Amiga goes to Hollywood

Auf der AmiExpo, der wichtigsten Messe für den Amiga, dominierten Videoanwendungen bei Soft- und Hardware. Die Leistungssteigerungen sind unübersehbar. Computergrafiken auf dem Amiga erreichen fast schon Filmqualität.

In Los Angeles, ganz in der Nähe des Film-Mekkas Hollywood, fand Mitte Januar die zweite AmiExpo statt. Der Ort war gut gewählt. Die Messehalle glich an vielen Ständen mehr den Filmfestspielen von Cannes, als einer Computermesse. Auf Monitoren jagten Raumschiffe in waghalsigen Verfolgungsjagden durch das All, rasten Sportwagen über digitale Landschaften, spielten roboter-artige Figuren Basketball und sprachen digitalisierte Gesichter mit dem Publikum Der Schwerpunkt der Software-Neuerscheinungen liegt eindeutig auf Grafik- und Animationsprogrammen.

Eine der Messe-Attraktionen war das unfreiwillige »Duell« zwischen den bekannten Programmen »Sculpt 3D« und »Videoscape«. Die Stände von Byte by Byte und Aegis lagen sich genau gegenüber Scharen von Amiga-Fans standen auf dem schmalen Gang, der die Stände trennte, und verfolgten gebannt auf den Monitoren die neuesten Demo-Programme. Aegis zeigte viele Computerfilme, die mit Videoscape erzeugt und mit fetziger Musik untermalt waren. Durch die laute Musik war der Aegis-Stand jederzeit leicht zu finden, auch wenn man nicht mehr genau wußte, wo er lag.


Titanenkampf

Geräuschloser präsentierte sich Byte by Byte. Auf einem großen Videoschirm lief entweder eine Vorführung von Sculpt 3D oder die neuesten Grafik-Demos. Man konnte eine halbe Stunde zwischen den Ständen stehen und abwechselnd rechts und links atemberaubende Videoclips sehen, die mit dem Amiga erzeugt wurden.

Der Auslöser für die Aufregung waren die neuen Versionen von Sculpt 3D und Videoscape. die jetzt deutlich bessere Bilder und Filme erzeugen. Das Interessante an den Änderungen ist. daß sowohl Allen Hastings. der Programmierer von Videoscape, als auch Eric Graham. von dem Sculpt 3D stammt, versucht haben, die Vorteile des jeweils anderen Programms in ihres zu integrieren.

Eine der am häufigsten gestellten Fragen zu Videoscape 2.0 war, ob es jetzt Raytracing beherrscht. Raytracing ist die Kunst, sehr realistische Bilder zu erzeugen, indem für jeden Bildpunkt berechnet wird, ob seme Farbe und Helligkeit durch ein anderes Objekt oder eine Lichtquelle beeinflußt wird. Durch Schatten und Spiegelungen sehen die Bilder wie Fotos aus. Videoscapes neue Funktion zum Berechnen von Schatten erzeugt so feine Farbverläufe. daß man fast den gleichen Effekt erhält. Bislang setzten sich die Objekte in Videoscape aus kantigen Flächen zusammen, die nur grob schattiert waren. Damit ist jetzt Schluß Aus den harten Kanten eines Vielecks wird eine sanfte Rundung aus grob abgestuften Flächen ein ferngezeichnetes Gebilde. Mit einer geschickt gesetzten Lichtquelle sehen die Bilder so aus. als ob Spiegelungen auftreten Auf einer Kugel ist jetzt beispielsweise ein Lichtfleck zu sehen, der durch die Lichtquelle hervorgerufen wird. Der Effekt ist verblüffend

Den Eindruck von Raytracing erzeugen auch neue Oberflächenarten, die zum Beispiel wie getöntes Glas wirken. Dazu Allen Hastings: »Sicher, das sind alles nur Tricks. Doch wer braucht schon echtes Raytracing, wenn man beim flüchtigen Betrachten des Videos nicht bemerkt. daß es keines ist? Für mich ist entscheidend, daß Videoscape ein einzelnes Bild in Minuten berechnet, nicht in Stunden.«

Die bessere Grafik ist nicht die einzige Verbesserung bet Videoscape. Neu ist auch der komfortablere Objekt-Editor. Außerdem ist die Bildberechnung deutlich schneller.

Wer die deutsche Videoscape-Version, die die PAL-Auflösung unterstützt, besitzt, ist übrigens schon in den Genuß einiger Verbesserungen gekommen. Allen Hastings wurde mitten in den Arbeiten zu Videoscape 2.0 von der Anfrage nach einer PAL-Version überrascht. Er änderte die Grafikroutinen für die höhere Auflösung in Deutschland und ließ die anderen Neuerungen gleich im Programm, Videoscape 2.0 soll bis Ende März 1988 fertig sein und 199 Dollar kosten.

