Archimedes - die Cray des kleinen Mannes

Immer für schnelle Action zu haben: Archimedes

Wenn sich in Basic sekundenschnelle Berechnungen durchführen lassen, die bei anderen Computern selbst in reiner Maschinen-Sprache länger dauern, so könnte ein Archimedes am Werk gewesen sein. Schuld am Zeitsprung: die super-moderne »RISC-Technologie« macht Unmögliches möglich.

Die Demonstration war gelungen und das Staunen noch nicht ganz aus den Gesichtern der Zuschauer verschwunden. Ein Molekül war Anlaß der Verwunderung. Es drehte sich mit konstanter Geschwindigkeit und die brillanten Farben taten ein übriges, um auch jeden einzelnen Spiegelungseffekt der Kugeln ineinander zur Geltung zu bringen. Ruck- und flimmerfrei zog dieses dreidimensionale Gebilde seine Runden.

Daran alleine war noch nichts Besonderes, denn derartige Grafiken kann man heute auf jedem C 64 bewundern. Doch der Clou und das oben beschriebene Staunen der Zuschauer kam später: Ein Eingeweihter unterbrach für einen Moment die Demonstration und entfernte eine Warte-Schleife(!) aus dem Basic-Programm(!). Das hat es noch nicht gegeben. Ein Basic-Programm, das fließend animierte Bilder in dieser Auflösung darstellen kann und noch von einer Warte-Schleife aufgehalten werden muß, damit die Demonstration nicht zu schnell abläuft.

Die Benutzeroberfläche des Archimedes ist in Basic programmiert, trotzdem arbeitet sie atemberaubend schnell

Wir haben den Archimedes 310 (A 310) mehrere Wochen einem gründlichen Test unterzogen. Und man muß ihm als allererstes zugute halten, daß er während der ganzen Testphase nicht ein einziges Mal abgestürzt ist, Da könnte sich so mancher Amiga oder ST eine Scheibe abschneiden. Wegen der oben genannten Geschwindigkeit kam es in unseren zahlreichen Tests mehrmals vor, daß der Archimedes einfach zu schnell war und man eine Zeitschleife (FOR I = 1 TO 1000: NEXT) einbauen mußte, damit man überhaupt etwas auf dem Bildschirm erkennen konnte. Das typische Beispiel ist der List-Befehl im Basic. Das Programm wird nicht einfach zum Mitlesen über den Bildschirm gescrollt, wie das auch bei anderen Computern üblich ist. Nein, es ist einfach da, nachdem man »List« eingegeben hat. Der Archie ist zu schnell.

Ohne Zweifel ist der Archimedes eine der aufsehenerregendsten Neuerungen der letzten Monate. Und trotzdem bleibt zu vermuten, daß er sich in Deutschland nicht durchsetzen wird. Denn nicht nur die Hardware macht einen guten Computer aus, sondern das Drumherum. Gibt es Software, und wird es auch in Zukunft weitere Software für diesen Computer geben? Ist das Vertriebsnetz groß genug, um überall einen Archimedes kaufen zu können? All diese Kriterien spielen eine entscheidende Rolle.

Eine originelle Benutzerführung erklärt Archimedes. Falls Sie Englisch verstehen, haben Sie auch etwas davon.

