Soft Story Steve Bak

Scroll’s noch einmal, Steve

Wer ist der beste ST-Programmierer weit und breit? Steve Bak ist sicherlich ein Anwärter auf diesen Platz. Er machte seinen Weg vom Kohle-Bergmann zum Top-Programmierer.


Steve Bak (38) ist einer der gefragtesten und erfolgreichsten 16-Bit-Programmierer

Wer Steve Bak das erste Mal gegenüber steht, traut seinen Augen nicht. Spieie-Programmierer stellt man sich immer als jugendliche Computer-Verrückte vor. Steve gewinnt keinesfalls den Preis »jüngster Programmierer«. Satte 38 Lebensjahre hat er schon hinter sich; sein erstes Computer-Programm schrieb er jedoch erst 1983.

Steve Bak arbeitete als Bergmann in verschiedenen Kohle-Bergwerken im Norden Englands. Abends in seiner Stammkneipe erwischte ihn dann das Videospiel-Fieber. Automaten wie »Pac Man« oder »Defender« kannte er nach kurzer Zeit in- und auswendig und schlug schon bald alle High-Scores, selbst die der jugendlichen Spieler.

Als dann die Heimcomputer immer billiger wurden, kratzte Steve sein Erspartes zusammen und kaufte sich einen »Acorn Atom«, der in England ein beliebter Heimcomputer der ersten Stunde war. Eigentlich wollte er nur wissen, wie diese Geräte und die Videospiele funktionieren. Doch schon nach drei Monaten konnte er den Acorn in Assembler programmieren und kümmerte sich gar nicht mehr um Basic. Steve schrieb dann in seiner Freizeit einige Spiele, die über das englische Software-Haus Microdeal verkauft wurden.

Zu Steves ersten Programmen gehörte ein Nimm-Spiel (wer das letzte Streichholz zieht, gewinnt) bei dem die Streichhölzer durch animierte Roboter ersetzt wurden. Sogar einige einfache Adventures programmierte Steve, diese sogar ausnahmsweise in Basic, weil es schneller geht.

Vom Acorn stieg Steve dann auf den Dragon 32 und später auch auf C 64 und C 16 um. Für den C 64 programmierte er beispielsweise ein Plattform-Spiel namens »Hercules«, das in England als Büligspiel Erfolg hatte. Auf dem C 16 erwies sich Steve als flotter Programmierer: Innerhalb eines Wochenendes hatte er seine drei Adventures vom Dragon auf den C 16 umgesetzt.

Eines von Steves bekanntesten 8-Bit-Spielen sollte »Lands of Ha-voc« werden. Es war ein Action-Adventure mit 2000 Screens. Geschrieben hatte Steve es hauptsächlich, um damit den bisherigen Rekord von 1000 Screens pro Spiel zu brechen. Für Lands of Havoc dachte er sich ein Verfahren aus. bei dem jeder Screen nur 6 Byte benötigt. So konnte er das ganze Spiel in 32 KByte packen.

Inzwischen war Steve so sehr mit der Programmiererei beschäftigt, daß er seine normale Arbeit im Bergbau aufgab. Die darauffolgenden Jahre konnte er sich und seine Familie mit seinen Spielen gerade so über Wasser halten. Ständig suchte er nach dem großen Durchbruch.

Die Märchenfee, die ihn aus dem Schatten-Dasein des unbekannten Programmierers erlösen sollte, sah nicht wie eine solche aus. Sie, oder besser er, hieß Jack Tramiel. ehemaliger Boß von Commodore und nun Besitzer von Atari. Jack Tramiel kündigte an. daß schon bald ein Atari-Computer mit 68000-Pro-zessor auf den Markt kommen würde. Hier witterte Steve seine große Chance. Den nächsten Tag kaufte er sich einen Sinclair QL, um die Programmierung des 68000 zu erlernen. Es folgten einige QL-Umsetzungen seiner früheren Spiele.

Sechs Monate später kam der große Tag, an dem die ersten Atari-Entwicklungssysteme in England eintrafen. Steve war an dem Tag gerade auf einer Commodore-Ausstellung, als er erfuhr, daß Atari die ersten Geräte erhalten hätte Er brach sofort von der Show auf und fuhr zu Atari. Steve war der erste englische Programmierer, der einen Atari ST nach Hause holte. In wenigen Wochen schusterte Steve eine ST-Version von Lands of Havoc zusammen. Da er noch keinen Assembler für den ST hatte, mußte Steve das Spiel auf dem QL programmieren, mit einem Modem-Kabel auf den ST übertragen und dort mit POKE-Befehlen im ST-Basic an die Eigenheiten des ST anpassen.