Videoscape 2.0 bietet wesentlich bessere Grafik als vorher, Sculpt 3D lernt das Berechnen von Filmen. »Animate 3D« von Byte by Byte ergänzt Sculpt 3D um die von vielen Anwendern schmerzlich vermißten Animationsbefehle. Animate 3D ist ein eigenes Programm, das die neuen Befehle in Sculpt 3D. das sie besitzen müssen, um Animate 3D zu verwenden, einbindet. Wenn Sie Sculpt 3D schon besitzen, müssen Sie nur 100 Dollar investieren, falls nicht, kostet Sie das Paket aus Ammate 3D und Sculpt 3D 250 Dollar. Durch den modularen Aufbau wird niemand gezwungen, 100 Dollar mehr auszugeben, wenn er nur Sculpt 3D kaufen möchte.

Mit dem ergänzten Sculpt 3D sind Kamerafahrten oder Objektbewegungen in Raytracing-Grafiken kein Problem mehr. Sie geben die verschiedenen Positionen der Kamera und der Objekte ein. Sculpt 3D berechnet die einzelnen Bilder, die hintereinander gezeigt wie ein Film wirken. IFF-Bilder können dabei als unveränderlicher Vorder- oder Hintergrund dienen. Superprofessionell ist die »Motion Blur«-Funktion, die künstliche Bewegungsverzerrungen berechnet. Das einzelne Bild verliert dadurch an Brillanz. Der Film sieht aber noch realistischer aus. Mit den neuen Funktionen braucht man mindestens 1 MByte Speicher.

Wer sowohl Sculpt 3D als auch Videoscape benutzt, ärgert sich über das unterschiedliche Daten-Format. da die Objekt-Dateien nicht kompatibel sind. Das 50 Dollar teure Programm »Interchange» von Syndesis macht damit Schluß. Es konvertiert die Dateien, so daß Sie die gleichen Objekte in beiden Programmen verwenden können.

Farbenfülle

Heiß umkämpft ist der Markt bei den Zeichenprogrammen. Niemand wagt es. sich mit Deluxe Paint II zu messen Deshalb stürzten sich die Programmierer auf den HAM-Modus, der 4096 Farben gleichzeitig erlaubt und von Deluxe Pamt nicht unterstützt wird. Electronic Arts. die ihr neues Zeichenprogramm »Deluxe Photolab» auf der CES vorstellten, waren nicht auf der Messe vertreten. So dominierten zwei andere 4096-Farben-Zeichenprogramme auf der Messe. »Digi-Paint«. der Altmeister unter den 4096-Farben-Malprogrammen. wurde gründlich überarbeitet Es unterstützt alle Auflösungen inklusive des selten genutzten Halfbright (64 Farben) und verarbeitet Super-Bitplanes mit 1024 x 1024 Bild punkten. Neu ist die Textfunktion. die Schriften automatisch für höhere Auflösungen umrechnet Auch die Farbauswahl und die Zeichenfunktionen wurden verbessert. Digi-Paint II soll im Frühjahr 1988 fertig sein

Von Micro Illusions, die durch das »Feary Tale«-Adventure bekannt wurden, stammt »Photon Paint». Es besitzt neben den Standard-Funktionen, wie Kreise. Ellipsen und Linieziehen. Zoomen und Verschieben von Bildblöcken viele zusätzliche Befehle. Eindrucksvoll ist die Projektion eines Bildausschnitts auf ein Objekt. Das Ergebnis sieht aus. als ob man das Bild zum Beispiel auf eine Kugel gemalt hatte. Zusammen mit Lichtquellen und Farbverläufen kann jeder eindrucksvolle Effekte erzielen. ohne viel Zeichentalent zu haben. Micro Illusion zeigte noch die ersten Vorversionen von »Photon Film», das auf der CES noch »Cell Animator» genannt wurde. Viel gab es von Photon Film noch nicht zu sehen, da es erst im Sommer fertig sein soll. Photon Paint ist bereits im Frühjahr erhältlich und kostet 89 Dollar.

Computer-Comics

Ein Zeichenprogramm besonderer Art ist der »Comic Setter« von Golddisk Es soll jedem Benutzer zu guten Comics verhelfen, selbst wenn man nicht so gut zeichnen kann. Auf der Comic-Setter-Diskette sind Bilder von Figuren und Monstern mit verschiedenen Arm- und Kopfhaltungen gespeichert Die Vorlagen dienen als Grundlage für den Comic, da Sie die Charaktere wie in einem Baukasten zusammensetzen können. Die Bilder bestehen beim Comic Setter aus mehreren Lagen, als wären die Teilbilder auf durchsichtige Folie geklebt So brauchen Sie nicht die ganze Figur neu zeichnen. wenn sie nur den Kopf drehen soll. Eine Kopie der »Folien«, die gleichbleiben sollen und ein neuer Kopf genügen Das Programm hilft auch beim Gestalten der Sprechblasen, die es in allen Arten, Größen und Formen gibt. Der Comic Setter kostet 99 Dollar. Für je 40 Dollar gibt es zwei weitere Disketten mit Bildern von Monstern. Helden und Landschaften

