Ein Loch in den Bauch gefragt: Zu Besuch bei ATARI USA

Seit ein paar Wochen schon war mein Urlaub geplant, waren die Flüge gebucht und die Hotels reserviert. Als ich mich bei der ST-Redaktion für ein paar Wochen “vom Dienst abmelden” wollte. um mich in den Vereinigten Staaten on Amerika vom heimischen Streß zu erholen, da trat diese doch gleich mit einem neuen Auftrag an mich heran: Könnten Sie - wenn Sie sowieso schon in Kalifornien sind - nicht vielleicht mal bei der ATARI USA Corporation Vorschauen?” Ehrlich gesagt, ich war auf Anhieb begeistert. Einerseits wollte ich mich im Urlaub zwar erholen (!) und einfach mal richtig faulenzen, andererseits war ich doch nicht uninteressiert, mit Shiraz Shivji und den Tramiels mal ein paar Worte zu wechseln. Mein Freund, ein leidenschaftlicher BASIC-Programmierer, der mit mir einen computerlosen Urlaub geplant hatte, war auf der Stelle wieder der ST-Sucht verfallen und stimmte überglücklich zu. Deshalb beschloß ich, den Auftrag anzunehmen.

Vor Abflug versuchte ich, meine Englischkenntnisse ein wenig aufzupäppeln, um die Leute auch verstehen zu können, wovor ich aber wohl viel zu viel Angst hatte. Mit großartiger Unterstützung durch meinen Freund (dessen schlechtestes Schulfach schon immer Englisch war und der dieses überdies auch noch haßte) rechnete ich kaum. In den Staaten legten wir unsere Flüge so, daß wir zum telefonisch vereinbarten Termin in San Jose (rund 30 Meilen entfernt) waren, weil hier der nahegelegenste Flughafen war. Und schon waren wir mittendrin im sogenannten "Silicon Valley”, dem Zentrum der Technologie, der Elektronik, der Chips... Nach einigem Suchen fand unser Fahrer auch die besagte Borregas Avenue, in der wir uns schließlich bis zur Hausnummer 1196 vortasteten.

Nachdem wir in der “Main lobby” einige Minuten warteten, wurden wir von Sigmund Hartmann, dem Pressebeauftragten und “Mann für alles” empfangen, der uns zu unserer Überraschung mit ein paar deutschen Sätzen begrüßte. Um Mißverständnisse seinerseits auszuschalten, entschlossen wir uns dann doch für die englische Sprache. Er beantwortete uns die meisten unserer Fragen, bei technischen Problemen durften wir uns später an den Chefentwickler Shiraz Shivji oder auch an den Präsidenten der Firma, Sam Tramiel, wenden. Doch nun zu unserem Interview:

ST-C.: Herr Hartmann, können Sie uns vielleicht etwas “Geschichtliches” über ATARI erzählen, wie eben alles angefangen hat?

ATARI: Nun ja, angefangen hat alles eigentlich am 2. Juli 1984. An diesem Tag - es war ein Montag - stürmte Jack Tramiel mit seinen drei Söhnen, und einem Gefolge seiner treuesten Mitarbeiter sozusagen die Büros der damaligen Firma ATARI. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch im Besitz der Warner Communications. Etwa fünf Monate später, im Januar 1985, führte man auf der CES (Consumer Electronics Show)in Las Vegas seinen ersten eigenen Computer - den ATARI 520 ST - vor. Bei Warner gab es nicht eine Spur von einem ST vor der Übernahme.

ST-C.: Und wie ging es weiter, bis die ersten STs auf den Markt kamen?

ATARI: Im sich anschließenden Frühling wurden etwa 100 Geräte an Software-Entwickler ausgeliefert, um bei Erscheinen des STs auf dem Markt bereits einen gewissen Softwaregürtel bieten zu können. Im Juni wurde dann - entgegen aller Prophezeiungen - mit der Auslieferung des 520 ST mit seinem halben Megabyte begonnen.

ST-C.: Und wieviele Computer gingen seitdem über den Ladentisch?

ATARI: Ungefähr 700.000 Stück. Alleine 40 Prozent davon haben wir bei Euch in Deutschland abgesetzt. In Amerika war unser Umsatz bei weitem nicht so gut, weil Apple’s Macintosh schon länger auf dem Markt war. Gegen deren Werbekampagne im großen Stil war außerdem nicht anzukommen.

ST-C.: In einigen Elektronikgeschäften hier in den Vereinigten Staaten haben wir kleine ATARI-Taschenrechner und Mini-Datenbanken gesehen. Sind diese Produkte brandneu, oder warum gibt es sie in Deutschland noch nicht?

