Media Mobil von Commodore

Das Media Mobil des Commodore-Sportservices ist der erste computergesteuerte Übertragungswagen der Welt. Generalprobe war beim Europapokalspiel Bayern gegen Real.

Computer machen Fernsehen attraktiver. Im modernsten Fernseh-Übertragungswagen Europas arbeiten Amigas und ATs, um den Zuschauern bessere Bilder und detaillierte Informationen zu bieten.

Mittwoch, 2. März 1988, 20 Uhr und 15 Minuten: Mehrere Millionen Fußball-Fans in ganz Europa fiebern gespannt dem Beginn des Fußball-Europapokal-Spiels Bayern München gegen Real Madrid entgegen. Doch die Spannung vor den Fernsehgeräten ist nichts im Vergleich zur Nervenanspannung hinter den Kameras. Denn an diesem Abend erlebt Deutschlands modernster Übertragungswagen, das Media Mobil des Commodore Sportservices (COSS), seine Generalprobe. Sein neues Konzept verbindet die Fähigkeiten moderner Fernsehelektronik mit den Vorteilen von Computern, die die Steuerung übernehmen und grafische Effekte dazu-mischen.

Ein Übertragungswagen, kurz Ü-Wagen genannt, verarbeitet die Bilder, die die Kameras am Spielfeld aufnehmen, und sendet sie an die Fernsehanstalten, damit die Liveübertragung .ausgestrahlt wird. Doch ein guter Übertragungswagen macht noch mehr. Mit ihm wählt die Bildregie zum Beispiel die Bilder aus, wenn mehrere Kameras im Einsatz sind, damit der Zuschauer zu Hause den Sololauf des Stürmerstars zum entscheidenden Tor aus der besten Perspektive sieht.

Doch gerade für technisch anspruchsvolle Aufgaben brauchen viele, nicht computerunterstützte Ü-Wagen die Hilfe durch die Anlagen der jeweiligen Sendezentrale. Grafiken werden meist von dort eingespielt. Dadurch eignen sich diese Ü-Wagen zwar zur Bildführung, doch bei weitergehenden Aufgaben müssen sie passen.

Anders das Media Mobil. Bei ihm sind alle Funktionen bereits eingebaut: von der perfekten Zeitlupe über Schrifteinblendung bis zu Überblendeffekten, bei denen sich ein Bild zum Beispiel zu einer Schraube dreht und dann verschwindet.

Mit den Computern im Wagen wertet das COSS-Team für die Veranstalter auch Turniere aus. Die Computer werden dazu mit der Zeitmes-sungs-Anlage verbunden oder übernehmen automatisch die Wertungen der Punktrichter, um in Sekundenschnelle die aktuelle Rangliste zu berechnen. Plazierungen und Ergebnisse können ebenso in das Fernsehbild eingeblendet werden, wie Informationen über den Sportler, der gerade im Bild ist. Die Kommentatoren haben so stets die wichtigsten Daten parat.

Normalerweise sind alle Arbeitsabläufe beim Fernsehen Handarbeiten, die von Spezialisten ausgeführt werden. Doch im Media Mobil steuern Computer die Anlagen schneller und präziser als Menschen. Zeitlupen und Wiederholungen werden auf Knopfdruck eingeblendet. Damit werden auch bei Live-Übertragungen Effekte möglich, die man bisher in einer langwierigen Nachbereitung im Studio zusammenstellen mußte.

Um diese leistungsfähige Anlage zusammenzustellen, haben die Spezialisten vom Commodore Sportservice eine Mischung aus einzelnen Komponenten gewählt, da kein bestehendes Komplettsystem ihren Ansprüchen genügt. Dementsprechend teuer ist der Wagen. Robert Hehenwarter, einer der zwei Geschäftsführer des Commodore Sport Service, gibt die Kosten mit 1,5 bis 2,5 Millionen Mark an.

Für das Geld wurde der Wagen mit Technik vom Feinsten ausgestattet. 17 Computer — acht Amiga 2000 und neun AT-Kompatible — wirken im Inneren, zusammen mit drei Bandaufzeichnungsmaschinen mit 10-Kanal-Ton, drei Genlock-Modu-len für die Amigas, einem Schnittcomputer für Nachbearbeitung und Zeitlupe — um nur die wichtigsten zu nennen. Die gesamte Ausrüstung ist über fünf Kilometer Kabel miteinander verbunden. Die Datenkabel für das Netzwerk sind aneinandergelegt drei Kilometer lang. Würde man alle Kabel zusammen auf eine Waage legen, ergäben sie das Gewicht von einer Tonne. Sie sind also schwerer als ein Kleinwagen.

Technik vom Feinsten

Dafür, daß die Hitze durch die vielen elektrischen Apparate nicht unerträglich wird, sorgen zwei starke Klimaanlagen, deren Leistung für ein Einfamilienhaus ausreicht.