Der Mensch im Computer

Das ungewöhnlichste Programm der Messe war »Mandala« von »Very Vivid«. Mandala versetzt eine Person in den Computer. indem es ein mit einer Videokamera aufgenommenes Bild digitalisiert und auf dem Monitor darstellt. Das Abbild des Menschen kann Gegenstände auf dem Bildschirm »berühren» und Aktionen auslösen als sei es ein Mauszeiger. So konnte man durch Bewegungen vor der Kamera auf Trommeln schlagen, die nur auf dem Bildschirm existierten oder einen Vogel einfangen, der über den Monitor flog. Mandala ist nicht nur ein großartiges Werkzeug für Künstler, sondern auch ein neuer Weg. einen Computer zu steuern. Stellen Sie sich vor, Sie sähen sich selbst auf dem Bildschirm vor einem Bücherregal und könnten durch Bewegen der Hand — ohne Maus und Joystick — ein Buch auswählen und darin lesen.

Mandala ist. obwohl die Technik noch in den Kinderschuhen steckt, ein Vorbote für eine neue Art des Umgangs mit dem Computer. Bis sie wirklich einsatzreif ist. werden noch Jahre vergehen. Die drei Entwickler haben sieben Jahre daran gearbeitet, bis sie im Amiga einen Computer gefunden hatten, der schnell genug war. digitalisierte Bilder in Echtzeit zu verarbeiten. Es werden noch weitere Jahre vergehen, bis die Software so leistungsfähig ist, daß man sie für komplexe Programme verwenden kann. Bis dahin sehen die Entwickler Einsatzmöglichkeiten für Künstler. Präsentationen und in Schulen. Mandala kostet knapp 400 Dollar. Im Preis ist der Videodigitizer nicht eingeschlossen.

Eine große Hilfe für alle Amiga 2000-Besitzer und Programmierer ist der »Guru-Buster». Wenn eine Guru Meditation auf-tritt. beendet der Amiga alle laufenden Programme nicht nur das fehlerhafte. Das ist auch sinnvoll, da das defekte Programm andere im Speicher zerstört haben könnte. Folgefehler sind nicht mehr nachvollziehbar, wenn ein scheinbar fehlerfreies Programm danach abstürzt.


Ganz auf Amiga eingestellt: die AmigaExpo in Los Angeles

Wer einen Amiga 2000 mit PC-Karte hat. muß den PC neu booten. wenn der Amiga abstürzt. Das führt manchmal zu Datenverlust. weil man auf der PC-Seite noch nicht gespeichert hatte. Für 30 Dollar bekommen Sie das Programm »GOMF 2.0«. Es läuft im Multitasking und verhindert eine Guru-Meditation. Es beendet nur das fehlerhafte Programm. Der Benutzer entscheidet dann selbst, ob er vorsichtshalber neu booten möchte oder nicht. GOMF bedeutet übrigens »Get Out of My Face», zu deutsch: verschwinde!

Wer mit seinem Amiga 2000 auf dem neuesten Stand der Technik sein will, kauft sich für knapp 3000 Dollar eine 68030-Karte. Sie besitzt einen eigenen 32-Bit-Adreßbus. Sie umgeht die 16-Bit-Architektur des Amiga. um die volle Power des neuen 32-Bit-Prozessors zu nutzen. Die neue CPU macht den Amiga knapp um das 15fache schneller und ist zwei- bis dreimal schneller als eine 68020-Karte.

Gerüchte über den neuen Amiga, allgemein Amiga 3000 genannt, geisterten die ganzen Messetage durch die Halle und die Köpfe der Besucher. Kommt er, oder kommt er nicht? Führte Commodore ihn vielleicht in einem geheimen Zimmer schon vor wie einige »Spezialisten» wissen wollten. Nichts davon ist wahr. Gail Wellington, internationale Software-Managerin von Commodore. meint zu den Spekulationen: »Der Amiga 3000 befindet sich in der Bier und Pizza-Phase. Das heißt die Entwickler denken jetzt erst darüber nach, wie dieser Computer aussehen soll. Wann er aber fertig ist. kann man jetzt noch nicht sagen.» Kein Gerücht ist dagegen, daß die Workbench gerade gründlich überarbeitet wird.

Gerüchte, Gerüchte

Schnellere, verbesserte Druckertreiber und neue Software zum Unterstützen der Schnittstellen sind fertig und werden momentan getestet. Die neue Workbench-Diskette soll im April oder Mai 1988 kommen, wenn alle Teile fehlerfrei und kompatibel sind. Bis dahin müssen sich die Amiga-Benutzer noch gedulden.

Die AmiExpo war auch ein Treffpunkt für die Entwickler des Amiga. Fast alle waren an einem der drei Tage auf der Messe und erzählten einiges über die Entstehung ihres Traumcomputers. Was der geistige Vater des Amiga. Jay Miner, der Grafik-Zauberer Dale Luck und R.J. Mical, der Intuition schrieb, berichteten, können Sie in einer der nächsten Ausgaben von Happy-Computer lesen. (gn)



Aus: Happy Computer 04 / 1988, Seite 18

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