PASCALplus von CCD im Test

Bevor ich mich über die Vor- und Nachteile des getesteten Systems auslasse, möchte ich den Newcomern einen Überblick verschaffen. ST-Freaks der ersten Stunde und alle, die GEMDOS-PASCAL schon kennen, können diesen Absatz getrost überspringen.

Der erste PASCAL-Compiler für den ST war GEMDOS-PASCAL von CCD. In Ermangelung eines Konkurrenzproduktes hatte der Käufer keine Alternative zu diesem PASCAL-Entwicklungspaket. Die anfänglichen Mängel dieses Systems wurden nach und nach beseitigt; und das letzte Manko, das blieb, war die Benutzerfreundlichkeit. Compilier- und Linkvorgänge mußten über den Batchprozessor abgewickelt werden und kosteten Zeit und Nerven. Die Benutzeroberfläche EASYPAS linderte die größte Not, indem sie dem Benutzer das dauernde Eintippen des Dateinamens ersparte (siehe Ausgabe 4/86). Der zweite Punkt, mit dem der User gestraft wurde, war der Kopierschutz. Bei jedem Compilerlauf wurde der Kopierschutz abgefragt. Dies brachte einen erheblichen Zeitverlust mit sich und wirkte sich somit negativ auf die Compilierzeit aus. Außerdem war man gezwungen, mit der Originaldiskette zu arbeiten, und konnte keine Sicherheitskopien erstellen. Aufgrund dieser Mängel wartete so mancher auf das angekündigte TURBO-PASCAL. Bis dato vergebens. Die Entwickler von CCD erkannten ihre Fehler und kamen den Kundenwünschen nach mehr Benutzerkomfort entgegen. Das Ergebnis heißt PASCAL plus und kann sich in jeder Beziehung sehen lassen.

Beim Auspacken des Pakets, das in etwa die Größe einer Videokassette hat, fiel mir zuerst das Handbuch auf. Mit einem Umfang von ca. 360 Seiten hat es diesen Namen wirklich verdient. Im Verlauf dieses Tests (und auch bei der weiteren Arbeit mit dem System) stellte sich heraus, daß in diesem Fall Quantität auch gleichbedeutend mit Qualität ist. Das Handbuch geht weit über eine Beschreibung der Komponenten des PASCAL-Systems hinaus. Es enthält alle nötigen Informationen zur Programmierung von GEMDOS-, BIOS- und XBIOS-Funktionen sowie der eingebauten GEM-Funktionen. Als besonderer Leckerbissen wird noch ein Beispiel für ein Accessory mit ausführlichen Kommentaren mitgeliefert. Ansonsten enthält es natürlich eine Beschreibung der implementierten Line-A-Routinen und der PASCAL-Befehle. Fast hätte ich's vergessen, das Handbuch ist in deutscher Sprache geschrieben!

Der erste Kontakt belehrt mich zum wiederholten Mal, daß man als erstes einen Blick in das Handbuch werfen sollte, und zwar auf die ersten Seiten. Da steht in der Regel, was man tun muß, bevor es losgehen kann. In diesem Fall muß man zuerst ein Installationsprogramm starten, mit dem man seine persönliche PASCAL-Diskette installiert. Danach kann man alle Dateien von der Originaldiskette kopieren und mit den Backups arbeiten. Als erstes versuchte ich, die neueste Version von EASYPAS zu übersetzen und stellte erfreut fest, daß die Disk nicht angesprochen wurde. Der Compilerlauf sowie das Linken liefen komplett in der RAM-Disk ab und benötigten ca. 3 Sekunden weniger Zeit als bei GEMDOS-PASCAL, weil der Zugriff auf die (langsame) Diskette zum Prüfen des Schutzes entfällt. Das fertige Programm läuft wie gewohnt und ist lediglich ein paar Bytes kürzer als dem alten Compiler. An dieser Stell sollte auch erwähnt werden, daß alle Programme, die mit GEMDOS-PAS.'5. CAL erstellt wurden, auch mit PASCAL plus lauffähig sind. Das ist besonders für diejenigen wichtig, die PASCAL plus gegen GEMDOS-PASCAL ausgetauscht haben. Der Hersteller bietet nämlich folgenden Service an: ; jeder der GEMDOS-PASCAL kauft oder gekauft hat, kann es gegen eine Gebühr von ca. 100 DM gegen PASCAL plus eintauschen. Dies gilt auch für die Zukunft. Man kann also ohne ' Verlust mit dem billigeren Compiler einsteigen und dann die neuere Version erwerben.

