirrung, und zwar doppelte: Die Kurven schlängelten sich ungeachtet meiner gescannten Hintergrundbuchstaben, und ich wußte erst einmal gar nicht, welches Kreuzchen zu welcher Tangente gehörte...

Nach einigen Versuchen wurde aber schnell das System klar: Didot ordnet die Tangenten automatisch so an, daß Ein- und Ausfallwinkel bei einem Punkt gleich sind. Bei Kreisen ist dann der Kreis auch gleich perfekt, wenn die Punkte richtig gesetzt sind. Bei unregelmäßigen Kurven müssen die (richtigen) Kreuzchen an die richtige Stelle geschoben werden.

Sieht ein grob gezeichneter Buchstabe bei DMC (ohne "Entfaltung“ der Tangenten) erst einmal hölzern und eckig aus. so wirkt er bei Didot meist wie eine verrückte. unregelmäßige Pinselschrift. In beiden Fällen müssen die Endpunkte der Tangenten richtig verschoben werden, und dann stimmt's nur: bei Didot kann man sehen, wie die Kurve sich verbiegt, während man bei DMC den Punkt neu setzt und wartet...

Nach diesem Blick in zukünftige Weiten zum Naheliegenden: Meist wird nicht gleich ein ganzer Zeichensatz angefertigt, sondern ein dringend benötigter Schriftzug oder ein Logo soll "mal eben schnell” erstellt werden.

Hier einige Tips zum Vorgehen:

  1. Auswahl der Vorlage: Nehmen Sie die besten Vorlagen, die Sie bekommen können, auch wenn es etwas umständlicher ist, weil evtl. mal etwas herausgesucht werden muß aus alten Schriftmuster-Katalogen (wo die Alphabete noch größer abgedruckt waren als heute) oder mal kurz abgesetzt werden muß auf einer anderen Anlage. Ich habe schon Calamus-Fonts gesehen, bei denen offensichtlich ein Signum-Font als Vorlage gedient hat und nicht das ursprüngliche Original der Schrift. Daß dabei keine Ähnlichkeit mit dem Original herauskommt, wenn ich es auf wenige Pixel in Höhe und Breite zerhacke, sollte klar sein. Also: saubere Vorlagen. Schriftgröße um 36 Punkt oder größer (Didot kann noch zoomen in der Kamera-Funktion).

  2. Art der Wiedergabe: Didot kann fertige Degas- und IMG-Bilder laden (von IMGs auch Ausschnitte verschieben). Hier sollte man die Stellung der gewünschten Buchstaben auf dem Bild berücksichtigen, damit genug Platz zum Verschieben ist. Die Bilder können mit Scannern oder Snapshots erzeugt werden.

Didot kann aber auch selbst als Accessory aus jedem Mal- oder Zeichenprogramm (auch aus Calamus) Snapshots machen. Auch hier kann man Hilfslinien für Schriftlinie, Oberkante von Groß- und Kleinbuchstaben gleich ins Bild zeichnen. Die Verwendung von Calamus als Vorlage für den Snapshot hat den Vorteil, daß über "Einstellbare Größe” und "Optimieren für Bildschirm" die Schrift in der Größe gut angepaßt werden kann (Einstellung für später auf schreiben).

  1. Positionierung: Da bei Didot Hinter- und Vordergrund (auch in der Lupe) gegeneinander verschoben werden können. und zwar schnell und unter voller optischer Kontrolle (!), ist die Positionierung kein Problem: Anhand der vorher eingezeichneten Hilfslinien sieht man dann auch, um wieviel z. B. ein O oder V über die Schriftlinie hinausgeht, und berücksichtigt das. Beim Kerning hat Didot übrigens noch ein Schmankerl in puncto Positionierung parat: Wenn man Block-Kerning oder automatische Optimierung auslöst, wird automatisch der ganze Buchstabe auf Mitte der Zeichenfläche gerückt!

  2. Das Zeichnen der Kontur: Auch bei Didot ist es am einfachsten, wenn man die Scheitelpunkte der Kurven sucht und dort die Punkte setzt. Dann kann man die Tangenten genau senkrecht oder waagerecht ziehen und gut kontrollieren, ob bestimmte Linien wirklich parallel laufen (die Tangenten müssen dann auch parallel sein). Das klappt bei fast allen Kurven, nur bei längeren komplizierten schrägen Kurven (Schreibschriften) reichen die Scheitelpunkte nicht aus, man muß sie durch Verbindungspunkte ergänzen, deren Tangenten dann auch schräg laufen müssen. Das ist aber die Ausnahme. Die regelgerechten Scheitelpunkte findet man ganz einfach an den zeilenweise gerasterten Hintergrundbildern, z. B. der obere Scheitelpunkt eines “O” liegt genau in der Mitte der obersten Pixelzeile ... Außerdem hat Didot noch Funktionen parat, um Punkte nur senkrecht oder waagrecht oder in einem bestimmten Winkel zueinander zu setzen, mal abgesehen vom ebenfalls vorhandenen magnetischen Hilfsraster.

  3. Kombination von Konturen: Genau wie beim DMC-Editor muß man ab und zu mal die Kontur einer Innenfläche in der Drehrichtung ändern, damit die Innenfläche auch weiß wird. Das geht über das entsprechende Icon und kann mit Hilfe der Kerning-Funktion kontrolliert werden. Wenn man Linienzüge “aneinanderflickt", dürfen sie nur einen Anfangs und einen Endpunkt haben. Sonst erhält man nie die gewünschten Buchstaben Aber dafür gibt es ja die “Ahle” Auch wirkt es bei der Verwendung der erstellten Buchstaben in OUTLINE von DMC störend, wenn Buchstaben aus mehreren Stücken zusammengesetzt sind. Man sieht dann nämlich die Nahtstellen, wenn man die Schrift als Outline darstellen läßt. Das ist der Fall, weil Outline die Teile als eigenständige Vektorgrafiken ansieht. Darum ist es besser, die Buchstaben “aus einem Stück” zu schnitzen, zur Not kann ja wieder die Ahle benutzt werden.

