Verzweifeln Sie nicht, verehrte Leser, dies ist nicht schon wieder ein Test eines Malprogramms. Zugegeben, auch ein Test über ein Malprogramm. Aber Arabesque ist viel mehr. Es ist, als ob mein Stoßseufzer zu Ende des Omikron.Draw!-Testes im letzten Heft Beachtung gefunden hatte - endlich ein Grafikprogramm, das Vektorgrafik beherrscht und damit für Illustrationen von vernünftiger Qualität geeignet ist.
Zur Erklärung: Mit Malprogrammen erzeugte Illustrationen sind immer an die Original-Auflösung gebunden, Ausdrucke in verschiedenen Formaten sind nur mit großen Qualitätseinbußen oder Größenunterschieden möglich. Dies ist im Zeitalter von hochwertigem Textdruck mit Laserdruckern nicht sehr befriedigend. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß mit Malprogrammen entworfene Schemazeichnungen und Illustrationen oft nur mit unverhältnismäßig viel Aufwand verändert werden können. Da ein Malprogramm eigentlich nicht weiß, was es auf der 'Leinwand' tut, muß wie aui dem Zeichenblatt radiert und korrigiert werden, mit all den unerwünschten Nebeneffekten und Fehlermöglichkeiten, die dieser Tätigkeit innewohnen. Wieviel angenehmer wäre es doch, wenn man einen Kreis als Kreis behandeln und verändern könnte, ohne jedes Pixel einzeln löschen zu müssen, eine Linie nach Belieben dicker oder dünner machen zu können, und all das mit erheblich weniger Mühe als in einem Malprogramm. Nachteil der traditionellen Vektorgrafik-Programme: Für künstlerische Zwecke sind sie im allgemeinen ungeeignet, da sie keine Freihand-Zeichnungen mit Pinseln oder Sprühdosen erlauben. Die bisher auf dem ST verfügbaren Vektorgrafik-Programme hatten den Nachteil, in Handling und Ausgabe limitiert und unhandlich zu sein. Gem Draw und Easy Draw waren im wesentlichen an der ersten Generation der Mac-Zeichenprogramme orientiert. Auf dem Mac haben sich Vertreter ihrer Gattung aber inzwischen zu Programmen entwickelt, die selbst Freihand-Zeichnungen mit dem Komfort von Vektorgrafik möglich machen und sogar PostScript -Ausgabe erlauben. Arabesque ist mit all diesen Programmen nicht vergleichbar: es ist jedoch für den ST geradezu revolutionär, da es zum einen einen vollständigen Rastergrafik-Teil enthält, der es mit den meisten üblichen Malprogrammen aufnehmen kann. Zum anderen gibt es einen vollständigen Satz von Vektorgrafik-Funktionen. Damit entwickelte Vektorbilder können auch in Bitmap-Bilder umgewandelt werden. Recht schnell zeigt sich nach dem Start von Arabesque, daß hier keineswegs nach dem Motto 'Nichts halbes und nichts ganzes' verfahren wurde; die beiden Teile von Arabesque können sich beide allein schon gut sehen lassen, zusammen natürlich erst recht.
Arabesque bietet so ziemlich alles, was man von einem Malprogramm erwartet: Freihand-Zeichnen, Linien, Linienzüge, Kreis- und Ellipsenbögen, Rechtecke mit scharfen und gerundeten Ecken, Kreise, Dreiecke, Parallelogramme und Polygone. Natürlich kann man auch radieren, mit der Sprühdose hantieren und Flächen füllen. Die üblichen Zeichenparameter wie Linienbreite, Stil, Zeichenmodus, Pinselform, Füllmuster usw. gibt es selbstverständlich auch. Natürlich ist ebenfalls eine Textfunktion eingebaut, so etwas gehört schließlich dazu. Eine Besonderheit beim Zeichnen der Polygone Dreiecke und Parallelogramme: Wenn die Grundrißfigur fertig ist. kann man optional eine 3D-Figur erzeugen (siehe Bild 6). Das ist für viele Illustrationen eine echte Erleichterung.
In Sachen Rastertext ist Arabesque recht flexibel: Es können GEM-und Signum-Fonts verwendet werden, wobei letztere aber zuerst mit einem Zusatzprogramm in GEM-Fonts konvertiert werden müssen. Die Rasterfonts werden auch im Vektor-Teil verwendet, so daß Schrift in Arabesque nie durch echte Vektorfonts dargestellt werden kann. Allerdings erwartet das Programm, daß Rasterfonts für die Verwendung im Vektor-Teil in einer der angewählten Druckerauflösung entsprechenden Form vorliegen (d.h. unterschiedliche Fonts für 9-Nadel und Laserdrucker). Speziell hei Signum ist das natürlich kein Problem. Textblöcke können formatiert werden, wobei sogar Blocksatz zur Verfügung steht. Auch können alle Zeichen des Atari-Zeichensatzes per Alternate-Tastenkombination erreicht werden. Attribute wie Fett- oder Kursivschrift sind vorhanden, die Schreibrichtung kann in 90°-Schritten gedreht werden.