Nun zu den Systemkomponenten. Zuerst der PASCAL-Manager. Er stellt die Verbindung zwischen Benutzer und System her. Nachdem man PASCAL.PRG gestartet hat, erscheint eine Menüleiste, über die der Benutzer die gewünschte Aktivität wählen kann. Es stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung: ST-PASCAL plus

OPTIONEN

Es empfiehlt sich, zuerst die Optionen einzustellen, um Compiler und Linker mitzuteilen, um welche Art von Programm (GEM oder TOS) es sich handelt. Da man an einem Programm in der Regel längere Zeit arbeitet, sollte man die Optionen abspeichern. Das PASCAL-Manager legt dann auf der Diskette eine Datei 'PASCAL.INF' ab, die alle Parameter enthält. Beim nächsten Programmstart werden diese Daten automatisch als Optionen eingesetzt. Unter dem Menütitel ST-PASCAL plus können dann die einzelnen Programmteile aufgerufen werden. Die Kommunikation erfolgt fast ausschließlich über Dialogboxen, also über GEM. Die einzige Ausnahme bildet der Editor.

Der Editor sieht auf den ersten Blick aus wie der von GEMDOS-PASCAL, unterscheidet sich aber von diesem in einigen Punkten. Beides sind FullScreen Editoren mit den Standardfunktionen suchen, suchen und ersetzen, einfügen, löschen und so weiter. Der neue Editor verfügt zusätzlich noch über eine Belegung der Softkeys sowie einer HELP-Funktion, die angibt, wie die Editorfunktionen aktiviert werden.

Das Beste dabei ist die F9-Taste. Damit wird die bearbeitete Datei abgespeichert und anschließend direkt der Compiler aufgerufen. Die eingestellten Optionen werden dabei berücksichtigt. Hat man die Compileroptionen so eingestellt, daß nach dem Übersetzen sofort der Linker aufgerufen wird, kann man vom Editor aus mit einem Tastendruck ein ablauffähiges Programm erzeugen. Danach befindet man sich wieder im PASCAL-Manager und kann das eben erstellte Programm sofort starten und testen.

Die deutschen Umlaute können über die Alternate-Taste eingegeben werden, ansonsten stehen die eckigen und geschweiften Klammern zur Verfügung. Die Aufteilung erscheint sinnvoll, weil in PASCAL häufiger die Klammern gebraucht werden als die Umlaute.

Der Compiler wurde neu überarbeitet und läßt in der vorliegenden Version einen sehr komfortablen Dialog mit dem Anwender zu. Wenn er einen Fehler im Quellcode findet, wird die fehlerhafte Zeile angezeigt und die Fehlermeldung in deutsch ausgegeben. Man kann dann zwischen drei Möglichkeiten wählen:

Wenn ein Fehler aufgetreten ist, wird eine Fehlerdatei angelegt, die es dem Anwender ermöglicht, eine Fehlerliste auszudrucken und dann alle Fehler in einem Aufwasch zu korrigieren.

Der Compiler entspricht dem ISO Standard und enthält außerdem eine Reihe sinnvoller Erweiterungen wie Strings, Grafikbefehle, modulare Compilierung, Einbinden von externen Funktionen oder Prozeduren und Verwendung von Includefiles, um nur die wichtigsten zu nennen.

Der Linker ist eine Weiterentwicklung des alten Linkers FASTLINK und kommuniziert, ebenso wie der Compiler, über Dialogboxen mit dem Benutzer.

Will man Programmteile, die in anderen Sprachen geschrieben sind, mit PASCAL zusammenlinken, so kann man die Namen der entsprechenden Objektmodule bei der Einstellung der Linkeroptionen mit angeben. Auf diese Art sind auch GEM-Programme zu linken, die noch mit GEMDOS-PASCAL erstellt wurden. Man muß nur die Bibliotheken VDIBIND und AESBIND sowie PASGRA als zusätzliche Objektdateien angeben. Sinnvollerweise werden die Parameter genauso übergeben wie in C. Somit ist es möglich, Funktionen, die in C geschrieben sind, ohne Änderungen zu übernehmen.

