TEMPUS 2.0 - Ein "Editor" wurde überarbeitet

Tempus ist neben 1st_Word sicherlich eines der bekanntesten Programme auf dem ATARI ST. Viele Programmierer schwören auf TEMPUS dermaßen, daß sie sich sogar weigern, Programmiersprachen zu benutzen, deren Shell keine Einbindung eines beliebigen Editors zuläßt - ich gestehe, ich gehöre auch zu dieser Sorte. Nichtsdestotrotz gab es auch bei TEMPUS immer wieder Kundenwünsche, die Entwicklerfirma CCD über einen längeren Zeitraum gesammelt und nun, alle zusammengefaßt, in der neuen 2.0-Version realisiert hat.

Nachdem ich, lange ersehnt, meine 2.0-Version nun endlich in den Händen hielt, war ich zunächst einmal angenehm überrascht, daß TEMPUS 2.0 wie auch schon Pascal in einem Schuber ausgeliefert wird-bedenkt man, daß TEMPUS 'nur' ein Editor ist (bei solchem Befehlsumfang ist der Name Editor eigentlich ein Tiefstapeln) und in der neuen Version 129,- DM kostet, so ist diese Verpackung doch relativ nobel und läßt ein professionelles Image vermuten. Im Gegensatz zu anderen Anschaffungen habe ich mir auch prompt die 262 seitenstarke Anleitung durchgelesen - das sollte übrigens jeder tun - und kam aus dem Staunen nicht heraus. Als leidgeprüfter Tester, besonders der Produkte, die man selbst kennt, sucht man ja immer nach Negativem, weil ausschließlich positiv geschriebene Tests stark nach Bestechung aussehen. Ich garantiere, daß ich nicht bestochen wurde und dennoch keine wirklich nennenswerten Mankos des neuen TEMPUS herausgefunden habe. Aber genug der Vorschuß-Lorbeeren, widmen wir uns den Fakten,

Bedienung, bitte!

Ich setze einmal voraus, daß die Geschwindigkeit von TEMPUS allgemein bekannt ist; wenn ein Bekannter über meinen langsamen ATARI schimpft, ist er spätestens nach dem Vorführen von TEMPUS still... Das Konzept der schnellen und einfachen Bedienbarkeit für Einsteiger und Freaks ist nach wie vor beibehalten und verbessert worden. So kann sich jeder seine eigenen Tastenkombinationen für die Aufrufe der einzelnen Befehle selbst zusammenstricken. Ein großes Lob für eine Tatsache, die mir erst so richtig beim Studieren der Anleitung aufgegangen war: Jede Taste und jedes Feld in einer Dialogbox (!) läßt sich über die Maus und Tastatur (!) anwählen, das heißt, daß ewige Mausgegner in einer komfortablen Grafikumgebung arbeiten können, ohne auf die Maus angewiesen zu sein. Fast selbstverständlich ist, daß jede Einstellung abgespeichert werden kann, wobei dazu keine zusätzliche, externe '.ins'-Datei benötigt wird sondern in TEMPUS selbst geschrieben wird. Dadurch kann man sich unterschiedliche TEMPUS-Versionen für verschiedene-Anwendungen gestalten. Häufig kommt die - etwas gestichelte - Frage: Kann denn TEMPUS auch MAKROS? Ab der Version 2.0 können Sie mit stolzer Brust behaupten: "Aber natürlich!", denn diese Möglichkeit ist durch die vollständige Tastaturbedienung von TEMPUS gegeben.

Sie kann übrigens in einer bestimmten Reihenfolge gespeichert werden.

