PC Paintbrush IV

Jede Menge Spezialeffekte verspricht die neue Version 4.0 des Malprogramm-Klassikers PC Paintbrush. Kann sich das Programm dadurch von der Konkurrenz absetzen?

Bekannt wie ein bunter Hund: Das Malprogramm "PC Paintbrush" gehört zu den Pionieren in Sachen Grafik auf dem PC. Mit seinen Anfang der 80er Jahre noch sensationellen Funktionen konnte es sich zum ersten Standard-Grafikprogramm der MS-DOS-Welt entwickeln. Experimente mit Versionen, die auch unter der grafischen Benutzeroberfläche Microsoft Windows arbeiten sollten, und der Versuch einer Neuauflage mit dem kaum veränderten "Paintbrush Plus" sollten die kräftig nachdrängende Konkurrenz — DPaint etwa — in ihre Schranken weisen, konnten sich aber nicht als neuer Standard etablieren. Jetzt hat sich der Hersteller ZSoft zu einem kompletten Face-Lifting durchgerungen: Die Benutzeroberfläche hat sich verändert, die Funktionen sind vielfältiger und mit zusätzlichen Effekten versehen. Und wer mit einer VGA-Karte arbeitet, kann jetzt sogar 256 Farben gleichzeitig einsetzen, statt wie bisher nur 16 von 256 Farben.

Schon bei der Installation des Programms zeigen sich deutliche Unterschiede: Fünf Disketten enthalten die für PC Paintbrush notwendigen Dateien, bisher waren es nur drei. Für das Kopieren der Dateien und Treiber sorgt ein komfortables Installationsprogramm. Wer sich danach die Dateien anzeigen läßt, erlebt allerdings eine unangenehme Überraschung: fette 357 KByte groß ist Paintbrush. Dabei sollte man aber noch nicht verzagen, rät doch das Handbuch zum Einrichten einer RAM-Disk; falls Erweiterungsspeicher vorhanden ist, kann man auf diese Weise Programmteile auslagern und so Platz gewinnen. Für den Start von Paintbrush ist nach wie vor das Programm "paint.bat" da. Setzt man es in Gang, sorgt es allerdings für eine weitere Überraschung: "frieze", das altbekannte Zusatzprogramm für die Drucker- und Bildschirmsteuerung von Paintbrush, blockiert weiterhin 37 KByte Speicher als residentes, also ständig im Speicher stehendes Programm. Um mit Paintbrush vernünftig arbeiten zu können, muß der Speicher absolut frei sein, es sollte keine zusätzlichen Treiber geben, und auch auf die empfohlene RAM-Disk sollte man verzichten, da auch deren Treiber heißbegehrten Speicherplatz frißt. Alternativ bietet sich da ein Unterverzeichnis namens "tmp" auf der Festplatte an, das die Aufgaben der RAM-Disk übernimmt, allerdings muß man sich dann auf einen Kompromiß zwischen Speicherplatz und Geschwindigkeit einlassen: Mit "tmp" geht die Arbeit zwar nur langsam vonstatten, aber so ist der Speicherplatz optimal genutzt.

Nun muß ein Programm natürlich fantastische Funktionen bieten, um einen derartigen Speicheraufwand zu rechtfertigen und da läßt sich Paintbrush IV nicht lumpen. Ein neues Outfit hat die Benutzeroberfläche der neuen Version; nur die am linken Bildschirmrand erscheinende Werkzeugleiste weist noch die eine oder andere Ähnlichkeit mit der alten Version auf. Die Menüleiste oben allerdings zeigt in ihrem Aufbau bereits eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Windows — man hat sich am SAA-Konzept von IBM für Benutzeroberflächen orientiert. Aktivieren lassen sich die Menüs entweder mit der Maus oder einer Tastenkombination aus "ALT" und dem entsprechenden Anfangsbuchstaben. Links unten findet sich nach wie vor ein kleiner Kasten für die Einstellungen der Linienstärken. Allerdings muß der Anwender hier keinen Pfeü mehr verschieben, sondern kann mit Hilfe der Maus die Strichstärke pixelweise manipulieren. Die gewählte Stärke zeigt Paintbrush in einem eigenen Kästchen an. Daneben tut sich für den VGA-Besitzer eine ungeahnte Farbenpracht auf: Neben der Anzeige für die Vorder- und Hintergrundfarbe zeigt Paintbrush alle 256 zur Verfügung stehenden Farben in kleinen Kästchen an. Die Vordergrundfarbe läßt sich durch Anklicken mit der rechten, die Hintergrundfar-be mit der linken Maustaste einstellen.


