Klein aber fein oder 24 : 2 = Twelve

Bild 1: Das Bedienfeld von Twelve...
Bild 2:... und zum Vergleich das von Twenty-four

Das Angebot an Sequenzerprogrammen für den ATARI ST ist nur noch schwer überschaubar. Der Streit, welches Programm nun das richtige ist, stilisiert sich zur Glaubensfrage zwischen den Benutzern der unterschiedlichen Produkte. Das ‘Mehr' an Spuren und Features der Programme geht jedoch, sehr zum Leidwesen der Benutzer, nicht immer mit einer entsprechenden Bedienerfreundlichkeit Hand in Hand, die eigentlich Voraussetzung für den kreativen Schaffensprozeß sein sollte.

Mal Hand auf's Herz: Ihr ‘Bohlens' und 'Moroders' - wann habt Ihr jemals 64 Spuren wirklich gebraucht? Meist setzen die Preise der dazu benötigten MIDI-Instrumente und sonstiger Geräte finanziell nicht zu nehmende Hürden Just in dieser Zeit der 'Aufrüstung', fast zeitgleich mit dem gelungenen Programm Cubase, das auf der letzten Musikmesse wie eine 'Bombe einschlug (vgl. ST 6/89 S.44 ff.), brachte Steinberg ein neues, kleines Sequenzerprogramm auf den Markt: Twelve - und möchte es, wie das Handbuch verrät, als ein Programm für den semiprofessionellen Bereich verstanden wissen, eben für alle, die kein komplexes, sondern ein einfaches und überschaubares Sequencerprogramm suchen. Vorweg: das Programm ist gelungen. Die halbierte Version des Twenty-four bietet all denen, die zu Hause einen ATARI ST haben und musikinteressiert sind, eine Alternative zu herkömmlichen Programmen, die zum Großteil die 500 DM-Schallmauer weit hinter sich gelassen haben. Mit allen benötigten Features, die der begnadete ‘Semiproffesione11e' zum Weithit benötigt, bekommt er dieses Programm schon für weniger als 100 - DM.

Im Lieferumfang enthalten sind die Programmdiskette und -Beschreibung. Das sehr gut gegliederte Handbuch gibt auch dem Newcomer am ‘Musik-ST' nach kürzester Einarbeitungszeit die Möglichkeit, ‘in medias res' zu gehen, den Berufswechsel zum Schallplattenmillionär ins Auge zu fassen. Verständlicherweise mußte Steinberg auf eine Programmsicherung durch einen Schutzmodul (Key) im ROM Port verzichten, um den niedrigen Verkaufspreis zu ermöglichen. Das Programm ist somit kopierbar - was seiner Beliebtheit sicher nicht im Wege stehen wird Nach dem Programmstart erscheint das Arbeitsfeld (Bild 1), welches Twelve als kleine Schwester (oder Bruder - je nach gusto) des Twenty-four (Bild 2) ausweist, eben mit 12 Aufnahmespuren anstatt 24. Benutzer des Steinberg-Sequencerprogramms Twenty-four können ab hier auf ein Weiterlesen der Bedienungsanleitung (und dieses Berichts) verzichten. Das Handbuch führt zunächst in die Grundbegriffe der MIDI-Technik ein und erläutert ausführlich die Anpassung des Instumentariums an den Computer und das Sequencerprogramm. Nach erfolgreicher und korrekter Installation werden anhand eines auf der Diskette abgespeicherten Testsongs die Grundbegriffe und Möglichkeiten von Twelve ausführlich beschrieben. Schon in diesem ersten Abschnitt wird das entscheidende Manko von Twelve sichtbar: Zur nachträglichen Edierung oder visuellen Kontrolle eines aufgenommen Patterns stellt Twelve - im Gegensatz zu den großen Programmen - nur einen Noteneditor (Score editor) zur Verfügung. In diesem Editor kann man natürlich nicht nur die eingespielten Noten betrachten, sondern, wie der Name schon sagt, dieselben auch edieren. Dies funktioniert am besten per Maus - einfach hineinklicken in die Musik. Wenn man auch auf den aus dem Twenty-four bekannten Grideditor durchaus verzichten kann, stellt der fehlende Drumeditor einen echten Verlust dar. Er wurde sicher Opfer des Verkaufspreises, für den einfach Abstriche gemacht werden mußten.Aber die Damen und Herren von Steinberg wären nicht die Damen und Herren von Steinberg, wenn sie dafür keine ausführlich beschriebene Alternative böten: Sie funktionieren den Scoreeditor kurzerhand zum Drumeditor um - toll! Sicherlich eine gute Idee, nur wohl dem, der in seinem Leben einmal einen ordentlichen Musikunterricht genoß! Vorausgesetzt werden nämlich einige Kenntnisse in der nicht ganz unkomplizierten Notationskunde. Außerdem ist die Sache recht unkomfortabel.

