Über das Betriebssystem des Atari ST ist schon viel geredet, geschrieben und geschimpft worden. Einige ärgerliche Fehler waren immer wieder Stein des Anstoßes heftiger Kritik. Etwa der sogenannte „Unterstrich-Fehler“, der bei Eingabe dieses Zeichens ("-") im Kontrollfeld unweigerlich zum Absturz des Rechners führt. In der letzten, jetzt überall ausgelieferten Version des TOS wurden kleinere Haken und Ösen korrigiert. Aber viel mehr auch nicht. Besondere Anwenderwünsche müssen nach wie vor überspezielle Programme realisiert werden. Zum Beispiel das Starten von GEM-Anwendungen direkt nach dem Hochfahren. Seit einiger Zeit ist nun in den USA ein Tool erhältlich, das ein gänzlich neues Desktop mit vielen Zusatzfunktionen auf dem ST darstellt. Es heißt NeoDesk und leistet mehr als alle anderen Kommandointerpreter.
Ob NeoDesk als Stachel im Fleisch der amerikanischen Atari-Zentrale wirkte, oder ob die neue Firmenstruktur ihren Teil dazu beigetragen hat: Jack Tramiel und sein Team haben sich entschlossen, dem ST ein neues TOS zu verpassen, das die eh schon bequeme Benutzeroberfläche noch attraktiver machen soll. Das neue Betriebssystem wird derzeit als Beta-Version an die Atari-Niederlassungen in aller Welt ausgeliefert. Was es damit auf sich hat, berichtete Roy J.Good in den amerikanischen Computernetzen: 1. Das Verschieben von einzelnen Dateien auf der Desktop-Ebene läuft anders und, wie zu hören ist, besser. Man kann jetzt mit nur einem Mauskommando eine Datei bewegen, d.h. in einen Ordner kopieren und gleichzeitig am Ursprungsort löschen, so wie beim Apple MacIntosh. Die Undo-Taste bewirkt den Abbruch von Kopieraktionen. Das Kopieren geht auch mit nur einem Diskettenlaufwerk erheblich schneller, weil nämlich jetzt der gesamte Arbeitsspeicher dazu genutzt wird. Endlich! Sollte am Zielort eine gleichnamige Datei schon vorhanden sein, erscheint eine Auswahlbox mit „Kopieren/Überspringen/Abbruch“. Den Namen eines Ordners verändertmanim neuen TOS mit der Funktion „Zeige Info“.
Neugestaltet wurde die Objektauswahlbox. Nach dem Aufruf finden Sie nun 16 Buttons für unterschiedliche Laufwerke. Die Box „merkt“ sich, an welcher Stelle der Dateienliste sie bei der letzten Anwahl stand. Einlaufendes Programm kann eine Titelzeile an das Auswahlfenster schicken,so daß deutlich ist, welche Operation gerade abläuft.
Alle Schwierigkeiten, die sich aus zu vielen Dateien und Ordnern auf einer Festplatte ergeben (40 Ordner-Problem), sollen mit dem neuen TOS endgültig behoben sein. Dazu wurde die Begrenzung auf 100 Dateien pro Wurzelverzeichnis aufgehoben und die Malloc-Funktion verändert.
Beschleunigte Disketten-und Festplattenzugriffe garantiert nach der TOS-Beschreibung ein spezieller FAT-Lesemodus. Die FAT ("File Allocation Table") verwaltet das Inhaltsverzeichnis der Diskette, und die bisherige Zugriffsart gilt als recht langsam. Turbodos greift zum Beispiel ebenfalls in die FAT ein und erzielt damit ein höheres Schreib- und Lesetempo. Der interne Buffer für Sektoren wurde vergrößert und kann mit einem zusätzlichen Cache-Programm beliebig hochgesetzt werden.
Kleinere Verbesserungen gibt es bei einigen AES-Aufrufen. Dies ist für Programmierer relevant. Alle Anwender wird interessieren, daß das neue TOS den Autostart von GEM-Programmen gestattet und einen Software-Reset durch gleichzeitiges Drücken von CTRL/ALT/ DELETE erlaubt.
Neben dem schon erwähnten Cache-Programm gehört zum Lieferumfang des neuen TOS ein ebenfalls modifizierter Festplattentreiber, der Kapazitäten bis zu 60 MByte verwaltet.
Wie geht es nun weiter mit dem vorläufigen, neuen TOS? Atari-USA hat recht rigide Richtlinien zum Testen dieser Beta-Version erlassen. Jede Vertretung dürfe einige Exemplare unter strengen Bedingungen weitergeben. Adressaten sind wohl in erster Linie Journalisten und Firmen. Wer ein Testmuster erhält, muß sich schriftlich verpflichten, einen wöchentlichen Report (jeden Freitag!!) an Atari zu schicken und ansonsten Stillschweigen zu wahren. Das hört sich etwas kleinkariert und verschroben an; macht aber dennoch Sinn. Nichts wärd dem ST abträglicher, als wenn die Betaversion heilloses Chaos in Zeitschriften, Klubs und Mailboxen herbeiführen willde. Aber ich denke, daß möglichst viele ST-Anwender ihre Erfahrungen und Wünsche in das neue TOS einbringe sollten. Die Atari-Mailbox in Raunheim wäre etwa ein geeigneter Ort.
Nicht zuletzt scheint mir das eigentlich Wichtige am neuen TOS zu sein, daß Atari-Entwickler endlich aus ihre selbstgeschaffenen Elfenbeinturm her austreten und ein breiteres Publikum zum Mitwirken auffordern. Auf diese Art Weise kann es möglich sein, das Betriebssystem vorab in vielfältigen Konfigurationen zu testen, Fehler unwahrscheinlicher zu machen und damit etwas Ausgereiftes auf den Markt zu bringen. Das war gerade bei Atari nicht immer so. Aber seitdem Charles Babbitt die Oberaufsicht über die neue Tochter „Atari Computers“ erhalten hat, sind wohl Umstrukturierungen im Gange, die gegenüber der bisherigen Firmenpolitik nur als positiv bewertet werden können.
Noch einmal: wichtig ist jetzt, daß Fehler im TOS aufgezählt und Atari mitgeteilt werden. Wünschenswert wäre, daß Vorschläge, Ideen und Anregungen via Raunheim auf den Schreibtisch von Joe Ferrari gelangen. Es liegt jetzt an uns, den Atari ST ein gutes Stück besser zu machen.
Da freut sich der Programmierer. Neue und veränderte Funktionsaufrufe im TOS: