Sinclair QL-Emulator

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Nachdem es bereits seit einiger Zeit möglich ist, den ATARI ST durch einen Emulator in einen Macintosh oder MS-DOS-Rechner zu verwandeln, gesellt sich in die Gruppe dieser Programme nun auch eine Emulation für QDOS, das Betriebssystem des Sinclair QL. Ein alter Hut aus frühen 68000er-Tagen? Keineswegs, denn QDOS präsentiert sich durch Multitasking und eine neue grafische Benutzeroberfläche als sehr flexibles Betriebssystem.

Als der englische Computer-Adlige Sir Clive Sinclair im Frühjahr 1984 den QL vorstellte, war es der erste Computer, der mit einem Prozessor der 68000- Familie zu einem für den privaten Anwender erschwinglichen Preis auf den Markt kam. Um dieses Ziel zu erreichen, waren offenbar erhebliche Sparmaßnahmen erforderlich: Statt einer "ausgewachsenen" 68000-CPU wurde eine 68008 mit nur 8 Bit breitem Datenbus verwendet, die aber voll softwarekompatibel ist, statt eines Floppylaufwerks mußten die von Sinclair entwickelten Microdrives herhalten, und mit 128 kB RAM war auch der Speicher nicht gerade üppig bemessen.

Ein gutes Jahr später demonstrierte ATARI mit dem ST, daß auch wesentlich bessere Hardware zu einem günstigen Preis angeboten werden kann - sicherlich ein Grund dafür, daß sich der Markterfolg des QL mit insgesamt 150.000 Stück in Grenzen hielt. Doch die Leistungsfähigkeit eines Computers wird nicht nur durch die Hardware, sondern auch durch das Betriebssystem bestimmt. Und hier hat das QDOS, so die Bezeichung des QL-Betriebssystems, einiges zu bieten, was auch dem ATARI TOS gut zu Gesicht gestanden hätte.

Flexibilität durch Multitasking

Als wichtigste Eigenschaft ist die Fähigkeit des Multitaskings zu nennen, also die Möglichkeit, mehrere Programme gleichzeitig auszufahren. Die Programme, Jobs genannt, befinden sich alle im Speicher und erhalten von QDOS in Abhängigkeit von ihrer Priorität Rechenzeit zugeteilt. Diese Zeitabschnitte sind so klein, daß der Eindruck einer gleichzeitigen Abarbeitung der Jobs entsteht. Mit QDOS erhält der ST also nicht nur einen neuen Job, sondern gleich bis zu 128. Na dann nichts wie an die Arbeit...

Durch das Multitasking wird das Betriebssystem ungeheuer flexibel: Beispielsweise kann man Editor, Compiler und Linker auf einmal im Speicher halten und mit einem Tastendruck zwischen den Programmen hin- und herschalten. Das zeitraubende Rinn-in-die-Pantoffeln/Raus-aus-den-Pantoffeln entfällt. Auch die Möglichkeit, den Compiler im Hintergrund laufen zu lassen und dabei im Editor zu arbeiten, ist sehr angenehm. Wird schnell der Zugriff auf irgendeine Systemfunktion benötigt? Directory anzeigen, File löschen, Diskette formatieren, Programm starten? Entsprechende Utilities oder der Kommando-Interpreter stehen immer auf Tastendruck zur Verfügung. Anwendungsprogramme müssen diese Funktionen also überhaupt nicht mehr enthalten.

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Für diejenigen, die es noch etwas genauer wissen wollen: Jobs müssen entweder aus positionsunabhängigem Code bestehen oder nach dem Laden reloziert werden, wie es auch beim Betriebssystem des ST der Fall ist. Dies ist erforderlich, da die Anfangsadresse, ab der das Programm geladen wird, im Mehrprogrammbetrieb nicht vorausgesehen werden kann. Viele QDOS-Programme sind zudem reentrant, was bedeutet, daß sie keinen festen Datenbereiche innerhalb des Programms haben, sondern den hierfür benötigten Speicher vom Betriebssystem anfordern. Dadurch wird es möglich, daß mehrere Jobs desselben Programms aktiv sind, das Programm sich aber nur einmal im Speicher befindet!

