In den geheimen Entwicklungslabors der Computerhersteller stehen Geräte, die nie das Licht der Welt erblicken werden. Sei es, daß sie bei der Entwicklung schon nicht mehr aktuell waren, sei es, daß sie nicht in irgendeine Marketingstrategie gepaßt haben sie wurden nie verkauft.
Kein Anwender bekam je die 3,5-Zoll-Laufwerke und die Erweiterungsbox für den XL zu sehen. Sie kamen nie aus den Labors heraus.
Im Herbst 1980 gab Jack Tramiel, damals noch Chef von Commodore, einer kleinen Firma den Auftrag, ein neues Gehäuse für den alten CBM 8000 zu entwickeln. Rechtzeitig vor der nächsten Messe stellte die Firma, die bislang vor allem Gartengrills produziert hatte, den Commodore-Entwicklern einen Prototyp vor. Ingenieure, die damals dabeiwaren, berichteten später von einem kollektiven viertelstündigen Lachanfall. Die Bodenplatte des Computermodells war rund, hatte vier Blechfüße zum Ausklappen und eine abgesetzte Tastatur. Ein Gartengrill mit Tastatur eben.
Dieser Gartengrill-Computer verschwand im Archiv. Auch bei der späteren Tramiel-Firma Atari gibt es eine ganze Menge von Modellen, die das Labor nie verlassen haben.
Doch es ist schwer, an diese Entwicklungen ranzukommen. Entweder schämen sich die Firmen dieser Modelle oder sie wollen sie in der Hinterhand behalten, um sie gegebenenfalls schnell der Öffentlichkeit präsentieren zu können.
Happy-Computer ist es gelungen, an einige dieser Prototypen zu kommen.
Als Jack Tramiel noch bei Commodore war, herrschte die Meinung der Anwender, ein Computer müßte alles können auch sprechen. Also dachten sich die Entwickler in den Atari-Laboratorien, daß sich ein sprechender Computer gut verkaufen könnte. Sie wollten aber gleich eine Art Personal Computer ähnlich dem IBM-PC bauen. Die Ingenieure nahmen den 800 XL, trennten Gehäuse von Platine und Tastatur, und hatten somit das Grundgerät für ihren sprechenden Computer.
Der 1450 XLD, so die geplante Typenbezeichnung, hatte zwei eingebaute, doppelseitige 5,25-Zoll-Laufwerke, jedes mit einer Speicherkapazität von 360 KByte. Außerdem war ein Telefon-Modem eingebaut und natürlich das Sprechausgabe-Modul, basierend auf einem »SC 01«-Sprachausgabe-Chip, der beispielsweise auch in sprechenden Uhren eingebaut ist. Bis auf diese Erweiterungen entsprach der 1450 XLD genau dem 800 XL und war auch voll kompatibel. Das Gehäuse dieses »Supercomputers« ähnelte eher einer etwas zu groß geratenen Schreibmaschine als einem modernen Personal Computer. Aber das war im Jahre 1982, als sich nur wenige Entwicklungsingenieure Gedanken über formschöne Gehäuse machten (Bild Seite 6/7).
Eine zweite Version dieses Computers war als 1400 XL geplant. Er sollte im gleichen Gehäuse untergebracht sein, jedoch ohne eingebaute Laufwerke und ohne Sprachausgabe. Dafür war aber das Modem noch drin.
Damit dieser Computer nun aber wirklich ein richtiges Personalsystem wurde, mußte das Gerät auch beliebig ausbaubar sein. Die Entwickler stifteten ihm eine Erweiterungsbox. Sie machte die Ataris wirklich zu einer Art PC. Denn hier konnte man alles hineinstecken, was als Modul erhältlich war. Beispielsweise ROM-Module, also Spiele, Speichererweiterungen, Grafikkarten und so weiter. Das Besondere an dieser Erweiterungsbox war jedoch, daß das Betriebssystem des Atari XL sie voll unterstützt, das heißt die Erweiterungskarten mit ins Betriebssystem einbindet (zum Beispiel ein Spiel auf ROM-Modul automatisch startet). Das kann das Betriebssystem der XL-Serie heute auch noch. Würde man diese Erweiterungsbox also an die heutigen XL-Modelle anstöpseln, so würden sie genauso funktionieren, wie es die Entwickler damals gedacht hatten.
Eine weitere Entwicklung war ein 3,5-Zoll-Diskettenlaufwerk für den XL. Diese Idee wurde aber wieder fallengelassen, weil die Zeit dafür noch nicht reif schien, die Disketten waren damals noch zu teuer. Außerdem existierte keine Software auf 3,5-Zoll-Disketten. Die Inkompatibilität unter den 8-Bit-Computern wollte Atari seinen Anhängern nicht zumuten, also gab es das 3,5-Zoll-Laufwerk erst für den später entwickelten ST. Für den ST deshalb, weil er eine komplett neue Produktgeneration darstellte, mit einem neuen Prozessor-Typ und einem viel moderneren Konzept. Der ST sollte von Anfang an nicht zur XL-Serie kompatibel sein.
All diese Geräte rund um den XL haben zwar das Stadium der Serienreife erreicht, sind jedoch nie auf dem Markt erschienen, weil zu diesem Zeitpunkt Atari kurz vor der Pleite stand. Eine Vermarktung dieser Produkte hätte nicht mehr den gewünschten Erfolg gebracht.