En bloc

Die am häufigsten gewünschte Verbesserung für diesen Editor war die Möglichkeit eines Blocksatzes und eines Zeilenumbruches. Schreibe ich beispielsweise meine Artikel, was bisher in 1st_Word geschah, interessieren mich Dinge wie Fett- und Kursivdruck ganz und gar nicht; ich möchte vielmehr nicht immer darauf achten müssen, ob ich nun am Ende der Zeile angekommen bin und die Taste Return drücken muß, zumal jedes Return am Ende einer Zeile unsere Layouter am Rechner beim Einfließen schlichtweg zum Wahnsinn treibt. Kurz gesagt, in Tempus ist ab sofort ein Zeilenumbruch und ein Blocksatz eingebaut, wobei man besonders bei Letzterem ins Schwärmen gerät, denn der Blocksatz geschieht in Echtzeit! Sie haben richtig gehört - fügen Sie beispielsweise in einen schon formatierten Block Text ein, so geschieht die Umformatierung während Sie schreiben und das, in der schon gewohnten TEMPUS-Geschwindigkeit, ohne daß sie dadurch aufgehalten werden.

TEMPUS mausert sich

Allgemein macht das Edieren von Texten in diesem Editor wirklich Spaß, zumal das kleine Tierchen neben dem Computer nun auch zum Markieren von Blöcken benutzt werden kann. Allein das Kapitel, das sich mit der Belegung der beiden Maustasten beschäftigt, ist zwölf Seiten lang - erstaunlich, was man mit einer Maus und zwei Tasten so alles anfangen kann.

Kompatibel

Angenehm ist mir auch aufgefallen, daß die Übernahme von Texten aus anderen Textverarbeitungen, die die unterschiedlichsten Zeilen- und Absatzkennzeichnungen haben, spätestens nach der Option "Text anpassen" problemlos möglich ist. Einstellbar ist übrigens, wie TEMPUS selbst die Dateien ausgeben soll. Apropos kompatibel: TEMPUS unterstützt sogar den allseits beliebten Blitter, sofern er vorhanden und eingeschaltet worden ist, dadurch wird der Editor bei einigen Operationen noch schneller... Eine spezielle 68020-Version ist für das Jahr 1989 geplant, die dann zusätzliche Möglichkeiten dieser CPU ausnutzt.

Auf Abwegen

Wer kennt es nicht, das Problem, daß man immer gerade in dem Programm ist, das man am wenigstens braucht? Wollen Sie beispielsweise mal kurz ein Bild zeichnen oder irgendwelche Daten nachschauen, so heißt es im allgemeinen den Editor verlassen (ist man nicht gerade Besitzer eines Multitasking-Betriebssystems) und das andere Programm aufrufen - nicht so bei TEMPUS. Er bietet die Möglichkeit, andere Programme aus sich heraus aufzurufen. Für Eingeweihte sei hier erwähnt, daß es dabei zwei Möglichkeiten gibt: Die eine Art des Programmstarts bewirkt ein Zurückkehren zu TEMPUS (Pexec), die andere ein Starten bei Programmende von TEMPUS (Shell_write). Ich habe es selbst oft schon gewürdigt, wenn ich dabei war Testberichte zu schreiben, denn dann konnte ich während des Schreibens diverse Funktionen im anderen Programm noch einmal schnell ausprobieren, ohne meinen Editor völlig verlassen zu müssen.

Resümee

Oft wird Programmen zu unrecht eine neue Versionsnummer vergeben, da keine nennenswerte Änderungen zu erkennen sind. CCD ist es aber gelungen, TEMPUS in hohem Maße aufzuwerten, ohne daß dabei ein anderes Programm zu erkennen ist, in das man sich erst wieder einarbeiten muß - TEMPUS ist der alte, neue TEMPUS, mit umfangreichen Änderungen. Nicht verschwiegen werden soll aber, daß TEMPUS bei solch umfangreichen Änderungen etwas teuerer geworden ist: Bis Ende Oktober wird es DM 109,- und ab dann DM 129,- kosten Aufgrund der Dokumentation, des Supports und des Updates ist das Geld für TEMPUS 2.0 sicherlich gut angelegt, und es wird sicherlich nicht die letzte Version sein, wenn auch schon kräftig an TEMPUS-TEXT, der Textverarbeitung aus dem Hause CCD, gearbeitet wird. Einschlägige Quellen berichten, daß in punkto Geschwindigkeit auch bei Proportionalschrift ähnliche Zeiten wie bei TEMPUS herausholbar sind - lassen wir uns überraschen.



Aus: ST-Computer 10 / 1988, Seite 31

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