Bücher

Gehirn, Sprache und Computer. Unerreichte Natur - künstliche Intelligenz

Adolf Ebeling

  1. Auflage. 1988
    Verlag Heinz Heise, Hannover
    256 Seiten
    ISBN 3-88229-101-X

Ein Buch ganz anderer Art soll diesmal hier vorgestellt werden. Anderer Art deshalb, weil sich sein Inhalt weder damit beschäftigt, bestimmte Gebiete des Computers zu vertiefen, noch werden Tricks vorgestellt, die die Programmierung perfektionieren. Genau das Gegenteil ist der Fall. Dr A. Ebeling zeigt die Grenzen auf, die eine Mechanisierung der Gesellschaft durch den Computer hat und seiner Meinung nach auch haben muß. In dem Buch wird, wie der Titel schon verrät, ein Vergleich zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz angestellt. Der genaue Aufbau von Gehirn und Nervensystem steht dem des Rechners gegenüber. Gedächtnis wird mit der Speicherkapazität von Computern verglichen und eine Analyse von menschlichen und Programmiersprachen gemacht.

Um überhaupt einen Vergleich zwischen solch unterschiedlichen Objekten, von denen so oft behauptet wird, Ähnlichkeit miteinander zu haben, anstellen zu können. liefert der Autor einen umfangreichen Einblick in Medizin, Biologie, Chemie, Mathematik, Soziologie und Sprachwissenschaft. Unter diesen verschiedenen Aspekten beleuchtet Ebeling die Funktionsweise des Gehirns und Nervensystems wie auch die des Computers. Dabei kommen Vertreter der verschiedenen Be reiche ausreichend zu Wort, und Ebeling scheut nicht davor zurück. kritisch die einzelnen Theorien zu beleuchten. Neben heftiger Kritik an den Vertretern der künstlichen Intelligenz werden aber auch die Rolle des Militärs bei der Entwicklung des Computers, einige Ziele der Gehirnforschung sowie Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen. mit denen die Produktion von Chips und Rechnern verbunden ist. nicht unter den Tisch gekehrt.

Kernpunkt des Buches ist die Warnung, künstlichen Rechensystemen zuviel zuzutrauen und in Zukunft noch mehr Zutrauen zu wollen. Er lehnt die Einrichtung Computer nicht als solche ab, zeigt aber, daß ihr - entgegen der Annahme von Vertretern und Forschern der künstlichen Intelligenz - Grenzen gesetzt sind und immer gesetzt sein werden. Bei dem Versuch beispielsweise, eine Maschine zu Übersetzungen heranziehen zu wollen, wird es dem Computer und seinem Programmierer spätestens an dem Punkt, an dem Bedeutungszusammenhänge und nicht mehr nur einzelne Wörter zu übersetzen sind, unmöglich, den wahren Sinnzusammenhang herüberzubringen. (Ebeling veranschaulicht dies durch z.T. sehr witzige Beispiele. z.T. durch Beispiele mit schwerwiegenden Folgen.) Und damit wird ein Unterschied zwischen Mensch und Maschine sehr deutlich: Dem Computer wird nach Ebeling immer, und dies trotz größter Anstrengungen, die menschliche Fähigkeit fehlen, Assoziationen und Erfahrungen mit Wörtern, ganzen Sachverhalten oder Sinneswahrnehmungen zu verbinden - jeder von uns weiß selbst, wie wichtig dieses Wissen innerhalb einer Kommunikation ist.

In diesem Zusammenhang warm der Autor davor, in einer Zeit der zunehmenden Technisierung und der damit verbundenen Möglichkeit von Regelung und Festlegung. Maßstäbe, mit denen Maschinen gemessen werden, auf Menschen zu übertragen. Denn der Hauptunterschied zwischen Mensch und Maschine ist, daß der Mensch ein "System" ist, das sich in fortwährendem Prozeß, in ständiger Entwicklung und Bewegung befindet und von daher unvorhersehbar und unberechenbar wird, dies aber auch bleiben soll. Die Maschine dagegen wird einmal (vom Menschen) programmiert, und die Regelungen und Schaltungen, aufgrund derer sie funktionieren soll, sind festgelegt, damit auch berechenbar. Sie können zwar verändert werden, aber nur von außen, sie können sich nicht selbst verändern. "Die Psyche, das Gespenst, bleibt irreal, in der Computerwelt existieren keine Gefühle, doch sie sind es, die uns kreativ bei einer Programmentwicklung unterstützen und die Faszination eines selbsterstellten Computerprogramms erleben lassen" (S. 12)

Der Autor ermutigt uns, nicht nur das anzuerkennen, was meßbar ist: die Fragezeichen, die in der Wissenschaft über Gehirn. Gedächtnis und Bewußtsein noch existieren, nicht negativ zu werten, und sie über die Ausrufezeichen, die uns die Wissenschaft des Computers liefern kann, nicht zu vergessen.

Für alle, die mit einem Computer arbeiten und diesen nicht einfach nur gedankenlos an- und übernehmen, sondern Denkanstöße, Theorien verschiedener Richtungen und auch Gefahren, die dieser bergen kann, erfahren wollen, wer hinter den Computer steigen möchte und ihn nicht als Mysterium ansehen will, dem sollte es die gleiche Mühe wert sein, die er sich z B. auch beim Programmieren macht, sich mit "seinem besten Freund", mit dem er vielleicht viel Zeit verbringt, auseinanderzusetzen.

Aber auch für diejenigen, die keinen direkten Umgang mit Computern haben, ist das Buch sehr interessant, denn der Rechner ist mittlerweile ein Teil unserer Gesellschaft, dem man sich nicht mehr entziehen kann, unter dessen zumindest indirektem Einfluß man steht - und nach Ebeling immer mehr stehen wird.

Wegen der umfangreichen Darstellung verschiedener Gebiete auf relativ wenigen Seiten wird der Leser wahrscheinlich je nach Vorwissen nicht in der Lage sein, das jeweilige Fachgebiet ohne Probleme zu verstehen. Obwohl sich der Autor bemüht, dem Anfänger Schritt für Schritt alles verständlich zu machen und durch Beispiele die Materie zu veranschaulichen: Die Programmiersprache Pascal z.B. wird mit einem Kochrezept für Lachs in Krabbensoße verglichen (übrigens sicherlich eine Mahlzeit, die sich nachzukochen lohnt!). Dennoch sind die Zusammenhänge sehr komplex, und vielleicht sind gerade durch eventuell entstehende Schwierigkeiten beim Verstehen deutlich, daß das menschliche Gehirn - im Gegensatz zum Computer nicht nach festgelegten Regeln programmiert ist, also flexibel eher auf die eine oder andere Sache reagiert, je nach Prägung. Interessen und Fähigkeiten des jeweiligen Menschen gerade dies will Ebeling mit seinem Buch beweisen.

Selbst wenn man als überzeugter Computerfreak die Meinung des Autors nicht in allen Punkten teilen sollte, ist das Buch auf jeden Fall eine Reflexion wert, oder um Dr. Ebeling selbst zu Wort kommen zu lassen: "...denn wie oft gewinnen die eigenen Ideen erst ihre gültige Form in der Auseinandersetzung mit konträren Ansichten."

ES



Aus: ST-Computer 09 / 1989, Seite 187

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