Auch die Füllfunktion bietet einige Spezialitäten: Ein beliebig geformter Bereich kann ganz gewöhnlich mit einem Muster gefüllt werden. Das ist nichts Besonderes. Als Muster läßt sich auch ein beliebig großer vorher ausgeschnittener Block verwenden, man ist also nicht auf das kleine Musterformat von GEM beschränkt. Sehr praktisch und wenig verbreitet ist dagegen die Verlaufsfüllfunktion, die eine beliebige Fläche mit einem Graustufenverlauf auffüllt. Besonders hübsch ist schließlich die 'Block einsetzen’-Funktion. In diesem Modus wird ein vorher ausgeschnittener Block soweit verformt, daß er genau einmal in den zu füllenden Bereich hineinpaßt, dies bildet einen Gegensatz zum oben erwähnten Füllmodus, in dem der Block ohne Veränderung einfach als Muster verwendet wird. Schnell und komfortabel lassen sich so die wildesten Blockverformungen erzeugen. Natürlich gibt es hierfür auch durchaus sinnvolle Anwendungen: Z.B. ein Etikett auf eine frisch gezeichnete Flasche zu kleben, wird erheblich vereinfacht. Natürlich kann man, wie in jedem Malprogramm, das etwas auf sich hält, auch in Arabesque Blöcke auf sehr viel vielseitigere Art verändern. Spiegeln, Vergrößern. Drehen. Invertieren, mit beliebigen Kurven biegen, perspektivisch verzerren. Scheren, mit Schatten versehen usw. Besondere Beachtung verdienen noch die Funktionen zur Herausarbeitung von Konturen, zur ‘Einfärbung’ mit einem Muster und zum Glätten von allzu stufigen Vergrößerungen. Kopieren und Verschieben wurde natürlich nicht vergessen, eine UNDO-Funktion hilft bei der Rücknahme unerwünschter Operationen. Die Blockfunktionen glänzen auch durch Schnelligkeit. Eine Lupe und zusätzliche Seiten, soviele der Speicher hergibt, sind ebenfalls vorhanden. Sehr positiv sind die freie Auswahl des Bildschirmformates und die Fähigkeit, auch DIN A3-Formate zu bearbeiten (falls ein geeigneter Drucker zur Verfügung steht). Eine Ganzseitenübersicht hilft, das Layout zu beurteilen. Sehr nützlich ist eine Funktion zur Begrenzung der Zeichenarbeit auf bestimmte Ausschnitte, um ungewollte Effekte zu vermeiden.
Arabesque kann - auch das gehört sich so - die gebräuchlichen Bildformate wie Degas, Stad, Image und IFF laden. Natürlich gibt es auch ein eigenes Format. Praktischerweise kann Arabesque Fremdformate nicht nur lesen, sondern auch schreiben. Auch Pinsel, Muster und sonstige selbstdefinierte Arbeit können gesichert werden. Wenn wir nun schon bei der Außenwelt sind: Die von Arabesque les- und schreibbaren Vektorgrafikformate sind ein eigenes und das GEM Metafile-Format, das auch von Calamus verstanden wird. Natürlich gehört auch die Welt des Druckes hierher. Arabesque verwendet normalerweise Druckertreiber, die. wie die Hex-Dateien von WordPlus, per Editor veränderbar sind. Für die wichtigsten Drucker werden Anpassungen mitgeliefert. Einige Drucker, die sich auf diesem Wege nicht vernünftig ansteuern lassen, so zum Beispiel der ATARI-Laserdrucker. werden gesondert behandelt.
Die Zeichenfunktionen im Vektor-Teil von Arabesque unterscheiden sich im Umfang nicht allzusehr von ihren Kollegen im Rasterbereich. Natürlich gibt es keine Sprühdose und kein allgemeines Flächenfüllen, denn diese Funktionen sind in Vektorgrafik nur schwer zu implementieren. Leider wurden die Funktionen für Dreiecke, Parallelogramme und Polygone nicht mit der 3D-Option des Rasterteils ausgestattet. Auch die Möglichkeiten zum Freihand-Zeichnen sind stark limitiert: Im Freihand-Modus kann man per Maus Linienzüge von bis zu 512 Punkten erzeugen. Bei Vergrößerungen erkennt man sofort, daß es sich nicht um Kurven, sondern um Linienzüge handelt, die eben aus geraden Stücken zusammengesetzt sind. Was Arabesque in diesem Zusammenhang eindeutig fehlt, sind interpolierende Kurven in irgendeiner Form, ob Bézier-Kurven (wohl die verbreitetste Form), Akima-Interpolationen oder Beta-Splines. Solche Kurven werden über ein paar Kontrollpunkte kontrolliert und können beliebig vergröbert werden, ohne ihre Kurveneigenschalten zu verlieren.