Die Doppel-Floppy 815 war nur kurzzeitig auf dem Markt, da sie nicht kompatibel zum damaligen Standardlaufwerk 810 war
Zu dieser Pleite haben Geräte beigetragen, die während der Entwicklung Millionen kosteten, dieses Geld aber durch den Verkauf nicht mehr reinholen konnten. Sie waren auch die direkte Konkurrenz zum C 64 und gegen den hatte Atari keine Chance mehr, weil er inzwischen viel zu stark verbreitet war.
Ein Beispiel solcher Fehlentwicklung ist der 1200 XL, der direkte Vorläufer des 600 und 800 XL. Dieser Computer wurde in Amerika kurzzeitig verkauft, kam allerdings bei den Anwendern nicht sonderlich an, weil er gegenüber seiner Konkurrenz zu teuer war. Denn das Außergewöhnliche am 1200 XL war sein Gehäuse, das man sich passend zur Wohnzimmer-Einrichtung bestellen konnte. Zum Beispiel in Mahagoni-Echtholz oder in Eiche-Furnier, alle Wünsche wurden erfüllt. Allerdings war der 1200 XL auch nicht voll kompatibel zum Atari 800, seinem Vorläufer. Denn er hatte gegenüber dem 800 ein erweitertes Basic. Damals war es aber noch viel wichtiger als heute, daß die Computer einer Baureihe untereinander kompatibel sind. Es gab ja nicht so viel Software wie heute. Darüber hinaus kostet es für Softwarehäuser viel Geld, für einen neuen Computer Programme zu schreiben. Deshalb haben es inkompatible Computer auch heute noch schwer, sich durchzusetzen.
Schwierigkeiten mit der Kompatibilität hatte Atari in Amerika mit der Doppel-Floppy 815. Da waren in einem Gehäuse zwei 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerke eingebaut, jede mit einer Kapazität von 180 KByte. Die Laufwerke waren von einfacher auf doppelte Schreibdichte umschaltbar, konnten also auf der gleichen Diskette die doppelte Datenmenge aufnehmen. Leider funktionierte dieses Laufwerk nicht so, wie man es gewünscht hätte, da der Computer von keinem der beiden Laufwerke booten konnte. Firmenphilosophie von Atari war jedoch ein anwenderfreundliches Konzept nach dem Motto: einfach anstöpseln, einschalten und es funktioniert. Also stellte Atari die Produktion ein.
Als Jack Tramiel, der Gründer von Commodore, Atari im Juli 1984 kaufte, kam neuer Wind in die Labors. Alle Entwicklungen, die bis dahin gemacht wurden und als Prototypen bereits fertiggestellt waren, wie zum Beispiel der 1450 XLD, verschwanden vom Tisch. Ab sofort wurde an einem neuen Konzept gearbeitet: der ST-Serie. Der Name ST stammt im übrigen von »Sixteen/Thirtytwo« ab, der Bezeichnung der 68000-Prozessoren »16/32-Bit«. Die Atari-Entwickler hatten sich nach einem neuen Mann zu richten, der zusammen mit Jack Tramiel zu Atari kam: der Vater des 800 XL-Konkurrenten C 64, Shiraz Shivji.
Entscheidend für diese neue Richtung war, daß Jack Tramiel einen neuen Computer suchte. Er fand auf der Consumer Elektronics Show (CES) in den USA einen neuen Computer von einer kleinen Firma Amiga. Sofort wollte Tramiel ihn kaufen. Doch die neuen Bosse von Commodore machten ihm einen Strich durch die Rechnung und schnappten Jack Tramiel den heutigen Amiga vor der Nase weg. Um aber den Kampf um Marktanteile nicht frühzeitig zu verlieren, gab Tramiel seinem Chef-Entwickler Shiraz Shivji den Auftrag, einen Amiga ohne diese speziellen Grafik-Chips zu bauen. Er entwickelte mit seinem Hardware-Team innerhalb von 4 Monaten das Gegenstück zu Commodores Amiga, den Atari ST. In den Laboratorien im sonnigen Kalifornien war eine neue Computer-Generation geboren: die 16-Bit-Computer.
Auch heute brodelt es wieder in Ataris Hardwareküche. Kuriose Geräte, aber auch neue Supercomputer laufen schon als Prototypen. Von diesen streng geheimen, gut behüteten Schätzen hört man nur hin und wieder in Gerüchten. Dann heißen diese Computer »EST« oder »TT«. Leitet man diese Namen von der Bezeichnung ST ab, dann handelt es sich beim EST (Enhanced Sixteen/Thirtytwo) um einen ST mit 68000-Prozessor und erweiterter Grafik, und beim TT um einen Computer mit 32/32-Bit-Prozessor (Thirty-two/Thirtytwo). Wie aus gut informierten Kreisen verlautet, soll es sich beim TT um eine Workstation mit 68030-Prozessor und dem Betriebssystem Unix handeln. Da Atari die Politik des niedrigen Preises verfolgt, darf man davon ausgehen, daß dieses Gerät seiner gesamten Konkurrenz das Leben schwer macht.