Wer mehr vorhat...

Die nun folgenden Hinweise beziehen sich auf das Erstellen ganzer Schriften.

  1. Kerning: Was Kerning ist, wird ja im Calamus-Handbuch erklärt. Hauptziel des Kernings sind: a) gute Lesbarkeit und b) gleichmäßige Grauwirkung einer Zeile oder eines Textblocks. Man kann gut mit der automatischen Kerning-Optimierung in Didot arbeiten, wenn man sie als Grundlage sieht für die unbedingt notwendige manuelle Nachbearbeitung.

Vorgehen: Man erstelle sich ein Calamus-Dokument, in dem man in 10 oder 12 Punkt Größe einen längeren Text mit dem neuen, automatisch im Kerning optimierten Zeichensatz ausdruckt. Am besten trennt man den Text in Calamus mit der Funktion “Einfügen von Trennfugen” im Block oder beim Importieren, damit man ausreichend kleine Wortzwischenräume erhält. Dann sieht man auch genau, wo in den Wortbildern Löcher und Klumpen entstanden sind. Nun muß man anhand verschiedener Buchstabenkombinationen her-ausfinden, wer der Hauptschuldige ist, der linke oder der rechte Buchstabe an einem Loch/Klumpen. Das Abtippen aller möglichen Buchstabenkombinationen ist nicht der Weisheit letzter Schluß - entscheidend ist die gleichmäßige Grauwirkung, wenn man mit leicht zugekniffenen Augen einen Textblock betrachtet.

Die schnelle Auswahlbox
Die Arbeitsfläche...
... und die rasante Lupe
Hauptsache, das Kerning stimmt...
Snapshot mit Pfiff
Bonbon für die Zukunft - Konvertierung zu PostScript
Fünf Clipboards und volle optische Kontrolle
Verzerrung...
...deluxe...
... und realtime

Bei Calamus-Fonts ist, anders als bei GEM oder Signum!-Fonts, die Phantasie des Schriftschnitzers achtfach gefordert, weil der ja nicht nur eine Buchstabenbreite festlegen muß, sondern acht Zonen übereinander (ja, es sind acht, nicht sieben, wie in meinem letzten Artikel steht).

Man muß einfach mal die DMC-Schriften Times und Swiss im Kerning betrachten, dann bekommt man schon Anregungen positiver und negativer Art. Man sollte sich Zeit nehmen für das Kerning, mindestens so viel wie für das Zeichnen der Konturen(!). Auch muß die Eigenart einer Schrift bedacht werden, ob es eine Schrift mit oder ohne Füßchen ist, eine Schreibschrift oder eine Fraktur. Dieses Thema könnte man in einer weiteren Folge zum Font-Editor aufgreifen, da es sehr umfangreich ist.

Hilfreich ist Didot auch beim Kerning von Hand, weil die Verschiebung der Kerning-Zonen glatt, flüssig und exakt geht im Vergleich zu dem hakeligen Geklicke bei DMC. Auch braucht man nicht zwischen linkem und rechtem Rand umzuschalten, man packt einfach mit der linken Maustaste zu und zieht.

  1. Font-Name/Pixel-Bild: Den Font-Namen trägt man am besten erst zum Schluß ein, wenn alle Buchstaben vorhanden sind, die die Pixel-Routinen brauchen, um ein grobes Abbild in der neuen Schrift zu erstellen (Sie wissen schon, der Schriftzug, der nachher in Calamus im Textmenü zeigt, welche Schrift man geladen hat). Hier sind die Ergebnisse etwas schlechter als bei DMC, wahrscheinlich aufgrund anderer Routinen zur Umformung. Das trifft auch auf die Darstellung im Buchstaben-Auswahl-Menü (Setzkasten) zu, die bei DMC schöner ist. Dafür geht das Scrollen und Auswählen aber bei Didot schneller, und entscheidend ist das Druckergebnis.

  2. Export: Seit der neuesten Version Didot 1.4, die mir von ATARI zur Verfügung gestellt wurde, besteht sogar die Möglichkeit, den Inhalt der Zeichenfläche als Calamus-Vektorgrafik (CVG) zu exportieren. Das öffnet natürlich die Tür zu Zeichenprogrammen, die CVG importieren (und konvertieren) können und damit zu anderen Layout-Programmen oder z.B. eine Seitentür zu Outline. Leider kann Vektorgrafik noch nicht in Didot importiert werden, denn dann könnte man ...

Fazit

Unter dem Strich sprechen eine Vielzahl von Punkten für Didot. Der Anspruch, einen neuen Standard zu setzen, ist erfüllt worden, und es liegt nur an den fehlenden i-Tüpfelchen, daß man in naher Zukunft gut damit beraten ist. beide Font-Editoren zu haben (automatische Verzerrung über M-Square, Zuladen und andere Funktionen bei DMC). Für den Anwender ist es gut zu wissen, daß Konkurrenz herrscht und der Standard für Calamus-Font-Editoren wohl auch in Zukunft weiter verbessert wird. Fontastisch!

Bezugsadresse:
Alle ATARI-Fachhändler


Peter Denk
Aus: ST-Computer 03 / 1990, Seite 61

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