Bisher mußten sich Anwender entscheiden. Entweder sie wollten ein Speichersystem, das billig und langsam war, oder sie griffen für Geschwindigkeit tiefer in den Geldbeutel. Wahrend alle Welt den beschreibbaren optischen Platten entgegen fieberte, stellte nun plötzlich die Firma Alice aus Interlaken ihre thermomechanische Alternative vor. Schon am ersten Tag der CeBIT drängte sich das Publikum in Halle 7 am Stand der Schweizer Firma (Stand 39), und es zeichnet sich schon jetzt ab, daß sich dieses Produkt zur absoluten Sensation dieser Messe auswachsen wird.
Wir haben dieses Gerät schon zwei Wochen vor Beginn der CeBIT für einen ersten Test zur Verfügung gestellt bekommen und sind komplett begeistert. Das Laufwerk ist so filigran gebaut wie ein Schweizer Uhrwerk. Doch der Reihe nach: Es handelt sich hier um ein Laufwerk, welches als Datenträger speziell beschichtete Disketten mit einem Durchmesser von 4+- Zoll (ca. 10,8 cm) benötigt. Diese Platten, die leichter sind als gewöhnliche 5+-Zoll-Disketten, stecken in keiner Hülle, weil sie aufgrund ihres ungewöhnlichen Aufzeichnungsverfahrens relativ unempfindlich gegen Staub sind. Sie müssen aber trotzdem ähnlich den optischen Platten zur Archivierung in Plastikhüllen gelegt werden.
Was aber ist der Clou an diesem Gerät? Die Schweizer Ingenieure konnten vollständig auf aufwendige und fehlerträchtige elektromagnetische und optische Verfahren verzichten. Stattdessen haben sie ihre Stärke, die Liebe zum Detail bei mechanischen Apparaturen, ausgespielt. Schauen wir uns zunächst die Disketten an (siehe auch Bild 1): Auf der Scheibe ist ein absolut gleichmäßiges und exaktes Netz aus Titan aufgebracht. (Titan ist extrem leicht und hat eine geringfügige und für diese Anwendung daher günstige Wärmeleitfähigkeit). Es besteht aus 1025 konzentrischen Ringen. Diese bilden 1024 Bitspuren, von denen je acht zu einer Bytespur zusammengefaßt sind. Wir kommen insgesamt also auf 128 Spuren: zum Vergleich: ein normales Diskettenlaufwerk hat 80 Spuren. Vom inneren Servoring, auf den wir noch zu sprechen kommen, führen insgesamt 4097 Titanbahnen und eine Drainagerille nach außen. Diese sind allerdings nur halb so hoch wie die Kreislinien. Jede Zeile, die durch dieses Netz gebildet wird, faßt ein Bit. Wie man leicht einsieht, sind die gebildeten Zellen unterschiedlich groß. Während die Spurbreite konstant 50 um beträgt, liegt die Bitzellenlänge zwischen 8 und 80 um. Aber das ist kein Problem. Wir kommen also auf 1024 * 4096 = 4MBit, also genau ein halbes Megabyte Fassungsvermögen pro Seite. Da hiervon aber nichts(!) für Synchronisation- oder Füllbytes abgeht, liegt die Kapazität über der eines gewöhnlichen ATARI-Laufwerks. Das gilt sogar für mit Hyperformat behandelte Disketten.
Der eigentliche Informationsträger auf der Diskette ist hochreines Muflon. Dieser Stoff ist, wie man es aus dem Namen ja schon erahnen kann, ebenso wie Teflon ein Produkt der Weltraumforschung. Er hat optimale physikalische Eigenschaften. Der Schmelzpunkt von Muflon liegt bei 240°C, und schon wenige Grade höher erlangt flüssiges Muflon eine sehr geringe Viskosität (es wird extrem dünnflüssig). Außerdem leitet Muflon den elektrischen Strom. Wie funktioniert die Datenaufzeichnung? Hierfür ist an einem Schlitten wie bei einem gewöhnlichen Laufwerk ein Schreib-/Lesekopf befestigt, der mit einem Schrittmotor bewegt wird. In diesem Kopf befinden sich 8 hauchdünne Schreibnadeln, die an ihrem oberen Ende mit je einem Induktionsdraht umwickelt sind. Jede Nadel, die nur einen Durchmesser von etwa 5 um hat und mit bloßem Auge kaum noch wahrzunehmen ist, schwebt über einer Bitspur. Der Schrittmotor ist in der Lage, den Kopf um 50 um (eine Bitspur!) zu bewegen, so daß die Einteilung, welche 8 Spuren ein Byte bilden. dynamisch gehandhabt werden kann. Es lassen sich somit Bitfelder von 1024 * 4096 Bit realisieren, die komfortabler als im Hauptspeicher des Rechners manipuliert werden können.
