Per Computer zum Erfolg

Guten Tag, bin ich hier richtig? Ja, aber klar doch. Ich bin jetzt Insider, und ich kann mich ja wohl mal vorstellen. Wahrscheinlich kennt Ihr Kumpels Euch ja doch alle untereinander. Mein Name ist Borg. Alex Borg. Für Euch einfach Alex. In meiner Firma haben sie jetzt einen Computer gekauft. Der Betriebsrat mußte zustimmen, nun ja, wegen der potentiellen Arbeitsplatzverluste, jäh, und als der grünes Licht gab, da hat der Laden, in dem ich arbeite, investiert. Allerdings nur in einen aus zweiter Hand. Der Sohn vom Chef hat uns einen vernünftigen Preis gemacht, und so konnte der Betrieb sich den C64 leisten. Jeder darf mal an den Kasten ran. Ich auch. Meine Sessions sind Mittwoch und Samstag von 18.45 – 19.00 und dann noch einmal sonntags von l3.15-l3.20. Das ist ganz günstig, denn um 13.30 fängt der Betriebsfußball an. Da habe ich dann noch genügend Zeit, mich aufzuwärmen.

Sonst haben wir immer auf dem Fußballplatz gegenüber vom Kurt gespielt, aber seit wir den Computer haben - nun, der Chef hat einfach noch in zwei Joysticks investiert und dafür dann die Miete für den Platz eingespart.

Ja, und das war dann das Aus für meine Betriebsfußballerkarriere. Der Fußballplatz war mein zweites Zuhause. Keiner hatte ein solches Feeling für den Ball wie Euer werter Alex Borg. Ich habe mich bis zur rechten Hand des Lagerchefs hochgekickt.

So - und jetzt bin ich endlich beim Thema. Nächsten Monat geht unser alter Müller - ich meine: mein ehrenwerter Chef - in Pension. Bis vor zwei Wochen war es sicher, daß ich seinen Job bekommen würde. Aber das ist so eine Sache mit dem Computer. Da gibt es so ein paar Greenies, noch keine zwei Jahre im Betrieb, aber - oh, Mann - die können vielleicht mit einem Joystick umgehen! Aber von denen lasse ich mir doch nicht meinen Job wegschnappen. Ich doch nicht! Nicht von denen!

Ich bin also in den nächsten Laden gerannt ...und habe dem Typen dort gesagt, daß ich mir einen C64 kaufen will. So etwas habe ich noch nicht erlebt! Das Fräulein an der Kasse hat schließlich doch den Krankenwagen geholt. Der Typ hat sich von seinem Lachanfall einfach nicht mehr erholt. Dann mußte ich mich auch noch von einem der Sanitäter anschnauzen lassen. Was das denn sollte? Was ich mir denn eigentlich dabei gedacht hätte? Wenn das jeder machen würde! Im nächsten Laden habe ich mich dann auch schon gar nicht mehr getraut, nach einem C64 zu fragen. Zum Glück hatte ich im Auto das Radio an, und da kam in der Werbung ein Spot, so in etwa "A-tari, A-tari, A-tari Ess-Te...". Nun ja, der Sound war ganz in Ordnung, und außerdem fiel mir keine andere Computer-Marke ein. Und so habe ich mir dann einen ATARI ST gekauft. Natürlich mit Joystick. Ich weiß nicht, aber der Verkäufer hat mich schon ein bißchen komisch angeguckt, als ich in den Laden kam und ihm klar und deutlich meine Wünsche gesagt habe: "Guten Tag", habe ich gesagt, "Guten Tag, ich möchte bitte gerne einen Joystick mit einem ST". Wie er so dumm geguckt hat, habe ich mich dann lieber doch noch einmal erkundigt, ob es denn auch wirklich ATARI-Computer zu Joysticks gäbe. Aber anscheinend war das dann doch kein Problem.

Im Hausgang bin ich extra die Treppe hochgegangen. Eigentlich hätte ich lieber den Fahrstuhl benutzen sollen. Wegen der schweren Kartons. Aber dann hätte ja keiner aus dem Haus gesehen, daß ich einen Computer mit mir herumschleppe. Die Mühe hat sich gelohnt: Frau Heilmann und Junior sowie die Hausmeisterin. Morgen weiß es das ganze Haus.

Ja, und dann habe ich losgelegt! Wollte ich wenigstens. Alle Stecker waren da, wo sie hingehören. Alle Schalter waren voll aufgedreht, der Bildschirm hat geleuchtet und am Rand waren irgendwelche Kästen zu sehen. Und dann saß ich erst einmal abwartend da. Fünf Minuten lang. "Gut", habe ich zu meinem Computer gesagt, "Du bist neu hier. 10 Minuten." Nach zehn Minuten habe ich dann den 11jährigen Racker meiner Schwester, die drei Straßen weiter wohnt, angerufen. Den hatte ich auch mal mit so einer Computerschachtel durch die Gegend laufen sehen. Kam auch gleich vorbei. Der Knirps hat mich angegrinst und gemeint, wo ich denn meine Disketten mit den Programmen hätte. Disketten! Wozu in aller Welt brauche ich Disketten, wenn ich nur ein bißchen auf dem Bildschirm herumkicken will! Da hat er mich denn aufgeklärt. Ich sei wohl von gestern. Sogar sein kleiner Bruder (6 Jahre alt) wisse, daß man Disketten dazu braucht, um Informationen zu speichern. Und sogar der Freund seines kleinen Bruders könne mir sagen, daß ein Fußballspiel auch eine Information sei und deswegen auch auf Diskette gespeichert werden müsse. Und dann wollte ich natürlich wissen, wo ich denn diese Disketten mit den Informationen, also den Programmen, also mit dem Fußballspiel, herkriegen könnte. Ja, da habe er einen Kumpel, der hätte auch einen Ess-Tee und total viele Spiele, und den sollte ich doch mal besuchen...

