Zuweilen muß man sich fragen, wohin es mit der Pressefreiheit noch gehen soll. Ein Gerichtsurteil (2 HK 0 2284/89) gibt mir momentan stark zu denken. Nach diesem Urteil muß sich ein Redakteur ernsthaft fragen, wie ein Testbericht auszusehen hat. Wird nämlich ein Vergleichstest verfaßt, muß man sich jetzt auf alle sogenannten "Marktführer" konzentrieren, um eine vollständige Übersicht zu produzieren. Dazu einige Zitate aus dem Urteilsspruch:
“Die Beklagte nimmt mit ihrer Anzeige eine vergleichende Testwerbung vor. wobei sie für sich sogar eine Alleinstellung in Anspruch nimmt. Eine derartige Werbung würde auf jeden Fall voraussetzen, daß das Testergebnis, auf das sich der Werbende bezieht, ordnungsgemäß zustandegekommen ist
"Von einem ordnungsgemäßen Zustandekommen eines Test-ergebnisses kann schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht ausgegangen werden. Die Zeitschrift (...) hat nämlich nach Auffassung der Kammer die Warenausw ahl zum Test (...) nicht ordnungsgemäß vor genommen.”
"(...) daß das (...) Magazin das Programm der Beklagten als das beste (...) für den ST bezeichnet. Dies ist unzulässig, nachdem die Beklagte selbst einräumen muß, daß das Programm eines weiteren Marktführers (...) nicht getestet wurde.”
Natürlich sollte man in einem Testbericht nicht gleich mit dem Superlativ um sich werfen, aber nach Studium des Urteils kommen sofort einige Fragen auf: Wer sagt mir definitv, wer "Marktführer" in einer bestimmten Sparte ist? Wie wird ein "Marktführer" überhaupt definiert? Ist es der- bzw. diejenige, der (die) die meisten Programme verkauft - oder die größte Zahl an Angestellten hat - oder die größte Werbung schaltet -oder aber am längsten im Geschäft ist?
Nehmen wir an, trotz dieser Fragen sind die "Marktführer" ausfindig gemacht worden. Was passiert, wenn einer dieser "Marktführer" sein Programm nicht kostenlos zu einem Test zur Verfügung stellen möchte? Zitat aus dem Urteilsspruch: 'Wenn aber bei fünf Marktführern ein Programm überhaupt nicht in den Test einbezogen wurde, ist die Bezeichnung eines Programmes als bestes nach Auffassung der Kammer nicht zulässig." Muß der Tester sich dann das Programm im freien Handel besorgen, damit der Vergleichstest vollständig wird? Sicher, die Stiftung Warentest kauft auch Testgeräte, doch ein Computer-Magazin ist keine Stiftung, die ihren Sinn einzig und allein darin sieht, Endverbrauchern Testergebnisse zu präsentieren - noch dazu kostet ein Programm erheblich mehr als eine Kaffeemaschine. Was sagt das Urteil dazu: "Wenn das (...) Magazin schon einen Vergleichstest durchführen und die Ergebnisse veröffentlichen wollte, hätte es sich gegebenenfalls dieses Programm auf dem Markt beschaffen müssen ”
Wir können die Situation auch noch weiter verfolgen: Die -gekauften oder zum Test zur Verfügung gestellten - Programme aller "Marktführer" werden getestet. Nach dem Test möchte ein Hersteller aber nicht, daß der Bericht veröffentlicht wird, weil erdenkt, daß sein Programm dabei zu schlecht abschneidet. Was ist zu tun? Wird der Test jetzt unvollständig? Darf der Redakteur noch behaupten, daß alle "Marktführer" berücksichtigt wurden, wenn er das Programm nicht in die Bewertung mit aufnimmt? Oder soll man den Test trotzdem veröffentlichen und wird dann schon fast bedroht, daß keine Werbung mehr geschaltet wird?
Es geht noch weiter: Der Test ist, trotz all dieser Schwierigkeiten. abgeschlossen und veröffentlicht. Zwangsläufig muß bei einem Vergleichstest mindestens ein Programm als Testsieger hervorgehen. Der Hersteller verwertet das Testergebnis bei seiner Werbung. Was wird unter Umständen passieren? Eine Anzeige gegen ihn erfolgt, da ein Mitbewerber (ein "Marktführer"?) diese Werbung als "irreführend" oder "unzulässige Alleinstellungswerbung" bezeichnet. Im Urteil mit dem Aktenzeichen 2 HK 0 2284/89 ist eine Firma dazu verurteilt worden, knapp 35.000,- DM Strafe zu zahlen, weil Sie geworben hatte mit "Der Testsieger. (...) Vergleichstest (...) Magazin in lOiHB (...)”. Das Gericht entschied, daß der Vergleichstest kein solcher sei.
Hat nun der Redakteur "die Warenauswahl nicht ordnungsgemäß vorgenommen” (laut Anklageschrift), oder fühlt sich lediglich ein Hersteller (der Klager) ausgebootet? Darf man als gewissenhafter Redakteur noch wertende Bezeichnungen wie “sehr gut" oder "mangelhaft" benutzen, ohne gleich mit einer Klage vor Gericht oder fehlender Werbung (die dem Entzug der Arbeitsgrundlage entspricht) rechnen zu müssen? Gilt ein Schlußsatz des Redakteurs ("Fazit:...") als subjektive oder objektive Wiedergabe des Testergebnisses? Darf man überhaupt noch ein Programm als das aus einem Test hervor gehende "beste Programm" dieses Tests bezeichnen? Ich kann für mich aus diesen Überlegungen nur einen Schluß ziehen: Entweder lasse ich mich von solchen Urteilen einschüchtern - was ausschließt, daß ich objektive Testberichte verfassen kann -. oder ich schreibe weiter wie bisher - und sollte mir unter Umständen schon jetzt einen Rechtsanwalt "reservieren"...