Soundmachine ST - Ein ungewöhnliches Musikprogramm

Musikprogramme gibt es für den ST ja wirklich in Hülle und Fülle. Sie alle quälen sich mit den beschränkten Möglichkeiten des Yamaha-Soundchips ab, der im ST seinen Dienst tut. Dann gibt es auch noch Sampler-Programme, die mit Hilfe zusätzlicher Hardware Musik digitalisieren und wiedergeben können.

Und es gibt Soundmachine ST. Soundmachine ST gibt wie ein Sampling-Programm digitalisierte Klänge wieder - aber ganz ohne Zusatzhardware, mit Hilfe des ST-Soundchips. Das tun viele Programme, besonders Spiele. Bisher ist mir aber kein Programm bekannt, das digitalisierte Klänge dreistimmig polyphon über den eingebauten Sounderzeuger wiedergeben kann.

Soundmachine ST ist ein Musik- und in gewisser Weise auch ein Klangeditor, der fertige Stücke entweder für den ‘Rohgenuß' oder aber auch für die Vertonung eigener Programme erzeugen kann. Die Eingabe eines Stückes erfolgt in Notenschrift, wobei maximal drei Stimmen (Das Programm ist dreistimmig polyophon) und bis zu 16 verschiedene Samples benutzt werden können. Die Bedienung ist weitgehend auf die Maus abgestellt.

Eingabe

Die Noten können sowohl mit der Maus als auch mit der Tastatur in die Notensysteme eingetragen werden. Aktiv ist immer die Zeile, auf die die Maus zeigt. Das Abspielen erfolgt dann spaltenweise, das heißt, es werden nur diejenigen Noten gleichzeitig gespielt, die exakt übereinander liegen. Um eine genaue Eingabe zu erleichtern, gibt es einen Cursor, der die Position in allen drei Notenlinien anzeigt. Besonders Sonderzeichen sind schneller und einfacher über die Tastatur einzugeben, da jedem Zeichen eine Taste zugeordnet ist, eine Zuordnung, die im unteren Bildschirmdrittel auch ständig angezeigt wird.

Die Tasten 'Insert' und 'Delete' werden benötigt, um Noten einzufügen oder ganze Positionen in allen drei Systemen zu löschen; ein automatisches Einfügen bei der Eingabe gibt es nicht, man muß immer erst mit ‘Insert’ Platz für die neuen Zeichen schaffen.

Maximal 14.000 Noten sind möglich, wobei jede Notenzeile knapp 10.000 mögliche Positionen enthält. Durch lange Stücke kann man schnell und bequem mit der Maus scrollen: einfach an den Bildschirmrand fahren und Maustaste drücken.

Es gibt zwei Notenschlüssel für Sopran und Baß. Es sind alle geraden und punktierten Notenwerte von der 16tel- bis zur ganzen Note vorhanden, leider aber keine triolischen Werte. Entsprechende Pausen sind vorhanden, werden aber nur gebraucht, wenn sich die Länge einer Pause nicht explizit aus der Länge einer Note in einem anderen Kanal ergibt. Man kann also meist ohne Pausen notieren. Auch enharmonische Zeichen (b, Kreuz und Auflösungszeichen) stehen zur Verfügung. Nach einem Notenschlüssel läßt sich damit eine ‘globale' Tonart erstellen. Da beliebig viele Notenschlüssel verwendet werden können, kann auch die Tonart beliebig oft gewechselt werden. Ein Taktstrich ist vorhanden, dient aber mehr der Ordnung in den Noten bzw. der Begrenzung der Geltungsdauer der Vorzeichen, denn die Notation ist nicht taktorientiert. Soundmachine kennt kein Taktmaß. Doppelte Taktstriche beenden ein Stück.

Musikstücke können außer Noten noch einige Spezialkommandos enthalten, mit denen sich sehr komplexe Abläufe erzeugen lassen, ähnlich wie mit einer einfachen Programmiersprache.

Einige dieser Spezialkommandos sind musikalischer Art: Ein ins Notensystem eingefügtes T bewirkt eine Transponierung des entsprechenden Kanals um maximal zwei Oktaven. Dieses Zeichen darf nur direkt vor einem Notenschlüssel verwendet werden. Ein ‘T-13‘ bedeutet zum Beispiel eine Transponierung um eine Oktave und einen Halbton nach unten. Man kann Samples mit dem T-Kommando auch um Bruchteile eines Halbtons (ver-) stimmen, um ungenau ge stimmte Samples an die Tonhöhe der mitgelieferten Sounds anzupassen.

Das L-Kommando schaltet eine Legato Funktion ein. Dazu ist eine Erklärung vonnöten. Ein Sample besteht bei den meisten Systemen aus einer Anschlagsphase (Attack), einer Haltezeit (Hold), während der sich der Ton verhältnismäßig wenig verändert, und einem Ausklang (Release). Damit lassen sich natürliche Instrumente ganz passabel modellieren. Die Legato-Funktion hält das Sample in der Hold-Phase fest, auch wenn die vorgegebene Notenlänge bereits vorüber ist. Auf diese Weise scheinen die Töne übergangslos ineinander überzugehen, ähnlich dem gebundenen Spiel auf einem Instrument.