Rückblickend sieht Steve dieses Projekt von der gelassenen Seite: »Lands of Havoc war wirklich schlecht: das bestreite ich gar nicht. Aber eines muß man mir lassen: Lands of Havoc konnte man sechs Wochen vor dem Erscheinungstermin des Atari ST kaufen. Damit dürfte es das allererste englische ST-Spiel gewesen sein.«

Steve hatte sich besonders auf den ST gefreut, weil er sich von diesem Computer professionelle Programmier-Werkzeuge versprach. Seine ersten Erfahrungen waren jedoch eher negativ: »Zum Entwicklungspaket gehörte ein Editor namens »Mince«. Mit seinen 300 Seiten Handbuch sah er sehr professionell aus, außerdem wurde er auf der Packung als der beste Editor aller Zeiten angepriesen. Doch schon 15 Sekunden nach dem Laden erlebte ich den ersten Schock. Mince hatte nämlich keinen Cursor. Anhand der Spalten- und Zeilen-Anzeige mußte man raten, wo man jetzt Buchstaben einfügen konnte.«

»Lands of Haroc war wirklich schlecht; das bestreite ich gar nicht«

Als nächstes Programm hatte Steve ein großes Karate-Spiel geplant. Doch nach monatelanger Arbeit gab er das Projekt auf. Steve konnte einfach keine Grafik zeichnen, die die Atmosphäre seines Karate-Spiels gut genug vermittelt hätte. Da er seit einigen Monaten kein Spiel mehr geschrieben hatte und das Geld auszugehen drohte, programmierte er in wenigen Wochen zwei einfache Spiele für den ST: »Electronic Pool« und »Trivia Challenge«, ein Biilard-und ein Quiz-Programm.

Zu dieser Zeit stellte John Symes, der Chef von Microdeal, Steve einen Grafiker namens Pete Lyon vor. Pete hatte noch nie zuvor an einem Computer gesessen. Doch als Pete an einem Wochenende Steve besuchte, malte er in zwei Stunden ein Titelbild für »Electronic Pool«.

Als diese beiden Spiele fertig waren, erhielt Steve seine erste Auftrags-Arbeit. Die Filmfirma Columbia wollte unbedingt ein Computerspiel zum Film »The Karate Kid: Part 2« herausbringen. Aber anscheinend war kein Software-Hersteller an diesem Film interessiert und Columbia ging mit dem Preis für die Rechte immer weiter herunter, bis Microdeal einfach blind Zugriff. Nun mußte Steve also doch ein Karate-Spiel programmieren, allerdings hatte er jetzt mit Pete Lyon einen fähigen Grafiker an seiner Seite. Als Karate Kid 2 auf den Markt kam, wurde es dank seiner technischen Finesse und tollen Grafik von allen Seiten gelobt.

Steve über den Erfolg von Karate Kid 2: »Es war das erste Spiel, mit dem ich tatsächlich Geld verdient habe. Bis dahin konnte ich mich und meine Familie mit Ach und Krach ernähren und dachte schon daran, das Programmieren aufzugeben. Doch seit Karate Kid 2 verdiene ich ganz ordentlich.«

Steve las dann in einer englischen Fachzeitschrift einen Kommentar, daß der ST für Spiele nicht geeignet sei, weil man auf ihm kein Scrolling programmieren könnte. Damit stand sein Entschluß fest: Er würde ein Action-Spiel mit Scrolling programmieren. Der Name des Spiels: »Goldrunner«.


Mit dem superschnellen »Goldrunner« landete Steve vor einem Jahr einen Riesenhit (im Bild die ST-Version)

Zusammen mit Pete Lyon als Grafiker konnte Steve mit Goldrunner zeigen, was der ST grafisch zu leisten vermag. Doch das war ihm nicht genug. Er wollte auch den besten Sound aus dem ST herauskitzeln. Zum einen wurden digitalisierte Geräusch-Effekte verwendet, zum anderen wollte Steve unbedingt Musik vom englischen Sound-Hexer Rob Hubbard in das Spiel integrieren. Rob Hubbard willigte ein und programmierte eine Musik auf dem CPC, der denselben Sound-Chip wie der ST besitzt. Danach trafen sich die beiden und setzten die Musik gemeinsam auf den ST um. So brachte Steve nebenbei Rob 68000-Assembler bei.

