CAD mit Campus?

Abbildung 1

Eine CAD-Sensation für 798 DM oder nur ein komfortables Malprogramm? Wir testeten das CAD-Paket „Campus“ von Digital Workshop für den Atari ST.

Die junge Bochumer Softwareschmiede Digital Workshop bietet seit Anfang des Jahres ein preisgünstiges CAD-Programm an, das durch seinen hohen Anspruch (Handbuch: „...ausschließlich in Richtung Computer Ai-ded Konstruktion mit den Schwerpunkten Entwerfen und Konstruieren“) und seinen Tiefstapelpreis - die für den Test vorliegende Version 1.1 ist für nur 798 DM im Handel - neugierig macht.

CAD (= Computer Aided Design) hat sich mittlerweile zu einem Sammelbegriff entwickelt, der alle Aktionen beschreibt, bei denen mittel- oder unmittelbar im Rahmen von Entwick-lungs- und Konstruktionsaufgaben der Rechnereinsatz eingebunden ist. CAD darf sich also nicht nur auf das bloße Erstellen zweidimensionaler Zeichnungen beschränken. Ein CAD-Programm - hier also Campus - muß erheblich mehr leisten können als etwa die bekannten Malprogramme (DEGAS, STAD, Monostar etc.).

Billig oder preiswert?

PC-CAD-Software - unter MS-DOS auf IBM-kompatiblen PCs lauffähig — kostet im Schnitt um die 12 000 DM pro Paket. Bekannteste Vertreter sind AutoCad von Autodesk und, als deutsches Produkt, PC-Draft von rhv. Die Kosten für Campus sind demgegenüber geradezu unverschämt gering.

Fragen über Fragen: Ist Campus ein „richtiges“ CAD-Programm? Ist es im Vergleich mit anderen preiswert -oder nur billig? Und schließlich: Ist der Vergleich von Campus mit anderen CAD-Systemen angesichts des enormen Preisunterschieds überhaupt fair?

Lieferung und Leistung

Campus (übrigens in C geschrieben) wird auf zwei Disketten im praktischen DIN A5-formatigen Handbuch geliefert. Erstes Lob: Auf den für die Vorläuferversionen noch notwendigen Hardwareschutz (Stecker für den ROM-Port) wurde mittlerweile verzichtet.

Für den Betrieb von Campus ist folgende Hardwarekonfiguration Voraussetzung: ST mit mindestens 512 KB RAM, TOS im ROM, ein Floppy-Laufwerk, Monochrom-Monitor, Maus, Drucker und/oder Plotter als Ausgabegerät.

Die Aufrüstung des Arbeitsspeichers auf 1 MB ist natürlich ebenso empfehlenswert wie die Verwendung einer Festplatte. Wichtiger Hinweis im Handbuch: Digital Workshop bietet einen Up-date-Service an. Jeder Campus-Käufer wird - falls gewünscht - mit aktuellen Informationen versorgt und kann die jeweils neueste Programmversion unter Anrechnung des Kaufpreises (mindestens sind 30 DM zu zahlen) beziehen. Zur Zeit wird für die registrierten Campus-Kunden über eine Hot-line Telefonsupport gewährt. Um mit Campus arbeiten zu können, muß man selbstverständlich ausreichendes Know-how über den Umgang mit dem Atari ST besitzen.

Ans Eingemachte

Für den Test stand ein auf 1 MB aufgerüsteter Atari ST mit doppeltem Laufwerk zur Verfügung. Campus belegt ca. 300 KB im Arbeitsspeicher und ist innerhalb von 40 sec. geladen. Nach dem Start des Programms wird dem Benutzer eine Menüleiste präsentiert, die die Begriffe „Ende“, „Neu“ (neue Zeichnung erstellen) und „Laden“ (bereits erstellte Zeichnung laden) enthält.

Die Auswahl „Neu“ verlangt u. a. eine Festlegung der gewünschten Größe der Zeichenfläche (DIN A4 - DIN A0 stehen zur Verfügung, jeweils hochkant oder quer) sowie des Maßstabes, in dem die Zeichnung erstellt werden soll. Leider sind diese einmal gewählten Parameter für die gesamte Bearbeitung bindend; sie können im Verlauf der Konstruktion nicht mehr geändert werden.

Campus arbeitet mit der GEM-Oberfläche. Abb. 1 und und 2 zeigen u. a. die Aufteilung des Bildschirms. Alle Einstellungen und Befehle werden mit der Maus aktiviert. Die Tastatur dient lediglich zur Eingabe von Koordinaten.

