Sie sieht fast so aus wie Wordplus und funktioniert auch fast so: Die Rede ist von der Textverarbeitung ‘Redakteur' der Firma Logisoft aus Toulouse, die nach einem Pflichtenheft der Redakteure der französischen Tageszeitung 'Liberation' entstanden ist. Der Redakteur bietet viele der Fähigkeiten, die man von Wordplus schon lange erwartet, wie z.B. die Verwendung verschiedener Fonts, erheblich höhere (Geschwindigkeit und einige ganz besondere Raffinessen, von denen der superschnelle automatische Umbruch während des Schreibens (Adieu, 'Neuformatieren' mit F10) vielleicht die eleganteste ist. Dagegen wurde auf unhandliche und von den meisten Benutzern sowieso ignorierte Features wie Einbindung von Bildern und Trennhilfe bzw. Rechtschreibprüfung verzichtet.
Sogar proportionalschriftfähig ist der ‘Redakteur', ganz problemlos ist diese Möglichkeit allerdings noch nicht: doch dazu später mehr.
Wie gesagt, optisch ähnelt der Redakteur' sehr dem Vorbild Wordplus. Am unteren Bildschirm finden sich ebenfalls Funktionstasten, die jedoch hier, wie beim Original-ATARI schräg gestellt sind. Auch die Belegung der Funktionstasten ist ähnlich, allerdings durch Tastenkombinationen mit Shift erweitert. Darüber die Zeichensatztabelle. Wie bei Wordplus kann man die Kopfzeile eines Fensters für Informationen oder für das Tabulatorlineal benutzen. Eine sehr nützliche Ergänzung: Der Textcursor wird nicht nur im Text, sondern auch in der Tabulatorzeile dargestellt, so daß man nicht mehr raten muß, in welcher Zeile man sich gerade befindet. Maximal 4 Fenster können gleichzeitig verwendet werden. Der ‘harte' Seitenumbruch wird wie bei Wordplus per Mausklick im rechten Fensterrand erzwungen. Eine weitere nützliche Erweiterung des Fensterstandards ist ein zusätzliches Feld unterhalb des Schließknopfes, das dazu dient, ein unter dem Fenster verdeckt liegendes zweites Fenster aus der Tiefe hervorzuholen.
Im wesentlichen entspricht das Tippen mit dem Redakteur der Arbeit mit Wordplus, Fettschrift - F1, unterstreichen - F2. Blöcke markieren: Wie in der letzten Version von Wordplus, per Maus. Aber: Das Scrollen von Text geht viel, viel schneller, schnell wie der Wind könnte man in einer poetischen Minute zu sagen versucht sein; selbst die Blocksatzformatierung geht so schnell, daß man sich gar nicht mehr darüber ärgern kann sie passiert sozusagen einfach so nebenher. Insgesamt: Fast schon Tempus-Feeling.
Eine gewisse Ähnlichkeit mit Wordplus ist nicht zu leugnen.
Programmierung der Tastaturkommandos
Die Menüleiste ist gegenüber dem inspirierenden Vorbild um einiges voller geworden. Die Dateifunktionen sind ungefähr so umfangreich wie bei Wordplus (Wie bei Wordplus - es tut mir leid, aber das wird in diesem Test eine Standardfloskel: für sowas bietet 'Redakteur' übrigens auch etwas Feines, s.u.). Leider hat das Programm hier auch einige Wordplus-Unarten geerbt, so etwa das automatische Schließen einer Datei nach 'Abspeichern unter'. Warum nur...?
Zusätzlich gibt es eine Speichermöglichkeit für Wordplus-Format. Lesen kann das Programm übrigens außer seinem eigenen Format Wordplus-Texte (manchmal mit Schwierigkeiten), Becker-Text-Format sowie ein mir völlig unbekanntes Format namens 'Evolution'. Eine besondere Erweiterung zum Dateieinerlei ist hingegen die Funktion 'Speichere nach Kriterium'. Hiermit kann man nur diejenigen Textzeilen abspeichem, die einem bestimmten Kriterium entsprechen, die z.B. fett gedruckt sind und mit einer Zahl beginnen.
Sogar die Seitennummer, auf der die Zeile steht, kann mit jeder Zeile mitgespeichert werden. Inhaltsverzeichnisse sind so kein Problem mehr.
Völlig neu ist das Disk Menü, das so ziemlich alle Desktop-Dateifunktionen enthält, inklusive Formatieren, Umbenennen, Kopieren, Info usw...
