Die Geschichte des Amiga gleicht einer Agenten-Story. Eine Handvoll Entwickler arbeitet zum Schein für eine unbedeutende Joystick Firma, um in Wirklichkeit ein Videospiel zu produzieren, das alles Dagewesene um Längen schlägt. Als sie den Amiga im Januar 1984 zum ersten Mal zeigen, weihen sie nur wenige ein. Ein kleiner Kreis unabhängiger Entwickler bekommt im März und Juli 1984 die ersten technischen Details über den Wundercomputer. Die geheimen Papiere enthalten alle Einzelheiten über das Amiga-Projekt. Auf rund 600 Seiten werden alle Details über Hardund Software erklärt. Mit diesen Informationen sollen sich die Programmierer mit dem Amiga vertraut machen, um später Software für ihn zuschreiben. Happy-Computer liegt dieses einmalige Dokument über die unbekannte Vergangenheit des Amiga vor.
Die dicke Mappe enthält geheime Angaben über einen Computer, von dem die Konkurrenz zu dieser Zeit noch nicht einmal wußte, daß er existiert. Jede Seite ist mit dem Wort Confidential« (Vertraulich) gestempelt, um den Eingeweihten klarzumachen, wie geheim diese Unterlagen sind. Wäre eine dieser Mappen schon 1984 an die Öffentlichkeit gelangt, wäre die Konkurrenz gewarnt gewesen und hätte genau gewußt, was der Amiga alles kann. Obwohl inzwischen überholt, blieben diese Informationen bis heute geheim.
Die vertraulichen Unterlagen geben einen genauen Einblick, wie der Amiga 1984 aussehen sollte. Die Zeichnung auf dieser Seite stammt aus der Mappe. Sie zeigt, wie sich die Entwickler den Amiga vorstellten, nachdem Commodore Amiga Inc. gekauft und entschieden hatte, daß er ein Computer und kein Videospiel wird. Doch dieser Ur-Amiga hat wenig Ähnlichkeit mit dem Amiga 1000, wie wir ihn kennen. Die damals angestrebten Daten gleichen vielmehr verblüffend dem Macintosh, den Apple 1984 gerade vorgestellt hatte. Bis der Amiga 1985 fertig wurde, kam alles ganz anders. Nur das Design des Gehäuses ist geblieben.
Der Ur-Amiga war für heutige Verhältnisse völlig unterdimensioniert. Geplant war ein 5-1/4-Zoll-Laufwerk mit 320 KByte Speicherkapazität. Das Laufwerk war Apple II-kompatibel, was für die USA ein wichtiges Verkaufsargument gewesen wäre. Es hätte vielen Apple II-Besitzern den Umstieg auf den Amiga erleichtert. Wäre es bei diesem Laufwerk geblieben, könnte man heute kaum mit dem Amiga arbeiten. Der Amiga verwendet jetzt ein 3 1/2-Zoll-Laufwerk mit 880 KByte Speicherkapazität. Da aber gute Grafik und digitalisierter Sound viel Platz verbrauchen, langt selbst der rund dreimal größere Speicherplatz einigen Programmen nicht.
Geplant waren 128 KByte interner Speicher, was entschieden zu wenig ist, um die Fähigkeiten des Amiga zu nutzen. Der Amiga 1000 besitzt daher 256 KByte RAM, der Amiga 500 schon 512 KByte und der Amiga 2000 sogar 1 MByte RAM. Es gibt mehrere Gründe, warum der Amiga ursprünglich so wenig Speicher hatte. RAM-Chips waren 1984 sehr teuer. Der erste IBM-PC besaß zum Beispiel nur 64 KByte, der Macintosh nur 128 KByte Speicher. Der RAM-Speicher war von den Entwicklern auch ausschließlich für Daten, nicht für Programme gedacht. Diese sollten, wie bei jedem Videospiel, auf Modulen von maximal 4 MByte Größe ausgeliefert werden. Hier wird deutlich, daß der Ur-Amiga im Grunde noch ein Videospiel und kein richtiger Computer war.
Fester Bestandteil des Amiga-Projekts war eine Erweiterungsbox. Der Expansion-Bus lag nicht auf der rechten Außenseite, wie beim Amiga 1000, sondern auf der Oberseite des Gehäuses, damit die Box, die genauso groß wie die Zentraleinheit war, ohne Kabel auf den Amiga aufgesteckt werden konnte. Die vorgesehene Box bot Platz für ein weiteres Laufwerk oder eine Festplatte. In ihr befinden sich auch Steckplätze für Erweiterungskarten, zum Beispiel einer MS-DOS-Karte.
Die Erweiterungsbox sollte den Amiga auf maximal 512 KByte RAM erweitern. Diese Beschränkung im Speicherausbau erklärt, warum die Spezialchips auf maximal 512 KByte zugreifen können. Jay Miner und das Amiga-Team konnten sich nicht vorstellen, daß irgendwer jemals ehr Speicher benötigt. Die Erweiterungsbox und die PC-Karte sind vom Amiga-Team nie fertig entwickelt worden, da Commodore nach Jay Miners Aussage dagegen war.
Wahrscheinlich wegen der zusätzlichen Kosten sind das eingebaute 300-Baud-Modem und der Anschluß für eine Laser-Disk, die in den Unterlagen noch beschrieben sind, vollkommen verschwunden. Der Cartridge-Slot für Programmodule existiert ebenfalls nicht mehr. Wo er liegen sollte, befindet sich beim Amiga 1000 die Öffnung für eine RAM-Erweiterung. Die größten Änderungen ergaben sich bei der Software. 1984 rechneten R.J.Mical und Dale Luck noch mit 64 KByte ROM, was für damalige Verhältnisse sehr viel war. Im ROM sollten vor allem Grafik Routinen dem Programmierer die Arbeit erleichtern. Die Grafik Software war im Juli 1984 zu 90 Prozent fertig, so steht es zumindet in den Unterlagen. Doch scheinbar standen noch nicht alle Details fest. Mitten in der Beschreibung befindet sich die oben stehende Notiz, die Dale Luck darauf hinweist, ob man die soeben beschriebene Routine überhaupt so einbauen könne.
Die Dokumente von 1984 zeigen, wie viele Änderungen der Amiga im Laufe seiner Entwicklung durchgemacht hat. Der Schritt vom Videospiel zum Computer war nicht so leicht, wie Commodore es sich vorstellte. Sowohl die Hardware als auch die Software wurde nach und nach so umgebaut, bis vom einstigen Videospiel nur noch die Haupteigenschaften übrigblieben: gute Grafik, faszinierender Sound. Der hier gezeigte Amiga ist der erste Zwischenschritt auf der Verwandlung, die genauso lange dauerte, wie die Entwicklung des Videospiels. (gn)