Das Netzwerk besitzt 210 RS232-Anschlüsse, von denen bislang nur 184 genutzt werden. Durch den modularen Aufbau des Systems können noch weitere Geräte, zum Beispiel Informationscomputer für Besucher oder Kommentatoren, intern oder extern, ergänzt werden. An der Rückwand des Wagens befindet sich ein großes Steckerfeld, in dem die Anschlüsse aller Geräte zusammengefaßt sind. Dadurch kann man alle Anlagen neu miteinander verbinden, ohne den Wagen auseinanderbauen zu müssen. Das erlaubt, das Media Mobil leicht an spezielle Aufgaben anzupassen.

Obwohl der U-Wagen alles bietet, was das Herz des Fernsehtechnikers begehrt, mangelt es an einem: am Platz. Der Raum für das Personal ist auf das Nötigste beschränkt und der Gang ist so schmal, daß zwei Personen nur mit Mühe aneinander vorbeigehen können. Auf dem Tisch vor der Monitorwand ist kaum genug Platz für die drei Tastaturen.

Um Platz zu spraren, sind die Computer senkrecht in die Tische eingelasssen. Obwohl Computer relativ empfindlich sind, bringt die Unterbringung keine Probleme mit sich, solange die Klimaanlage nicht ausfällt. »Computer sind robuster als viele glauben«, erklärt Robert Hehenwarter »Früher, bevor wir den Wagen hatten, mußten sie noch viel mehr einstecken. Im Winter war es teilweise so kalt, daß uns die Computer einfroren und wir sie vorsichtig auftauen mußten.«

Die Technik ist natürlich die Achillesferse des Systems. Ein Computerabsturz hätte zum Beispiel weitreichende Folgen. Für die Datensicherheit haben die Programmierer daher Vorsorge getroffen. Alle eingehenden Informationen werden sofort gespeichert, damit bei einem totalen Stromausfall nur die letzten eingegangenen Daten verloren gehen, die man innerhalb kürzester Zeit wiederherstellen könnte.

Durch den konsequenten Einsatz von Computern ist das Media Mobil das modernste mobile Sendestudio in Europa. Trotzdem sind die Entwickler noch immer nicht zufrieden. Sie träumen davon, die gesamte Anlage nicht nur über das Computer-Netzwerk zu steuern, sondern die Bilder auch digital zu bearbeiten. Ein Beispiel:

Bislang verwendet COSS spezielle Schriftgeneratoren für Textein-blendungen. Doch das könnten genauso gut die Amigas übernehmen. »Einige Sender sind aber zu konservativ und verlassen sich lieber auf bewährte Technik«, meint Robert Hehenwarter. Bislang kommen die Amigas daher nur für spezielle grafische Tricks zum Einsatz. Durch ein leistungsfähiges Genlock, das zum Mischen der Computer-Bilder mit dem Fernsehbild dient, sieht man keinen Unterschied zu den Bildern, die mit wesentlich teureren Anlagen erzeugt werden.

Hinter den Schriftgeneratoren verbergen sich Computer auf 68000er-Basis, die auf das Erzeugen von Schriften in allen Größen und Formen spezialisiert sind. Der Amiga könnte nicht nur Schriften in gleicher Qualität erzeugen, sondern bietet mehr Effekte und kann auch Grafiken einspielen. Die Techniker sehen in ihm das flexiblere System, weshalb die Amigas schon einen festen Platz im Wagen haben.

Zum Einsatz kommen derzeit Programme wie Zeichenprogramm Deluxe Paint II und Sculpt 3D, mit dem realitätsgetreue Bilder berechnet werden (Raytracing). Das COSS-Team arbeitet aber auch an eigener Software und sucht dafür immer wieder Programmiertalente, die spezielle Grafik-Software für den Amiga schreiben können.

Amiga als Fernsehstar

Die Überlegenheit seines flexiblen Systems bewies das Media Mobil bei seinem ersten richtigen Einsatz. Er führte das COSS-Team zum Reittunier nach Göteborg in Schweden, bei dem es sowohl die Auswertung des Tuniers übernahm als auch die Aufbereitung der Bilder. Alles funktionierte problemlos, doch am Samstag nachmittag fiel dem schwedischen Fernsehen ein, daß man um 18 Uhr unbedingt die Toto-Zahlen ausstrahlen müsse. Fußball-Toto ist in Schweden sehr beliebt und die pünktliche Bekanntgabe gehört zu den festen Fernseh-Ritualen, wie in Deutschland die allabendliche Tagesschau um 20 Uhr.

Was sollte man tun? Die Übertragung unterbrechen oder auf die Totozahlen verzichten? COSS wußte Rat. Sie erzeugten in aller Eile eine Tabelle mit den Spielpaarungen, trugen die Ergebnisse ein, die erst vier Minuten vor 18 Uhr feststanden. Dann blendeten sie speziell für das schwedische Fernsehen die Ergebnisse ein, während die restlichen angeschlossenen Sender in Europa das normale Bild des Reitturniers sahen. Ohne die Technik des Media Mobils wäre das nicht so einfach gegangen.



Aus: Happy Computer 08 / 1988, Seite

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