Bevor Sie nun eine Herdplatte in Ihren Thermodrucker einbauen wollen, lesen Sie bitte weiter. Die Nadeln, die aus einer extrem stabilen Kupfer-Wismut-Legierung gefertigt sind, werden induktiv auf etwa 275°C Temperatur gehalten. Außerdem dreht sich die Platte ständig, also auch dann, wenn nicht auf sie zugegriffen wird, mit 7200 Umdrehungen pro Minute. Soll nun ein Schreibzugriff erfolgen, muß zunächst die ganze Spur in einem 16K Byte-Puffer, der sich im Gerät befindet, zwischengespeichert werden, dieser wird dann entsprechend der Schreibanforderung manipuliert, um dann komplett zurückgeschrieben zu werden. Dieses Schreiben wird nun von der eingangs erwähnten Servospur. die sich ganz innen befindet, unterstützt. Eine Metallzunge ragt über das Profil dieser Spur. Auf Höhe der Drainagerinne befindet sich ein Indexsignal; ab dieser Stelle beginnt jede Spur und kann jetzt beschrieben werden. Jedesmal wenn die Metallzunge Kontakt mit dem Profil der Servospur hat, befindet sich der Schreib-/Lesekopf genau über der Mitte einer Bitzelle. Für jedes Bit, das an jener Stelle geschrieben werden soll, fließt in einem entsprechenden Relais Strom; dies erzeugt eine magnetische Abstoßung eines kleinen Hammers, und jener stößt seine Nadel an. Gleichzeitig wird mit der Auslenkung des Hammers der Stromkreis im Relais wieder unterbrochen. Ein induziertes magnetisches Gegenfeld sowie die Kraft einer Feder, an der die Nadel aufgehängt ist, bringen die Nadel in ihre Ausgangslage zurück.
Während des kurzen Moments, in dem die Nadel in die Bitzelle eintaucht, wird das Muflon erhitzt und sofort dünnflüssig. Die Fliehkraft würde es sofort nach außen wegfließen lassen. Da hier aber die Titanwand höher ist, schwappt das überflüssige Muflon nach vorne über die Sprossen in die nächsten Bitzellen. Dies wiederholt sich solange, bis das Ende der Spur erreicht ist. Dort endlich fließt es durch die Drainagerille nach unten in den heißen Plattenteller, wo es in einen kleinen Vorratsbehälter. der ebenfalls erhitzt ist, abgepumpt wird. Jedesmal bevor ein neuer Schreibzugriff auf die Spur erfolgt, wird zunächst flüssiges Muflon in die Spur ausgebracht, das sich in einem Umlauf optimal verteilt. Durch minimale Verdampfung und Abrieb geht innerhalb von 10000 Betriebsstunden soviel Muflon im Vorratsbehälter des Laufwerks verloren, daß es vom Händler nachgefüllt werden muß. Das sind bei den meisten Programmierern mehrere Jahre.
Ansonsten gibt es quasi keinen Verschleiß.
Ein Nachteil ist indes mit diesem Aufzeichnungsverfahren verbunden. Will man die Rückseite der Diskette beschreiben, muß man sie aus dem Laufwerk nehmen und umdrehen, weil von unten kein Schreib /Lesekopf arbeiten kann. Das Muflon würde sonst nach unten tropfen. Das Herausnehmen ist mit einiger Mühe verbunden, weil eine Diskette vorher abgemeldet werden muß (unmount), damit der Rotationsmotor gebremst und der Schreib-/Lesekopf in eine Sicherheitszone gebracht werden kann. Wird eine neue Diskette eingelegt, muß diese auch wieder angemeldet werden.