Manchmal ist Archie zu schnell

Doch schon jetzt ist abzusehen, daß der Archie bessere Karten haben könnte als seine Vorgänger aus dem Hause Acorn, wo die Wiege des Archimedes steht. Denn schon jetzt gibt es die wichtigsten Programme für den Archimedes. Das Überraschende an diesem Computer ist, daß er nicht, wie heute modern, mit einer Benutzeroberfläche als Haupt-Arbeitsebene konzipiert ist, sondern, wie einst ein C 64, ein Basic bereitstellt. Doch dieses fest eingebaute Basic V hat es in sich: Es vereinigt neben einigen C- und Pascal-Eigenschaften auch einen Assembler in seinem Befehlssatz. Kaum ein anderes Basic ist so komfortabel wie das des Archimedes. Abgesehen davon, daß es rasend schnell ist (siehe Tabelle), beeindruckt es durch seinen Befehlssatz. Strukturierte Programmierung, Grafik- und Sound-Befehle sowie komfortable Matrizen-Operationen machen Basic V zu einem Renner. Und wer den Archie milde belächelte, weil er, oh wie veraltet, tatsächlich in Basic zu programmieren ist, der kann so manchen C-Compiler dagegen verblassen sehen, weil das Basic des Archimedes eben doch nicht nur ein Basic ist. Einziger Haken: Der Eingabe-Editor ist eine Schande. Da hätte man sich bei anderen Computern noch so manche Scheibe abschneiden können.

Obwohl das Basic eigentlich für alle Anwendungen reichen sollte, gibt es unter den Programmierern Verfechter der neueren Programmiersprachen. Aber eine im Basic-Programm eingebundene Maschinen-Sprache-Routine wird von keiner anderen Hochsprache auf keinem anderen Tischcomputer in puncto Geschwindigkeit auch nur annähernd erreicht.

Trotzdem: Ein ANSI-C-Compiler ist bereits erhältlich und man kann seine C-Programmsammlung ja mal auf den Archimedes umschreiben und neue Geschwindigkeitsdimensionen kennenlernen. Wer gerne in anderen Programmiersprachen experimentieren möchte, dem kann auch geholfen werden. Neben Lisp, Prolog, Pascal und dem oben beschriebenen ANSI-C kann man seine Programme auch in Fortran 77 schreiben — eine Freude für die vielen Studenten und Professoren, die immer noch an dieser Sprache fest-halten.

Doch der Schlüssel zum Software-Glück, und damit ein Trumpf der Sonderklasse ist der MS-DOS-Emulator. Bei einem Norton-Faktor von etwas über 1 läßt sich problemlos wie mit einem normalen PC arbeiten. Auch die Tastaturtreiber sind dabei, so daß der Umstieg auf den Archie allenfalls einem AT-Verwöhnten schwerfällt. Leider ist die Bildschirmausgabe trotz emulierter CGA-Karte zu langsam.

Die mitgelieferte »Welcome Disk« erklärt den Archimedes auf verständliche Weise

Das klingt alles so einfach: Emulation. Wenn man sich vorstellt, was dahintersteckt: Ein Computer kommt auf den Markt und tut mal eben so, als sei er ein völlig anderer, mit komplett anderer Architektur und fremdem Prozessor. Und dabei merkt man von alledem nichts. Man könnte tatsächlich der Verwechslung unterliegen, würde dieser Verwandlungskünstler nicht fünf Minuten später mit einem Super-Spiel (siehe Spiele-Test in dieser Ausgabe) demonstrieren, daß da nicht etwa ein vergleichsweise langsamer PC oder AT seine Arbeit tut, sondern ein RISC-Chip am Werk ist. Der MS-DOS-Emulator ist dabei nicht nur genauso schnell, wie ein echter PC mit 8088-Prozessor, die Programme des Industrie-Standards MS-DOS laufen sehr gut mit dem Archimedes zusammen. Einziges Manko: Die Disketten müssen erst von den üblichen 5,25-Zoll- auf die 3,5-Zoll-Disketten des Archimedes umkopiert werden.

1: Das Herz: der Risc-Chip »ARM« 4: Die Batterien halten neben der Uhr auch andere Status-Werte des Archie

2: Das Betriebssystem »Arthur« ist mit dem Basic im ROM 3 + 5: Zwei weitere Custom-Chips übernehmen Grafik und Speicherzugriffe

Zum Thema Emulation fällt dem Archimedes aber noch wesentlich mehr ein. Mitgeliefert wird bereits dem Grundpaket ein 6502-Emulator, der einen 6502-Prozessor, wie er zum Beispiel im guten alten C 64 seine Arbeit verrichtet, emuliert. Die erreichte Geschwindigkeit entspricht dabei etwa einer mit 1,7 MHz getakteten 6502.