In der obersten Bildschirmzeile sind die Drop-down-Menüs untergebracht (Parametereinstellung, Dateiverwaltung etc.); das linke Bildschirmviertel beherbergt den gesamten Befehlsvorrat des Systems in Symboldarstellung. Die obersten zwei Reihen dieses Bereichs stellen das Hauptmenü dar. Zur Auswahl stehen derzeit zur Verfügung (7 von 10 Feldern sind belegt):

Unter den zwei Hauptmenüzeilen sind drei Blöcke a 20 Felder zur Aufnahme der Symbole für die jeweils ausgewählten Befehlsgruppen vorgesehen. Im linken Bildschirmviertel lassen sich also außer den beiden Hauptmenüzeilen drei vollständige Befehlsgruppen gleichzeitig darstellen (vgl. Abb. 1: Zeichenfunktionen, Löschen und Andern, Blattfunktionen). Diese Benutzerführung ist zwar komfortabel, bedingt aber durch die Informationsfülle auf dem Bildschirm einen sehr kleinen Arbeitsbereich.

Nun geht’s ans Eingemachte, denn nun werden die einzelnen derzeit verfügbaren Befehlsgruppen unter die Lupe genommen.

Allgemeine Zeichenfunktionen

Campus erlaubt im wesentlichen das Zeichnen von einzelnen Strecken, Polygonen, Kreisen und Kreisbögen -natürlich in unterschiedlichen Strichstärken (sprich unterschiedlichen Stiften beim Plotten der Zeichnung) und in verschiedenen Linienarten. Wie bei jedem CAD-System müssen für die Start- bzw. Endpunkte von Linien absolute, relative oder polare Koordinaten eingegeben werden. Dies geschieht normalerweise entweder mit der Maus oder via Tastatur. Bei Campus dagegen ist auch eine gemischte Eingabe möglich: Beispielsweise wird das Zeichnen einer horizontalen Strecke durch die Eingabe y=0 für den Endpunkt der Strecke per Tastatur plus der Angabe einer Position mittels Maus bewirkt. Leider ist diese Möglichkeit der Eingabe auf Normalkoordinaten beschränkt. Wie leicht könnte man Hilfslinien mit beliebigem Winkel zeichnen, wenn die gemischte Eingabe auch bei Polarkoordinaten möglich wäre! Wichtige Konstruktionselemente wie einzelne Punkte, vor allem aber Ellipsen oder Splines (Stützpunktkurven) sind in der derzeitigen Version noch nicht verfügbar.

Hit-Codes

Um mit dem Fadenkreuz einzelne Punkt der Konstruktion exakt ansprechen zu können, besteht bei Campus die Möglichkeit, einen, Fangradius einzuschalten: Bei der Ermittlung eines Punktes, wird dann die nähere Umgebung des Fadenkreuzes nach bereits vorhandenen Punkte abgesucht; der nächstliegende Punkt wird automatisch als Konstruktionspunkt definiert.

Es gibt keine Möglichkeit, gezielt nur Mittelpunkte von Strecken oder Kreisbögen, Schnitt- oder Endpunkte von Strecken, Punkte auf Linien in definiertem Abstand zu Linienendpunkten etc., also sogenannte Hit-Codes, anzusprechen. Hit-Codes und deren sinnvolle Anwendung sind aber gerade beim Konstruieren die „Seele vom Geschäft“.

Darüberhinaus funktionierte während des Tests der Befehl Fangradius nicht einwandfrei. Ein echter Wermutstropfen!

Editier- und Löschfunktionen

Die Löschfunktionen sind ausreichend, allerdings nur bei korrekter Funktion des Objektfangs auch sinnvoll anzuwenden. Ein Abschnitt einer Strecke - z. B. zwischen zwei Schnittpunkten - läßt sich mit dem Befehl „Strecke zwischen zwei Punkten löschen“ eben nur dann exakt löschen, wenn die beiden Punkte auch exakt identifiziert werden. Zum Editieren einer Strecke steht ein Trimm-Befehl zur Verfügung. Er erlaubt das Verlängern oder Verkürzen einer Linie bis zu einer anderen Linie, bzw. das Verlängern oder Verkürzen zweier Linien auf den gemeinsamen Schnittpunkt.

Achtung: Trimmen bezieht sich leider nur auf Strecken, nicht auch auf Kreisbögen! Das Auftrennen von Linien (als logische Unterfunktion von Trimmen) ist nicht möglich.