Nach Goldrunner folgte mit »Jupiter Probe« wieder ein einfacheres Action-Spiel, das technisch nicht zu viele Ansprüche stellte, und dann eine längere Pause, in der Steve parallel an mehreren Projekten arbeitete. So las er beispielsweise wieder einige Kommentare in englischen Zeitschriften, die dem ST Scrolling-Talent absprachen. Goldrunner sei eine Ausnahme, war da zu lesen, denn dort würden ja nur vier der 16 Farben gescrollt, und das auch nur senkrecht. Steve war darüber etwas wütend und überlegte, wie er alle 16 Farben des ST waagrecht scrollen könnte — eine Sache, die vor wenigep Monaten noch technisch als unmöglich galt. Seine Überlegungen endeten im Action-Spiel »Return to Genesis«, das Steves aktueller Hit auf Atari ST und Amiga ist.

»Pete und ich haben fast neun Monate für Genesis gebraucht. Das lag mit daran, daß Pete die Grafik auf ganz spezielle Art und Weise malen mußte, damit das Scrolling einwandfrei funktioniert. Da Pete nicht programmieren kann, hatte ich echte Schwierigkeiten, diese programmtechnischen Notwendigkeiten zu erklären. Pete hat manche Sachen sehr oft zeichnen müssen, bevor sie verwendbar waren.

Was ganz schnell zu programmieren ging, v/ar das Scrolling in zwei Ebenen. Als ich mich entschlossen hatte, ein Spiel mit waagrechtem Scrolling zu schreiben, dachte ich kurz über Zwei-Ebenen-Scrolling nach. Innerhalb von fünf Minuten fand ich einen Trick, mit dem es klappen könnte. Ich sagte immer wieder zu mir selbst: Das ist zu einfach. da muß ein gewaltiger Denkfehler drin sein. Aber ich habe es dann einfach eingetippt und ausprobiert und es hat einwandfrei geklappt. Mal sehen, wann noch jemand auf diesen Trick kommt.«

Während der Arbeit an Genesis hat Steve drei weitere Programme geschrieben. Dazu gehören die ST- und Amiga-Versionen von »Battleships«. Originalton Bak: »Ich möchte mich aus der Diskussion raushalten, ob Battleships ein gutes Spiel ist. Aber man hat mir viel Geld für das Programmieren geboten und ich habe es so gut wie möglich umgesetzt. Ich möchte nicht noch einmal darüber nachdenken müssen, wie ich an genug Geld komme, um meine Miete zu bezahlen.«.

»Eigentlich ist es auf dem Amiga immer noch die ST-Version«

Die beiden anderen Programme waren das Metzel-Spiel »Leatherneck« sowie die Amiga-Umsetzung des Strategie-Spiels The Sentinel«. Bei Sentinel hat sich Steve die Arbeit etwas leichter gemacht: »Der Programmierer hatte mir den Source-Code der ST-Version gegeben, weil er die Amiga-Umsetzung nicht selber schreiben wollte. Ich sah mir das Ganze an und änderte nicht viel am Programm. Eigentlich ist es auf dem Amiga immer noch die ST-Version, inklusive aller Grafik-Routinen. Erst wenn das Senti-nel-Programm das ST-Bild fertig berechnet hat, schaltet sich eine Routine von mir dazu, die das ST-Büd in das Amiga-Datenformat verwandelt und dann anzeigt. Das geht so schnell, daß niemand einen Unterschied sehen wird.«

Steve sieht sich selbst als Perfektionist. Er brütet so lange über einer Routine, bis sie nicht mehr besser zu machen ist. Er meint: »Wenn etwas 102 Taktzyklen benötigt, dann lohnt es sich, drei Tage darüber nachzudenken, wie ich es auf 96 Taktzyklen drücken kann« (Taktzyklus = Zeiteinheit, auf dem ST etwa eine 8millionstel Sekunde). Er gibt sich sehr bescheiden und verzichtet auf zuviel Stolz: »Was ich kann, können andere auch. Im Augenblick bin ich nur derjenige, der auf dem ST so viele technische Tricks als Erster herausfindet. Und ohne einen so guten Grafiker wie Pete wäre ich sicherlich nicht so erfolgreich.«

Steve und Pete sind inzwischen ein eingespieltes Tteam und auch privat dicke Freunde. Sie arbeiten an fast allen Projekten gemeinsam und haben für die nächsten Monate schon eine Menge Pläne, angefangen beim Vampir-Grusel-Programm »Fright Night« bis zu einem neuen Action-Spiel mit vielen neuen technischen Tricks. (bs)



Aus: Happy Computer 08 / 1988, Seite 82

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