Die P-Funktion erzeugt einen Portamento-Effekt zwischen zwei Noten.

Mit dem V-Kommando läßt sich schließlich die Geschwindigkeit des Stückes verändern, leider jedoch nicht in der musikalischen Einheit ‘Schläge pro Minute'. ‘V400' entspricht z.B. 120 Schlägen pro Minute, ‘V230' 225 Schlägen. Der Parameter-Bereich reicht von 100 bis 3000.

Der S-Befehl weist einer Stimme einen bestimmten ‘Shape’ zu. Ein Shape ist eine Zusammenstellung von Samples, doch dazu später mehr.

Die übrigen Spezialkommandos dienen zur Erzeugung komplexer Abläufe, zur Steuerung durch andere Programme oder zur Beeinflussung der Abspielqualität.

-X

Dieser Befehl hat drei Funktionen. Entweder wird ein Stück für ca. 0.1 Sekunde angehalten oder eines der max. 16 Samples in Originaltonhöhe abgespielt, oder die Abspielqualität wird verändert. Die Qualität, mit der Soundmachine-Stücke abgespielt werden, hängt davon ab, wieviele Samples pro Sekunde pro Kanal ausgegeben werden. Normalerweise sind dies 18900 Sample-Werte. Falls man Soundmachine für die Vertonung anderer Programme verwenden will, hat diese höchste Qualitätsstufe aber den Nachteil, daß keine Rechenzeit für das andere Programm übrig ist während Soundmachine spielt, herrscht dort Schweigen. Durch Reduzierung der Ausgabegeschwindigkeit um ein Drittel stehen dem zweiten Programm um die 6-20% Rechenzeit zur Verfügung. Verwendet man den X-Befehl als Wartebefehl, hat das vertonte Programm während der Wartezeit ungefähr 95% der CPU-Zeit zur Verfügung.

-F

Soundmachine stellt 7 interne Variablen, genannt Flags, zur Verfügung, die zur Steuerung der musikalischen Abläufe verwendet werden können. Mit dem F-Befehl kann dem Flag ein beliebiger Integer-Wert zugewiesen werden, der dann von anderen Befehlen abgefragt werden kann. Eines der Flags hat eine besondere Bedeutung, es enthält immer den ATARI-internen Tastaturcode der letzten gedrückten Taste. Damit kann ein Musikstück auf Tastendruck ‘reagieren’.

Mit dem Doppelpunkt können Labels gesetzt werden, die bestimmte Stellen im Stück markieren. 99 verschiedene Labels sind möglich.

-J, R, C, U

Diese Befehle dienen dazu, zu einem definierten Label zu springen. J ist ein unbedingter Sprung; R ist ein Sprung, der nur ausgeführt wird, wenn ein bestimmtes Flag einen bestimmten Wert enthält. Dies entspricht BASIC oder Assembler-Konstrukten der Form GOTO bzw. IF Bedingung THEN GOTO. C und U sind ebenfalls Sprünge, allerdings eher der Form GOSUB bzw. IF-Bedingung GOSUB. Damit lassen sich vordefinierte Musikabschnitte anspringen, die mit einem doppelten Taktstrich enden sollten. Wenn das so markierte Abschnittsende erreicht wird, springt Soundmachine an die erste Position nach dem Aufruf zurück.

I

I erhöht den Wert eines angegebenen Flags um Eins.

Soundmachine-Musikstücke sind im Grunde also nichts anderes als Programme in einer einfachen, hochspezialisierten Programmiersprache, in der die Noten die Funktion von Statements haben, während Kontrollanweisungen direkt durch Kommandos implementiert sind. Eine mehrfache Wiederholung kann man sehr einfach erzeugen, indem man einen Abschnitt als ‘Unterprogramm’ eingibt und an seinem Ende ein Flag inkrementiert. Vor dem ersten Aufruf setzt man das Flag auf 0 und springt jetzt mit der bedingten Sprung-Anweisungen sooft in das Unterprogramm, bis das Flag einen bestimmten Wert erreicht hat.

Bild 1: So präsentiert sich Soundmachine nach dem Laden - der Songeditor

Sounds

Auf den mitgelieferten Disketten sind um die 50 Samples von den verschiedensten Instrumenten, unter anderem auch zahlreiche Schlagzeuginstrumente und komplette Dur- und Moll-Akkorde für Begleitungen, enthalten. Die Qualität der Samples ist, gemessen an den beschränkten Möglichkeiten des ST, sehr gut. Mit Hardware-Modulen und speziellen Konvertierungsprogrammen, die von Tommy Software erhältlich sind, kann man auch selbst Samples aufnehmen.

Maximal 16 Samples können in den ST geladen werden. Diese 16 Samples können in maximal 16 Shapes verwendet werden, die man schließlich, wie oben erwähnt, mit dem S-Kommando den einzelnen Stimmen zuweisen kann. Jedes Sample hat eine regelbare Lautstärke und einen regelbaren Ablauf-Modus.