ATARI: Diese Produktreihe läuft völlig unabhängig von unseren XE- und ST-Computern. Hierzu wurde extra eine eigene Firma namens “ATARI Computers” abgespalten, die jedoch völlig unabhängig von uns arbeitet. Anscheinend wurde ein Absatz in Deutschland bisher noch nicht in Erwägung gezogen.

ST-C.: Wie bekannt ist, wird der ST hier in den USA eher selten mit dem Monochrom-Monitor SM 124 angeboten. Die Käufer setzen eindeutig auf Farbe. In welchem Bereich wird der ST hier in Amerika verwendet?

ATARI: Unser ST-Rechner wird ja in Europa in erster Linie im Bereich von Anwendungssoftware, also eher im seriösen oder professionellen Bereich eingesetzt, deshalb wird er dort auch mit Schwarzweiß-Monitor verkauft. Die “Mega-STs” sind in Europa sowieso ein Riesenhit und wurden ganz gut von den Kunden angenommen. Hier in den Staaten war das Interesse nicht so gut wie überm Teich. Die Interessen unserer Computernutzer scheinen hier in eine ganz andere Richtung zu gehen. Man will sich vorwiegend amüsieren - gute Video-Games spielen. Wahrscheinlich waren unsere Spielkonsolen deshalb auch so erfolgreich.

ST-C.: Früher hat ATARI mit der XL-beziehungsweise der XE-, aber auch bei der ST-Serie einen 9-Nadel-Drucker angeboten. Beim ST ist nun verstärkt der SLM-Laserdrucker im Kommen. Haben Sie vor, für den Mittelpreiskunden eventuell auch einen günstigen 24-Nadler herauszubringen?

ATARI: Nein, nein, auf keinen Fall. Verschiedene Firmen im Druckersektor haben bereits gezeigt, daß sich unser Motto “Power without the price” einhalten läßt, wenn man nur will. Es gibt einige sehr günstige 24-Nadel-Drucker, von denen sich manche bei ST-Software geradezu zu einem Standard entwickeln. Hier möchten wir uns nicht in den Markt einmischen.

ST-C.: Welche Programmiersprache ist Ihrer Meinung nach am populärsten? Hat BASIC überhaupt noch eine Chance zu überleben?

ATARI: Ich glaube am beliebtesten auf dem ST ist im Moment “C”. BASIC wird seine Berechtigung auf dem Markt wohl nie verlieren. Es wird immer Leute geben, die gerne hiermit arbeiten möchten, weil BASIC einfach leicht zu erlernen ist. Außerdem ist diese Programmiersprache geradezu ideal für Kinder, die gerade den Zugang zum Computer überhaupt oder aber zum Programmieren finden.

ST-C.: Wie sieht es hier mit den verschiedenen BASIC-Dialekten aus? Benutzen die Programmierer in den Staaten GFA-oder Omikron-BASIC?

ATARI: GFA-BASIC ist relativ weit verbreitet, Omikron dagegen so gut wie überhaupt nicht. Manche programmieren auch noch mit dem Metacomco-ST-BASIC, das ja kostenlos mitgeliefert wird.

ST-C.: Herr Hartmann, in Deutschland, Österreich, Frankreich, Luxemburg, Belgien, der Schweiz, Jugoslawien, den Niederlanden und in Skandinavien wird demnächst Omikron-BASIC kostenfrei beigelegt, um einen neuen Standard zu schaffen. Hat ATARI USA vor, sich diesem Projekt anzuschließen?

ATARI: Wir sind uns nicht ganz einig. Ich würde dieses Projekt ebenfalls sehr unterstützen, aber der gute Jack Tramiel zieht einfach nicht mit. Gegen ihn haben wir keine Chance; es wird also nach wie vor das ST-BASIC beigelegt.

ST-C.: Sind die Räume hier in Sunnyvale in Kalifornien nur für Entwicklung, Forschung und Verwaltung, oder wird auch richtig Hand angelegt, also werden auch Rechner hergestellt? Und warum haben Sie sich gerade für Sunnyvale entschieden?

ATARI: Nein, nein, sämtliche Geräte werden in Taiwan hergestellt, sonst könnten wir unsere Computer nie zu solchen Konditionen anbieten. Um zu Ihrer zweiten Frage zukommen: Sunnyvale ist für hiesigeVerhältnisse ein kleiner bis mittlerer Ort mit rund 108.650 Einwohnern und liegt mitten im “Silicon Valley”. Hier ist alle Information, die irgendwie mit Computern oder Hi-Tech zu tun hat, auf engstem Raum konzentriert. Genau deshalb sind auch wir hier. Wir haben in diesen Gebäuden etwa 200 Angestellte, wovon rund 20 bis 25 Leute den Kern unseres Entwicklungsteams darstellen.