Bildschirmfunktionen

Die zur Verfügung stehenden Funktionen sind insgesamt ausreichend. Der Benutzer kann sich Teilbereiche seiner Zeichnung vergrößern lassen, Fenster verschieben, das Bild neu aufbauen oder auf volles Format schalten. Wünschenswert wäre: ein Befehl, bei anderen CAD-Systemen als „Zoom alles" oder „automatisches Zoomen“ bekannt, der den Zeichnungsinhalt „in maximal darstellbarer Größe abbildet. Ein Pluspunkt für Campus in dieser Befehlsgruppe ist allerdings die Möglichkeit, den Koordinatenurspruug frei auf der Zeichenfläche setzen zu können.

Abbildung 2

Transformationen

Da alle konstruierten Konturen im Rechner durch die Koordinaten ihrer Eckpunkte festgelegt sind, lassen sich diese Konturen über Koordinatentransformationen kinderleicht spiegeln, drehen, verschieben und kopieren. Campus stellt dafür etliche, im Handling einfache Befehle zur Verfügung.

Anlaß zur Kritik besteht bei folgenden Punkten:

Die Auswahl der zu transformierenden Zeichnungsinhalte erfolgt immer mittels eines Fensters, einzelne Zeichnungselemente können nicht separat angesprochen werden.

Beim Kopieren eines Bereiches kann jeweils nur eine Kopie angefertigt werden.

Schraffur

Das System stellt verschiedene Schraffurmuster zur Auswahl. Da nur hundertprozentig geschlossene Konturen schraffiert werden können, ist es vor dem eigentlichen Schraffieren meist erforderlich, die Kontur zu überarbeiten, d. h. sie auf Geschlossenheit zu überprüfen. Hierfür stellt das Programm automatisch eine Schraffurebene zur Verfügung, in der dann nach Herzenslust gelöscht, getrimmt und eventuell zusätzlich gezeichnet werden kann. Diese „Überarbeitungen“ werden nicht Bestandteil der Zeichnung, sondern dienen einzig der Schraffur. Eine pfiffige Lösung, die allerdings ein einwandfreies Funktionieren des Fangradius voraussetzt.

Text

Hier kann Campus mehrere Pluspunkte verbuchen. Neben verschiedenen Möglichkeiten, Texte in der Zeichnung zu plazieren (einzeilig, mehrzeilig, unter bereits vorhandene Texte, linksbündig, rechtsbündig und zentriert), besitzt das System einen Zeileneditor: Bereits plazierte Texte können damit zeilenweise geändert werden.

Bemaßung

Entsprechend der im Drop-down-Menü gewählten Einheit (vgl. Abb. 1) ist eine halbautomatische Bemaßung möglich. Bemaßt wird eine Strecke bzw. der Abstand zwischen zwei Punkten, d. h. eine Kettenbemaßung muß vom Benutzer aus einzelnen 2-Punkte-Maßlinien zusammengesetzt werden. Die Verwendung des Befehls „Raster“ ist hier sehr hilfreich. Natürlich können auch Winkel und Kreisbögen halbautomatisch vermaßt werden. Ab einer bestimmten Abbildungsgröße auf dem Schirm werden die Maßzahlen als zwei Spitze an Spitze liegende Dreiecke dargestellt, um den Benutzer auf eine notwendige Ausschnittsvergrößerung hinzuweisen. Ein wirklich augenschonendes Feature!

Symbol oder auch Makrotechnik

Häufig verwendete Zeichnungsteile wie Schrauben, Schweißzeichen oder Elektrosymbole lassen sich in „Bibliotheken“ ablegen und bei Bedarf quasi auf Knopfdruck in die aktuelle Zeichnung einbinden. Diese Befehlsgruppe hinterläßt einen insgeamt guten Eindruck, allerdings mit einer Ausnahme: Um ein Symbol — bei anderen Software-Herstellern auch „Makro“ genannt - zu definieren, muß es mittels eines Fensters auf der Zeichnung ausgewählt werden. Differenziertere Auswahlmöglichkeiten wären wünschenswert (vgl. Transformationen).