Die Bibliotheken, die CCD mitliefert, enthalten nicht mehr die GEM-Aufrufe, wie sie im GEM-Buch und dem Entwicklungspaket von Digital Research beschrieben werden, sondern Eigenkompositionen von CCD. Diese haben den Vorteil, daß man auf das Resource Construction Set zum Erstellen von Menüleisten, Dialogboxen usw. verzichten kann. Dadurch wird die Programmierung von Programmen die GEM benutzen zwar erleichtert, die Portabilität dieser Programme jedoch stark eingeschränkt. Wer also Software möglichst so entwickeln will, daß die Möglichkeit besteht, sie auch auf anderen Rechnern zu installieren, der sollte bei den GEM-Aufrufen bleiben, die in den Unterlagen von DR beschrieben sind.

Die Accessories waren für GEMDOSPASCAL eine gewaltige Hürde. Nur mit Tricks war es möglich, eine Accessory zu programmieren. Vermutlich waren 95 % der User nicht dazu in der Lage.

Auch diese Lücke schließt PASCAL plus. Auf der Diskette findet sich ein Programm namens 'MAKEACC.PRG' mit dessen Hilfe man ein Objektmodul 'PASACC.0' erzeugen kann. Linkt man dieses vor das eigentliche Programm, so entsteht ein Accessory. Ein Beispiel dafür wird mitgeliefert und auch im Handbuch besprochen. Anhand des Beispiels ist es auch für Anfänger relativ einfach, sich in die Programmierung von Accessories einzuarbeiten, weil die komplette Windowsteuerung bereits realisiert ist und direkt übernommen werden kann.

Als Hilfe zur Einarbeitung in die Programmierung des ATARI ST werden zahlreiche Demos als Quellcode mitgeliefert, die das Verständnis erheblich erleichtern und meistens so gestaltet sind, daß sie auch in selbstentwickelten Programmen Verwendung finden. Das Handbuch stellt eine weitere Unterstützung dar, wie man sie sonst bei Systemen wie dem hier beschriebenen erst suchen muß.

Der Service von CCD ist vorbildlich. Nicht nur der Upgrade-Service bei Verbesserung des Produkts, sondern auch die Möglichkeit, sich mit Fragen zu programmtechnischen Problemen an die Firma wenden zu können. Eine besondere Leistung stellt hierbei eine Hotline dar, unter der man seine Fragen direkt an einen Programmierer von CCD stellen kann. Selbstverständlich können nur Kunden diesen Service nutzen.

Die Lizenzbestimmungen werden im Handbuch auf einer der ersten Seiten erläutert. Programme, die mit PASCAL plus entwickelt wurden, können ohne Lizenzgebühren vermarktet werden. CCD macht lediglich zur Auflage, daß im Programmtitel sowie in der Dokumentation ein Hinweis auf das Entwicklungspaket und den Hersteller enthalten sein muß.

Der Gesamteindruck, den das System hinterläßt, ist guten Gewissens als positiv zu bezeichnen. Für einen Preis von 248 DM wird erstaunlich viel geboten. Die gefürchteten Bomben, mit denen manche Programme den Anwender erheitern, blieben bei diesem Paket aus. Es erwies sich als ein zuverlässiges Werkzeug, mit dem es durchaus möglich ist, professionell Software zu erstellen. Die Annahme, daß mit diesem Paket ein Standard geschaffen wurde, der mit TURBOPASCAL in der MS-DOS Welt vergleichbar ist, scheint berechtigt. Trotzdem wird dies (wenn auch der erste) nicht der letzte PASCAL-Compiler für den ST sein. Die britische Firma Prospero hat inzwischen das auf der CeBIT angekündigte PROPASCAL fertiggestellt, und der Redaktion liegt eine Version zum Test vor. Mehr darüber in der nächsten Ausgabe. (JL)



Aus: ST-Computer 09 / 1986, Seite 50

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