Ein Shape ist im Prinzip nichts weiter als eine Ablauftabelle für Samples, die aus maximal 128 Positionen bestehen darf. Für jede Position kann man eine Sample-Nummer und eine Frequenzveränderung relativ zurOriginaltonhöhe angeben. Der Sinn des Ganzen: Man kann Shapes mit Vibrato aus Samples ohne Vibrato erzeugen, man kann während eines Tones den Klang ändern, indem man mitten im Ton das Sample wechselt, oder man kann ganze Schlagzeugfiguren in ein einzelnes Shape packen.

Vertonung

Wenn man nun ein Stück eingegeben hat und alle Sounds fertig bearbeitet sind, kann man sich das Stück in der Soundmachine anhören oder auch sämtliche Daten compilieren. Das Ergebnis ist eine sogenannte Precode-Datei, die von einem mitgelieferten Programm interpretiert werden kann. Der Witz der Sache: Das Interpreter-Programm kann (und soll) von einem anderen Programm mit der GEM-PExec-Funktion gestartet werden. Damit das aufrufende Programm nun aber auf den Ablauf eines Musikstückes Einfluß nehmen kann, ist es möglich, sich die Adresse der 7 Flags beim Interpreter-Aufruf zurückgeben zu lassen. Mit Hilfe dieser Adressen kann man die Flags auf beliebige Werte setzen und hat somit, bei entsprechender Programmierung des Musikstückes, volle Kontrolle über die Geschehnisse im Musikleben des Computers. Wenn man z.B. verschiedene Geräusche in je einen Abschnitt programmiert, kann man durch Schreiben eines Wertes in ein Flag an beliebigen Stellen des eigenen Programmes diesen Abschnitt zum Erklingen bringen. Je nach im Musikstück programmierter Qualität wird Ihr eigenes Programm dabei angehalten oder nur stark gebremst. Einzige Vorraussetzung: eine Programmiersprache, die den Zugriff auf eine beliebige Speicherstelle erlaubt, wie C (Pointer) oder BASIC (POKE). Nicht jeder Pascal-Compiler erlaubt freie Speicherzugriffe, da dies eigentlich nicht im Sinne der Pascal-Philosophie ist. CCD-Pascal besitzt zum Beispiel einen Poke-Befehl.

Beatmachine

Auf der Programmdiskette ist noch ein weiteres Programm enthalten, die Beatmachine. Dieses Programm ist ein komfortabler Editor für Schlagzeugpatterns. Im Prinzip funktioniert Beatmachine wie ein normaler Drumcomputer. Fertige Patterns werden zu einem einzigen Sample verrechnet und abgespeichert. Das Ergebnis kann dann in Soundmachine verwendet werden. Leider ist die Synchronisierung von Beatmachine-Samples mit den Soundmachine-Stimmen nicht immer ganz einfach. Oft hilft nur Ausprobieren. Wenn es aber klappt und alles synchron läuft, können Sie eine Stimme der Soundmachine für einen mehrfach polyphonen Schlagzeugpart verwenden und haben immer noch zwei Stimmen übrig.

Bedienung

Soundmachine ist im großen und ganzen leicht zu bedienen, obwohl an manchen Stellen, besonders im Shape-Editor, der Komfort ein wenig zu wünschen übrig läßt. Wenigstens muß man nicht oft ins Handbuch schauen, da die Tastaturkommandos immer am Bildschirm zu sehen sind.

Im Noten-Editor fehlen ganz entschieden Kopierkommandos, die sich jedoch mit Hilfe einer RAM-Disk und der Diskettenfunktionen leidlich simulieren lassen. Dennoch, Blockfunktionen wären doch sehr wünschenswert.

Soundmachine ist kein Programm für Computer-Laien, dazu sind die Zusammenhänge etwas zu kompliziert. Es ist aber ein hervorragendes Tool für die Vertonung eigener Programme, das dafür wirklich ungewöhnliche Möglichkeiten bietet. Die Klangqualität ist, wie bereits erwähnt, im Rahmen der Möglichkeiten des ST sehr gut. Das gilt ganz besonders für die Schlagzeugsamples. Durch den polyphonen Einsatz von Samples lassen sich ungewöhnliche Stücke komponieren. Da es aber Samples sind, hindert auch nichts den Programmierer daran, Teile von Songs zu samplen und zu verwenden (Achtung, Copyright!). Leider macht die Bedienungsanleitung den Zugang zu Soundmachine unnötig schwer. Sie ist nicht gut strukturiert, sie wirkt so, als könne der Autor gar nicht verstehen, daß der Benutzer vor der Lektüre die Zusammenhänge nun einmal noch nicht kennt.

cs

Bezugsadresse:
Tommy Software Selchower Straße 32 1000 Berlin 44

Bild 2: Der Shape-Editor


Aus: ST-Computer 02 / 1989, Seite 13

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