Sehr praktisch ist die Vektor-Textfunktion: Zwar werden hier, wie bereits oben erwähnt, keine Vektorfonts verwendet, der Text wird aber dafür in einen Rahmen geschrieben, in dem er, ähnlich wie in Calamus, formatiert wird, und zwar rechts-, linksbündig, zentriert oder im Blocksatz. Gerade bei der Textbearbeitung zeigen sich die Vektoreigenschaften von Arabesque sehr deutlich: Der Textrahmen kann jederzeit wiederangewählt, der Inhalt verändert oder umformatiert werden. Auch die Rahmengröße und Position ist zu jedem Zeitpunkt veränderbar. Natürlich gilt das auch für jedes andere Objekt: Verformen, Ändern von Attributen etc. ist kein Problem, weil das Programm jedes gezeichnete Objekt ‘kennt' und nicht nur die Repräsentierung durch Punkte auf dem Bildschirm bearbeitet. Leider gibt es keine Möglichkeit, die Größe von Objekten direkt per Zahlenkoordinaten zu bearbeiten. Auch fehlt ein Lineal für exaktes Arbeiten. Aber trotzdem ist der Vektorteil für Illustrationen viel geeigneter als jedes Malprogramm. Die Zeit, die man sonst angestrengt mit der Lupe hantiert, um irgendwelche irrtümlich gezeichneten Pixel zu löschen, kann man wahrlich besser nutzen. Die meisten Grafikobjekte lassen sich auch noch weitergehender ändern: Man kann zum Beispiel Punkte zu Polygonen hinzufügen oder aus denselben löschen. Ein Gruppenmechanismus erlaubt es. mehrere Objekte gemeinsam zu bearbeiten, was den Komfort erheblich erhöht.
Wichtig bei Vektorgrafik ist auch, daß der Benutzer bestimmen kann, auf welche Art sich Objekte überdecken. Stellen Sie sich die gezeichneten Objekte als ausgeschnittene Papierstücke vor, die sich auf dem Schreibtisch überlappen. Sie können in Arabesque jedes Objekt in den Vorder- oder Hintergrund verschieben, bis Sie die gewünschte Überlappung erreicht haben. Weitere Möglichkeiten sind Spiegeln, Rotieren, Scheren und Skalieren. Es gibt hier jedoch einige Beschränkungen, die daher rühren, daß zum Zeichnen TOS-Funktionen verwendet werden. Das TOS kann aber zum Beispiel keine gedrehten Rechtecke mit abgerundeten Ecken zeichnen. Daher werden solche Objekte beim Drehen in normale Rechtecke verwandelt. Sehr nützlich ist es. daß man einzelne Objekte vor Veränderungen schützen kann. Auch im Vektor-Modus gibt es eine Übersichts-Darstellung, allerdings nur von ungefähr 2/3 der Seite. Wie bereits erwähnt, ist es schließlich auch möglich, die gesamte Grafik in eine Rastergrafik einer bestimmten Größe zu verwandeln. Auch können Rastergrafikblöcke in Vektorbildern verwendet werden, mit all den Nachteilen bezüglich Vergrößerungen usw., die Rasterbilder nun einmal mit sich bringen.
Arabesque stellt fast den gesamten Bildschirm zum Zeichnen zur Verfügung. Oben gibt es eine Kopfzeile, die allerdings nicht für Menüs, sondern für die Anzeige von Koordinaten verwendet wird. Rechts und Unten gibt es Schiebebalken. Accessories können aufgerufen werden. Die eigentliche Bedienungsoberfläche des Programms sind zwei große Pop-Up-Boxen, die alle wichtigen Funktionen von jeweils einem Programmteil enthalten. Sie werden von einer Menge Dialogboxen unterstützt. In den Pop-Up Boxen gibt es oben die Icons für die Zeichen-Grund-Funktionen, in der Mitte all die Bilder für wichtige Arbeitshilfen, und unten schließlich allgemeine Funktionen wie Diskettenoperationen. Drucken usw. Zwischen Menu und Zeichenflüche wechselt man mit der rechten Maustaste. Die Pop-Up Box verschwindet dann oder erscheint wieder, und zwar dort, wo sich der Mauszeiger gerade befindet. Im Großen und Ganzen ist Arabesque recht leicht zu bedienen, an einigen Stellen sind die Icons allerdings nicht ganz so einleuchtend geraten. Die Maustasten sind meistens konsistent belegt. Sehr ausführlich wird die Tastatur unterstützt. Weniger tierliebe Benutzer werden das begrüßen. Für das Handbuch gilt das gleiche wie für die Oberfläche: Im großen und ganzen gelungen, nicht immer übersichtlich, aber recht hilfreich.
Bild 7: Arabesque-Seitenformat
Arabesque ist ein gelungenes Allroundprogramm. Wie gesagt, für Illustrationen zu Artikeln oder Aufsätzen halte ich es für erheblich geeigneter als jedes reine Mal Programm. Einige Möglichkeiten könnte der Vektormodus noch verkraften, besonders Freiform-Kurven fehlen sehr. Die Bedienungsoberfläche ist gelungen und auch übersichtlich, wenn man sich einmal die Bedeutung der Icons gemerkt hat (eigentlich komisch, früher mußte man sich - unwilligerweise - Tastenkürzel merken, jetzt sind es Icons). Für Vielschreiber und als preisgünstiges Illustrationsprogramm (DM 278,-), zum Beispiel für Calamus, ist Arabesque gut geeignet.
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