Außerdem kann der mitgelieferte Floating-Point-Emulator rein softwaremäßig einen sehr teuren Hardware-Co-Prozessor emulieren. Warum also noch Co-Prozessoren nachrüsten, wenn man mit der Software zu guten Ergebnissen kommen kann?

Als besonderes Bonbon für den Programmierer, dem das eingebaute Basic noch nicht schnell genug ist, gibt es ein RAM-Basic, das noch mal 30 Prozent schneller arbeitet.

Nützliche Zugabe: das Musikprogramm »MusicEd«. Der Archimedes kann acht Stimmen ansteuern.

Schnelle Tabelle

Die oben genannten Programmiersprachen geben dem Programmierer wichtige Werkzeuge zum Entwickeln neuer Software an die Hand. Mittlerweile gibt es schon zahlreiche Anwendungsprogramme aus dem professionellen Bereich. Mit »Arcwrite« steht ein Textverarbeitungsprogramm zur Verfügung, das sich hinter den bekannten Programmen nicht verstecken muß. Auch Ist Word Plus und ein DTP-Programm, mit dem man blitzschnell Grafiken vergrößern, verkleinern, dehnen und strecken sowie drehen und anschließend in einen Text einbinden kann, ist erhältlich. Eine Datenbank (»Delta Plus«) ist bereits verfügbar. Im Test zeigte sich auch hier der enorme Geschwindigkeits-Vorteil des Archimedes gegenüber anderen Computern. Mit »Logistix« ist die Tabellenkalkulation ein Kinderspiel. Das .bekannte Lotus 1-2-3 für den PC nimmt sich gegen Logistix vergleichsweise langsam aus.

Besonders gelungen ist das Mal-und Grafik-Programm »Artisan«, das für den Grafik-Künstler kaum noch Wünsche offen läßt. Man pickt sich damit einen beliebigen Bildschirmbereich heraus und kann ihn anschließend an beliebiger anderer Stelle wieder in das Bild einkopieren — in beliebiger Größe, Drehwinkel und Spiegelung. Das Ganze geht selbstverständlich in Echtzeit und das gewählte Objekt folgt den Bewegungen der Maus ohne merklich zu zögern. Eine nützliche Zugabe ist das Musikprogramm »MusicEd«. Die acht(!) Tonkanäle des Archimedes lassen sich damit äußerst komfortabel in allen denkbaren Variationen beeinflussen. Verschiedene Instrumente sind in Stereo mischbar, so daß über eine Hi-Fi-Anlage ein wahrer Sound-Zauber entsteht.

Den Archimedes wird es auch mit deutscher Tastatur geben.

Der Archimedes ist leider nicht billig. Etwa 3500 Mark muß man für das Grundgerät (A 310) mit RGB-Monitor, Maus- und 1 MByte RAM auf den Ladentisch blättern. Dafür bekommt man eine Benutzer-Oberfläche, das Basic in RAM und ROM, einen 6502- sowie Floating-Point-Emulator, ein Musik-Programm und eine Menge Hilfsprogramme für die verschiedensten Anwendungen. Auf dem RGB-Monitor kann man bis zu 640 x 256 Punkte in 256 aus 4096 Farben darstellen. Die höchste Auflösung des Archimedes beträgt theoretisch 1280 x 1024 Punkte in zwei Farben. Dazu benötigt man aber einen teureren Farb-Monitor, der die hohe Auflösung verkraftet.