Am nächsten Tag war es dann endlich geschafft Ich saß vor meinem Computer, auf dem Bildschirm flimmerte in zarten Grautönen ein Fußballfeld, und ich rüttelte an meinem Joystick. Insgesamt viermal habe ich gegen das Tischbein getreten, als ich versucht habe, den Ball aus der linken Ecke Richtung Tor zu schießen. Ich werd's noch lernen. Hauptsache, ich trete während eines Betriebsspieles nicht einmal aus Versehen meinen Chef. Höhöhöhö.

Kleiner Joke. Muß ja auch mal sein. Am Anfang hab ich jeden Tag nach Feierabend eine Stunde lang trainiert. Zuerst hatte ich ja so meine Probleme mit dem Joystick. Meistens lief ich rückwärts auf mein eigenes Tor zu. Dann habe ich auch noch im falschen Moment auf den falschen Knopf gedrückt. Aber so im Lauf der Zeit hat es dann doch schon geklappt.

Nach drei Wochen mußte ich mein Training unterbrechen Der Arzt sagt, es sei eine Sehnenscheidenentzündung. Tut ganz schön weh. Ich hab' die Zeit genutzt, um einen geeigneten Platz für den ganzen Kram zu finden. Auf meinem Schreibtisch sieht's ja keiner. Ich hab mich dann für den Hausflur entschieden. Die Handwerker haben gegenüber der Tür eine kleine Nische gehauen, in die paßt alles ganz genau rein. Der Briefträger hat es dort als erster gesehen. Seitdem grüßt er mich immer ganz ehrfurchtsvoll mit "Doktor Borg", wenn wir uns im Treppenhaus über den Weg laufen. Kurz nachdem der Briefträger weg war, hat es wieder an der Tür geläutet. Meine Etagennachbarin. Guten Tag, und ob der Herr Borg wohl ein Glas von ihrem Eingemachten wolle. Dabei hat sie mir ganz unverschämt über die Schulter gelinst. Hätte sie gar nicht müssen. Ich bin unauffällig einen Schritt zur Seite gegangen und habe ihr den Blick freigegeben. Die Kirschen gab's dann zum Nachtisch.

Als ich gerade mit dem Abwasch fertig war, klingelte es wieder Die beste Freundin meiner Etagennachbarin, Frau Warr aus dem dritten Stock. Ob ich dieses Jahr schön frischen Zwetschenkuchen gegessen hätte, sie hätte da zufällig ein Stück übrig, und ob ich nicht.... Den Kuchen gab's zum Kaffee. Den ganzen Tag und den ganzen nächsten und den ganzen übernächsten ging das so weiter. Irgendwann kamen dann auch Leute aus den Nachbarhäusern. Da habe ich angefangen zu investieren. Ich bin wieder in den Laden gerannt, wo ich meinen ST gekauft habe; und habe mich nach einem Programm erkundigt. Der Verkäufer hat ganz höflich gefragt, was denn für eines. Da hab' ich mir ein paar zeigen lassen und dann die drei dicksten und buntesten gekauft.

Doch, Ihr könnt mir glauben, das Geld hat sich schon gelohnt. Seit drei Wochen ernähre ich mich nur noch vom Eingemachten und Hausmacher meiner Nachbarschaft. Ich wußte gar nicht, daß man vom Computergeschäft so gut leben kann. Und da ich jetzt auch zum Big Business dazugehöre, wollte ich mich einfach mal bei Euch vorstellen.

Mein Job in der Firma? Na, fast hätte ich's vergessen. Ich konnte nach fünf Wochen so gut mit dem Joystick umgeben, daß ich auch auf dem Bildschirm unschlagbar war. Schließlich gehört das ja auch zu meinen Demonstrationen, wenn ein Nachbar mal ein bißchen tiefer nachfragt. Das Problem: Der Chef hatte auch trainiert. Und als ich ihn dann mit 12:3 besiegt habe, war er ganz schön sauer. Nun ja, immer noch rechte Hand des Lagerchefs - dafür muß ich mir bis zum Sommer 1990 keine Lebensmittel kaufen.

Oh, ich muß jetzt Schluß machen. Es klingelt schon wieder an der Tür. Das ist wahrscheinlich Herr Derter, ein alter Rentner mit Gartenlaube, der mir von seinem selbstgegärten Obstler vorbeibringen wollte.

So long, Alex Borg


Ulrike Greser
Aus: ST-Computer 02 / 1989, Seite 30

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