Der Ablauf: Man suche sich zunächst die Noten, mit dem das Rhythmusgerät (oder Sampler mit Drumsounds etc.) angesteuert wird, merke sich dieselben und setze sie dann an passender Stelle im Scoreeditor ein oder spiele sie über die Keybordtastatur direkt ein. Obwohl es funktioniert, ist der Ablauf gegenüber dem gewohnten Drumeditor antiquiert und umständlich. Im weiteren Verlauf erklärt das Handbuch anhand leicht nachzuvollziehender Beispiele den Aufbau einer kleinen Komposition. so daß am Ende jeder mit den Möglichkeiten des Programms vertraut sein sollte. Nachteil auch hier: Einzig die Notenschrift bleibt als visuelle Edier und Kontrollmoglichkeit - und das bei einem Programm für den semiprofesionellen Bereich. Richtig bemerkt das Handbuch dann auch auf Seite 2-6: “Please refer to literature on music theory for more information.” Na denn! Nix wie in die Bibliotheken - dort soll es noch unübersichtlicher sein!

Was es sonst noch gibt

Bis auf die fehlenden Drum- und Grideditoren stellt Twelve natürlich mit Einschränkungen die aus dem Twenty-four bekannten Features zur Verfügung: Transponieren und Kopieren von Pattern. Realtime- und Step-by-Step-Eingabe, Noteneingabe mit der Maus, Tastaturbelegung, Sequencermode, Tapemode und Synchronisationen ähnlich dem Twenty-four usw. Auch das Einlesen der Noten in das Notendruckprogramm Masterscore (vom gleichen Hersteller) war unproblematisch, so daß Twelve vom Preis her auch für all die interessant ist, die weniger mit einem Sequencer arbeiten wollen, als vielmehr ein preisgünstiges Programm zur Noteneingabe suchen. Fazit: Steinberg bietet mit Twelve ein Programm, das jedem, der es mal mit der Musik auf dem ST versuchen will, die Möglichkeit gibt, kreativ zu werden. Vergleichbar mit dem Creator von C-Lab oder gar Cubase ist es nicht, will und kann es auch bei den begrenzten Möglichkeiten von nur einem Editor nicht sein. Doch die mit Twelve erzielbaren Ergebnisse sind, Steinberg entsprechend, hervorragend. Nach einiger Einarbeitung reicht auch der Noteneditor aus. um passabel zu arbeiten. Es wäre anzuregen, den Noteneditor für in der Notation weniger Bewanderte durch einen Grideditor zu ersetzen, was allerdings wiederum die Edierung von Drumpatterns verkompliziert. Wie man es dreht und wendet, das Programm ist, verglichen mit seinen großen Brüdern, nur ein Kompromiß - bei seinem niedrigen Preis allerdings ein sehr guter. Man wird das Gefühl nicht los, daß Steinberg früher oder später Twenty-four vom Markt nehmen wird und das Geschäft mit Cubase und Twelve bestreiten wird. Keine schlechte Idee, denn was bringt die Arbeit an weitem Updates für Twenty-four, wenn Cubase alles und noch viel mehr bietet ?

Bezugsadresse:
TSI GmbH Neustr 12 5481 Waldorf

Bild 3: Der Score-Editor von Twelve

Norbert Preisler
Aus: ST-Computer 12 / 1989, Seite 154

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