‘Edit’ bietet nicht viel Neues, Suchen & Ersetzen, Textmarkierungen, Sprünge zu bestimmten Zeilen oder Seiten. Die ‘Suchen & Ersetzen'-Funktion erlaubt es, auch Testattribute, Interpunktion, Groß-/ Kleinschreibung und 'Joker’ einzubeziehen.
Das Formate-Menü bietet etwas Abwechslung gegenüber dem ‘Original’. Man kann nämlich das Format für den ganzen Text und zusätzlich für einzelne Absätze ändern. Wechselt man das Textformat, wird sofort der gesamte Text komplett umformatiert, während das Absatzformat immer nur für den aktuellen Absatz gilt. Aus irgendwelchen merkwürdigen Gründen heißt das Stil Menü ‘Styl’. Es lebe die Kunst des Übersetzens (Damit Sie mich nicht für gemein halten: Das sage ich natürlich nicht nur wegen dieser Kleinigkeit. Aber dazu später mehr). Die Schriftattribute entsprechen denen von Wordplus, einige zusätzliche Funktionen gibt's für die Groß- und Kleinschreibung: Man kann einen ganzen Textblock in Groß- oder Kleinbuchstaben transformieren und auch in einem kleingeschriebenen Block alle Satzanfänge (gekennzeichnet durch Punkte bzw. Frage- oder Ausrufungszeichen) mit Großbuchstaben versehen lassen. Diese Funktion ist zwar für Deutsch nicht sehr interessant, wohl aber für Sprachen mit ‘gemäßigter Kleinschreibung’ wie z.B. Englisch.
Als nächstes geht es zu den Zeichensätzen. Hier kommt Macintosh-Feeling auf: Bis zu 19 Zeichensätze tummeln sich unter diesem Menütitel. Da wir auf diese später unter der Überschrift ‘Proportionalschrift’ zu sprechen kommen, sei an dieser Stelle alles weitere ignoriert.
Die Blockfunktionen sind gegenüber Wordplus um eine ‘Block drucken’-Funktion erweitert. ‘Drucken’ ist im Redakteur' ein eigener Menütitel, weil es nicht nur eine Druckmöglichkeit gibt, sondern deren drei: normaler Wordplus-Druck per .CFG-Datei, GDOS-Druck oder Druck mit einem speziellen Druckprogramm, das GDOS-Fonts verwendet, aber ohne gebootetes GDOS auskommt. Praktisch.
Auch zu den Problemen mit den Fonts mehr unter der Überschrift ‘Proportionalschrift'... Die .CFG-Dateien des Redakteur sind denen von Wordplus sehr ähnlich, man muß die .HEX-Originale nur leicht abwandeln und dann vom Redakteur in .CFG-Dateien wandeln lassen. Das geht übrigens direkt aus dem Programm, kein lästiges Hin- und Herspringen mehr beim Testen. Schließlich gibt es noch ‘Optionen’. Hier verbirgt sich einiges mehr als nur die üblichen Voreinstellungen. Ein ‘Glossar’ erlaubt es, 36 häufig benutzte Textzeilen, die bis zu 80 Zeichen lang sein dürfen und auch Tastaturkommandos (z.B. zum Ein und Ausschalten von Textattributen) enthalten können, auf einfache Tastenkombinationen (Alternate + Buchstabe oder Zahl) zu legen. Auch Sonderzeichen können auf solche Tastenkombinationen programmiert werden, die nicht bereits durch Kommandos oder Glossar-Zeilen belegt sind.
Die Herkunft aus einer Zeitungsredaktion zeigt sich deutlich in einer Funktion zur Stilanalyse (für den ganzen Text oder einen beliebigen Block): Die durchschnittliche Wort- und Satzlänge ist darin ebenso enthalten wie die Zahl der Wörter und Anschläge, sowie eine Grafik, die die Verteilung von Wort und Satzlängen angibt. Im Gegensatz zur Wordplus-Statistik ist sie erheblich aussagekräftiger und vor allem schneller. Auch eine Liste der im Text verwendeten Wörter inklusive Zählung ihrer Häufigkeit ist erhältlich, wobei auch eine Sortierfunktion nicht vergessen wurde.
Schließlich gibt es auch noch eine Indexfunktion, die sogar besonders komfortabel ist: Statt die Worte, die im Index erscheinen sollen, quer durch den ganzen Text suchen zu müssen, kann man sich die Wortliste des Redakteur zunutze machen: Es genügt auch, die Worte für den Index hier auszusuchen. Der Index wird als normale Textdatei gespeichert und kann beliebig weiter bearbeitet werden.
