Viren in der Diskussion

Am Rande der ATARI-Messe fand im Forum eine Podiumsdiskussion über das ach so aktuelle Thema “Computerviren” statt. Mit von der Partie waren Rolf Hilchner von GFA, Heinrich-Hermann Huth von Application Systems, Axel Dittes von der c’t, Carsten Kraus von OMIKRON, ein Vertreter von GDATA und Horst Brandl vom ST-Magazin. Für die ST-Computer debattierte Claus Brod mit. Die Diskussion wurde geleitet von Dr. Klaus Brunnstein, Professor für Anwendungen der Informatik an der Universität Hamburg, der ja schon für publizitäre Rundumschläge bekannt ist, wenn es um öffentlich interessante Informatik-Themen geht.

Nach der obligaten Einführung (“Was ist ein Computervirus? Kann man das essen? Was ist ein Bootsektorvirus?”) ging es gleich in die vollen. Den Zeitungen wurde vorgeworfen, das Thema in der Vergangenheit zu sehr aufgebauscht zu haben (nicht nur durch Listings). Im Laufe der Diskussion sahen wir uns in diesem Punkt in unserer bisherigen Einstellung bestätigt (siehe dazu auch das Editorial in der ST 7/88) - intern waren wir zu der Auffassung gelangt, daß Berichte über Viren dazu geeignet sind, die Wogen noch mehr aufzupeitschen.

Schreibt man über virenbefallene Programmdisketten von Softwarefirmen, freuen sich die Virusprogrammierer, und mancher leichtsinnige oder mutwillige Hacker fühlt sich angespornt: Ein Virus mit möglichst weitreichenden Konsequenzen zu programmieren, würde zum makabren Sport. Versucht man, Virenmechanismen zu erklären, probiert es jeder aus. Veröffentlicht man Schutzmechanismen, denkt sich sofort irgendjemand das nächste, noch schlauere Virus aus. Andererseits muß man natürlich etwas tun, um die Anwender vor den binären Krabbelviechem zu schützen -wir tun das, indem wir Virenkiller in unserer PD-Sammlung zur Verfügung stellen.

Während man sich im Forum in der Verachtung für Virusprogrammierer einig wußte, war es viel schwieriger, zusammen eine Strategie zu entwickeln, wie man das Thema behandeln sollte. Herr Huth von Application Systems fand mit einem Vorschlag Beifall, die Zeitungen sollten sich einigen, in nächster Zeit das Thema vorsichtiger und weniger reißerisch aufzugreifen. Herr Hilchner von GFA regte an, mit einer konzertierten Kampagne, zwischen Zeitungen und Softwarehäusem abgesprochen, in der Öffentlichkeit auf die Gefahren hinzuweisen.

Das Publikum zeigte sich sehr engagiert, aber auch verunsichert: Ob es denn tatsächlich Softwarefirmen gebe, die ihren Programmen ein Virus als verlängerten Arm des Kopierschutzes mitgäben? (Die Rechtslage in der Bundesrepublik läßt das auf keinen Fall zu.) Wie denn Viren überhaupt auf Programmdisketten der Softwarehäusern kämen? Wie es angehen könne, daß ganz legal Programme verkauft werden, mit denen sich jeder sein Privat-Virus basteln kann? Kritik wurde laut an den Praktiken von Softwarehäusern, die für teures Geld Viruskiller verkaufen; man solle doch solche Programme - da sie doch zur Zeit so wichtig sind - auf jeden Fall public domain machen.

Die Softwarehäuser konnten jedenfalls beruhigen: Die Gefahr der Viren sei erkannt. Es existieren offensichtlich bei vielen Softwarehäusern interne Werkzeuge. um Viren aufzuspüren und zu vernichten. bevor sie mit Programmdisketten in die Öffentlichkeit gelangen. Daß diese Sicherungen allerdings nicht perfekt sind, wurde auch klar: Wirklich wirksame Mittel gibt es zur Zeit nur gegen Bootsektorviren - und die sind ohnehin die harmloseren. Gegen Dateiviren - so ein Vorschlag aus dem Publikum - sollten schon die Programmierer Vorgehen, indem sie ihre Programme sich selbst überprüfen lassen. Bemerkt das Programm, daß es verändert wurde, meldet es das mit einer Warnung und läuft erst gar nicht los.

Natürlich ist auch ein solcher Mechanismus nicht 100%ig sicher: Ein Virus kann sich natürlich - wenn es die Prüfroutine kennt - für sie unsichtbar machen. Immerhin hätte man so aber einen zumindest temporären Schutz.

Auch sogenannte “gutartige” Viren (zur automatischen Verschlüsselung von Dateien etwa) seien - so die fast einhellige Meinung - auf jeden Fall unerwünscht und potentiell gefährlich, so wie jedes andere Programm, das sich plötzlich selbständig macht und nicht mehr von der Kontrolle des Anwenders abhängt.

Daß Viren nicht nur die Sorge von Raubkopierern sind, machte Professor Brunnstein deutlich: So kenne er mindestens einen Fall, in dem ein Virus in PCs eingedrungen sei, die in einem Krankenhaus wichtige Steuerungsaufgaben in der Intensivstation wahrnehmen. Hier ist also nicht nur die neueste Raubkopie von Winter Games gefährdet - es geht um Menschenleben. Jeder, der immer noch unentwegt Viren produziert, sollte sich fragen, ob er das angesichts solcher Konsequenzen noch mit seinem Gewissen vereinbaren kann.

CB


CB
Aus: ST-Computer 10 / 1988, Seite 18

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