ST Aided Design - Mehr als nur ein Zeichenprogramm!

Wer die Public Domain Diskette Nr. 5 der ST-Computer-Redaktion kennt, dem ist sicher ein kleines Demonstrationsprogramm namens ST Grafic aufgefallen. Es zeigt, was man zeichnerisch alles mit einem ATARI ST und der richtigen Software anfangen kann. Das Programm, mit dem diese kleine Demo erstellt wurde, lag uns nun in der Version 1.0 zum Test vor.

STAD ist ein monochromes 2D-Zeichenprogramm, dessen Vielfalt an Funktionen kaum einen Wunsch offen läßt. Zu diesem Teil gehört übrigens auch noch ein eigener Zeichensatz-Editor. Aber STAD ist auch ein 3D-Konstruktionsprogramm, mit dem sich Rotationskörper und Drahtgittermodelle erstellen und in Echtzeit im Raum drehen lassen. Der Clou dabei ist, daß sich Zeichnungen oder 3D-Körper problemlos zwischen den beiden Bereichen austauschen lassen. Man kann also mit dem 2D-Teil ein Objekt zeichnen, es dann im 3D-Teil perspektivisch verfremden und anschließend wieder zurück in den 2D-Teil übernehmen.

Das Programm wurde fast vollständig - bis auf einen kleinen Teil, der in C geschrieben ist - in Assembler erstellt. Das macht sich vor allem in der Geschwindigkeit der einzelnen Routinen bemerkbar, die der Programmautor Peter Melzer selbst geschrieben und optimiert hat. Alle Vorgänge laufen in Echtzeit ab, so daß man keine längeren Kaffeepausen einlegen muß, um die Umrechnungen abzuwarten, wie es bei so manchen auf dem Markt befindlichen Programmen üblich ist. Die einzelnen Programmteile werden nun ausführlich besprochen. Doch manchmal sagen Bilder mehr als Worte.

Zeichnen mit dem zweidimensionalen Teil

Neben den fast schon standardisierten Funktionen eines Zeichenprogramms bietet STAD noch eine Menge zusätzlicher Möglichkeiten. Wenn man sich Bild 1 ansieht, wird man zuerst denken, daß man ein ganz normales Zeichenprogramm vor sich hat. Doch fast jede durch ein Symbol beschriebene Funktion bietet weitere Möglichkeiten, die sich auf den ersten Blick nur vermuten lassen. Alle Funktionen wurden bis zur Perfektion getrieben. So kann man natürlich alle Linien-und Füllmuster, die Sprühdose, den Cursor, die Zeichensätze, die Stiftformen und sogar den Radiergummi luxuriös editieren.

Jede einzelne Funktion ist mit Liebe zum Detail programmiert. So erhält man nach Aufruf der Lupe auch wirklich eine Lupe, die den optischen Gesetzen entspricht (Bild 2) und mit der man den gewünschten Zeichnungsteil vergrößern und bearbeiten kann (Bild 3). Schön ist auch die Funktion "Kurven", mit der man - wie sollte es auch anders sein - Kurven zeichnen kann. Nach Aktivierung der Funktion erhält man eine Gerade, die nun an beliebiger Stelle zur Kurve geformt werden kann. Und das in Echtzeit! Mit der "Lasso"-Funktion lassen sich beliebige Segmente durch Umfahren der Konturen aus einer Zeichnung herausschneiden und anschließend weiterverarbeiten.

Fünf verschiedene Zeichensätze gleichzeitig

Durch das Feld Textparameter gelangt man in das Auswahlmenü, das auf Bild 4 zu sehen ist. Dort stehen alle von GEM gewohnten Möglichkeiten zur Veränderung der Schriftarten zur freien Verfügung. Sie werden zum direkten Vergleich in einer Zeile im oberen Teil des Menüs angezeigt. Zudem lassen sich die Texte 90°-weise drehen. Durch Anklicken von Load kann man andere Zeichensätze nachladen und bis zu fünf verschiedene resident im Speicher halten. Klickt man Edit an, wird der Zeichensatzeditor nachgeladen (Bild 5), indem man zwei Zeichensätze gleichzeitig bearbeiten kann. Auf einfache Art und Weise kann man dort Zeichen entwerfen und zur späteren Verwendung abspeichern. Eine Auswahl von Zeichensätzen wird natürlich mitgeliefert.