Vergleichbar mit diesen Daten sind derzeit vom Preis her nur der Atari Mega ST und der Amiga 2000 zu nennen. In puncto Geschwindigkeit kommt an den Archimedes bestenfalls eine 30000-Mark-Workstation wie die »Sun« heran. Selbst einen Mikrocomputer wie die »VAX 11/780« läßt er hinter sich zurück. Interessant für einen Vergleich ist auch ein MS-DOS-PC, den der Archie ja emulieren kann, durch seinen Preis (angesetzt mit einer EGA-Karte und entsprechen dem Monitor). In einem Basic-Benchmark zeigte sich deutlich, wie groß die Geschwindigkeits-Unterschiede zwischen den einzelnen Computern sind. Von der Komplexität der Basic-Dialekte kann allenfalls das GFA-Basic des Atari ST noch mithalten — bei der Geschwindigkeit muß schon ein Compiler her.

Deutlich sehen Sie die enormen Geschwindigkeitsunterschiede beim Benchmark-Test

In verschiedenen Tests hat sich gezeigt, daß der Archimedes etwa 38mal so schnell wie ein 1BM-PC, 20mal so schnell wie ein Apple Macintosh, etwa 14mal so schnell wie ein IBM-AT 03, achtmal so schnell wie Atari ST und Amiga und etwa dreimal so schnell wie eine VAX 11/780 ist. Lediglich eine Sun-Workstation hat manchmal die Nase vorn.

	10 I=3
	20 FOR J=3 TO SQR(I) STEP2
	30 IF INT(I/J) <> I/J THEN NEXT J:PRINTI
	50 I=I+2:IF I<10000 THEN 20

Das Testprogramm gibt alle Primzahlen bis 10000 (außer 2 und 3) auf dem Bildschirm aus

Der Archimedes ist einer der modernsten Computer dieser Zeit und kann in Sachen Geschwindigkeit nur noch von den Transputern eingeholt werden. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich ein sehr guter Computer nur deshalb nicht durchsetzt, weil ihn keiner kaufen kann und die nötige Software fehlt. Da hilft es auch nicht, wenn Acorn stolz versichert, schon jetzt könne man die gesamte Software-Palette der kleinen BBC-Computer auf dem Archimedes nutzen. Was bedeutet hier in Deutschland schon die BBC-Soft-ware gegen das Heer an C 64-Pro-grammen? Warten wir auf einen C 64-Emulator oder gar einen ST-oder Amiga-Emulator. Sicher ist, daß dem Archimedes eine bessere Zukunft bevorsteht, als seinem Vorgänger. (wo)

# Das ist RISC

Der Archimedes hat einen RISC-Chip. Nur deshalb ist er so schnell. Dabei handelt es sich um eine neue Generation von Mikroprozessoren, die die vielfache Rechenleistung anderer Computer lediglich durch eine geänderte Hardware-Konzeption erreichen. Ein RISC-Chip hat wesentlich weniger und wesentlich einfachere Befehle als übliche Prozessoren wie ein 68000 oder ein 80386. Die Idee hinter diesem Prinzip ist folgende: Ein Chip, der weniger Befehle kennt, kann wesentlich einfacher aufgebaut sein und damit jeden Befehl in kürzerer Zeit abarbeiten. So benötigt zum Beispiel ein 68000-Prozessor, wie er in einem Atari ST oder Amiga seine Arbeit verrichtet, für manche Befehle über 170 Taktzyklen. Ein RISC-Chip, wie der ARM (Acorn RISC Machine) im Archimedes, benötigt pro Befehl etwa zwei Taktzyklen und ist damit in der Regel bei gleicher Taktfrequenz bis zu 100mal schneller als ein 68000-Prozessor. Ein 68000er benötigt mindestens vier Taktzyklen für den Befehl »NOP« und ist damit, auch wenn er nichts tut, noch viermal so langsam, wie der RISC-Chip im Archie. Das Problem des RISC-Chips ist aber, daß man bei komplexeren Operationen, wie einer Division, erst aufwendige Programme schreiben muß, um diese Funktionen, auszuführen. In der Regel kommt aber der enorme Geschwindigkeitsvorteil zum Tragen, so daß der RISC-Chip jeden 68000er um Längen zurückläßt. (wo)



Aus: Happy Computer 04 / 1988, Seite 37

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