Paintbrush im neuen Gewand: neue Oberfläche und 25 Farben mit VGA

In der Menüleiste selbst gibt es einen neuen Punkt: "Effects". Dahinter verbergen sich die Spezialeffekte von Paintbrush, deren Haupteinsatzgebiet in der Nachbearbeitung von Bildern liegt. So lassen sich hier Kontrast und Helligkeit von markierten Bildbereichen verändern oder Schatten überein Bild legen. Neue Fähigkeiten sind auch Farbverläufe oder -mischungen. Aktiviert man einen dieser Menüpunkte, verändert sich die Werkzeugleiste. Sie zeigt dann nur noch ein Viereck und einen Pinsel oder einen Stift. Wählt man das Viereck, wirkt sich ein Effekt innerhalb dieser Fläche aus; klickt man den Pinsel an, dann zeigt sich der Effekt nur an den mit der Maus überfahrenen Punkten.

Dazu kommt eine ”Kachel" Funktion. Ein beliebiges Paintbrush-Bild oder ein Teil davon läßt sich als Kachel definieren. Wie Kacheln auch, erzeugen viele aneinandergehängte Vierecke regelmäßige Muster. Erzeugt der Anwender jetzt ein Viereck, füllt es Paintbrush automatisch mit diesen Kacheln aus.

Ein wichtiger Menüpunkt ist der Farbverlauf. Paintbrush kann jede Farbe von hell nach dunkel verlaufen lassen. Ein nahtloser Übergang von einer Farbe in eine andere ist nicht möglich. Zwei Wege führen zum Verlauf: Im entsprechenden Modus legt man entweder ein Viereck und damit die Fläche fest, die als Verlauf erscheinen soll, oder man füllt ein bereits vorhandenes Element. Je nach Größe der zu füllenden Fläche muß man gelegentlich Wartezeiten für die Berechnung in Kauf nehmen.

Sogar in Schriften kann man Verläufe einsetzen.

Überhaupt lassen sich die / Zeichensätze in der neuen Version wesentlich differenzierter bearbeiten: Das Font-Menü überrascht mit eigenen Menüpunkten für Schatten, Schrifttyp-Spezifikationen (fett, kursiv, unterstrichen) und verschiedenen Schriftstilen. Unter dem Menüpunkt "Schatten" stellt Paintbrush Buchstaben sogar dreidimensional dar. Dazu kann der Anwender die Tiefe und Breite des Schattens bestimmen.

Ein Wort zu den verwendeten Maßeinheiten, die auch bei der Schatteneinstellung Verwendung finden: In der neuen Version kann man die jeweiligen Maßeinheiten (Zentimeter, Inches, Picas — ein spezielles Schriftmaß — und Pixel für besondere Feinarbeiten) jetzt in jedem Fenster einstellen, das eine Maß-Einstellung zuläßt. Vorher war das nur einmal für alle Vorgänge gleichzeitig möglich.

Paintbrush unterscheidet zwei Arten von Zeichensätzen: Outline (Konturen von Buchstaben) und Bitmap-Fonts. Bitmap-Fonts sind als Pixel-Dateien mit festen, unveränderlichen Zeichengrößen gespeichert. Outline-Zeichensätze dagegen sind vektororientiert als mathematische Beschreibungen auf der Festplatte abgelegt. Damit ist eine individuelle Größeneinstellung möglich. Bis zu 300 Punkt (ca. 112,8 mm, 1 Punkt = 0,376 mm) kann Paintbrush bewältigen. Damit aber nicht genug: Der Abstand zwischen zwei Buchstaben (das sogenannte Kerning) und der Zeilenabstand sind manipulierbar. Bei kursiven Schriften gibt man den Neigungswinkel in Grad an.