Mehrere Graphikseiten

STAD verfügt über maximal 15 Graphikseiten, von denen eine als Graphikpuffer dient. Die Anzahl hängt vom freien Speicherplatz ab. Das Programm prüft automatisch, wieviele Graphikseiten in den Speicher passen, und läßt dann nur diese Anzahl als Maximum zu. Beim Laden von STAD kann indes die Anzahl der Graphikseiten auch selbst bestimmt werden. Zwischen den einzelnen Seiten können mit Hilfe des Puffers oder mit einer logischen ODER-Verknüpfung beliebige Bildschirminhalte ausgetauscht werden, so daß man nie sein mühsam erstelltes Originalbild durch unbedachte Aktionen zerstören kann. Für Notfälle bleibt freilich immer noch die UNDO-Taste, mit der sich die jeweils letzte Aktion wieder rückgängig machen läßt. STAD sieht, wie oben bereits angedeutet, vor, daß sich verschiedene Graphikseiten logisch miteinander verknüpfen lassen. Zur Verfügung stehen dabei ODER-, UND-, Exklusiv ODER-Verknüpfungen und Negation.

Die beiden Pufferfunktionen von STAD bieten ebenfalls eine Vielzahl von Bearbeitungsmöglichkeiten. Es können zuvor definierte Bildausschnitte oder auch die ganze Graphikseite in den Puffer übernommen werden und anschließend u. a. verschoben, kopiert oder in der Struktur verändert werden. Bild 6 zeigt das einblendbare Helpmenü mit allen Pufferoperationen.

Floppy, Scanner, Drucker...

Auch beim Zugriff auf die Peripherie wurden bei STAD alle Register gezogen. Laden lassen sich fast alle Bildformate der bekannten Zeichenprogramme (bis 64 KByte). Darunter fallen DEGAS (Elite), Neochrome, Mono- bzw. Colorstar, Profipainter und Doodle.

Wie kann ein monochromes Programm Farbbilder laden? Die Antwort ist ganz einfach. STAD wandelt Farbbilder ohne großen Zeitverlust sofort beim Laden in qualitativ gute, monochrome Bilder um. Gegebenenfalls sollte man die Graphikseite noch invertieren, falls das Bild zu hell wird. Beim Speichern stehen ebenfalls verschiedene Modi zur Verfügung. So lassen sich Graphikseiten gepackt, also platzsparend, im Doodle- oder DEGAS-Format, oder auch als Sequenz, d. h. mehrere Seiten auf einmal, abspeichern. Man kann die Graphikdaten außerdem auch als Assemblerdaten im Wortformat (dc.w) auf Diskette ablegen und somit in eigenen Programmen weiterverwenden.

STAD besitzt eine SHELL-Funktion, so daß man von STAD aus andere Programme laden und starten kann. Nach Beendigung dieser Programme kehrt man automatisch in STAD zurück und arbeitet wie gewohnt weiter.

Doch nicht nur von Diskette lassen sich Bilder in STAD holen. Es besteht auch die Möglichkeit, die Bilderdaten über die RS232-Schnittstelle zwischen dem ATARI ST und anderen Rechnern auszutauschen. Weiterhin wird im STAD-Handbuch eine Bauanleitung zu einem Scanner mitgeliefert, mit dessen Hilfe eine Bildervorlage eingelesen werden kann. Das Fotoelement des Scanners muß dazu auf dem Druckkopf eines Druckers befestigt werden. Die Bildqualität des Scanners können Sie auf Bild 7 beurteilen. Nun zum Druckerteil. In der Defaulteinstellung ist STAD für EPSON-kompatible Drucker vorgesehen. Es wurde uns aber versichert, daß zur Zeit auch ein 24-Nadel-Druckertreiber erstellt wird. Im Drucker-Menüteil ist ein leichtes Anpassen auf eventuell verschiedene Druckercodes möglich, so daß es mit dem Ausdruck im Grunde keine Probleme geben sollte. STAD bietet mehrere Druckformate an. So lassen sich z. B. bis zu vier Bildschirme auf ein Blatt Papier ausdrucken. Aber auch ein DIN A4-Format pro Graphikseite stellt keine große Schwierigkeit dar.

Optionen des 2D-Teils

Das Optionenmenü bildet die Ergänzung zu den bisher vorgestellten Möglichkeiten von STAD (siehe Bild 8). Hier lassen sich wichtige Voreinstellungen für die übrigen Funktionen auswählen. Man kann z. B. bis zu vier Graphikseiten auf einer Graphikseite verkleinert darstellen, um so die Übergänge zwischen den Seiten zu kontrollieren. STAD bietet außerdem eine Snap-Funktion und die Möglichkeit, selbstdefinierte Raster einzublenden, wodurch man punktgenau arbeiten kann. Ferner kann man das Symmetriezentrum neu bestimmen und Objekte um Achsen spiegeln. Mit den Tinies-Funktionen läßt sich z. B. erreichen, daß man Linien zeichnen kann, an deren Enden Pfeile erscheinen. Dies ist vor allem zum Bemaßen von Zeichnungen geeignet.