Unter Optionen gibt es schließlich auch noch eine Parameterbox, die Funktionen wie Bildschirmschoner, automatisches Speichern, Zugriffspfad und sogar die Auswahl eines Bildschirmhintergrundmusters enthält.
Der Redakteur benutzt für die Textdarstellung aut dem Bildschirm (fast) normale GEM-Fonts, die das Programm jedoch selbst verwaltet; es muß also kein GDOS geladen sein. Fast normal sind die Fonts wegen ihrer ungewöhnlichen Größe: Alle 255 Zeichen des ATARI-Zeichensatzes müssen vorhanden sein, die Größe der Matrix muß 8*16 Pixel betragen, die Fonts sind nicht proportional. Leider kann keiner der mir bekannten GEM-Fonteditoren solche Fonts erzeugen; die normalen Fonts haben im allgemeinen höchstens 128 Zeichen.
Auf dem Bildschirm erscheint also immer nicht proportionale Schrift. Der Umbruch wird aber schon so vorberechnet, daß zum Drucken proportionale Fonts verwendet werden können. Dabei wird der Umbruch nicht mehr verändert, so daß die Bildschirmdarstellung weitestgehend dem Druckergebnis entspricht.
Das Redakteur-Handbuch wurde, wie man gleich auf der ersten Seite erfährt, selbst mit Redakteur geschrieben. Es ist in der ‘Swiss'-Schrift des Laserdruckers gesetzt. Die Proportionalschrift ist sehr ordentlich.
Wir hatten im Test etwas Schwierigkeiten mit unseren ATARI-Laser-Fonts, eine überzeugende Proportionalschrift ist uns nicht gelungen. Besitzer von Nadel- oder anderen Laserdruckern sollten mit diesem Punkt aber keine Probleme haben, da es mit Redakteur möglich ist, die im Drucker eingebauten Fonts voll zu nutzen. Das funktioniert wie bei den bekannten Textverarbeitungsprogrammen MS Word oder WordPerfect, bei denen die Proportionalschriftanpassung ebenfalls dem Druckertreiber überlassen bleibt. In diesem Fall haben die Bildschirmfonts quasi nur Platzhalterfunktion, welcher Font tatsächlich gedruckt wird, hängt vom Drucker ab.
Mit Matrixdruckern sollte es übrigens auch unter GDOS keine Probleme mit dem proportionalen Ausdruck geben; für diese Drucker werden die Bildschirmfonts in proportionaler Form mitgeliefert. Druckeranpassungen für die gebräuchlichsten 9- und 24-Nadeldrucker sind vorhanden.
Wenigstens bereitet Schriftgröße dem Benutzer keine Probleme: Der Redakteur kann nur 10- und 12-Punkt-Schrift verwenden. Dafür ist beim Druck ein-, anderthalb- und zweizeiliger Zeilenabstand möglich; auf dem Bildschirm läßt sich der Zeilenabstand unabhängig einstellen, um möglichst viel Text darauf unterzubringen.
Interessant ist das Zusatzdruckprogramm, das es erlaubt, GDOS-Drucke zu machen, ohne GDOS zu installieren. Im Grunde ist das Programm wohl eine Art GDOS-Emulator, der selbständig das ‘Assign.sys’-File liest und die entsprechenden Fonts lädt. Man kann aber auch per Hand Fonts ersetzen und, was besonders wichtig ist, die in der Font-Datei enthaltenen Informationen über den Font anzeigen lassen.
Als sehr nützlich hat sich das Druckprogramm auch für den Listing-Druck mit dem ATARI Laserdrucker erwiesen:
Viele Editoren senden nach dem Druck kein Form-Feed, so daß man immer gezwungen ist, manuelle Form-Feeds per Accessory ‘hinterherzuschicken’. Da das Druckprogramm ASCII-Dateien direkt laden kann, ist es für lange Listings eine echte Arbeitserleichterung. Übrigens ist es mit dem Druckprogramm auch mit einem 1040er problemlos möglich, einen ATARI-Laserdrucker anzusteuem. Der Redakteur besitzt übrigens auch einen Druckerspooler, der aber leider nicht mit dem ATARI-Laserdrucker zusammen funktioniert.