Der letzte Punkt des Font-Menüs entscheidet über die verschiedenen Attribute des Zeichensatzes, aktiviert Verläufe, Schatten, die Ausrichtung (links, rechts, zentriert oder justiert), Fettschrift, Unterstreichen und Kursiv sind vorgesehen. Betrachtet man die Vielfalt dieser Funktionen, kann Paintbrush damit als eines der leistungsfähigsten Grafikprogramme gelten, wenn es um Schriften geht. Anders sieht die Sache allerdings in der Praxis aus. Anscheinend haben die Programmierer nicht bedacht, daß der Anwender nicht nur viele Funktionen, sondern auch eine annehmbare Arbeitsgeschwindigkeit braucht. Die hat bei den Zeichensatz-Funktionen von Paintbrush das Nachsehen: Um die Worte "Dies ist ein Test" mit allen nur erdenklichen Attributen auf den Bildschirm zu bringen, benötigt Paintbrush auf einem 80386-AT mit 25 MHz ganze 3 Minuten und 18 Sekunden. Wer mit einem 8086-PC arbeitet, sollte von diesen Funktionen denn auch lieber die Finger lassen. Mit einer Kaffeepause ist es dann nämlich nicht mehr getan.

Zurück zu den freundlichen Aspekten von Paintbrush. In der Verwaltung und Verarbeitung von Farben hat sich einiges getan. Farben kann jetzt jeder nach seinen Wünschen manipulieren. Dazu stehen zwei digitale Farbmisch-Modelle zur Verfügung: das RGB- (Rot, Grün, Blau) und das HLS-Modell (HLS = Hue, Light, Saturation = Farbe, Helligkeit, Sättigung). Die damit erzeugten Farben lassen sich mit der aktuellen Farbpalette speichern und damit jederzeit wiederverwenden. Diese Funktion findet sich im ”Options"Menü. Hier gibt man auch die Einstellungen für Verläufe, Pinsel (oder Füllmuster) und Kacheln ein.

Während im Options-Menü hauptsächlich die Einstellungen für die Programm-Parameter (wieviel Farben, welcher Pinsel) stehen, präsentieren sich unter "Display" diverse Funktionen für die Oberfläche von Paintbrush. Die verschiedenen Anzeige-Elemente wie Werkzeugleiste, Farbpalette und sogar die Menüleiste lassen sich auf Wunsch ausblenden. Ein Tastendruck führt zur vorherigen Einstellung zurück. Unter Display verbirgt sich auch das "Show Screen"Kommando, das bisher im "Füe"-Menü zu finden war. Es zeigt den kompletten Bildschirm ohne Menüs oder Werkzeugleisten an. Auch die so wichtigen Zoom-Funktionen sind in Display untergebracht. Werden diese aktiviert, präsentiert sich dem Paintbrush-Anwender im Vergleich zu den alten Versionen ein völlig neues Bild. Zwei Fenster sind plötzlich am Bildschirm zu sehen. Beispiel vergrößern: Im rechten Fenster ist das Original in seiner ganzen Pracht zu sehen. Ein Viereck kennzeichnet den Ausschnitt, der im linken Fenster vergrößert dargestellt ist. Während man nun mit Hilfe des Pinsels in der größeren Fassung zeichnet, zeigt das rechte Fenster alle Veränderungen simultan an. Für die Pinselfarbe stehen wie üblich die am unteren Rand angezeigten 256 Farben zur Verfügung.

Ähnlich arbeitet das Programm bei Verkleinerungen. Auch hier erscheinen zwei Fenster, links die Verkleinerung, rechts die Grafik in Originalgröße — und die kann wesentlich größer sein als ein Bildschirmausschnitt. Bewegt man sich auf der Verkleinerung, wird der entsprechende Ausschnitt des Originalbildes automatisch im rechten Fenster angezeigt. Diese Funktion ist in erster Linie für das Verschieben von größeren Bereichen in umfangreichen Grafiken gedacht, die in der Normaldarstellung mehr als eine Bildschirmseite beanspruchen. Vergrößerungs- und Verkleinerungs-Faktor lassen sich dabei individuell festlegen, natürlich über einen eigenen Menüpunkt in "Display".