Das Lesen ist viel einfacher. Neben den Schreibnadeln im Schreib-/Lesekopf befindet sich auch eine Reihe paralleler Lesenadeln, die genau 128 Bitzellen hinter den Schreibnadeln zurückhängen. Der gleiche Mechanismus wie bei ihren Geschwistern stößt auch diese Nadeln in gleichmäßigem Rhythmus nach unten. Da die ganze Platte stromführend ist, wird in diese Nadeln ebenfalls Strom übertragen, falls es zu einem Kontakt kommt, und andernfalls eben nicht. Weil dieses Verfahren keinen größeren Aufwand kostet, läßt man den Lesemechanismus auch beim Schreiben mitlaufen und hat so ein extrem schnelles Verify-Verfahren.
Berechnen wir die optimale Datenübertragungsrate: Um eine Spur zu lesen, ergibt sich eine maximale Datenübertragung von 480 Kilobyte pro Sekunde. Die tatsächliche Geschwindigkeit ist also vielmehr von den Spurwechseln abhängig. Die mittlere Zugriffszeit liegt bei etwa 19ms. Für das Schreiben sind drei komplette Umläufe nötig: Einer für das Einlesen der Spur, ein zweiter für das Ausgießen und ein dritter für das eigentliche Schreiben. Man kommt auf immer noch stattliche 160 Kilobyte pro Sekunde beim Schreiben, die das Laufwerk auf seinen SCSI-Bus legen kann. Und in dieser Zeit geschieht ja auch noch ein komplettes Verify! Dieses Medium kann also bereits mit den meisten Platten für den ATARI mithalten, aber bei einem ungleich günstigeren Preis. Das Laufwerk soll anfangs SFr 350.- kosten, eine Diskette gibt es für SFr. 11,- Zwar läßt sich auf eine Diskette nur 1 Megabyte speichern, dafür aber können Sie beliebig viele Disketten hiermit bearbeiten. Das Gerät vereint also die Vorzüge eines Disketten-und eines Wechselplattenlaufwerks zu einem günstigen Preis. Durch die Geschwindigkeit der Datenübertragung und die Möglichkeit, den Schreib-/Lesekopf auch um eine Bitspur zu versetzen, bekommt das Gerät Hauptspeicherqualitäten. Man sollte sich wirklich überlegen, ob man statt einer Speichererweiterung um ein Megabyte nicht lieber zwei Platten anschließen sollte. Es ist sogar schon eine Ausführung mit 16 Nadeln geplant, damit der 68000er mit der vollen Breite seines Datenbusses auf die Diskette zugreifen kann. Diese soll noch in diesem Jahr zur Serienreife entwickelt werden, um gleichzeitig mit dem neuen 16-Bit-SCSI-Standard erscheinen zu können.
Entscheidet man sich für dieses Laufwerk, muß man auch noch einen Host-Adapter für 240 SFr anschaffen, über den das Laufwerk am ASCI-Bus Ihres ATARI ST angeschlossen werden kann. Dieser Nachteil wird aber damit aufgewogen, daß man insgesamt bis zu acht Laufwerke an diesen Adapter anschließen kann. Etwas störend ist auch das Gebläse im Laufwerk, das nicht etwa für Kühlung sorgen soll, sondern schräg von oben auf die Diskette gerichtet ist, um Staubpartikel nach außen wegzufegen.
Ansonsten macht das Gerät den allerbesten Eindruck. Während unseres zweiwöchigen Tests sind keine Probleme aufgetreten. Die MTBF (mean time between failure = mittlere Zeit zwischen Fehlern) beträgt nach Herstellerangaben etwa 50000 Betriebsstunden. Die Fehlerrate beim Schreiben liegt bei etwa 1:10^11. Geliefert wird das Gerät, das in einem schmucken Gehäuse untergebracht ist, in den Farben Atarigrau, Beige und Schwarz. Unsere Meinung ist: Wer sich jetzt noch ein normales Diskettenlaufwerk kauft, ist selbst schuld!
Meinhard Ullrich/CB