Der Redakteur ist genauso einfach (und eben sehr ähnlich) zu bedienen wie Wordplus. Die Arbeit mit dem Programm macht aber mehr Spaß, weil es schneller und flexibler ist, und weil es mehr Spielmöglichkeiten (zur Erholung sozusagen) gibt, die die Arbeit aber nicht verlangsamen Mehr Komfort zeigt sich in vielen Kleinigkeiten, wie zum Beispiel der Funktion der Löschtasten: Man kann nicht nur Buchstaben, sondern auch Wörter, Zeilen, Sätze oder Absätze per Tastendruck löschen. Eine Undo-Funktion schützt vor Fehlern. Auch die Help-Taste wird intelligent genutzt: Es gibt eine Hilfeseite für die Löschtasten und eine für die Cursortasten. Welche dieser Seiten erscheint, wird über die Taste gesteuert, die man als erste nach der Help-Taste drückt: Ist es eine Cursortaste, erscheint die Cursor-Seite, ist es < Delete > oder < Backspace >, bekommt man die Löschtastenseite zu Gesicht. Eine andere sehr durchdachte Funktion der Fenster: Wenn man das ‘Volle Größe’-Feld in der rechten oberen Ecke benutzt, wird das Fenster soweit vergrößert, daß nur noch die Hälfte der Schiebebalken sichtbar ist. Das reicht völlig für die Bedienung, erlaubt aber eine Textzeile mehr auf dem Bildschirm. Ebenfalls lobenswert ist die Beschriftung der ‘Funktionstasten’ am unteren Bildschirmrand: Auch die Zweitfunktionen sind im Klartext sichtbar.
Die Übersetzung des Handbuches und des Programmes ist nicht allzu gut gelungen. Viele Begriffe stimmen einfach nicht. Man versteht es zwar immer, aber es ist nicht schön. Das Handbuch ist leider auch vom Aufbau her nicht gerade ein Bild der Übersichtlichkeit. Eine Überarbeitung, gerade im Bereich Druck & Fontmanagement inklusive Proportional wäre recht bekömmlich.
Bei Logisoft hat man sich leider für einen sehr unschönen Kopierschutz entschieden: Laut Handbuch fragt das Programm in unregelmäßigen Abständen ein Wort aus dem Handbuch ab. erst nach einer richtigen Eingabe kann die Arbeit fortgesetzt werden. Zwar ist während meiner ganzen Arbeit mit dem Programm nie eine Abfrage auf dem Bildschirm erschienen, aber ich finde diese Kopierschutzmethode im Prinzip höchst unakzeptabel. Ein Handbuch ist auch kaum mühsamer zu kopieren als eine Diskette, dem legalen Benutzer kann, je nach Häufigkeit des Auftretens, so eine Abfrage doch erheblich auf die Nerven gehen. Wenn erst einmal Stacy (der portable ST) auf dem Markt ist, ist es umso ärgerlicher, für ein derartig leicht zu bedienendes Programm ein Handbuch in der Tasche tragen zu müssen.
In letzter Minute erfuhren wir noch, daß in der nächsten Redakteur-Version, die bereits im Beta-Test ist, aber erst zur ATARI-Messe verfügbar ist, noch einige Erweiterungen eingebaut wurden.
Zum einen solle es Fußnotenverwaltung und Spaltensatz gehen, zum anderen soll das Proportionalschriftproblem dadurch gelöst werden, daß die Bildschirmfonts auch als proportionale Laserdrucker-Fonts mitgeliefert werden. Auch Times und Helvetica-ähnliche Schriften wird es (hoffentlich) geben.
Der Redakteur ist ein würdiger Wordplus-Nachfolger. Er könnte noch einiges an Würde gewinnen, wenn die Proportionalschrift etwas klarer erreichbar wäre. Das Programm ist sehr schnell, leicht und komfortabel zu bedienen und besitzt einige Features, die auf dem ATARI alles andere als üblich sind, wie z.B. die komfortable Index- und Inhaltsverzeichnisfunktion. Für wissenschaftliche Arbeit fehlt eigentlich nur die Fußnotenfunktion, die doch sogar in Wordplus zur Verfügung steht (Nanu ?).
Das Programm ist sehr betriebssicher, es ist schon selten, wenn ein Programm während eines Testes nicht einmal abstürzt. Das Zusatzprogramm zum Drucken ist leider nicht ganz so ungezieferfrei: besonders mit dem Blitter verträgt es sich nicht besonders gut. Schließlich ist der Redakteur mit 149,- DM auch noch extrem billig. Ich denke, ich werde den Schritt von Wordplus weg wagen. Für viele schreibende Mitmenschen dürfte der Redakteur eine sehr gute Wahl sein. Unbedingt anschauen!
CS
Bezugsadresse:
Computer Mai
Weißenburger Platz 1
8000 München
In der letzten ST-Computer wurde leider ein falscher Preis für das Programm Analyse der Fa. Computer Mai angegeben. Der Preis beträgt 199,— DM.