Editorial

Alljährlich zu Weihnachten (und nicht nur dann) erreicht die Diskussion über Jugendliche und . Computer wieder ihren Höhepunkt. Da wird behauptet, Computer verdummen die Jugend, vereinsamen, machen jedwede Kreativität zunichte, vernichten den Freundeskreis. Als langjähriger Benutzer mehrerer Computer kann ich solche Behauptungen mittlerweile leicht widerlegen.

Ist es nicht so, daß Computer einen immer wichtigeren Platz in der Gesellschaft einnehmen und einnehmen werden? Wer heute als Schüler keine grundlegende Ausbildung im Bereich EDV bekommt, wird im späteren Berufsleben schlechte Chancen haben. Kaum ein Beruf kommt noch ohne die EDV aus. Sicherlich sollte man keinem 6jährigen einen Computer vor die Nase setzen. Er wird damit spielen, sich aber nicht in die Anwendung des Geräts an sich einarbeiten.

Die Behauptung, Computer verdummen die Jugend, mag dann zutreffen, wenn die Geräte als reines Medium zum Spielen benutzt werden. Wenn von Anfang an feststeht, wie ein Computer zu benutzen ist, nämlich nicht nur zum Abschießen von Raumschiffen und Herumhüpfen auf Plattformen, sondern auch zur vernünftigen Anwendung von Finanzbuchhaltungen und Programmiersprachen, dürften auch keine Probleme entstehen.

Die Vereinsamung, die im Zusammenhang mit Computern immer wieder angesprochen wird, kann ich als “Freak” überhaupt nicht bestätigen. Sicherlich hatte ich in der ersten Zeit Probleme, den Anschluß zu bisherigen Bekannten zu halten, weil mich das Gerät faszinierte. Aber auch diese Phase ist irgendwann vorüber, und man besinnt sich wieder der wichtigen Dinge im Leben. Die (dauernde) Benutzung der dummen grau-beigen Blechkisten kann aber auch einen Vorteil haben. Zum einen hat man irgendwann die Nase gestrichen voll, so daß man keine Tastatur mehr anfassen möchte. Zum anderen kann man z.B. durch Computer auch neue Bekannte finden.

“Anno dazumal” gab es sicher eine andere Kreativität als heute. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Kreativität durch einen Computer gelähmt oder getötet werden soll (immer mit dem Hintergedanken, daß das Gerät vernünftig angewendet wird). Mit einer Programmiersprache die Dinge zu entwickeln, die seit mehreren Monaten als Idee im Kopf herumschwirren, ist überaus kreativ -besonders dann, wenn man nachher sieht, wie die Idee, die man hatte, als lauffähiges Programm über den Bildschirm flimmert. Es ist auch ziemlich schön anzusehen, wie eine Animation, die man monatelang entwickelt hat, ruckfrei und farbenfroh durch RAM- und Videobausteine rennt. Viele Animationen, die heute zu bewundern sind, können in der realen Welt gar nicht entwickelt werden!

Schon die Massenmedien "pushen" Computer in die Öffentlichkeit - irgendwo muß also der Nutzen der Geräte liegen. Wabernde ARD-Einsen, hochklappende “heute journal”-Logos, einklappende RTL plus-Zeichen, Landtagswahlauswertungen innerhalb einer Stunde, aktuelle Börsenkurse, aber auch Ampelanlagen, Eisenbahnsteuerungen, Bundespost-Brief-Einsortieranla-gen, Telefonvermittlungen, Registrierungen beim Ordnungsamt, Gehaltsabrechnungen, Zeitungsdruck, Kontoverwaltung bei Banken und Sparkassen, Verwaltung der PKW-Steuer etc.; ohne Computer wäre kaum noch ein vernünftiges Leben möglich.

Wo liegt also das Problem? Liegt es vielleicht an den unwissenden Eltern, die ihren Kindern zu Weihnachten einen Computer auf den Tisch stellen, weil sie unbedingt damit ein Ballerspielchen machen wollen? Liegt es daran, daß nicht allgemein bekannt ist, was mit einem Computer alles gemacht werden kann bzw. gemacht wird? Oder liegt es eventuell an den manchmal mangelhaften Ausbildungen an Schulen, in denen die Lehrer weniger wissen als ihre Schüler? Hier kommen alle Punkte zusammen und ergeben auf diese Weise ein falsches Bild. Wir Anwender wissen jedenfalls, daß uns etwas fehlt: das Verständnis derer, die sich in der Materie nicht auskennen.

In diesem Sinne wünschen ich und die Redaktion Ihnen ein frohes Weihnachtsfest 1989 und einen guten Rutsch ins neue Jahr.


Martin Pittelkow
Aus: ST-Computer 12 / 1989, Seite 3

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