Komfort durch QRAM

Zu einem auch gegenüber anderen Multitasking-Betriebssystemen wirklich neuen Konzept wird QDOS durch die Benutzeroberfläche QRAM. Diese Systemerweiterung gehört nicht zum ursprünglichen QDOS und auch nicht zum Lieferumfang des Emulators. Sie wurde vom Autor des QDOS- Betriebssystems, Tony Tebby, erstellt und bietet unter anderem die Möglichkeit, ein spezielles Programm durch Anklicken seines Windows zu aktivieren. Für den Fall, daß ein Window teilweise durch ein anderes überdeckt ist, springt es bei seiner Aktivierung automatisch in den Vordergrund. Die Ausgabewindows können auf km Bildschirm beliebig verschoben werden, so daß man sich eine ideale Arbeitsumgebung schaffen kann. Wenn man sich an diesen Komfort des Progammwechsels auf Tastendruck gewöhnt hat, möchte man ihn eigentlich gar nicht mehr missen. Bei der Arbeit unter TOS gleitet da der Blick schon mal sehnsüchtig vom Monitor herunter auf die magische QDOS- Tastenkombination CONTROL-C... Seit kurzem existiert ein Emulator, der QDOS auf dem ATARI ST zu Verfügung stellt.

Der Emulator

Der Emulator wird von der norwegischen Firma Futura Datacenter hergestellt und in Deutschland von der Firma Jochen Merz Software, Duisburg, zum stolzen Preis von 779,- DM vertrieben. Zum Lieferumfang gehören eine Hardwareerweiterung sowie zwei Disketten und ein Ringbuch. Der Emulator ist auf allen Modellen der ST-Reihe lauffähig. Bei der Hardwareerweiterung handelt es sich um eine Videokarte mit einer Auflösung von 512x256 Punkten in vier Farben. Dies entspricht exakt der Videodarstellung des QL, und ein Blick auf die Platine zeigt, daß dort wirklich der gleiche Video-Chip wie im QL seinen Dienst tut. Neben einigen Logik-ICs in SMD-Technik findet man dort auch zwei FIFO-Speicher von NEC, die für einen kontliktfreien Datentransport zum QL-Video-Chip sorgen. Diese Bauteile sind nach Aussage des deutschen Anbieters auch für den hohen Preis des Emulators verantwortlich. Die Disketten enthalten das QDOS-Betriebssystem sowie ein Programm, das QDOS lädt und aktiviert.

Der Einbau

Um die Videokarte zu installieren, muß das Gehäuse des ST geöffnet und der Shifter-Chip aus seiner Fassung gezogen werden. In seinen Sockel wird die Videokarte gesteckt, der Shifter selbst wird auf der Karte plaziert. Zusätzlich müssen noch sechs Leitungen an verschiedenen Punkten der ST- Platine angelötet werden. Besonders kritisch ist hierbei die Befestigungen von zwei Leitungen an Pins des Glue-Chips, die keine Verbindung zur Platine mehr haben dürfen. Bei vielen STs ist der Glue nicht gesockelt, so daß man beim Lösen der Pins von der Platine viel Fingerspitzengefühl benötigt. Leider wird der Einbau in der mitgelieferten Dokumentation schlecht beschrieben und ist nur mutigen Zeitgenossen mit Löterfahrung zu empfehlen. Zwar befinden sich in der Anleitung zur Orientierung einige "Lagepläne" für die Platinen der ver- schiedenen ST-Modelle. Diese decken jedoch nur einen Teil der zahlreichen Versionen ab - und Murphy postuliert für solche Fälle, daß man nach dem Öffnen des Gehäuses etwas ganz anderes vorfindet...

Wer den Angstschweiß beim Einschalten des umgebauten Rechners scheut, kann den Einbau auch beim deutschen Anbieter für 25,- DM vornehmen lassen - be- rücksichtigt man den Preis des Emulators, so fällt dieser Betrag wohl kaum noch ins Gewicht.