ST-C.: Wer steht eigentlich an der Führungsspitze?

ATARI: Präsident ist Sam Tramiel, Jacks Sohn. In der Firma sind weiterhin Jack und Leonhard Tramiel. Vizepräsident für Entwicklung und Forschung ist Shiraz Shivji, der Vater von ATARIs erstem 16-Bit-Computer - dem ST. Die meisten unserer führenden Mitarbeiter sind diejenigen, die früher - so wie ich - bei Commodore waren und dann gewechselt haben.

ST-C.: Der 260 ST wird ja ebenso wie der 520 ST/520 ST + nicht mehr gebaut. Erste Gerüchte gingen um, daß der 520 STM auch auslaufen soll. Möchten Sie sich langsam aus dem Homecomputer-Markt zurückziehen?

ATARI: Homecomputer werden wohl in den nächsten Jahren weiterhin gebraucht. Wir haben nicht vor, diesen Markt aufzugeben. Sollte es den 520 STM einmal nicht mehr geben, so bin ich sicher, daß dann etwas Gleichwertiges von uns auf den Markt gebracht wird.

ST-C.: Weiterhin wurde das Gerücht laut, daß der 1040 ST nicht mehr produziert wird. Gibt es dann eventuell bald einen Mega ST 1 mit einem Megabyte?

ATARI: Dies ist wirklich nur ein Gerücht. Falls nicht gestern unsere Produktionsstätten abgebrannt sind, was ich aber nicht glaube, so wird der 1040 ST nach wie vor hergestellt. Wir haben im Moment auch nicht vor, diesen Computer vom Markt zu nehmen oder seine Produktion zu stoppen. Ein Mega 1 ist vorerst nicht geplant, läßt sich aber für die Zukunft nicht ausschließen.

ST-C.: Der 1040er wurde sehr sehr oft erkauft. Wie sieht es mit Nachrüsten mit einem Blitter aus, kann man sich schon an ATARI Deutschland wenden?

ATARI: Der Blitter müßte mittlerweile in ausreichenden Stückzahlen lieferbar sein. Wie mir Shiraz Shivji jedoch sagte, ist eine Nachrüstung bei den jetzigen Platinen noch nicht möglich. Bei den kommenden Modellen wird sich der Blitterchip jedoch ebenso wie im Mega einfach einstecken lassen und nach Trennen von Lötbrücken nutzbar sein.

ST-C.: Viele Kunden beschweren sich "er die butterweiche Tastatur bei den 1040ern und 520ern. Haben Sie vor, hier vielleicht ein Keyboard-Kit anzubieten, mit dem man seine alte Tastatur durch ein neues Mega-Keyboard austauschen kann?

ATARI: Im 1040er wäre es zwar bereits möglich, die Mega-Tastatur einzusetzen, momentan ist aber ein solcher Bausatz nicht geplant. Vielleicht machen wir uns bei genügend großer Anfrage daran, ein solches Erweiterungsset anzubieten. Im Augenblick muß der unzufriedene Anwender auf eine PC-Tastatur mit Software-Treiber ausweichen.

Der Speicher läßt sich problemlos zu vier Megabyte aufrüsten. Haben Sie vor, eventuell einen Bausatz zu entwickeln, der eine Erweiterung des Arbeitsspeichers über diese Grenze hinaus ermöglicht?

ATARI: Fremdanbieter in den Staaten haben bereits verschiedene Lösungen gezeigt, die bis zu 8 MB zulassen; für mehr Speicher bräuchte man eine weitere MMU (=Memory Management Unit, Speicherverwaltungsbaustein). Ich glaube, daß bei den heutigen Anwendungen 8 MB ausreichen müßten, schon wegen der hohen Preise für Speicherbausteine. Wer soll da noch 16 MB bezahlen, ein Millionär?

ST-C.: Als Sie damals die Wahl hatten zwischen MS-Windows und GEM, haben Sie sich für letzteres entschieden. Wieso, und glauben Sie, daß es die richtige Wahl war?

ATARI: Ich glaube, wir haben richtig gewählt. MS-Windows war zu der Zeit noch nicht fertig, und warten wollten wir nicht länger... Wir werden auch in Zukunft weiter auf GEM von Digital Research setzen und nicht wechseln, da sich GEM auf dem ST ganz klar bewährt hat.

ST-C.: Aber wäre es dann nicht sinnvoll, MS-Windows nachträglich wenigstens als Softwarepaket anzubieten? Möglich dürfte es ja sein, wie verschiedene andere Emulationen (PC, Macintosh, usw.) gezeigt haben.