Strukturierter Zeichnungsaufbau

Campus erlaubt, den Zeichnungsinhalt auf bis zu 9999 Ebenen zu verteilen. Es ist zum Beispiel sinnvoll, die Konturen eines Werkstücks auf einer anderen Ebene abzulegen als die Bemaßung. Durch Ausschalten der Bemaßungsebene etc. hat man dann die Möglichkeit, die gleiche Zeichnung beispielsweise als Brennteilzeichnung zu benutzen. Eine CAD-Zeichnung besteht also sinnvollerweise immer aus mehreren übereinandergelegten „Klarsichtfolien“, von denen je nach Bedarf einzelne an- bzw. ausgeschaltet oder sichtbar/unsichtbar geschaltet werden können. Die Verwaltung von Ebenen ist derzeit die einzige Möglichkeit in Campus, eine Zeichnung zu strukturieren.

Vermißt wird die Möglichkeit, Zeichnungselemente zu sogenannten Gruppen oder „Clumps“ zusammenfassen zu können.

Thema Geschwindigkeit

Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Test-Atari ST nicht mit einem arithmetischen Coprozessor (für Fließkommaoperationen) ausgestattet war und auch nicht über sonstiges Hardware-Tuning verfügte, erzielte er respektable Zeiten für den Bildaufbau von komplexen Zeichnungen. Respektabel heißt in diesem Zusammenhang ca. 3 Minuten für eine Zeichnung mit 180 KByte Speicherbedarf. CAD auf PCs stößt hier eben hardwarebedingt auf Grenzen.

Unter dem Strich

Campus ist mit Sicherheit erheblich mehr als nur ein komfortables „Malprogramm“; es steht gewissermaßen fest auf der CAD-Schiene, hat aber noch beträchtliche Entwicklungsstrecken zurückzulegen. Verbesserungen der angesprochenen Mängel sind zumindest wünschenswert, teilweise notwendig.

Noch fehlt eine integrierte Programmiersprache, um z. B. Parameter über kurze Kommandos (oder Anklicken von Symbolen? Es sind ja noch viele Felder unbelegt!) einstellen zu können oder um eigene Variantenprogramme zu erstellen. Um CAD-Programme beispielsweise in Fertigungsprozesse einbinden zu können, sind Programmschnittstellen zur Übergabe von Geometriedaten unerläßlich. Treiber für Digitizer, um vorhandene Papierzeichnungen zu digitalisieren, sind für professionelle Systeme ebenso erforderlich wie die Möglichkeit, größere Graphikschirme betreiben zu können.

Digital Workshop hat sich völlig der CAD-Hard- und Software-Entwicklung verschrieben und es bleibt abzuwarten, mit welchem Tempo der Campus-Zug weiterfährt. Die neue Version 1.2 ist jedenfalls schon angekündigt (Auslieferungstermin ab Mitte Mai).

Für welchen Kundenkreis ist Campus zu empfehlen?

Für den professionellen Einsatz (Konstruktion etc.) hat das System derzeit noch zu viele Ecken und Kanten. Selbst der konkurrenzlos günstige Preis für Hard- und Software wird für einen klein- oder mittelständischen Betrieb nicht kostenentscheidend sein. Die Investitionen für einen vergleichbaren CAD-Arbeitsplatz (Industriestandard) belaufen sich auf etwa 20 000 DM (ohne Plotter). Bei einem Abschreibungszeitraum von fünf Jahren bedeutet das - großzügig über den Daumen gepeilt - Kosten in Höhe von ca. 350 DM/Monat für Arbeitsmittel. Demgegenüber stehen Lohn-bzw. Gehaltskosten von ca. 8000 DM pro Monat (inkl. Arbeitgeberanteil). Aus diesen Zahlen läßt sich leicht ersehen, daß hier keine potentiellen Kunden für Campus zu suchen sind.

Wo sonst!

CAD ist eine zukunftsorientierte, expansive Technologie. CAD-Ausbildungszentren mit Kursgebühren für Einsteiger in Höhe von mehreren tausend Mark sind eventuell ein potentielles Einsatzfeld für Campus. Als Einsteigersystem für Schulungszwecke ist Campus vorbehaltlos zu empfehlen: Schließlich kosten Programm und Atari ST zusammen weniger als die meisten CAD-Grundkurse. Außerdem hat jeder Campus-Kunde die Aussicht auf eine dynamische Programmweiterentwicklung, über die natürlich in dieser Zeitschrift zu gegebener Zeit zu berichten ist.

Fehlerfreie, perfekte Programme sind leider auch im CAD-Bereich nicht erhältlich. Nicht für 15 000, nicht für 5 000 und schon gar nicht für 800 DM.

Bezugsadresse:

Digital Workshop Kornharpener Str. 122 a 4630 Bochum 1


Ulrich Oehler
Aus: ST-Computer 06 / 1987, Seite 98

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