Ein besonderer Leckerbissen ist die Animation in STAD. Man kann die einzelnen Animationssequenzen auf den verschiedenen Graphikseiten (max. also 15) positionieren und anschließend mit variabler Geschwindigkeit ablaufen lassen. Damit lassen sich sehr schöne Minifilme mit gleitenden Bewegungsabläufen erstellen.

Schön ist auch, daß man die Hintergründe des 2D-Teils mit in den 3D-Teil übernehmen kann. Dabei kann z. B. als Hintergrund eine Wiese genauso wie ein Raster zum genaueren Zeichnen dienen. Der Hintergrund kann im 3D-Teil natürlich auch nachträglich gelöscht werden.

Objekte im dreidimensionalen Raum

Der 3D-Teil verfügt im Gegensatz zum 2D-Teil über Menüleisten. Man kann also Accessories verwenden (z. B. Snapshot, um die erstellten Bilder bzw. Objekte in 1st_Word plus zu bringen). Ebenfalls kann man aus dem 3D-Teil heraus Disketten formatieren, so daß man ruhig auch mal einen komplizierten Objektblock erstellen kann, ohne sich zuvor um ausreichenden Speicherplatz auf der Diskette zu kümmern.

Im dreidimensionalen Teil von STAD kann man, wie bereits oben erwähnt, relativ einfach Rotationskörper und Drahtgittermodelle erstellen. Es können mehrere 3D-Objekte (bis zu 100) zu einem Objektblock zusammengesetzt werden, wobei jedes Objekt verschiedene Basiswerte, wie z. B. seine Lage im Raum oder den Standpunkt des Beobachters hat. Ein Objekt kann einzeln abgespeichert und später "hin-zugemerget" werden. So kann man sich eine regelrechte Objektbibliothek anlegen. Auf Wunsch wird eine komplette Liste mit den Basiswerten der verwendeten Objekte ausgegeben.

Die erstellten Objektblöcke lassen sich um alle Achsen im Raum drehen, stufenlos vergrößern, verkleinern und anschließend in der gewünschten Stellung fixieren und übernehmen. Auch hier ist die Geschwindigkeit, mit der die Objekte bewegt werden, erstaunlich. Alle Koordinaten (X, Y und Z) kann man vertauschen und so verschiedene Ansichten des Objektblocks erhalten. STAD bietet drei Projektionsarten zur Darstellung, nämlich die Zentral-, Parallel- und Normalprojektion. Zur besseren Orientierung läßt sich ein Achsenkreuz einblenden.

Ferner kann ein Hidden-Line-Modus hinzugeschaltet werden, damit verdeckte Kanten gelöscht werden. Hier ist auch die einzige Kritik anzusetzen: Der verwendete Algorithmus arbeitet nur bei konvexen Körpern zuverlässig und löscht bei anderen Körpern nicht immer alle Kanten. Eine Rückfrage beim Autor ergab jedoch, daß der 3D-Teil in Zukunft noch weitere wichtige Verbesserungen erhalten wird und der Käufer dann über einen Update-Service die neue Version erhalten kann. So kommt z. B. noch ein Schattierungsmodus hinzu, mit dem man den Lichteinfall aus verschiedenen Richtungen simulieren kann.

Fazit

Mit STAD erhält sowohl der Zeichenkünstler als auch der Student, der Konstruktionszeichnungen erstellen will, ein sehr leistungsfähiges Programm, das wohl unter den monochromen Programmen dieser Kategorie seinesgleichen sucht. Es sei betont, daß es sich bei STAD nicht um ein CAD-Programm handelt, obwohl es schon nahe an diesen Breich herankommt. STAD ist über die Heidelberger Softwarefirma Application Systems zu beziehen und kostet 179 DM.

PS: Wir haben STAD auch zusammen mit einem Graphiktablett der Königsteiner Firma KFC getestet und mußten feststellen, daß sich hiermit sehr genau arbeiten läßt, da STAD eigene Maus-Routinen benutzt (im Gegensatz zu anderen Zeichenprogrammen) und eine zusätzliche Option für Graphiktabletts verfügt. Allerdings sind diese Tabletts nicht ganz billig in der Anschaffung: Das von uns verwendete kostet 2198 DM.


HE
Aus: ST-Computer 02 / 1987, Seite 76

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