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Wie verhält sich nun der umgebaute ST? Nach dem Einschalten bemerkt man von der Videokarte zunächst einmal - gar nichts. Diese wird nämlich erst softwaremäßig aktiviert. Man kann den ST also ohne Einschränkung auch weiterhin unter TOS nutzen. Um QDOS zu starten, wird der ST zunächst mit der ersten beigefügten Diskette hochgefahren, und das QDOS-Betriebssystem meldet sich wie auf dem QL. Die zweite Diskette, bereits im QDOS-Format, enthält einige Systemanpassungen und einen neuen Tastaturtreiber, dessen Tastenbelegung voll mit der Beschriftung der deutschen Tastatur übereinstimmt. Der gesamte Ladevorgang dauert etwa 70 Sekunden. Der Anbietet hat zum Preis von 129 DM eine Cartridge für den ROM-Port des ATARI im Angebot, mit der QDOS bereits zwei Sekunden nach dem Einschalten zur Verfügung steht.

Schnittstellen und Geschwindigkeit

Auf einem 1040 STF stehen knapp 800 kB freier Speicher zur Verfügung. Ein größerer Speicher, etwa im Mega ST, wird voll unterstützt und läßt sich im Mehrprogrammbetrieb sicherlich auch sinnvoll nutzen. Für die serielle und parallele Schnittstelle wurden neue Treiber in das Betriebssystem eingebunden. Beim Betrieb der seriellen Schnittstelle zeigten sich im Test noch Probleme mit den Handshake-Leitungen, an deren Lösung aber bereits gearbeitet wird. Die grafische Benutzeroberfläche QRAM arbeitet, in ihren neueren Versionen, problemlos mit der ATARI-Maus zusammen. Das Aufzeichungsformat der Disketten entspricht voll dem definierten QDOS-Standardformat, so daß existierende Programme auf Diskette nicht umkopiert werden müssen, wie es beispielsweise beim MacintoshEmulator der Fall ist. Die Treibersoftware für den Diskettencontroller verhielt sich in der getesteten Version noch etwas rauh, etwa beim Schreibzugriff auf geschätzte Disketten, wo der Schreibversuch immer wiederholt wird, ohne zu einem Ende zu kommen. Völlig neu geschriebene Treibersoftware wird aber zur Zeit von QDOS-Autor Tebby erstellt, der erfreulicherweise den Emulator mit neuer Software unterstützt. Dieser Treiber konnte in einer Vorabversion getestet werden und löst die bestehenden Probleme. Geplant ist auch die Unterstützung einer Harddisk, wobei der Auslieferungszeitpunkt für die nötige Software allerdings noch in den Sternen steht.

Im Vergleich zum QL unterliegt der Emulator zwei Einschränkungen: Einen QLAN-Netzwerkanschluß sucht man am ST vergeblich, und die niedrigauflösende Videodarstellung von 256x256 Punkten steht nur in vier statt acht Farben zur Verfügung. Dafür steigert sich die Verarbeitunggeschwindigkeit im Vergleich zum QL auf das Zwei- bis Dreifache. Bildschirmzugriffe werden sogar bis zum Faktor 6 beschleunigt. Diese Steigerungen werden durch den breiteren Datenbus, die höhere Taktfrequenz und den Speicherzugriff ohne Wait-States erreicht.

Kompatibilität und Softwareangebot

Die Schlüsselfrage für die Qualität jedes Emulators ist die Kompatibilität. Um es gleich vorwegzunehmen: Alle getesteten Programme liefen problemlos. Durch die Softwarekompatibilität des 68008 zum 68000 und die zum QL identische Videoausgabe über die Hardwareerweiterung stellt der umgerüstete ST eine ideale Spielwiese für QDOS da. Lediglich die Tatsache, daß sich QDOS auf dem QL in den unteren 48 kB des Adreßbereichs in ROMs befindet, auf dem ST hingegen im RAM, kann Schwierigkeiten bereiten. Schreibzugriffe in diesem Bereich - auf dem QL ohne Wirkung - haben auf dem ATARI verheerende Folgen. Wie der Dokumentation zu entnehmen ist, traten hier Probleme bei einigen Programmen auf, die aber inzwischen alle in neuen, auf dem Emulator lauffähigen Versionen zur Verfügung stehen.