ATARI: Hierzu bräuchte man doch einiges an Speicher, da MS-Windows sich nicht so kompakt in den Speicher legen läßt. Außerdem sindPCs heute ja schon so günstig zu haben...

ST-C.: Emulationen scheinen insgesamt keine allzugroßen Probleme zu bereiten. Neben dem MAC und einem IBM PC emuliert der ST ja mittlerweile auch schon einen Hewlett Packard-Computer. Was ist jetzt eigentlich mit der Hardwareplatine des PC-Emulators?

ATARI: Es handelt sich um ein sogenanntes “accelerator board”, also eine Platine, die gegenüber der Software einen erheblichen Geschwindigkeitsvorteil bringen soll. Der Preis wird wohl so um die 500 bis 600 Mark liegen. Dieser Emulator wird bereits hergestellt und soll bald erhältlich sein.

ST-C.: Welche Rechner verwenden Sie eigentlich in erster Linie für die Entwicklung Ihrer Computer?

ATARI: Wir haben drei VAX 7/80 von Digital Equipment, eine MENTOR-Workstation, ebenso eine DAISY und eine große Kiste namens “IKOS”, mit der wir Hardware-Simulationen durchführen können. Auf der VAX dauerte dies früher pro Testlauf 19 Stunden, nun haben wir unser Ergebnis aus der “IKOS”-Kiste innerhalb von 15 Minuten. Bei 500 Tests pro Chip benötigten wir früher also fast eineinhalb Jahre, heute haben wir das Ergebnis nach einer Woche! Ach, fast hätte ich’s vergessen: wir haben außerdem einige Kombinationen aus STs und 386er PCs.

ST-C.: Wie ist die Liefersituation der Produkte, die auf der CeBit-Hannover-Messe Mitte März vorgestellt wurden?

ATARI: Nun ja, das CD-ROM wird bereits seit August an Software-Entwickler ausgeliefert, die Endverbraucher müßten in den nächsten Tagen an dieses Produkt herankommen. Bei der Wechselplatte hoffen wir, daß wir ab Oktober mit der Auslieferung an unsere Händler anfangen können.

ST-C.: Langsam drängen die ersten ganzseitigen Monitore, fast alle mit 19 Zoll-Bildschirm, auf den Markt. Sehen Sie den ST, gerade weil das Programm “Calamus” kurz vor seiner Vollendung steht, als “low- cost”- und Hochqualitäts-Desktop-Publishing-System?

ATARI: Selbstverständlich! Calamus ist ein exzellentes Programm, das sicher dem ST im DTP-Bereich zu wesentlich mehr Aufmerksamkeit verhelfen wird. Um auf die Monitore zurückzukommen: In der Bundesrepublik gibt es ja bereits einen Monitor, der rund 5000 Mark kostet. Hier in den USA gibt es ein System namens “MONITERM” für den Mega (das übrigens auch für den Macintosh angeboten wird), das eine Platine und den Bildschirm beinhaltet und rund 3600 DM kostet. Wir haben vor, in der Zukunft einen eigenen 19 Zoll- Monitor herauszubringen, der preislich weit darunter liegen soll. Schließlich soll professionelles DTP für einen breiteren Anwendungskreis erschwinglich sein.

ST-C.: Wie sieht es im Moment eigentlich mit Neuigkeiten aus? Gibt es wieder etwas in der Entwicklungskiste, über das sich die ST- Benutzer freuen können?

ATARI: Nun ja, natürlich entwickeln wir ständig an interessanten Dingen. Im Augenblick möchten wir jedoch noch nicht damit an die Öffentlichkeit herantreten und haben deshalb auch auf der 2. ATARI-Messe, die im September wieder in Düsseldorf stattfand. noch keine Neuheiten präsentiert (das CD-Rom wurde ja schon früher gezeigt). Außerdem wollen wir uns schließlich auch etwas für die COMDEX im November aufheben.

ST-C.: Wir bedanken uns für dieses aufschlußreiche Gespräch.

Der Trip in die Borregas Avenue 1196 hat sich auf jeden Fall gelohnt. Nicht nur, weil man im Büro von Shiraz Shivji bereits serienreife Kartons von 2080ern (2 Megabyte mit eingebautem Diskettenlaufwerk) ‘rumstehen sieht und auf Fragen nur ein zurückhaltendes (oder geheimnisverbergendes? ) Kopfschütteln bzw. eine “Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts”-Antwort bekommt. Nein, natürlich auch wegen der immerwährenden Sonne, die uns unseren Urlaub und einen Besuch in Kalifornien geradezu unwiderstehlich gemacht hat. Schade, daß bei uns das Wetter nicht genauso gut ist...

RP



Aus: ST-Computer 11 / 1988, Seite 21

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