Nicht viel geändert hat sich im Menü "Edit". Hier dominieren nach wie vor die verschiedenen Anweisungen für die Zwischenablage:


Vielfältige Schriftmanipulation: Der Schatten wird auf Wunsch sogar dreidimensional dargestellt

Löschen, Einfügen und Kopieren. Dabei wird ein markierter Bereich in die Zwischenablage kopiert oder aus ihr eingefügt. Wer Speicherplatz sparen will, kann hier den Weg über die Festplatte gehen, markierte Bereiche lassen sich jederzeit in einer Datei speichern oder laden. Neu hinzugekommen sind hier lediglich die Invert- und die Outline-Funktion. Invert kehrt den in einem markierten Bereich vorhandenen Farbwert um, aus Weiß wird dann beispielsweise Schwarz. Outline zeigt von einem markierten Bereich nur noch die Konturen, die sich dann nach Belieben bearbeiten lassen. Für diese Bearbeitungen muß, wie bereits erwähnt, zunächst ein Bereich markiert werden. Bisher war der Paintbrush-Anwender eine Art Gummi-Rechteck gewöhnt, das über den zu markierenden Bereich gezogen wird. Bis hierher ist alles beim alten geblieben. Neu ist aber die Markierungsanzeige: Dem Anwender präsentieren sich jede Menge Symbole, die entlang der Markierungslinien angeordnet sind. Sie dienen zum Manipulieren des Bereichs: Fährt man beispielsweise an eine der Ecken des markierten Bereichs, erscheint ein Kreuz. Nach Drücken der Maustaste kann jetzt der Bereich verkleinert oder vergrößert werden. Einige dieser Symbole dienen sogar zum Verzerren des Bereichs in verschiedene Richtungen.


Farbverläufe zählen zu den neuen Spezial-Effekten im PC Paintbrush IV

Die Funktionsvielfalt von Paintbrush prädestinieren das Programm beispielsweise für die Nachbearbeitung von gescannten Bildern. Zweifelhaft ist allerdings der Praxiswert: Da dann in der Regel nur noch etwa 110 KByte Speicher für Bilder verfügbar sind, bleibt die Bildnachbearbeitung ein Wunschtraum, denn gescannte Bilder sind meistens einige MByte groß. Wenig Freude bereiten auch die Wartezeiten bei den Font-Funktionen. PC Paintbrush IV wird aus diesen Gründen den Sprung in den professionellen Grafiksektor nicht schaffen. Da wird man auf die Plus-Version warten müssen, die in der Lage sein soll, Dateien auf Platte auszulagern und hoffentlich für mehr Geschwindigkeit sorgt. Sind aber die Kinderkrankheiten von Paintbrush IV überwunden, dürfte einem neuen Standard in Sachen Grafik nichts im Weg stehen. rf

Auf einen Blick
Programmname: PC Paintbrush IV
Programm-Art: Malprogramm
Hersteller/Importeur: ZSoft/Markt & Technik, München
Hardware-Anforderungen: IBM-PC,-AT,-PS/2 oder kompatible, 640 KByte RAM, DOS 2.0 oder höher, Festplatte
Kopierschutz: nein
Unterstützte Grafik: Hercules, CGA, MCGA, EGA, VGA
Handbücher: getestet mit englischem Handbuch, ca. 126 Seiten
Preise: steht noch nicht fest
Lieferbar:in Kürze
Wertungen
Benutzerfreundlichkeit:sehr gut
Handbücher:gut
Geschwindigkeit:befriedigend
Funktionsumfang:gut
Gesamturteil:gut

Die Rangfolge der klassenbezogenen Wertungen: hervorragend, sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend und ungenügend. Alle Preisangaben beruhen auf Angoben der Herstellervertriebe und enthalten die gesetzliche Mehrwertsteuer. Marktpreise können abweichen.



Aus: Happy Computer 11 / 1989, Seite 46

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