Daß QDOS ein interessantes Betriebssystem darstellt, ist für den Anwender allein wenig hilfreich, wenn - wie man vielleicht vermuten könnte - keine weitere Software verfügbar ist. Das Softwareangebot für QDOS erreicht nicht annähernd das Ausmaß des Angebots für den ATARI ST, aber es stehen die wichtigsten Standardanwendungen und alle wichtigen Programmiersprachen zur Verfügung. Hierbei hat der QL davon profitiert, daß er der erste 68000er im unteren Preisbereich war. In der Tat sind viele der heute für den ST erhältlichen Implementationen von Programmiersprachen Anpassungen, die von den entsprechenden QDOS-Versioneu abstammen. Dies gilt beispielsweise für Pascal und Fortran 77 von Prospero, Lattice C, BCPL und Lisp von Metacomco und den GST Macro-Assembler. Das bei ATARI-Compilern weitverbreitete GST- Linkformat hat seinen Ursprung gar im von Sinclair definierten Standardformat für alle Compiler unter QDOS. Zu erwähnen ist auch die zum Betriebssystem gehörende Sprache SuperBASIC, ein Dialekt, der die aus anderen Hochsprachen bekannten Elemente zur strukturierten Programmierung enthält. SuperBASIC stellt auch gleichzeitig den Kornmando-Interpreter dar. Diese Lösung ist als äußerst gelungen zu bezeichnen. So lassen sich zum Beispiel die von MSDOS bekannten Batch-Files als übersichtliches SuperBASIC-Programm mit allen Ablaufstrukturen realisieren. Für SuperBASIC werden zwei Compiler angeboten, die dann auch Multitasking mit Programmen in dieser Sprache ermöglichen.

Für Textverarbeitung, Datenbankanwendungen, Grafikerstellung und Tabellenkalkulation stehen Programme der englischeu Firma Psion zur Verfügung, die zum Lieferumfang jedes QLs gehörten. Spiele sollen an dieser Stelle nicht aufgeführt zu werden - da ist man mit dem Angebot für den ST mit Sicherheit besser beraten.

Fazit

So sehr die technische Seite des QDOS-Emulators auch überzeugt, ein Produkt dieser Preisklasse muß auch in bezug auf die mitgelieferte Dokumentation die Erwartungen erfüllen. Selbst wenn man die unzureichende Beschreibung des Einbau außer acht läßt, ist die Dokumentation nicht ausreichend und beschreibt nur den Emulator betreffende Sachverhalte. Zwar wird das QDOS-Betriebssystem auf Diskette mitgeliefert, die grundlegende Dokumentation hierzu fehlt aber völlig. Offenbar setzt der Anbieter voraus, daß der Käufer bereits einen QL sein eigen nennt.

Für welchen Anwenderkreis ist der Emulator interessant? Zunächst zweifellos einmal diejenigen, die bereits auf dem QL gearbeitet haben oder dies noch tun. Ist die Software zum Betrieb unter QDOS bereits vorhanden, so kann man nach der Umrüstung des ST direkt loslegen auf einer wesentlich schnelleren und zuverlässigeren Maschine. Der Anschaffungspreis des Emulators ist somit die einzig Hürde. Für den QDOS-Neueinsteiger ergeben sich als zusätzliche Hemmschwelle die Investitionen in die Software - die er, etwa bei den Compilern, vielleicht schon in der Version für TOS besitzt. Ungelöst bleibt im Moment noch das Problem der fehlenden QDOS-Dokumentation. Es ist zu hoffen, daß der deutsche Anbieter hierauf eine Antwort findet, denn QDOS stellt für viele Anwendungen durchaus eine interessante Alternative dar.

Bezugsadresse:
Jochen Merz Software
Im stillen Winkel 12
4100 Duisburg 11


Stefan Schmidt
Aus: ST-Computer 03 / 1989, Seite 124

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